Bauwerk
MART - Museo di arte moderna e contemporanea di Trento e Rovereto
Mario Botta - Rovereto (I) - 2002
Der Kunst eine Gasse
Das Museum MART von Mario Botta in Rovereto
Durch die Zusammenlegung zweier Sammlungen ist in Rovereto das MART, eines der grössten Museen moderner Kunst in Italien, entstanden. Der Neubau von Mario Botta gruppiert sich um einen Lichthof. Geschickt in die Topographie eingefügt, erweist sich das Museum hinsichtlich der räumlichen Organisation indes als eher problematisch.
26. Februar 2003 - Hubertus Adam
Nähert man sich, die Etsch entlang von Verona aus Richtung Norden fahrend, der Stadt Rovereto, so sticht am Hang oberhalb des Ortes ein gewaltiges zylindrisches Bauwerk ins Auge: Ferdinando Discaccianti errichtete den «Sacrario Militare di Castel Dante» 1936 als monumentales Ossuarium für die mehr als 20 000 Soldaten der österreichischen Monarchie und Italiens, die zwischen 1915 und 1918 im Kampf um Rovereto und den nahe gelegenen, strategisch bedeutsamen Monte Pasubio fielen. Im Ersten Weltkrieg österreichisch, 1919 mit Südtirol an Italien abgetreten, wird das im Kern beschauliche Städtchen Rovereto wenig wahrgenommen; zu nahe sind die eigentlich attraktiven Ziele - der Gardasee im Westen, Verona im Süden, Bozen und Meran im Norden. So dient das nach zehnjähriger, durchaus umstrittener Planung eröffnete Museo di arte moderna e contemporanea di Rovereto e Trento (MART) nicht zuletzt dazu, kulturinteressierte Besucher in die Region zu locken. Zwei eigenständige Sammlungen wurden 1987 zum MART vereinigt: die Abteilung 20. Jahrhundert des Trentiner Landesmuseums und der in der «Casa Museo Depero» aufbewahrte Nachlass des in Rovereto tätigen Futuristen Fortunato Depero (1892-1960). Als «Archivio del '900» ist die Kollektion unter der agilen Leiterin Gabriella Belli ausgebaut und um ein internationales Zentrum für Futurismusforschung ergänzt worden.
Rotunde als Geste
Schon 1987 mit ersten Planungen betraut, entwarf Mario Botta gemeinsam mit Giulio Andreolli 1992/93 sein Ausführungsprojekt, das 1995 seitens der Provinz Trient bewilligt wurde. Dabei entstanden für ungefähr 50 Millionen Euro neben Räumlichkeiten für Museum, Verwaltung und Forschung auch eine Bibliothek, ein Café und ein 450 Plätze umfassender Vortragssaal für die Gemeinde. Spricht man das Akronym MART englisch aus, so lässt sich auch an eine Markthalle denken - eine Markthalle der Kultur.
Botta ist ein Architekt, der seit je den kleinen Massstab besser beherrscht als den grossen. Gleichwohl hat er sich in den vergangenen Jahren immer wieder an Grossprojekten versucht, bei denen die Vorliebe für architektonische Primärformen verschiedentlich zu kulissenartigen Formcollagen geriet. Auch beim Hauptgebäude in Rovereto handelt es sich um ein mächtiges, mit gelblicher Pietra Dorata verkleidetes Volumen; seine Abmessungen betragen 90 mal 75 Meter. Doch ist es innerhalb der Stadt kaum sichtbar, weil es zurückgesetzt hinter dem vom Zentrum aus Richtung Norden führenden Corso Bettini liegt und Richtung Osten in den ansteigenden Hang eingeschnitten ist. Der Corso Bettini wird von repräsentativen Gebäuden des 18. Jahrhunderts gesäumt; eine Gasse zwischen dem Palazzo dell'Annona, in dem sich die Biblioteca Civica befindet, und dem von der Stadtverwaltung genutzten Palazzo Alberti wurde als Zugangsachse ausgebaut. Zwischen den beiden aus Kalkstein gemauerten Palazzi gelangt man entlang an Mauern, hinter denen sich die vorgelagerten Baukörper der Bibliothekserweiterung und des Vortragssaals befinden, in einen kreisförmigen gläsernen Lichthof von 40 Metern Durchmesser. Dieser liegt inmitten des Museumsgevierts, dessen Fassaden nicht in Erscheinung treten, und fungiert mit dem zentralen, von Mimmo Paladinos archaisierender Figurengruppe «Pietre» (1998) umstandenen «Marktbrunnen» als öffentliche Plaza.
