Bauwerk

BOKU Bibliothek und Seminarzentrum
SWAP Architektur, Delta - Wien (A) - 2020
BOKU Bibliothek und Seminarzentrum © proHolz Austria / Bruno Klomfar
BOKU Bibliothek und Seminarzentrum © proHolz Austria / Bruno Klomfar

Schweres Holz mit leichter Hülle

Was ist das beste Baumaterial für eine Universität für Bodenkultur? Ziegel und Stahl hat man schon probiert, jetzt ist Holz am Zug. Und das ist gelungen – wie das Ilse-Wallentin-Haus in Wien-Döbling beweist.

16. Januar 2021 - Christian Kühn
Die Wiener Universität für Bodenkultur hat ihren Sitz im 19. Bezirk in unmittelbarer Nachbarschaft des Türkenschanzparks. Ihre Gebäude stammen zum Großteil aus dem späten 19. Jahrhundert und sind typische Beispiele für die Architektur des Historismus. Könnte man sie wie Spielsteine von ihrem Standort lösen, ließen sie sich zu einem beeindruckenden Universitätscampus arrangieren. Im Wiener Stadtgrundriss der Gründerzeit ist eine solche Anordnung aber nicht vorgesehen, und so stehen die beiden Hauptgebäude, das Gregor-Mendel- und das Wilhelm-Exner-Haus, in beträchtlicher Distanz voneinander wie kleine Paläste auf ihren Parzellen, ohne miteinander in Dialog zu treten. Weitere Universitätsbauten mischen sich dezent unter die Stadtvillen der Umgebung.

Bis heute prägen diese Paläste das Image der Universität, auch wenn es bereits mit dem von Anton Schweighofer 1967 entworfenen und 1972 fertiggestellten Erweiterungsbau des Wilhelm-Exner-Hauses ein bedeutendes Signal für eine Erneuerung gab. Dieser Bau war zwar von der Straße aus unsichtbar, verstand sich aber als erstes Element eines weit in die Umgebung reichenden Netzwerks von Erweiterungen. Im Material für Konstruktion und Fassade suchte man den maximalen Kontrast zum Bestand: Stahl, allerdings in einer speziellen Legierung, die zwar oberflächlich rostet, sich dann aber selbst durch diese erste Schicht vor weiterer Korrosion schützt. Das bekannteste derartige Produkt wurde unter dem Namen Cortenstahl vermarktet. Architekten waren fasziniert von der Ästhetik dieses „alternden“ Materials, das nie wieder einen Anstrich zu benötigen versprach. Eines der ersten mit Cortenstahl ausgeführten Projekte war die Freie Universität Berlin, eine Neugründung der 1960er-Jahre, entworfen von den Architekten Candilis, Josic und Woods, die zu den Erfindern des „Strukturalismus“ in der Architektur gehörten.

Anton Schweighofers Erweiterungsbau brachte diese Materialwahl wenig Glück. Die von der Voest produzierte Variante des Cortenstahls hörte nicht auf zu rosten. Die schlechte Wärmedämmung führte in Kombination mit der dunklen Oberfläche dazu, dass es im Haus im Winter zu kalt und im Sommer zu heiß war. Als schließlich der Verdacht aufkam, dass der zum Brandschutz verwendete Asbest die Nutzer gefährden könnte, wurde das Haus geschlossen und stand weniger als 25 Jahre nach seiner Eröffnung leer. Heute ist von ihm nach einer radikalen Sanierung nicht mehr übrig als ein paar Stahlträger, um die herum ein Neubau aus Stahlbeton errichtet wurde.

