Bauwerk
British Airways i360
Marks Barfield - Brighton (GB) - 2016
Die luftige Promenade
Marks Barfield, das Architektenteam des London Eye, hat in Brighton an der englischen Südküste einen innovativen Aussichtsturm gebaut, der Ausblicke bis zu 40 Kilometern ermöglicht.
3. September 2016 - Sebastian Borger
Unmerklich hat sich die Kapsel bewegt, schon schweben wir 30 Meter über dem Kieselstrand. Gerade noch haben wir mit David Marks über Besucherzahlen, die beste Tageszeit und das Marketing für die Himmelfahrt von Brighton diskutiert, jetzt halten wir inne. Scheinbar schwerelos gleitet unsere gläserne Aussichtskanzel immer weiter hinauf in die sommerliche Bläue Südenglands. „Wir promenieren in die Luft“, sagt der hagere Mann mit dem eisgrauen Vollbart, „wie die Menschen früher auf dem Wasser promeniert sind.“ Unten im Meer direkt vor uns werden die traurigen Überreste des einst stolzen West Pier immer kleiner. Auf der anderen Seite bleibt die Stadt zurück, das offene Viereck des Regent’s Square, die Linie der Bauten mit Seeblick. Nach Norden nun die schier unendlichen Zeilen kleiner Siedlungshäuser, die sich über die Hügel entlangziehen. Nach Süden winzige Badende, die gleichmäßigen Wellen des Meeres, am Horizont Frachtschiffe. Rechts und links die Küste, eng bebaut, dann unterbrochen von prächtigen Kreidefelsen.
Auf 138 Meter Höhe kommen wir zum Halt, erneut ohne spürbare Erschütterung. Näher zur Sonne geht es nicht: Die restlichen 24 Meter des Turms enthalten essenzielle Technik, später soll eine elf Meter lange Spitze hinzukommen. Jetzt ein Moment des Innehaltens, mit Ausblicken von bis zu 40 Kilometern, ermöglicht von mächtigen Stahlseilen und glänzender Ingenieurskunst. Einige Mitfahrer klammern sich an ihr mit englischen Sekt gefülltes Glas oder lehnen betont lässig an der Bar in der Mitte der Kapsel. Andere stehen nah am Rand und saugen ein, was der Architekt Marks (63) die Vogelperspektive nennt, „eine andere, vollständigere Sicht auf die City“. Schon beginnt die Reise zur Erde, wenige Minuten später haben wir festen Grund erreicht – jene Felsen, in denen das Betonfundament des Turmes ruht, umgeben von Technik- und Verwaltungsräumen, einem Souvenirshop (Bestseller: ein schlanker Becher für umgerechnet 23,75 Euro) sowie einem schicken Restaurant.
Die schlanke Stange
Die Stahlsäule selbst wirkt in der Nähe grau, hundert Meter weiter weg beginnt das äußere Geflecht silbern zu schillern. Die schlanke Stange misst im Durchmesser gerade einmal 3,9 Meter und ist mit einem Breite-Höhe-Verhältnis von 1:40 der schmalste Turm der Welt. Die 17 einzelnen Rohrabschnitte zwischen 4,5 und zwölf Metern werden von genau 1336 Bolzen zusammengehalten, die für sich schon 30 Tonnen wiegen. Die 18 Meter breite und 74 Tonnen schwere Aussichtskanzel umschmiegt die Säule, die doppelte Doppelverglasung sorgt für höchste Isolierungswerte, die konvexe Unterseite aus Spiegelglas führt zu künstlerisch verzerrten Reflektionen der Umgebung. Zu besichtigen gibt es also lauter Höchstleistungen von Ingenieuren und Designern. Störend wirkt nur die aufdringliche Werbung für British Airways, so sind Sponsoren nun einmal. Der Turm mit dem schönen Rundumblick heißt ja offiziell auch i360. Das I, erläutert Marks, stehe für „Integrität, Innovation und Intelligenz“. Der Volksmund spricht hingegen vom „iSore“, ein Wortspiel mit „eyesore“, also Schandfleck, und konterkariert damit die Marketing-Albernheit.
