Bauwerk

Ortsplatz Handenberg
Heidl Architekten ZT GmbH - Handenberg (A) - 2015
Ortsplatz Handenberg, Foto: Josef Andraschko
Ortsplatz Handenberg, Foto: Josef Andraschko

Gestalt gewordenes Zusammengehörigkeitsgefühl

Ortsplatzgestaltung in Handenberg (A)

Mit Geduld und durch die Bündelung des politischen Willens geriet die Neugestaltung der dörflichen Ortsmitte zu einer architektonischen Erfolgsgeschichte. Sinnfällig zoniert und ebenso gefällig wie nutzbar möbliert hebt der Platz die örtlichen Besonder­heiten hervor und hat mit der frei auskragenden Stahlbetonkonstruktion des Schutzdachs nun ein weiteres staunenswertes Unikum zu bieten.

5. November 2016 - Roland Pawlitschko
Viele Autofahrer, die den oberösterreichischen Ort Handenberg auf dem Weg von Salzburg nach Braunau am Inn durchqueren, nehmen die Qualitäten des neuen Dorfplatzes oberhalb der Landesstraße 156 vermutlich gar nicht wahr. Und zwar nicht obwohl, sondern gerade weil der neue Platz zwischen Kirche und Gemeindeamt so gut gelungen ist.

Die 1453 geweihte Pfarrkirche St. Martin ist mit Abstand das dominanteste, höchste und vermutlich auch älteste Gebäude Handenbergs. Umgeben von ­einer ringförmigen Friedhofsmauer liegt sie am höchsten Punkt des Orts, unmittelbar neben einem Teich, auf dem sich, der Sage nach, einst eine Ente mit Hostie im Schnabel zeigte. Eine solche Ente ziert zwar das heutige Gemeindewappen, Historikern zufolge geht der Ortsname aber nicht aus »Antenberg« hervor, sondern ist auf einen Mönch namens Hanto zurückzuführen, der hier um 1100 das erste Gotteshaus errichten ließ. Geschichte und Geschichten spielen im gut 1 000 Einwohner zählenden Handenberg bis heute eine große Rolle, und so ist es umso erstaunlicher, dass es gerade hier zu einer Ortsplatzgestaltung kam, die sich als dezidiert zeitgenössisches, weit über den Ort ­hinaus wirkendes Statement lesen lässt.

In diesem Zusammenhang steht eine schnörkellose Sicht­betonkonstruktion im Mittelpunkt: Sie besteht aus einer 8,5 m langen, sich nach oben verjüngenden Wandscheibe, auf die eine 12 m frei auskragende, rund 80 m² große Dachfläche scheinbar nur aufgelegt ist. Für sich betrachtet sind diese Abmessungen so gewaltig, dass unwillkürlich Fragen zur Statik des Bauwerks aufkommen. Errichtet wurde es gänzlich ohne vorgespannte Bauteile, dafür aber mit einbetonierten I-Stahlträgern in nur einem Betonierabschnitt, wobei aufgrund der langen Anfahrtswege für die geforderte Betonqualität C40/50 B5 ­lediglich eine Einbauzeit von 60 Minuten zur Verfügung stand. Die Über­höhung der Auskragung betrug vor dem Betonieren 26 cm.

Flugdach als Vermittler

So herausfordernd die Konstruktion des Betondachs für den Statiker und das Bauunternehmen aber auch gewesen sein mag, so selbstverständlich steht es heute vor der Pfarrkirche St. Martin. Das liegt einerseits daran, dass es als ein auf das wirklich Nötigste reduziertes Bauwerk erscheint: vollkommen glatt und monolithisch, ohne jegliche Ornamentik und ohne sichtbare Details und aufgesetzte Bauteile wie z. B. Leuchten, Verblechungen oder Rinnen. Die Entwässerung erfolgt durch seitliche Betonaufkantungen und innenliegende Fallrohre, zur Beleuchtung wurden an den Stößen der Schaltafeln flächenbündige Leuchtkörper einbetoniert. Andererseits lässt sich das Flugdach aber auch keiner Bauwerkskategorie – wie z. B. Haus, Pavillon, Dach – zuordnen. Vielmehr ­erscheint es als künstlerische Freiform, der es gelingt, gestalterisch ­zwischen einer gotischen Kirche mit barock anmutendem Turm, schmuck­losen Wohngebäuden und einem in den 70er Jahren mit volkstümlichen Sgraffiti verzierten Gemeindeamt zu vermitteln.

