Bauwerk
MAAT
AL_A - Lissabon (P)
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Atemberaubende Aus- und Einblicke bietet das neue Museum für Kunst, Architektur und Technik in Lissabon. Der Londoner Architektin Amanda Levete gelingt es, mit dem MAAT die Ikonografie des Ortes zu verändern.
20. Mai 2017 - Jan Marot
Es steht direkt am Wasser und ist von den Wellen des Tejo-Flusses inspiriert. Auf ebendiesen wirft das Lissabonner Museu de Arte, Arquitetura e Tecnologia, kurz MAAT, sein überdimensionales, zwinkerndes Auge. Das von der Londoner Architektin Amanda Levete (ALA Architects) geplante Haus ist in emblematisch-prominenter Gesellschaft eingebettet. Auf der einen Seite das berühmte Seefahrer-Entdeckerdenkmal und die Brücke des 25. April, auf der anderen Seite das prächtig ornamentierte Hieronymus-Kloster im Stadtteil Belém.
Auf dem Areal eines alten Kohlekraftwerks der 1920er-Jahre schuf Levete einen 120 Meter langen und nur 14 Meter hohen Blickfang mit erstaunlichem Tiefgang. Die ursprünglich geplante Kupferschindelfassade – Sinnbild für den Auftraggeber, den portugiesischen Stromerzeuger Energias de Portugal (EDP) – hat sie verworfen. Stattdessen ist der flache, geschwungene Bau nun mit 15.000 dreidimensionalen weißen Keramikfließen überzogen. Die von EDP getragenen Gesamtbaukosten belaufen sich auf rund 20 Millionen Euro.
Mit der Hommage an die portugiesische Azulejo-Kultur erzielt Levete den visuellen Effekt, dass der Museumsbau je nach Sonnenstand und Reflexe seine Farbe ändert – grellweiß am Morgen, rosa, golden-orange bis tiefrot in der Abenddämmerung. Penibel studierte Levete dafür die vom Sonnenstand abhängigen Lichtsituationen – äußerlich wie innerlich, wo sich durch die Deckenöffnungen der Fluss auf dem Museumsboden widerspiegelt. „Das Wasser ist essenziell für den Bau“, sagt Levete zum STANDARD . Das Herz der Stirling-Preisträgerin von 1999 schlägt seit einer Reise zur Fußball-EM 2004 für Portugals Hauptstadt: „Ziel war, dass das Wasser an allen Orten des Museums präsent ist.“ Und wenn es bloß in Form der riesigen Keramikwelle ist, die sich direkt am Ufer aufbauscht und die dem benachbarten Klinkeraltbau einen subtilen Partner dazugesellt. „Unser Design zeigt Präsenz, ist aber nicht bombastisch“, betont Levete.
Erstmals öffnete das MAAT seine Pforten im vergangenen Oktober – provisorisch zur Lissabonner Architektur-Triennale. Seit letzter Woche ist das Museum nun in Vollbetrieb. Nur noch die von Levete geplante Brücke von der MAAT-Aussichtsterrasse über die Schnellbahntrasse in den Stadtteil Junqueira steht noch aus.
„Die außergewöhnliche Architektur ist ein integraler Bestandteil des MAAT“, sagt MAAT-Direktor Pedro Gadanho. Der Architekt und ehemalige Kurator des Museum of Modern Art (Moma) in New York geht aber noch weiter: „Das ist ein extrem erfolgreiches Projekt. Ich wage es, fast von einem Mini-Bilbao-Effekt zu sprechen.“ Wiewohl das MAAT viel diskreter sei als sein Vorbild.
„Zeitgenössische Architektur verursacht häufig Gefühle der Ablehnung“, weiß Gadanho. Einfach, weil man deren Formensprache nicht verstehe. Bewohnern falle es schwer, sich mit Gegenwartsströmungen zu identifizieren. Anders in Lissabon, wo sie mit dem MAAT interagieren würden: „Obwohl es von der Form radikal und futuristisch ist, vermittelt es das Gefühl, willkommen zu sein“, betont der MAAT-Direktor. Zugleich habe man an den alten Kohlehafenmolen eine Flusspromenade geschaffen: „Das Ufer hier war von der Stadt abgetrennt. Die hier neu geschaffenen Institutionen bieten Gründe, sich wieder dem Wasser zu nähern“, sagt Gadanho, der das MAAT nicht zuletzt als „Beschleuniger für diesen Prozess“ versteht. Lokal wird das Museum von der Bevölkerung gut angenommen, was sich nicht nur im Besucherandrang zeigt: „International ist das positive Feedback eine Konstante. Für ein Museum, das eben erst vor wenigen Monaten eröffnet hat, ist das etwas Schönes“, so der Direktor zufrieden: Mitte Mai zählte man mehr als 9000 Besucher, just zur Eröffnung zweier Ausstellungen, und parallel zur zweiten Auflage der vis-à-vis in der alten Seilfabrik Cordoaria zelebrierten Gegenwartskunstmesse Arco Lisboa.