Woran die Vergnügungsfahrt mit der großartigen Aussicht erinnert? Natürlich, ans London Eye, jenes gewaltige Riesenrad am Themse-Ufer gegenüber dem britischen Parlament. Auch dieses Bauwerk geht auf eine Idee von Marks und dessen Frau Julia Barfield zurück. Im Jahr 2000 nahm das 135 Meter hohe Stahlgebilde seinen Betrieb auf und verankerte das Architektenbüro Marks Barfield im Bewusstsein der Branche als kleine, feine Firma. Für das Duo begann eine Zeit häufiger Erkundungsreisen. „Wir hatten viele Anfragen, alle Welt wollte so ein Rad haben“, berichtet Marks und lacht. Doch bei näherem Hinsehen erwies sich das London Eye als Unikat, schließlich braucht eine so teure Investition für den langfristigen Betrieb eine Menge zahlender Besucher. „Wir kamen ins Grübeln über die Frage: ,Wie lässt sich ein ähnliches Vergnügen bewerkstelligen, zu geringeren Baukosten, für weniger Besucher?‘ Da kam uns die Idee für diesen Turm.“
Dieser wunderbare Bauplatz
Statt der 32 Kabinen für jeweils 25 Personen also nur eine große Kapsel, die bis zu 200 Menschen aufnehmen kann; statt der Beförderung von 1600 Passagieren pro Stunde in London höchstens 600. Aber wo? Also wieder auf Reisen, diesmal nur auf der Insel, weil vor möglichem Export der Erfolgsbeweis im Inland stehen sollte. „In Brighton bekamen wir besonders herzliche Aufnahme – und natürlich diesen wunderbaren Bauplatz“, an der Stelle des 1866 eröffneten West Pier, auf dem im 19. Jahrhundert jährlich Millionen promenierten, der aber längst Ruine ist. Zudem hatte die Stadt schon bisher elf Millionen Besucher im Jahr, und sie ist für den gesamten Londoner Großraum mit rund 15 Millionen Einwohnern binnen zwei Stunden erreichbar.
Im kollektiven Bewusstsein der Briten steht Brighton seit mehr als zwei Jahrhunderten für Badekultur. Der frohsinnige Prinz von Wales und spätere König George IV (1820–30), fungierte als Trendsetter der Aristokratie: Man begab sich zum Zeitvertreib an die See, verschönert durch die Anwesenheit einer Geliebten. Das sprichwörtliche „Dirty Weekend“ (unanständiges Wochenende) war geboren. Der mächtige Royal ließ sich von John Nash, dem Baumeister der Londoner Regent’s Street, seine Residenz umbauen: der Royal Pavilion, eine Melange diverser orientalischer Baustile, zusammengehalten vom damals hochmodernen Rahmen aus Gusseisen. Innovative, ausgefallene Architektur gehört also seit beinahe 200 Jahren zu Brightons Attraktion.
Die Stadt mit ihren heute 280.000 Einwohnern ist eingezwängt zwischen der Hügelkette der South Downs und dem Ärmelkanal. Ihre in den 1960ern gegründete University of Sussex erwarb sich bald den Ruf als Brutstätte des Radikalismus, die Südküste wurde zum Anziehungspunkt für Radikale, Ökofreaks, Schwule und Lesben. Vierzig Jahre später wählte Brighton die erste und bisher einzige Grüne ins Unterhaus. „Hedonistisch“, von diesem Begriff wollen die Brightonians nichts wissen, und selbst der sonst unerschütterliche Gelassenheit ausstrahlende Marks rümpft kaum die Nase. Lieber spricht der Architekt von der Stadt als „frei, facettenreich, frech“. Jeder Aufenthalt sei ihm eine Freude. Das liegt auch an den Besucherzahlen, schließlich bleibt der Turm zu 80 Prozent im Besitz seiner Firma. In den ersten dreieinhalb Wochen nach der Eröffnung haben mehr als 100.000 Menschen ihren Obulus von 17,85 Euro entrichtet. Damit liegt die Attraktion über dem Budget: Die Betreiber rechnen mit jährlich gut 700.000 zahlenden Gästen, um Gewinn zu machen.