Integration des städtebaulichen Kontexts

Wesentlich wichtiger noch als die Gestalt des Flugdachs ist seine konzeptionelle Einbindung in den städtebaulichen, aber auch politischen Gesamtkontext. Ausgangspunkt war ein von der Gemeinde Mitte 2014 ausgelobter geladener Architekturwettbewerb für eine Fläche, die erst durch den ein Jahr zuvor erfolgten Abbruch des nicht erhaltenswerten »Lamprechthauses« entstand – ein Altbau, der den westlichen Kirchenvorplatz zwischen Friedhofsmauer, Landesstraße und dem damals völlig überwucherten Teich besetzte. Die in der Auslobung formulierten Ziele, »die Nutzungsmöglichkeiten gemeinschaftlichen Lebens und Begegnens im öffentlichen Raum zu stärken« und einen neuen »Mittelpunkt des Dorfgeschehens« zu schaffen, erfüllte das siegreiche Projekt des Linzer Architekten Andreas Heidl am besten. Er sah ­eine einheitlich gepflasterte Platzfläche vor, die durch lang gestreckte Holz-Sitzbänke, den neu in Szene gesetzten Teich und das am ehemaligen Standort des Lamprechthauses platzierte Flugdach in drei Bereiche gegliedert wird.

Formelle und informelle Platzbereiche

Der östliche Bereich zwischen Kirche und Gemeindeamt dient v. a. als formeller Vorplatz für Kirche und Friedhof – sowohl für Beerdigungen als auch für Hochzeiten – sowie als Veranstaltungsfläche z. B. für Feuerwehr- und Musikfeste. Eher informell wirkt dagegen der westliche Teil der Platzfläche, der mit einem großflächigen Holzdeck mit Sitzstufen zum Teich orientiert ist. Hier treffen sich sonntägliche Kirchgänger, Hochzeitsgäste, aber auch Passanten oder die Kinder der unmittelbar benachbarten Volksschule für einen Moment der Ruhe. Das Flugdach grenzt diese beiden Platzflächen voneinander ab, ­ohne sie jedoch räumlich oder visuell zu trennen – aus der Fußgängerperspektive erscheint es ja lediglich als dünner horizontaler Beton­streifen. Trotzdem bietet es einen 80 m² großen, vor Witterung und gegenüber der Landesstraße geschützten »Raum«: für Standkonzerte der Kapelle Handenberg, für Bars und/oder Verpflegungsstationen bei Festen und für Jugendliche, die hier abends »chillen« wollen.

Integration des politischen Kontexts

Selbstverständlich bildet der Entwurf von Andreas Heidl den dreidimensionalen Rahmen für dieses Miteinander. Maßgeblich daran beteiligt ist aber auch die jahrelange Grundlagenarbeit des Bürgermeisters Gottfried Alois Neumaier, die bereits 2009 ihren Ausgang nahm als die Gemeinde das Grundstück des Lamprechthauses kaufte und zugleich die Ortsumgestaltung beschloss. Zu seinen wesentlichen Zielen zählte einerseits die Einbeziehung aller politischen Kräfte im Ort.

Aus diesem Grund stellte beim Architekturwettbewerb jede im Gemeinderat vertretene Partei ein Jurymitglied, andererseits wurde aber auch ein Dorf- und Stadtentwicklungsverein gegründet und an der Erstellung der Auslobungsunterlagen beteiligt. Beides diente dazu, die gesamte Bürgerschaft in die Planung einzubinden, damit am Ende möglichst wenig Konfliktpotenzial und kein bauliches Flickwerk entstehen. Der Wett­bewerb selbst war dabei als Instrument unverzichtbar. Er brachte den unverstellten, neutralen Blick eines auswärtigen Architekten ins Spiel, v. a. aber konnten nach der einstimmigen Juryentscheidung Ziele festgezurrt werden, die sich im Hin und Her des von persönlichen Interessen geprägten poli­tischen Tages­geschäfts nie hätten erreichen lassen. Hinzu kommt die aus den unterschied­lichen Regional-, Landes- und Bundesfördermitteln zusammengesetzte ­Finanzierung des am Ende mit 420 000 Euro (brutto) bezifferten ­Projekts, die sich durch dieses Verfahren wesentlich vereinfachte. All diese Aspekte zusammen haben dazu geführt, dass der Platz von den Handenbergern heute als ­Gestalt gewordenes Zusammengehörigkeitsgefühl wahrgenommen und genutzt wird. Als nächstes Projekt steht nun die Neugestaltung des Umfelds von Leichenhalle und Kindergarten an. Die Chancen stehen gut, dass auch diese Planungen die Dorfgemeinschaft weiter stärken werden.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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