Bauwerk

Kasematten und Neue Bastei
Bevk Perović arhitekti - Wiener Neustadt (A) - 2019
Kasematten und Neue Bastei, Foto: David Schreyer
Kasematten und Neue Bastei, Foto: David Schreyer

Mauer ohne eitle Gesten

Freigelegt und neu interpretiert: Dank der Architekten Bevk Perović aus Ljubljana wurden die Kasematten von Wiener Neustadt zum Star der diesjährigen Niederösterreichischen Landesausstellung. Ein Besuch nach der Revitalisierung.

10. August 2019 - Franziska Leeb
Die Wiener Neustädter Kasematten sind Teil der auf die Zeit der Stadtgründung im 12. Jahrhundert zurückgehenden Wehranlage und wurden 1551 bis 1557 im Auftrag Kaiser Ferdinands I. nach Plänen von Baumeister Johann Tscherte errichtet. Ursprünglich dienten die mächtigen Gewölbekeller zur Lagerung von Kriegsgerät und als Versammlungsort der Verteidiger der Stadt, ehe diese an der Stadtmauer Position bezogen. Ab dem 19. Jahrhundert fanden sich andere Nutzungen – unter anderem als Brauereilager und als Luftschutzkeller im Zweiten Weltkrieg. Unter einem sieben Meter hohen Hügel eingeschüttet blieb trotz aller späteren Einbauten die Authentizität dieser ob ihres guten Erhaltungszustandes in Österreich einzigartigen Anlage dieser Art gewahrt. Die niederösterreichische Landesausstellung bot den Anlass, die unter Denkmalschutz stehenden Kasematten für eine neue Nutzung als Ausstellungs- und Veranstaltungszentrum zu revitalisieren und archäologisch zu untersuchen.

Der im Jahr 2016 EU-weit ausgelobte Realisierungswettbewerb stellte zum einen die Aufgabe, die am nördlichen Zugang in den Stadtpark liegenden Kasematten für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen, die wertvolle Bausubstanz freizulegen und um einen Zubau, der ein „Welcome Center“ und eine Galerie umfasst, zu ergänzen. Gewonnen hat das von Matija Bevk und Vasa Perović geführte Büro Bevk Perović arhitekti aus Ljubljana.

Die Integration von historischem Bestand und neuer Architektur gelang ihnen vortrefflich. „Ist es vorstellbar, eine singuläre, integrierende Lösung zu finden, welche einen Neubau nicht nur dem Bestand hinzufügt, sondern diesen Bestand durch das Neue erst richtig hervorkehrt?“, lautet eine der Fragen, aus der die Architekten ihr Konzept entwickelten. Nicht als „reizvoll konservierten und präsentierten Appendix“ des Neuen, sondern als „Bindeglied zwischen den neuen Bauteilen“ wollten sie die Kasematten behandeln, um sie als aktiven Teil der Stadt zu etablieren. Dies glückte, indem sie auf eitle, reißerische Gesten verzichteten, in der Materialität zurückhaltend blieben sowie – die wahrscheinlich wichtigste Eigenschaft – die Topografie des Ortes zu lesen und in geeigneter Weise neu zu deuten verstanden. Ohne den Bestand als malerische Kulisse der neuen Funktionen zu behandeln, setzten sie einerseits Alt und Neu klar voneinander ab, ließen beides aber so ineinandergreifen, dass innen wie außen eine wie selbstverständlich wirkende „Promenade architecturale“ durch die Räume aus verschiedenen Zeiten entsteht.

Das Vorfeld der Kasematten gestalteten sie als sacht abfallenden Platz, der von der Bahngasse auf das Bestandsniveau der Kasematten hinabführt. Dort empfängt ein Neubau die Besucher mit einer verglasten Erdgeschoßzone und darüber einem schlichten massiven Schild aus Sichtbeton, das dem Neubau unaufdringlich Präsenz verleiht und – ob beabsichtigt oder nicht – als Referenz auf die wehrhafte Funktion des Bestandes deutbar ist. Anlässlich der Landesausstellung dient die mächtige Betonwand derzeit als Trägerin einer Werbeplane. Es wäre zwecks Wahrung der Originalität der neuen und alten Architektur ratsam, dies nicht zu einem Dauerzustand werden zu lassen.

