Bauwerk

Justizgebäude Salzburg
Franz&Sue - Salzburg (A) - 2018
Justizgebäude Salzburg, Foto: Lukas Schaller

Vom Gefängnishof zum öffentlichen Raum

Zeitgleich errichtet mit Otto Wagners Postsparkasse, aber mehr als eine architektonische Epoche hinterher: Das Salzburger Justizzentrum, 2018 von Grund auf erneuert durch das Büro Franz & Sue.

8. Juni 2019 - Christian Kühn
Der Bautyp des Justizpalastes stammt aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Innerhalb weniger Jahrzehnte entstanden damals in ganz Europa Monumentalbauten für den Gerichtsbetrieb, die es mit Adelspalästen aufnehmen konnten und sie oft übertrafen. Beispiele finden sich in Rom und München, Bukarest und Straßburg, Lausanne und Wien. Der Gigant unter ihnen ist der Justizpalast in Brüssel, ein ins Bizarre übersteigerter Tempel der Gerechtigkeit, der ironischerweise aus Einnahmen finanziert wurde, die aus der Ausbeutung des Kongo, eines der größten Verbrechen des Kolonialismus, stammten. Man kann die zahlreichen Justizpaläste dieser Zeit als Beschwörungen interpretieren: Wer der Rechtsprechung einen Palast baut, hofft offenbar, dass dort Weisheit und Wahrheit einziehen werden, um der Gerechtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen.

Der stilistisch der Neorenaissance zuzurechnende Entwurf für den Wiener Justizpalast stammt von Alexander Wielemans von Monteforte, der in den 1860er-Jahren mit Otto Wagner an der Akademie der Bildenden Künste bei Sicardsburg und van der Nüll sowie bei Friedrich Schmidt studierte. Wielemans gewann den Wettbewerb für den Wiener Justizpalast 1874 im Alter von 32 Jahren und legte damit den Grundstein zu einer erfolgreichen Karriere als Architekt des Historismus. Zu seinen Werken zählen zahlreiche Kirchen und Kapellen, das Grazer Rathaus und zwei weitere Justizpaläste: in Olmütz und in Salzburg.

Der Salzburger Bau datiert aus dem 20. Jahrhundert. Er wurde 1903 begonnen, im selben Jahr wie Otto Wagners Postsparkasse, und es lohnt sich, die beiden Projekte zu vergleichen. Beide sind nach außen Monumentalbauten mit symmetrischen Repräsentationsfassaden, im Inneren aber auf maximale Effizienz ausgelegte Zweckbauten. Wagner gelingt es, diese Effizienz wie selbstverständlich in ein baukünstlerisches Konzept zu integrieren, das vom Gebäudelayout über die Konstruktion bis zu den Fassadendetails schlüssig ist. In Salzburg zerrinnt Wielemans der Entwurf zwischen den Fingern: eine barock geschwungene Fassade zur Salzach, eine Renaissancefassade seitlich zum Kajetanerplatz; von der Rückseite drängt sich der Berg ans Gebäude, das hier in eine 130 Meter lange, symmetrische Rückfront mit zurückspringendem Ehrenhof gezwungen wird. Im Grundriss zeigt sich ein eher konfuses Bild: Die Treppenhäuser sind aus den Eingangsachsen weggerückt, der Hof mit Einbauten für ein Gefängnis zerteilt. Von einer großen Eingangshalle wie im Wiener Justizpalast kann dieses Haus nicht einmal träumen: Man wüsste nicht, wo man sie im funktionellen Gewirr platzieren möchte.

Kritisiert wurde der Bau schon zu seiner Entstehungszeit, wenn auch aus den falschen Gründen: Er sei zu groß und zu monumental für diesen Ort. Das geht am Kern des Problems vorbei: Der Historismus war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Lage, die Forderungen seiner Zeit nach „peinlicher Erfüllung des Zwecks“, wie sie Otto Wagner postulierte, baukünstlerisch angemessen zu beantworten. Da konnte auch der Figurenschmuck an der Fassade – Allegorien der Weisheit, Wahrheit und Gerechtigkeit – nicht mehr viel helfen.

Die lange Einleitung zum Projekt, um das es hier geht – die Sanierung dieses Komplexes durch das Architekturbüro Franz & Sue –, hat einen Grund: Wer heute das Justizzentrum Salzburg besucht, findet ein gut organisiertes, von allen vier Seiten öffentlich durchlässiges Gebäude vor, mit einer über alle Geschoße reichenden Eingangshalle, die eine perfekte Orientierung und direkte Wege zu den Verhandlungssälen erlaubt. Die Erschließung ist so geschickt entflochten, dass sogar ein öffentlich zugängliches Café auf dem Dachgeschoß Platz fand. Alles sieht unaufgeregt und fast selbstverständlich aus. Von der ehemaligen Misere ist nichts mehr zu spüren, ebenso wenig wie vom Hochseilakt, den die Sanierung dieses Bestandes bedeutete.

Voraussetzung dafür war die Entscheidung, das Gefängnis aus dem Komplex abzusiedeln und damit Platz für eine Neuordnung zu schaffen. Den dafür 2012 von der Bundesimmobiliengesellschaft europaweit offen ausgeschriebenen Architekturwettbewerb entschieden Franz & Sue für sich. Sie schlugen einen Abriss sämtlicher Einbauten im Hof vor, sowohl der jüngeren aus den 1980er-Jahren als auch der historischen des Wielemans'schen Projekts. Als neues Implantat im Hof entstand ein Y-förmiger Bauteil, der das Herz des Hauses wird und einen Großteil der Verhandlungssäle enthält, die über die zentrale Halle mit Oberlicht erreicht werden.

Dieser zentrale Zugang ließ sich realisieren, weil der bisher wegen des Gefängnisses für die Öffentlichkeit unzugängliche Innenhof zu einem öffentlichen Raum erklärt wurde, der von sieben Uhr früh bis abends geöffnet ist. Wo sich im Hof Quer- und Längsverbindung kreuzen, liegt der Eingang in die zentrale Halle. Das Y-förmige Gebäude ist teilweise als Brückenkonstruktion ausgebildet und überspannt eine breite, einladende Freitreppe, die Teil der Hofdurchwegung ist. Die hängende Konstruktion hilft, die Fassade dieses Bauteils sehr leicht und transparent zu halten: Alle Verhandlungssäle bieten über große Glasflächen Blick nach außen. In der Praxis hat sich diese Offenheit als zu weitgehend erwiesen. Auf Wunsch der Richter wurde sie zwar nicht völlig geschlossen, aber durch Rasterfolien reduziert.

Zum Projekt wird im Herbst bei Park Books eine Publikation erscheinen, die den Prozess von drei Jahren Planung und drei Jahren Bauzeit dokumentiert und auch Partner und Nutzer zu Wort kommen lässt. Franz & Sue haben mit diesem Projekt Allrounderqualitäten bewiesen, die sie bei vielen laufenden Projekten unter Beweis stellen: den Stationsgebäuden der U5 in Wien, zahlreichen Wohnbauten, Schulen und Universitätsgebäuden, zuletzt einem Wohnhochhaus in Wien am Nordbahnhof. Die Fusion der beiden kleinen Büros Franz und Sue in ein „kleines Großbüro“ vor zwei Jahren hat sich offenbar gelohnt. Ob ihnen im Erfolg Spielraum genug bleibt, bei der Gratwanderung zwischen „Banalität und intelligenter Einfachheit“ (so das Juryprotokoll zu einem ihrer Wettbewerbsgewinne) auf der richtigen Seite zu bleiben, wird sich zeigen.

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