Diese versteckte Rotunde der Lebenden bildet als Hohlform die Antithese zu dem über Rovereto thronenden Zylinder des Ossuariums als des Ortes der Toten. 19 Gitterträger - der letzte ist der Erschliessungsachse geopfert - stützen das flach verglaste Zeltdach, dessen mittiger Druckring als Oculus ausgebildet ist und damit das Vorbild des Pantheons in Erinnerung ruft. Zweifellos ist die Einschachtelung einer Rundform in ein orthogonales Volumen eines der im Œuvre Bottas ostinaten Motive - nicht nur im Bereich des Museumsbaus, wie beispielsweise beim San Francisco Museum of Modern Art. Deutlicher als dort klingt indes in Rovereto das klassizistische Vorbild für diese Lösung an: Schinkels Altes Museum auf der Berliner Museumsinsel, auf das schon James Stirling bei seiner Stuttgarter Staatsgalerie rekurrierte. Konnte der Berliner Baumeister indes am Beginn des 19. Jahrhunderts die Kombination einer auratisierten Rotunde als eines ideellen Nukleus mit zweckmässigen Museumssälen im Sinne eines idealistischen Kulturverständnisses legitimieren, so reduziert sie sich bei Botta auf das Formale; die parasakrale Geste nobilitiert eine Raumsituation, die im besten Fall quirligem Kommen und Gehen Platz bietet, zuweilen aber auch nur wie ein überdimensionierter Durchgangsort wirkt.
Schinkel hatte seine Pantheon-Rotunde bewusst nur als Innenraum erlebbar werden lassen - Botta dagegen versucht, den Mauerzylinder begehbar zu machen. Allerdings ist der von aussen zu betretende Umgang auf Höhe des ersten Obergeschosses ebenso zwecklos wie die beidseitig hinter den schlitzähnlichen Wanddurchbrüchen emporsteigenden Treppenrampen: Wer am Ende vor den verschlossenen Stahltüren des obersten Ausstellungsgeschosses steht, merkt, dass es sich einzig um Fluchtwege handelt. Nur die gläserne Brücke über der Eingangsachse als Verbindung der beiden Museumsflügel ermöglicht einen kurzen Einblick in den Lichthof.
Grosszügige Ausstellungsflächen
Der Haupteingang des Museums liegt in der Achse der Erschliessung und führt in eine rechteckige Halle, die von dem rückwärtigen, doppelläufig nach unten (zum Archiv, zur Museumsbibliothek, zum Studienzentrum und zu den Depoträumen) und oben führenden Treppenhaus beherrscht wird. Café und Shop, Kasse, Garderoben und Auditorium haben im Erdgeschoss Platz gefunden, während im ersten Obergeschoss beidseitig der Erschliessungsbereiche Ausstellungsräume zur Verfügung stehen. Weitgehend künstlich belichtet, bieten sich diese zur Präsentation von Grafiken oder Videokunst an. Die in ihren Ausmassen nachgerade gigantische Hauptausstellungsebene befindet sich im zweiten Obergeschoss. Wie auch in der Ebene darunter ist die fliessende Struktur der weissen Ausstellungsräume durch den Quadratraster aus Rundstützen und versetzbaren Wänden gegliedert. Der kräftige Deckenraster wird durch insgesamt 183 Oberlichter natürlich belichtet.