Eine sanfte Rampe
Die Art und Weise, wie man das alte E-Werk und Amanda Levetes neue Welle miteinander verknüpfe, sei es gewesen, „beides in den Dialog zu stellen. Die industrielle Architektur hatte ihre Bedeutung im zeitgenössischen Kontext des frühen 20. Jahrhunderts. Beide antworten auf die Sprache ihrer Zeit, und sie antworten in ebenjener auch einander“, so Gadanho.
Eine sanfte Rampe führt bergab ins Tiefgeschoß, wo sich eine immense Fläche eröffnet. Die 1000 Quadratmeter große Galeria Oval nimmt ein Drittel der Ausstellungsfläche in Levetes Neubau ein. Zusammen mit dem alten E-Werk stehen insgesamt 7000 Quadratmeter Schaufläche zur Verfügung. Wie Künstler indes diese atypischen, neugeschaffenen Räume, die mitunter labyrinthisch verlaufen, gut nutzen werden, stellt sie auf jeden Fall vor Herausforderungen.
„Dies zu lösen ist Aufgabe der Künstlerinnen und Künstler“, sagt Gadanho, der drei der aktuell vier laufenden Ausstellungen mitkuratiert: „Seit den 1960er- und 1970er-Jahren existiert der Hang zu ortsspezifischen Arbeiten, die mit den physischen Rahmenbedingungen und dem Kontext interagieren.“ Gadanho wolle den Künstlern kein Modell aufoktroyieren, sondern einen Dialog entfachen, der auf diese Situation ortsspezifisch reagiert. „Damit schaffen wir etwas Außergewöhnliches – etwas, das nur in außergewöhnlichen Umgebungen entstehen kann.“
Einer, der sich dieser Aufgabe auf Einladung Gadanhos stellt, ist aktuell der kubanische Künstler Carlos Garaicoa: mit einer ersten MAAT-Auftragsarbeit (Ich war nie Surrealist, bis zum heutigen Tag), die dem Kubaner zwar eine „schöne Überraschung bot“, wie er erklärt, ihm zugleich aber in der Konzeption „fast den Kopf explodieren ließ“.
„Wir bewegen uns dabei weg vom Konzept der Ikonisierung eines einzigen Gebäudes zur Ikonografie eines Ortes“, weiß Levete. In puncto Ausstellungsfläche will das MAAT der „akut wandelnden Beziehung von Kunst, Museen und den Museumsbesuchern Rechnung tragen, die stets weniger didaktisch sei“. Dabei brauche es einfach Platz für Interaktion und Performance. So bietet die flexibel wandelbare, elliptische Galeria Oval ganz zeitgemäß „mehr Möglichkeiten, ihrer Kreativität ohne räumliche Enge Ausdruck zu verleihen“.
Auf dem Areal eines alten Kohlekraftwerks der 1920er-Jahre schuf Levete einen 120 Meter langen und nur 14 Meter hohen Blickfang mit erstaunlichem Tiefgang. Die ursprünglich geplante Kupferschindelfassade – Sinnbild für den Auftraggeber, den portugiesischen Stromerzeuger Energias de Portugal (EDP) – hat sie verworfen. Stattdessen ist der flache, geschwungene Bau nun mit 15.000 dreidimensionalen weißen Keramikfließen überzogen. Die von EDP getragenen Gesamtbaukosten belaufen sich auf rund 20 Millionen Euro.
Mit der Hommage an die portugiesische Azulejo-Kultur erzielt Levete den visuellen Effekt, dass der Museumsbau je nach Sonnenstand und Reflexe seine Farbe ändert – grellweiß am Morgen, rosa, golden-orange bis tiefrot in der Abenddämmerung. Penibel studierte Levete dafür die vom Sonnenstand abhängigen Lichtsituationen – äußerlich wie innerlich, wo sich durch die Deckenöffnungen der Fluss auf dem Museumsboden widerspiegelt. „Das Wasser ist essenziell für den Bau“, sagt Levete zum STANDARD . Das Herz der Stirling-Preisträgerin von 1999 schlägt seit einer Reise zur Fußball-EM 2004 für Portugals Hauptstadt: „Ziel war, dass das Wasser an allen Orten des Museums präsent ist.“ Und wenn es bloß in Form der riesigen Keramikwelle ist, die sich direkt am Ufer aufbauscht und die dem benachbarten Klinkeraltbau einen subtilen Partner dazugesellt. „Unser Design zeigt Präsenz, ist aber nicht bombastisch“, betont Levete.
Erstmals öffnete das MAAT seine Pforten im vergangenen Oktober – provisorisch zur Lissabonner Architektur-Triennale. Seit letzter Woche ist das Museum nun in Vollbetrieb. Nur noch die von Levete geplante Brücke von der MAAT-Aussichtsterrasse über die Schnellbahntrasse in den Stadtteil Junqueira steht noch aus.
