Bauwerk
Dreihaus
Ernst Pfaffeneder - Sierndorf (A) - 2018
Hol die Sonne in den Hof!
Das von Ernst Pfaffeneder geplante Dreihaus in Obermallebarnhat nicht nur die dicksten Wände des Weinviertels. Es ist auch ein rares Beispiel für kluges Weiterbauen im Ortskern – nach der Bauphilosophie der Ahnen, mit zeitgenössischem Ausdruck.
27. August 2021 - Franziska Leeb
Seit dem Mittelalter prägen kompakte Straßen- und Angerdörfer die Siedlungslandschaft des Weinviertels. Gehöft reiht sich an Gehöft, meist Zwerchhöfe; parallel zur Straße der Wohntrakt, anschließend der Längstrakt mit den Stallungen und einer den Hof abschließenden Scheune. Über Jahrhunderte entwickelte sich der Typus weiter, ohne die Dorfstrukturen aus der Balance zu bringen. Eine einfache Erweiterung der Höfe nach hinten war diesen Siedlungen ebenso eingeschrieben wie eine Vergrößerung der Ortschaften durch Anfügen weiterer Parzellen. Als „nachhaltig“ würde man dieses Siedlungslayout heute bezeichnen, als „harmonisch“ das Ortsbild. Der Strukturwandel in der Landwirtschaft und die Bodenpolitik der Gemeinden haben beides ohne große Not vielerorts zerstört. Ab den 1970er-Jahren künden unterkellerte und aufgestockte Wohnhäuser mit breiten Fenstern von einem Bedürfnis nach einem neuen Lebensstil. Vergrößerte Toreinfahrten und mit Faserzement-Wellplatten gedeckte Scheunen trugen der maschinellen Aufrüstung Rechnung. Oft verschwanden die „Trettn“, die witterungsgeschützten Verbindungsgänge zwischen Hof und Stall.
Anfang der 1980er-Jahre leitete die Aktion „Niederösterreich schön erhalten – schöner gestalten“ einen erneuten Wandel der Ortsbilder ein. Die Fenster wurden kleiner, mit Sprossen (oft aufgeklebt) unterteilt, und Gestaltungselemente wie Faschen, Gesimse, Giebel und Säulen hielten sinnentleert Einzug an den gern in deftigen Farben gehaltenen Fassaden. Immerhin wurde innerhalb der bestehenden Strukturen modernisiert und weitergebaut, ehe die ehemals kompakten Siedlungen ausfransten, um zunächst den Bauernkindern mit frei stehenden Einfamilienhäusern den Verbleib in der Gemeinde schmackhaft zu machen und schließlich den Zuzug und die Zersiedelung zu befeuern. Höchste Zeit, mit tauglichen Konzepten der Ratlosigkeit im Umgang mit den alten Strukturen zu begegnen, um zu retten, was noch zu retten ist.
So geschehen in Obermallebarn, wo die Unternehmer- und Bauernfamilie Brandtner einen modernen Landwirtschaftsbetrieb führt. Mit Architekt Ernst Pfaffeneder gelang es, im ererbten Hof Wohnqualitäten zu etablieren, wie sie in einer Einfamilienhaussiedlung am Ortsrand niemals erreichbar wären. Straßenseitig scheint es auf den ersten Blick so, als hätte sich außer neuen Kastenfenstern und der Sanierung des Putzes inklusive fein abgestimmter dezenter Farbgebung nicht viel verändert. Tatsächlich wurden Straßen- und Hoftrakt völlig neu organisiert. Prinzipiell sind alle Häuser in der Zeile so angelegt, dass Längstrakt mit den Stallungen an der westlichen Parzellengrenze liegen, also Fensteröffnungen nach Osten haben. Da aber bereits beim Nachbarhaus im Zuge einer Neustrukturierung der Stalltrakt entfernt worden war, lag es nahe, den Hoftrakt der Brandtners von der westlichen an die östliche Parzellengrenze zu legen, um die Abendsonne in den Hof zu holen. Statt der Einfahrt im Osten führt also nun das Tor an der Westseite in eine geräumige Diele, an die straßenseitig eine an Wiener Altbauwohnungen erinnernde Zimmerflucht anschließt. Hofseitig wurde der Altbestand entkernt und in eine Sala terrena verwandelt, einen erdgeschoßigen Gartensaal, in dem Kunden und Besucher empfangen und Feste gefeiert werden, und der als öffentlichster Bereich einen Schwellenraum zu den familiären Wohnräumen bildet. Die schwarz-weiß karierten Zementfliesen auf dem Boden stammen aus der alten Volksschule, die einst vis-à-vis stand.