Die sehenswerte Eröffnungsausstellung unter dem Titel «Le Stanze dell'Arte» gibt einen - an den Sammlungsbeständen orientierten - Überblick über die Kunst des 20. Jahrhunderts, ergänzt durch internationale Leihgaben. Die Schau beginnt mit Segantini und Medardo Rosso, setzt ihren ersten Schwerpunkt im Bereich des Futurismus und endet mit minimalistischen Positionen sowie der Sektion «Unrecognized», in der die grosse Arbeit «Work in Progress» (2002) von Magdalena Abakanowicz hervorsticht. Im Geschoss darunter sind unter dem Titel «L'arte del colore» amerikanische Arbeiten der achtziger und neunziger Jahre aus der Sammlung Panza di Biumo sowie Werke unter dem Schlagwort «L'Archivio e la sua immagine» ausgestellt.
[Die Eröffnungsausstellung dauert bis zum 13. April; Katalog: Le Stanze dell'Arte. Figure e Immagini del XXo Secolo. Hrsg. Gabriella Belli. Skira, Mailand 2002. 536 S., Euro 40.-.]
Rotunde als Geste
Schon 1987 mit ersten Planungen betraut, entwarf Mario Botta gemeinsam mit Giulio Andreolli 1992/93 sein Ausführungsprojekt, das 1995 seitens der Provinz Trient bewilligt wurde. Dabei entstanden für ungefähr 50 Millionen Euro neben Räumlichkeiten für Museum, Verwaltung und Forschung auch eine Bibliothek, ein Café und ein 450 Plätze umfassender Vortragssaal für die Gemeinde. Spricht man das Akronym MART englisch aus, so lässt sich auch an eine Markthalle denken - eine Markthalle der Kultur.
Botta ist ein Architekt, der seit je den kleinen Massstab besser beherrscht als den grossen. Gleichwohl hat er sich in den vergangenen Jahren immer wieder an Grossprojekten versucht, bei denen die Vorliebe für architektonische Primärformen verschiedentlich zu kulissenartigen Formcollagen geriet. Auch beim Hauptgebäude in Rovereto handelt es sich um ein mächtiges, mit gelblicher Pietra Dorata verkleidetes Volumen; seine Abmessungen betragen 90 mal 75 Meter. Doch ist es innerhalb der Stadt kaum sichtbar, weil es zurückgesetzt hinter dem vom Zentrum aus Richtung Norden führenden Corso Bettini liegt und Richtung Osten in den ansteigenden Hang eingeschnitten ist. Der Corso Bettini wird von repräsentativen Gebäuden des 18. Jahrhunderts gesäumt; eine Gasse zwischen dem Palazzo dell'Annona, in dem sich die Biblioteca Civica befindet, und dem von der Stadtverwaltung genutzten Palazzo Alberti wurde als Zugangsachse ausgebaut. Zwischen den beiden aus Kalkstein gemauerten Palazzi gelangt man entlang an Mauern, hinter denen sich die vorgelagerten Baukörper der Bibliothekserweiterung und des Vortragssaals befinden, in einen kreisförmigen gläsernen Lichthof von 40 Metern Durchmesser. Dieser liegt inmitten des Museumsgevierts, dessen Fassaden nicht in Erscheinung treten, und fungiert mit dem zentralen, von Mimmo Paladinos archaisierender Figurengruppe «Pietre» (1998) umstandenen «Marktbrunnen» als öffentliche Plaza.