Unmittelbar neben diesem Gebäude war allerdings noch Platz für einen Zubau, ein leicht geböschtes Areal, umgeben von alten Bäumen. Hier sollten zusätzliche Flächen für Institutsräume sowie ein Seminarzentrum und eine Erweiterung der Bibliothek errichtet werden. In der Ausschreibung für den Architekturwettbewerb im Jahr 2017 war explizit ein konstruktiver Holzbau gefordert. Dass eine Universität, die der Land- und Forstwirtschaft ihre Gründung verdankt, aus diesem Material auch bauen möchte, ist naheliegend. Bereits 2014 hatte sie sich beim Wettbewerb für eine neues, 200 Meter stadteinwärts gelegenes Institutsgebäude für einen Entwurf des Büros Baumschlager-Hutter entschieden, bei dem immerhin die Fassade aus vertikalen Holzlamellen besteht. Dass man diesmal einen Schritt weiter gehen und auch das Tragsystem aus Holz errichten wollte, hing nicht zuletzt mit den guten Erfahrungen zusammen, die man bei einer Außenstelle der Universität in Tulln gemacht hatte. Dort hatte das Architekturbüro SWAP in Kooperation mit Delta Projektconsult ein Laborgebäude in Holzkonstruktion errichtet, der 2018 in der Kategorie „Öffentlicher Bau“ den österreichischen Holzbaupreis erhielt.

Beim Wettbewerb für den Neubau am zentralen Standort – benannt nach der ersten Dissertantin der Universität Ilse-Wallentin-Haus – konnte sich dasselbe Team gegen eine Konkurrenz von 60 Teilnehmern durchsetzen. Das Projekt ist perfekt auf die geforderte Nutzung zugeschnitten: ein teilweise ins Gelände eingegrabenes Sockelgeschoß mit Seminarräumen, darüber ein Eingangsgeschoß mit Foyer und zwei großen Vortragsräumen, dann die Bibliotheksräume und in den beiden obersten Geschoßen die Institutsräume. Ein kleines Atrium, das die Sozialräume der beiden Institutsgeschoße verbindet, bringt zusätzliches Licht in die Mitte des Baukörpers. An der Fassade ist diese Gliederung klar ablesbar: Foyer und Bibliothek haben Fenster im beachtlichen Format von 3,4 mal 3,4 Metern, die den Benutzern das Gefühl vermitteln, zwischen den Bäumen der Umgebung zu sitzen. Dass die Fensterbänke genau auf Sitzhöhe liegen, ist ein Angebot, das von den Nutzern gerne angenommen wird. Konstruktiv sind die Geschoße unterschiedlich aufgebaut: das Untergeschoß und alle erdberührenden Teile aus Stahlbeton, die beiden ersten Geschoße als Holzskelettkonstruktion und die Bürogeschoße aus verleimten KLH-Massivholzplatten. Ein Kern aus Stahlbeton, der Treppen, Lift und Sanitärräume aufnimmt, gibt der Konstruktion Stabilität.

Wer beim Begriff „Skelettkonstruktion“ an etwas Filigranes denkt, wird beim Betreten des Foyers überrascht sein. Die Stützen und Unterzüge, die in den ersten beiden Holzgeschoßen die großen Spannweiten für die Vortragsräume überwinden, haben beachtliche Querschnitte – das liegt zu einem guten Teil am Brandschutz. Wenn tragende Holzbauteile unverkleidet bleiben sollen, müssen sie im Brandfall eine schützende verkohlte Schicht aufbauen können, um deren Dicke sich die Bauteile über das statisch notwendige Maß hinaus verstärken. Dieser ästhetisch „schwere“ Holzbau hat eine eigene Qualität, mit der die Architekten in diesem Fall souverän umgehen.

Dass die Konstruktion „leicht“ wirkt, liegt an einem einfachen Kunstgriff. Was an der Fassade als zarte vertikale und horizontale Tragkonstruktion erscheint, ist nur Dekor. Das ist besonders auffällig in der überdeckten Kolonnade vor dem Eingang: Die Stützenreihe trägt nicht, sondern hält sich gewissermaßen am auskragenden Deckentragwerk des ersten Geschoßes an. Ist diese „Scheinfassade“ deshalb überflüssig? Nein. Sie zu entfernen hätte denselben verstörenden Effekt wie aus einem Gesicht die Augenbrauen zu rasieren. Mit ihrer Erfahrung im Holzbau sind SWAP Architekten inzwischen auch international erfolgreich. Gerade haben sie einen Wettbewerb für ein Innovationslabor für „Grüne Chemie“ an der TU Berlin gewonnen, ein massives Gerüst mit viel Transparenz, das durch Vorfertigung und kurze Bauzeit punktet.

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