Bauwerk

Fondation Bodmer
Mario Botta - Cologny (CH) - 2003

Glitzernde Katakomben für kostbare Bücher

Mario Bottas unterirdischer Museumsneubau für die Fondation Bodmer in Cologny

Mit ihren kostbaren Handschriften und Erstausgaben von der altägyptischen Zeit bis ins 20. Jahrhundert gilt die Fondation Martin Bodmer in Cologny bei Genf als eine der bedeutendsten Privatbibliotheken überhaupt. Nun hat ihr der Tessiner Architekt Mario Botta ein Museum gebaut, das sich sorgsam in das bestehende Bauensemble einfügt.

22. November 2003 - Roman Hollenstein
Neue Kulturbauten sind in den vergangenen Jahren immer mehr zu Spielwiesen architektonischer Eitelkeiten geworden, die Institutionen und Baukünstlern gleichermassen als Visitenkarten dienen. Mit der Watari-um-Galerie in Tokio, dem MoMA in San Francisco oder dem Tinguely- Museum in Basel, aber auch mit einer stolzen Gruppe von Sakralbauten beteiligte sich Mario Botta tatkräftig an dieser Entwicklung. Doch gleichzeitig hat er immer wieder kleine, stille Werke ausgeführt, bei denen die Verführungskunst der Fassaden gegenüber dem Inhalt zurücktreten musste. Das Centre Dürrenmatt in Neuenburg oder die im Entstehen begriffene Architekturbibliothek von Werner Oechslin in Einsiedeln sind ebenso Beispiele dafür wie das neue Museum der Fondation Martin Bodmer in Cologny bei Genf, das heute eröffnet wird. Tritt man durch das schmiedeiserne Tor an der Route du Guignard in den kleinen, von zwei neubarocken Pavillons gerahmten Ehrenhof, so öffnet sich dem Auge eine fast mediterran anmutende, von Zypressen und Rebpergolen akzentuierte Sicht auf den Genfersee und die Kalkriffe der Jurakette. Erst auf den zweiten Blick nimmt man, geblendet von diesem klassischen Panorama, eine zeitgenössische Intervention wahr: einen mit feinen weissen und grauen Bändern aus Marmor und Granit gestreiften Bodenbelag, in dessen Mitte fünf Glasstelen eine Symmetrieachse bilden. Diese zum Fussboden gewordene «Botta-Fassade» ist zunächst das einzige sichtbare Zeichen des halbwegs unterirdisch angelegen Museumsneubaus.


Humanistisch geprägtes Sammeln

Schon vor Bottas Neubau nutzte die Biblioteca Bodmeriana einen etwas beengten Saal, der die Pavillons unterirdisch miteinander verband, für Ausstellungen. Diese Anlage hatte Martin Bodmer (1899-1971) nach dem Zweiten Weltkrieg für seine aus Zürich übergeführte Büchersammlung errichten lassen. Als Spross einer reichen Zürcher Industriellenfamilie war er schon als Gymnasiast in der Lage gewesen, Erstausgaben und bald auch kostbare Manuskripte zu erwerben. Nach und nach baute er seinen Besitz zu einer alle schriftlichen «Schöpfungen des menschlichen Geistes» einschliessenden Bibliothek der Weltliteratur aus. Dabei war er sich wohl bewusst, «dass die Sammlung stets ein Fragment bleiben» musste. Deswegen bemühte er sich um eine «Auswahl nach Autoren, Texten, Sprachen, Ausgaben», mit der er «das Allgemeingültige im Typischen» aufzuzeigen suchte.

Im Zusammenhang mit seiner 1939 aufgenommenen kulturpolitischen Tätigkeit für das IKRK, dessen Vizepräsident er bald werden sollte, liess er sich in Genf nieder und erwarb auf den Rebhügeln von Cologny ein prachtvolles Anwesen. An dessen äusserstem Ende, beim alten Dorfkern von Cologny, bewahrte er in den neu errichteten Pavillons seine museale Bibliothek auf, die von ägyptischen Totenbüchern über die älteste bekannte Abschrift des Johannesevangeliums, persische Manuskripte, wissenschaftliche Abhandlungen, musikalische Autographen und ungezählte Inkunabeln bis hin zu Kunstwerken seine stark humanistisch geprägte Vorstellung von Literatur in über 150 000 Objekten dokumentiert. Dass deren Ausrichtung auf die fünf Pfeiler Bibel, Homer, Dante, Shakespeare und Goethe stark von der grossbürgerlichen Kultur Bodmers geprägt war, verleiht dieser einen entschieden abendländischen Charakter.


Botta statt Michelangelo

Die kurz nach Bodmers Tod im März 1971 in eine Stiftung eingebrachte Bibliothek genoss in den letzten dreissig Jahren nicht nur in Gelehrtenkreisen einen ausgezeichneten Ruf. Mit Publikationen und Ausstellungen versuchte sie auch ein breiteres Publikum zu erreichen. Dabei war es ihrem jetzigen Direktor, Martin Bircher, seit je klar, dass die Fondation Bodmer nur mit einem den heutigen Ansprüchen genügenden Museum, das permanent seine Highlights präsentieren sowie Wechselausstellungen veranstalten kann, im gegenwärtigen Kulturbetrieb zu bestehen vermag. Deshalb nahm die Fondation 1998 Kontakt mit Botta auf. Der im Jahr darauf erfolgte Verkauf einer einst als italienische Arbeit für wenig Geld in die Sammlung gelangten Zeichnung, die im Rahmen der Wiener Vittoria-Colonna-Ausstellung vor nicht allzu langer Zeit als Michelangelos «Christus und die Samariterin» erkannt worden war, erlaubte dann weitestgehend die Finanzierung des Museumsneubaus, der inklusive Innenausbau auf elf Millionen Franken zu stehen kam.