Der kommt auch der Kommune zugute. Weil private Investoren immer wieder absprangen, wandten sich die Architekten zur Finanzierung der 54,7 Millionen Baukosten an den Stadtrat. Der beschaffte sich eine Hypothek über 43 Millionen bei einer staatlichen Förderbank und reichte das Geld zum höheren Zinssatz an Marks Barfield weiter. So erhält die Stadt jedes Jahr garantiert 1,2 Millionen Euro, zusätzlich zu neuen Jobs und dem Imagegewinn.
Auf 138 Meter Höhe kommen wir zum Halt, erneut ohne spürbare Erschütterung. Näher zur Sonne geht es nicht: Die restlichen 24 Meter des Turms enthalten essenzielle Technik, später soll eine elf Meter lange Spitze hinzukommen. Jetzt ein Moment des Innehaltens, mit Ausblicken von bis zu 40 Kilometern, ermöglicht von mächtigen Stahlseilen und glänzender Ingenieurskunst. Einige Mitfahrer klammern sich an ihr mit englischen Sekt gefülltes Glas oder lehnen betont lässig an der Bar in der Mitte der Kapsel. Andere stehen nah am Rand und saugen ein, was der Architekt Marks (63) die Vogelperspektive nennt, „eine andere, vollständigere Sicht auf die City“. Schon beginnt die Reise zur Erde, wenige Minuten später haben wir festen Grund erreicht – jene Felsen, in denen das Betonfundament des Turmes ruht, umgeben von Technik- und Verwaltungsräumen, einem Souvenirshop (Bestseller: ein schlanker Becher für umgerechnet 23,75 Euro) sowie einem schicken Restaurant.
Die schlanke Stange
Die Stahlsäule selbst wirkt in der Nähe grau, hundert Meter weiter weg beginnt das äußere Geflecht silbern zu schillern. Die schlanke Stange misst im Durchmesser gerade einmal 3,9 Meter und ist mit einem Breite-Höhe-Verhältnis von 1:40 der schmalste Turm der Welt. Die 17 einzelnen Rohrabschnitte zwischen 4,5 und zwölf Metern werden von genau 1336 Bolzen zusammengehalten, die für sich schon 30 Tonnen wiegen. Die 18 Meter breite und 74 Tonnen schwere Aussichtskanzel umschmiegt die Säule, die doppelte Doppelverglasung sorgt für höchste Isolierungswerte, die konvexe Unterseite aus Spiegelglas führt zu künstlerisch verzerrten Reflektionen der Umgebung. Zu besichtigen gibt es also lauter Höchstleistungen von Ingenieuren und Designern. Störend wirkt nur die aufdringliche Werbung für British Airways, so sind Sponsoren nun einmal. Der Turm mit dem schönen Rundumblick heißt ja offiziell auch i360. Das I, erläutert Marks, stehe für „Integrität, Innovation und Intelligenz“. Der Volksmund spricht hingegen vom „iSore“, ein Wortspiel mit „eyesore“, also Schandfleck, und konterkariert damit die Marketing-Albernheit.
