Bauwerk

Renovierung Sommerhaus Strombad Kritzendorf
Walter Kräutler - Kritzendorf (A) - 2020
Renovierung Sommerhaus Strombad Kritzendorf, Foto: Walter Kräutler
Renovierung Sommerhaus Strombad Kritzendorf, Foto: Walter Kräutler
Renovierung Sommerhaus Strombad Kritzendorf, Foto: Walter Kräutler
21. Juli 2022 - ORTE
Etwas nördlich von Wien liegt an der Donau das Strombad Kritzendorf, das 1903 gegründet und in den 1920er Jahren angesichts des starken Zustroms von Badegästen deutlich erweitert wurde. Speziell in dieser Zeit bildete sich eine ganz besondere Typologie heraus, die als eine Mischung aus Badehütte, Schrebergarten- und Stelzenhaus bezeichnen werden könnte. Spuren der Ästhetik des rote Wiens vermischten sich mit Ansätzen der Moderne, die sich in den zahlreichen aufgeständerten Holzkonstruktionen abzeichneten.
Ein ganz entscheidender Aspekt dieser Badehütten-Siedlung war auch ein Bekenntnis zu Bescheidenheit, Einfachheit und zu einem bewusst kleinen Maßstab. Die durchschnittliche Größe der ersten Hütten lag bei ca. 3x4 m, meist erweitert durch eine kleine Veranda. Mit den durch die Hochwassergefahr bedingten Stützpfeilern wurden die Gebäude so vom Boden abgehoben, dass Analogien zu den modernistischen Pilotis naheliegen. Zudem verlieh der Akt des Abhebens des Baukörpers vom Boden den Häuschen einen modellhaften Charakter und ließ sie auch variabel, veränderbar, flexibel erscheinen. Sie verhalten sich ein Stück weit der Realität enthoben, diese Luftigkeit ist also auch eine konzeptuelle, eine Haltung, die sich auch heute noch im Strombad Kritzendorf als tagträumerische Atmosphäre ausdrückt.

Das „Thomashaus“ (benannt nach dem Vorbesitzer) wurde nach dem Hochwasser 2013 vom Architekten Walter Kräutler behutsam und in Handarbeit transformiert. Wie viele der Kritzendorfer Badehütten bestand es aus einem Wohnraum im unteren Geschoß (Erdgeschoss wäre hier eindeutig der falsche Begriff, denn von ebendieser Erde ist es abgehoben) und einem Schlafbereich im oberen aufgestockten Bereich unter einem Mansarddach. Wie die meisten Häuschen in der Siedlung stand es in einem engen Verbund mit den benachbarten Hütten. Lediglich ein minimaler Zwischenraum von etwa 60 cm trennt die Gebäude in der „Hüttenzeile“ voneinander und dieses delikate Nebeneinander, aber nicht Beieinander, trägt deutlich zur atmosphärischen Leichtigkeit und Luftigkeit bei, obwohl gleichzeitig eine beinahe serielle Anordnung vorherrscht. Gerade in dieser Dichte und Kleinheit kommt die schier unglaubliche Komplexität der Details, der Materialien, der Farben umso stärker zum Ausdruck. Nicht zufällig erinnern Ensembles wie in der Hüttenzeile frappant an die kleinteiligen und hochkomplexen Stadtraumqualitäten japanischer Metropolen, in deren „back-alleys“ (oder japanisch „rojis“) eine schier endlose Vielfalt räumlicher Situationen auf engstem Raum stattfinden. Aufs Engste mit dieser urbanen Komplexität und Kleinheit des Maßstabs verbunden ist aber auch eine minimierte Geschwindigkeit, eine Entschleunigung im Sinne einer (antifunktionalistischen) widerständigen, sich der Effizienzlogik entziehenden Bewegung.

Die Häuser in der Siedlung sind primär und traditionell aus Holz. Das Material steht für eine simple, leicht zugängliche, regionale und vor allem auch günstige Produktion. Auch das „Thomashaus“ verkörpert diese Haltung, ist aber gleichzeitig ein Kommentar über diese vernakulare Logik des Ortes. Darin kann es als eine spezifische Form eines critical regionalism Ansatzes gesehen werden, aber es geht zugleich auch um ein Fortschreiben, Weiterdenken des Bestehenden. Obwohl das Thomashaus vom 2013er Hochwasser derart in Mitleidenschaft gezogen war, dass ein Abriss und Neubau naheliegend gewesen wäre, entschied sich Walter Kräutler für ein behutsames Instandsetzen der Struktur. Mit Betonung auf (tragender) Struktur, denn das untere Geschoß des Häuschens wurde als Holz-Fachwerk Konstruktion (re)konstruiert, die Fassade aber mit eigens entwickelten Verglasungen völlig neu gedacht. Während das obere Geschoß weitgehend in den ursprünglichen Zustand versetzt wurde, fand im unteren Geschoß eine radikale Transformation der Idee der Hülle, der Fassade statt.