Mit einer chirurgisch präzisen Intervention schuf Botta einen neuen Raum in der Genfer Stadtlandschaft, der nicht nur zum Wallfahrtsort für Bibliophile, sondern - dank seiner schönen Lage - auch zu einem beliebten Ausflugsziel werden könnte. Die steinerne Esplanade mit den symmetrisch angeordneten, auf Bodmers fünf Pfeiler der Literatur verweisenden Glasstelen der Oberlichter saugt die Besucher förmlich in die Tiefe des Raums zwischen den Pavillons, wo zwei gekurvte Treppen sowie ein in Beton und Glas gehaltener Liftturm hinunterführen in den tiefer gelegenen Eingangshof. Schiessschartenartige Öffnungen in der alten Stützmauer, die den Blick freigeben auf die Dorfstrasse, bilden mit darauf angebrachten Sentenzen Bodmers den Auftakt zum Ausstellungsparcours. Angelegt ist er als Weg der Menschheitsgeschichte, die in die Urzeit - an die im Foyer Versteinerungen erinnern - zurückreicht, aber erst eigentlich mit der Erfindung der Schrift einsetzt. Davon zeugen Hieroglyphen sowie die gleichsam als Bewacher des Zugangs zu den Ausstellungsräumen placierte Kalksteinskulptur eines ägyptischen Schreibers.


Unterirdischer Literaturparcours

Die beiden zusammen rund 750 Quadratmeter grossen Schauräume hat Botta so übereinander angeordnet, dass dank einem Schlitz im Fussboden des oberen, auf der Höhe des abgesenkten Eingangshofs gelegenen Saales das seitlich und durch Oberlichter einfallende Tageslicht hinunter bis in den zweiten Saal gelangt. Beide Säle sind nachtschwarz gehalten - vom Buchenparkett über die glänzenden Stucco-lucido-Wände bis hin zu den ebenfalls von Botta entworfenen Vitrinen - und zudem von kleinen Spots beleuchtet, so dass sich der Eindruck von glitzernden Katakomben einstellt. Die ganz gezielt auf eine effektvolle Präsentation der Schriftstücke und Kunstwerke ausgerichtete Inszenierung vermittelt eine angenehme, mitunter fast spirituelle Atmosphäre, in der sich leicht ein Dialog mit den Exponaten entspinnen kann. Botta ist das seltene Kunststück einer unterirdischen Raumsequenz gelungen, in der man sich kaum unter der Erde und nie in den lastenden Tiefen eines Luftschutzbunkers fühlt.

Der Ausstellungsparcours führt hier zunächst vorbei an Zeugnissen der frühen Hochkulturen, an antiken Schriftstücken, illuminierten mittelalterlichen Handschriften und Kostbarkeiten der Renaissance - darunter das berühmte Dante-Porträt von Sandro Botticelli - zu den Reichtümern des Orients und Asiens. Eine Etage tiefer locken dann Inkunabeln der Klassik Englands, Frankreichs und Spaniens, Manuskripte und Aquarelle der Goethezeit (sowie ein Porträt des jugendlichen Erzherzogs Joseph von Liotard), gesellschaftliche und politische Dokumente, wissenschaftliche Publikationen von der Antike bis Einstein und literarische, aber auch künstlerische Äusserungen von der Romantik bis zur Moderne.

Mit der nun permanent zugänglichen Präsentation exemplarischer Stücke der Weltliteratur, die demnächst durch Wechselausstellungen mit Exponaten aus eigenen Beständen erweitert werden soll, wurde eine Grundlage geschaffen, auf der sich die Bodmeriana neu positionieren kann. Ankäufe und Donationen sollen die Sammlung weiterhin lebendig halten. So konnten jüngst die Korrespondenz zwischen Rilke und Baladine Klossowska, die von Proust im Frühjahr 1913 bis hin zum Titel radikal redigierten Druckfahnen des ersten Bandes der «Recherche» sowie das in Genf entstandene Manuskript der Novelle «El sur» von Jorge Luis Borges erworben und gewichtige Schenkungen entgegengenommen werden. Da bleibt nur zu hoffen, dass künftig die finanziellen Mittel zum Betrieb der Museumsbibliothek vermehrt auch von privater Seite fliessen werden, damit die Fondation Bodmer noch stärker zum Ort des interkulturellen Dialogs im internationalen Genf werden kann.


[ Tage der offenen Tür: Samstag und Sonntag, 14-18 Uhr, anschliessend täglich ausser montags 14-18 Uhr. - Katalog: Martin Bircher: Fondation Martin Bodmer. Bibliothek und Museum. Eine Einführung. Hrsg. Fondation Bodmer, Cologny 2003. 111 S., Fr. 15.-. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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