Woran die Vergnügungsfahrt mit der großartigen Aussicht erinnert? Natürlich, ans London Eye, jenes gewaltige Riesenrad am Themse-Ufer gegenüber dem britischen Parlament. Auch dieses Bauwerk geht auf eine Idee von Marks und dessen Frau Julia Barfield zurück. Im Jahr 2000 nahm das 135 Meter hohe Stahlgebilde seinen Betrieb auf und verankerte das Architektenbüro Marks Barfield im Bewusstsein der Branche als kleine, feine Firma. Für das Duo begann eine Zeit häufiger Erkundungsreisen. „Wir hatten viele Anfragen, alle Welt wollte so ein Rad haben“, berichtet Marks und lacht. Doch bei näherem Hinsehen erwies sich das London Eye als Unikat, schließlich braucht eine so teure Investition für den langfristigen Betrieb eine Menge zahlender Besucher. „Wir kamen ins Grübeln über die Frage: ,Wie lässt sich ein ähnliches Vergnügen bewerkstelligen, zu geringeren Baukosten, für weniger Besucher?‘ Da kam uns die Idee für diesen Turm.“
Dieser wunderbare Bauplatz
Statt der 32 Kabinen für jeweils 25 Personen also nur eine große Kapsel, die bis zu 200 Menschen aufnehmen kann; statt der Beförderung von 1600 Passagieren pro Stunde in London höchstens 600. Aber wo? Also wieder auf Reisen, diesmal nur auf der Insel, weil vor möglichem Export der Erfolgsbeweis im Inland stehen sollte. „In Brighton bekamen wir besonders herzliche Aufnahme – und natürlich diesen wunderbaren Bauplatz“, an der Stelle des 1866 eröffneten West Pier, auf dem im 19. Jahrhundert jährlich Millionen promenierten, der aber längst Ruine ist. Zudem hatte die Stadt schon bisher elf Millionen Besucher im Jahr, und sie ist für den gesamten Londoner Großraum mit rund 15 Millionen Einwohnern binnen zwei Stunden erreichbar.
Im kollektiven Bewusstsein der Briten steht Brighton seit mehr als zwei Jahrhunderten für Badekultur. Der frohsinnige Prinz von Wales und spätere König George IV (1820–30), fungierte als Trendsetter der Aristokratie: Man begab sich zum Zeitvertreib an die See, verschönert durch die Anwesenheit einer Geliebten. Das sprichwörtliche „Dirty Weekend“ (unanständiges Wochenende) war geboren. Der mächtige Royal ließ sich von John Nash, dem Baumeister der Londoner Regent’s Street, seine Residenz umbauen: der Royal Pavilion, eine Melange diverser orientalischer Baustile, zusammengehalten vom damals hochmodernen Rahmen aus Gusseisen. Innovative, ausgefallene Architektur gehört also seit beinahe 200 Jahren zu Brightons Attraktion.
Die Stadt mit ihren heute 280.000 Einwohnern ist eingezwängt zwischen der Hügelkette der South Downs und dem Ärmelkanal. Ihre in den 1960ern gegründete University of Sussex erwarb sich bald den Ruf als Brutstätte des Radikalismus, die Südküste wurde zum Anziehungspunkt für Radikale, Ökofreaks, Schwule und Lesben. Vierzig Jahre später wählte Brighton die erste und bisher einzige Grüne ins Unterhaus. „Hedonistisch“, von diesem Begriff wollen die Brightonians nichts wissen, und selbst der sonst unerschütterliche Gelassenheit ausstrahlende Marks rümpft kaum die Nase. Lieber spricht der Architekt von der Stadt als „frei, facettenreich, frech“. Jeder Aufenthalt sei ihm eine Freude. Das liegt auch an den Besucherzahlen, schließlich bleibt der Turm zu 80 Prozent im Besitz seiner Firma. In den ersten dreieinhalb Wochen nach der Eröffnung haben mehr als 100.000 Menschen ihren Obulus von 17,85 Euro entrichtet. Damit liegt die Attraktion über dem Budget: Die Betreiber rechnen mit jährlich gut 700.000 zahlenden Gästen, um Gewinn zu machen.
Der kommt auch der Kommune zugute. Weil private Investoren immer wieder absprangen, wandten sich die Architekten zur Finanzierung der 54,7 Millionen Baukosten an den Stadtrat. Der beschaffte sich eine Hypothek über 43 Millionen bei einer staatlichen Förderbank und reichte das Geld zum höheren Zinssatz an Marks Barfield weiter. So erhält die Stadt jedes Jahr garantiert 1,2 Millionen Euro, zusätzlich zu neuen Jobs und dem Imagegewinn.
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