„Die außergewöhnliche Architektur ist ein integraler Bestandteil des MAAT“, sagt MAAT-Direktor Pedro Gadanho. Der Architekt und ehemalige Kurator des Museum of Modern Art (Moma) in New York geht aber noch weiter: „Das ist ein extrem erfolgreiches Projekt. Ich wage es, fast von einem Mini-Bilbao-Effekt zu sprechen.“ Wiewohl das MAAT viel diskreter sei als sein Vorbild.
„Zeitgenössische Architektur verursacht häufig Gefühle der Ablehnung“, weiß Gadanho. Einfach, weil man deren Formensprache nicht verstehe. Bewohnern falle es schwer, sich mit Gegenwartsströmungen zu identifizieren. Anders in Lissabon, wo sie mit dem MAAT interagieren würden: „Obwohl es von der Form radikal und futuristisch ist, vermittelt es das Gefühl, willkommen zu sein“, betont der MAAT-Direktor. Zugleich habe man an den alten Kohlehafenmolen eine Flusspromenade geschaffen: „Das Ufer hier war von der Stadt abgetrennt. Die hier neu geschaffenen Institutionen bieten Gründe, sich wieder dem Wasser zu nähern“, sagt Gadanho, der das MAAT nicht zuletzt als „Beschleuniger für diesen Prozess“ versteht. Lokal wird das Museum von der Bevölkerung gut angenommen, was sich nicht nur im Besucherandrang zeigt: „International ist das positive Feedback eine Konstante. Für ein Museum, das eben erst vor wenigen Monaten eröffnet hat, ist das etwas Schönes“, so der Direktor zufrieden: Mitte Mai zählte man mehr als 9000 Besucher, just zur Eröffnung zweier Ausstellungen, und parallel zur zweiten Auflage der vis-à-vis in der alten Seilfabrik Cordoaria zelebrierten Gegenwartskunstmesse Arco Lisboa.
Eine sanfte Rampe
Die Art und Weise, wie man das alte E-Werk und Amanda Levetes neue Welle miteinander verknüpfe, sei es gewesen, „beides in den Dialog zu stellen. Die industrielle Architektur hatte ihre Bedeutung im zeitgenössischen Kontext des frühen 20. Jahrhunderts. Beide antworten auf die Sprache ihrer Zeit, und sie antworten in ebenjener auch einander“, so Gadanho.
Eine sanfte Rampe führt bergab ins Tiefgeschoß, wo sich eine immense Fläche eröffnet. Die 1000 Quadratmeter große Galeria Oval nimmt ein Drittel der Ausstellungsfläche in Levetes Neubau ein. Zusammen mit dem alten E-Werk stehen insgesamt 7000 Quadratmeter Schaufläche zur Verfügung. Wie Künstler indes diese atypischen, neugeschaffenen Räume, die mitunter labyrinthisch verlaufen, gut nutzen werden, stellt sie auf jeden Fall vor Herausforderungen.
„Dies zu lösen ist Aufgabe der Künstlerinnen und Künstler“, sagt Gadanho, der drei der aktuell vier laufenden Ausstellungen mitkuratiert: „Seit den 1960er- und 1970er-Jahren existiert der Hang zu ortsspezifischen Arbeiten, die mit den physischen Rahmenbedingungen und dem Kontext interagieren.“ Gadanho wolle den Künstlern kein Modell aufoktroyieren, sondern einen Dialog entfachen, der auf diese Situation ortsspezifisch reagiert. „Damit schaffen wir etwas Außergewöhnliches – etwas, das nur in außergewöhnlichen Umgebungen entstehen kann.“
Einer, der sich dieser Aufgabe auf Einladung Gadanhos stellt, ist aktuell der kubanische Künstler Carlos Garaicoa: mit einer ersten MAAT-Auftragsarbeit (Ich war nie Surrealist, bis zum heutigen Tag), die dem Kubaner zwar eine „schöne Überraschung bot“, wie er erklärt, ihm zugleich aber in der Konzeption „fast den Kopf explodieren ließ“.
„Wir bewegen uns dabei weg vom Konzept der Ikonisierung eines einzigen Gebäudes zur Ikonografie eines Ortes“, weiß Levete. In puncto Ausstellungsfläche will das MAAT der „akut wandelnden Beziehung von Kunst, Museen und den Museumsbesuchern Rechnung tragen, die stets weniger didaktisch sei“. Dabei brauche es einfach Platz für Interaktion und Performance. So bietet die flexibel wandelbare, elliptische Galeria Oval ganz zeitgemäß „mehr Möglichkeiten, ihrer Kreativität ohne räumliche Enge Ausdruck zu verleihen“.
[ Der Autor besuchte das MAAT auf Einladung der Arco-Kunstmesse und des Turismo de Portugal. ]
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