Das Ummanteln der konstruktiven und raumprägenden Elemente mit Verglasungen ist hier insofern bemerkenswert, als dies auch in aller Konsequenz die zu den Nachbargebäuden angrenzenden Längsseiten betrifft. Damit wird in dieser reihenhausartigen Anordnung nicht nur der Blick nach vorne und hinten geöffnet, sondern vor allem auch in Richtung der Längsseiten der benachbarten Häuschen. Diese konzeptuell radikale Geste erweitert nicht nur simpel die wahrgenommenen Begrenzungen des Hauses, sondern macht auch die Pragmatik und Informalität der geschlossenen benachbarten Seitenwände sichtbar und erlebbar. Eine Strategie, die auch wiederum nicht ganz zufällig in der ostasiatischen Architektur und vor allem in der Landschaftsgestaltung zur Anwendung kam. Schon im chinesischen Gartenhandbuch Yuanye von 1635 wurden vier Kategorien von „geliehenen Landschaften“ definiert, wobei Linjie als „angrenzende Ausleihe“ auch benachbarte Gebäude und deren Merkmale umfasst. Aber auch in gegenwärtigeren Beispielen japanischer mikro-urbaner Taktiken findet sich dieser Gedanke, wie etwa im Wohngeschoß von Atelier Bowwow’s Wohn- und Atelierhaus. Im Falle des Thomashauses wird damit nochmal nachdrücklich auf die Dimension der Gemeinschaftlichkeit, des heterogenen Nebeneinanders auf engstem Raum und vor allem auf eine Notwendigkeit des „Sich-in-Beziehung-Setzens“ hingewiesen. Das vermeintliche „Problem“ der allzu nahen Nachbargebäude wird nicht ausgeblendet, sondern liebevoll eingeblendet.

Die damit verbundene Haltung könnte man in Anlehnung an künstlerisch-kuratorische Diskurse als relationale Ästhetik beschreiben, die sowohl Architektur, Objekte, Landschaft mit sozialen Akteurinnen und Akteuren und deren Handlungen unauflösbar zusammen denkt. Von daher ist auch das Projekt des Thomashauses als Prozess zu verstehen, der dezidiert keinen genauen Endpunkt kennt. So wie schon in der weit verbreiteten Kritzendorfer Selbstbau-Ästhetik angelegt, versteht sich die Arbeit von Walter Kräutler hier als fortlaufender Selbstversuch im Sinne von trial and error, kontinuierlicher Adaption und Modulation. Dazu gehört auch, dass das Thomashaus im Verbund mit zwei anderen Häuschen ein Ensemble bildet, das auf eine lose Verteilung unterschiedlichster Funktionen und Programme abzielt. Während in einem Haus eher gewohnt wird, wird im anderen eher gekocht und im anderen eher gearbeitet. Dennoch entziehen sich die Räume bewusst einer eindeutigen Funktion. Sie werden je nach Situation, Jahreszeit, Temperatur, nach Anzahl der Anwesenden jeweils neu aktiviert. Aber auch Details wie die speziell entwickelten, mit feinen Holzrahmen versehenen, abnehmbaren Fensterelemente erlauben ein leichtfüßiges Reagieren auf die Umstände, wie das potentielle Auftreten von Hochwasser.

Die konzeptuelle Leichtigkeit dieser relationalen Ästhetik findet sich auf höherer Ebene auch im Umgang mit dem gesamten Kontext des Strombads Kritzendorf: Der alltäglichen, dörflich anmutenden Komplexität der Anlage wird ein weiterer Mosaikstein hinzugefügt, auch wenn dieser eine überraschende Materialität besitzt. Mit seiner spezifisch eingesetzten Transparenz macht er nicht nur die Regeln und Strukturen des Thomashauses an sich sichtbar, sondern öffnet auch den Blick auf die grundlegende Qualität der Ensembles, der Mosaiksteine im Kritzendorfer Patchwork. Er steht auch symptomatisch für eine fortlaufende Änderung der Zustände, für einen Metabolismus des Gesamtsystems. Es ist eben auch dieses Spiel mit den zeitlichen Ebenen, mit den Spuren und Schichten von Transformationen, Modulationen, Ergänzungen, die dem Strombad seine spezielle Qualität geben. Darin bildet es eine Art Spiegelbild der Prozesse der Landschaft und der Natur, der Metabolismus der sich permanent verändernden und immer wieder ausgetauschten Mosaiksteine verbindet die Elemente zu einer Art Ökosystem. Diese Prozesse sichtbar zu machen und sich zugleich subtil in der deren Logik einzuschreiben ist die spezielle Qualität eines Projekts wie dem Thomashaus. Dieser Metabolismus des Beiläufigen, des Alltäglichen, steht für eine Haltung, die das Besondere nicht in spektakulären Formalisierungen sucht, sondern in einem subtilen und dennoch konzeptuell radikalen Bekenntnis zur produktiven Kleinheit und zur relationalen Kraft einer Geste, welche die umgebenden Elemente als komplexes System versteht, zu dem man sich permanent neu in Beziehung setzt. (Text: Christian Teckert)

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: ORTE architekturnetzwerk niederösterreich

Ansprechpartner:in für diese Seite: Heidrun Schlöglbaudatenbank[at]orte-noe.at

Akteure

Architektur