Diese versteckte Rotunde der Lebenden bildet als Hohlform die Antithese zu dem über Rovereto thronenden Zylinder des Ossuariums als des Ortes der Toten. 19 Gitterträger - der letzte ist der Erschliessungsachse geopfert - stützen das flach verglaste Zeltdach, dessen mittiger Druckring als Oculus ausgebildet ist und damit das Vorbild des Pantheons in Erinnerung ruft. Zweifellos ist die Einschachtelung einer Rundform in ein orthogonales Volumen eines der im Œuvre Bottas ostinaten Motive - nicht nur im Bereich des Museumsbaus, wie beispielsweise beim San Francisco Museum of Modern Art. Deutlicher als dort klingt indes in Rovereto das klassizistische Vorbild für diese Lösung an: Schinkels Altes Museum auf der Berliner Museumsinsel, auf das schon James Stirling bei seiner Stuttgarter Staatsgalerie rekurrierte. Konnte der Berliner Baumeister indes am Beginn des 19. Jahrhunderts die Kombination einer auratisierten Rotunde als eines ideellen Nukleus mit zweckmässigen Museumssälen im Sinne eines idealistischen Kulturverständnisses legitimieren, so reduziert sie sich bei Botta auf das Formale; die parasakrale Geste nobilitiert eine Raumsituation, die im besten Fall quirligem Kommen und Gehen Platz bietet, zuweilen aber auch nur wie ein überdimensionierter Durchgangsort wirkt.
Schinkel hatte seine Pantheon-Rotunde bewusst nur als Innenraum erlebbar werden lassen - Botta dagegen versucht, den Mauerzylinder begehbar zu machen. Allerdings ist der von aussen zu betretende Umgang auf Höhe des ersten Obergeschosses ebenso zwecklos wie die beidseitig hinter den schlitzähnlichen Wanddurchbrüchen emporsteigenden Treppenrampen: Wer am Ende vor den verschlossenen Stahltüren des obersten Ausstellungsgeschosses steht, merkt, dass es sich einzig um Fluchtwege handelt. Nur die gläserne Brücke über der Eingangsachse als Verbindung der beiden Museumsflügel ermöglicht einen kurzen Einblick in den Lichthof.
Grosszügige Ausstellungsflächen
Der Haupteingang des Museums liegt in der Achse der Erschliessung und führt in eine rechteckige Halle, die von dem rückwärtigen, doppelläufig nach unten (zum Archiv, zur Museumsbibliothek, zum Studienzentrum und zu den Depoträumen) und oben führenden Treppenhaus beherrscht wird. Café und Shop, Kasse, Garderoben und Auditorium haben im Erdgeschoss Platz gefunden, während im ersten Obergeschoss beidseitig der Erschliessungsbereiche Ausstellungsräume zur Verfügung stehen. Weitgehend künstlich belichtet, bieten sich diese zur Präsentation von Grafiken oder Videokunst an. Die in ihren Ausmassen nachgerade gigantische Hauptausstellungsebene befindet sich im zweiten Obergeschoss. Wie auch in der Ebene darunter ist die fliessende Struktur der weissen Ausstellungsräume durch den Quadratraster aus Rundstützen und versetzbaren Wänden gegliedert. Der kräftige Deckenraster wird durch insgesamt 183 Oberlichter natürlich belichtet.
Die sehenswerte Eröffnungsausstellung unter dem Titel «Le Stanze dell'Arte» gibt einen - an den Sammlungsbeständen orientierten - Überblick über die Kunst des 20. Jahrhunderts, ergänzt durch internationale Leihgaben. Die Schau beginnt mit Segantini und Medardo Rosso, setzt ihren ersten Schwerpunkt im Bereich des Futurismus und endet mit minimalistischen Positionen sowie der Sektion «Unrecognized», in der die grosse Arbeit «Work in Progress» (2002) von Magdalena Abakanowicz hervorsticht. Im Geschoss darunter sind unter dem Titel «L'arte del colore» amerikanische Arbeiten der achtziger und neunziger Jahre aus der Sammlung Panza di Biumo sowie Werke unter dem Schlagwort «L'Archivio e la sua immagine» ausgestellt.
[Die Eröffnungsausstellung dauert bis zum 13. April; Katalog: Le Stanze dell'Arte. Figure e Immagini del XXo Secolo. Hrsg. Gabriella Belli. Skira, Mailand 2002. 536 S., Euro 40.-.]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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