Rechter Hand führt eine neue Treppenanlage auf das Dach des Neubaus, das von den Architekten als Belvedere konzipiert ist. In gewisser Weise stellt es die Situation des begehbaren Kasemattenhügels vor dem Umbau her. Vorläufig ist es für Besucher noch nicht zugänglich, wie auch das projektierte Auditorium, das als Veranstaltungsort im Freien und öffentlicher Aufenthaltsraum mit Aussicht und nutzbar wäre, noch seiner Umsetzung harrt. Linker Hand ist der ursprüngliche Hauptgang zu den Kasematten, ein wappenverziertes Renaissanceportal, das in die „strada coperta“, die innere Verbindungsachse zum Ausgang auf die ehemalige Bastei, funktionstüchtig erhalten geblieben.

Das neue Foyer bietet sich als eindrucksvoller, über die gesamte Gebäudehöhe erstreckender Raum dar. Im Scheitelpunkt des im Grundriss konisch zulaufenden Vestibüls sorgt eine Lichtkuppel für Zenitallicht. Wölbung, Raumdimension und die Öffnung nach oben stellen – so wird man, einmal in das unterirdische Raumsystem eingedrungen, erkennen – die zeitgenössische Ouvertüre für die folgenden freigelegten historische Strukturen dar. Diese wurden von späteren Einbauten befreit und bleiben frei von jedweden Einbauten – bis auf den neuen Boden aus sandgestrahltem Beton, der die vorgefundenen Niveauunterschiede ausgleicht.

Die historischen Dampflöcher wurden in das neue Belüftungssystem integriert und sorgen heute wie damals für die Regulierung der Luftfeuchtigkeit. Je nach Veranstaltungsszenario sind unterschiedliche Wegeführungen gestattet, entweder in die beeindruckenden Kasemattenhallen oder in die südlich im Stadtpark neu errichtete multifunktionale Veranstaltungshalle. Sie ist stadtparkseitig niveaugleich mit den Kasematten in das Gelände versenkt und nur im Zugangsbereich an den Bestand angebunden. Somit bleibt die Höhe des Pavillons moderat, werden die alten Mauern freigespielt und wird weder die historische Befestigungsanlage noch die Parklandschaft störend beeinträchtigt. Die Sheds des aus Stahlfachwerkträgern gebildeten Dachs lassen, sofern nicht verdunkelt, Nordlicht eindringen und stellen eine vage Analogie zum Zinnenabschluss der mittelalterlichen Zwingermauer her. Durchaus folgerichtig tauften die Betreiber das Gebäude „Neue Bastei“, wobei die Hülle aus perforiertem Aluminiumwellblech keineswegs für eine festungsartige, sondern eine äußerst luftige Anmutung sorgt, deren industrieller Charakter dem vielfachen Zweck durchaus gerecht wird. Die ostseitige Öffnung der Halle zu einem Zugangsweg vom Park und zur Gartenterrasse des im ehemaligen Geschützhof untergebrachten Cafés ermöglicht weitere Bespielungs- und Erschließungsszenarios, womit erwartungsgemäß langfristig auf sich ändernde Anforderungen reagiert werden kann.

Die Außenanlagen verknüpfen den neuen Veranstaltungsort mit der Stadt wie dem Stadtpark und tragen wesentlich zur Aufwertung dieses bislang etwas vernachlässigten Gebietes zwischen Bahnhof und Innenstadt bei. Dass dies alles so gelingen konnte, ist angesichts der doch kurzen Bau- und Planungszeit, die von allerhand Unvorhergesehenem und Ungewissheiten geprägt war, ein kleines Wunder. Zwar waren die Kasematten gut dokumentiert und zugänglich, doch außerhalb lieferte ihre Freilegung etliche Überraschungen. So kamen bislang unbekannte Teile der Zwingermauer mit von der Erde konservierten 500 Jahre alten Putzoberflächen zum Vorschein, was wie etliche andere Entdeckungen Umplanungen und adäquates Reagieren auf das Vorgefundene erforderte, um die Geschichte für unsere und folgende Generationen lesbar zu machen.

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