Um die Flügeltüren zwischen den Zimmern selbst anfertigen zu können, besorgte sich der Bauherr gebrauchte Tischlereimaschinen: Vorhandenes wiederverwerten und selbst Hand anlegen lautete Devise, ganz so, wie früher die Bauern mit Bedacht und ökonomischem Materialeinsatz ihre Höfe um- und weiterbauten. Ferner gab es 80 Paletten 25 Zentimeter starker Hochlochziegel zweiter Wahl, die der Vater des Bauherrn vor langer Zeit günstig erworben hatte. Aus diesem Materialschatz konstituiert sich der Neubautrakt, den Ernst Pfaffeneder unter drei verschieden dimensionierten Giebeldächern aus massivem zweischaligem Mauerwerk entwickelte. Die äußere Mauerwerksschicht wurde zu den Giebelachsen hin nach außen gefaltet, während die innere Schale gerade geführt wird. Die Hohlräume in den so entstandenen, bis zu einem Meter dicken Wänden wurden mit Schuttmaterial befüllt. Die tiefen Laibungen der bodentiefen Verglasungen verleihen dem Inneren Geborgenheit, die Westsonne verstärkt im Wechselspiel von Licht und Schatten den Eindruck der Faltung und Körperhaftigkeit.
Unter den mächtigen Doppelbalken, auf denen die Dachsparren aufliegen, wurden dienende Zonen wie die Küchenzeile und Sanitärzellen angeordnet. An der Rückwand lagern die Balken auf ziegeldicken Wandpfeilern. Die so entstehenden Nischen wurden für Möbeleinbauten genutzt. 3,8 bis 5,8 Meter beträgt die Raumhöhe unter den weiß lasierten Dachuntersichten, durch die Fensterbänder zusätzlich Zenitallicht von Norden einbringen. Um die Plastizität des neuen Baukörpers nicht durch die Kleinteiligkeit eines Ziegeldachs zu konterkarieren, erhielt er ein leichtes helles Blechdach. Strukturell Teil des Mehrdachhauses und der lebendigen dörflichen Dachlandschaft, hebt es sich farblich als neue Zutat ab.
In der Scheune wurde in Verlängerung des Neubaus neben Wirtschafts- und Haustechnikräumen eine Sommerküche eingerichtet, aus der sich der luftige Essplatz unter dem Scheunendach, der einen Belag aus den Dachbodenziegeln des Altbestandes erhielt, unkompliziert bedienen lässt. Das grüne Feld des Gartenhofs wird mit Holzterrassen eingefasst zum Wohnzimmer im Freien. Ein Karree aus vier Platanen spendet Schatten, Staudenrabatten und Spalierobst malen im Lauf der Jahreszeiten abwechslungsreiche Vegetationsbilder, und aus dem Nachbarshof grüßt die Krone einer pink blühenden Blutpflaume über die Mauer.
Das Dreihaus ist keine Baukunst zum Selbstzweck, sondern entstand aus dem Bedürfnis, räumliche Weite in die dörfliche Enge zu bringen. Es führt das traditionelle Bauprinzip auf authentische Weise fort, interpretiert es aber auf eine zeitgenössische Weise, die in ihrer konzeptuellen Schlüssigkeit vorbildhaft ist.
Anfang der 1980er-Jahre leitete die Aktion „Niederösterreich schön erhalten – schöner gestalten“ einen erneuten Wandel der Ortsbilder ein. Die Fenster wurden kleiner, mit Sprossen (oft aufgeklebt) unterteilt, und Gestaltungselemente wie Faschen, Gesimse, Giebel und Säulen hielten sinnentleert Einzug an den gern in deftigen Farben gehaltenen Fassaden. Immerhin wurde innerhalb der bestehenden Strukturen modernisiert und weitergebaut, ehe die ehemals kompakten Siedlungen ausfransten, um zunächst den Bauernkindern mit frei stehenden Einfamilienhäusern den Verbleib in der Gemeinde schmackhaft zu machen und schließlich den Zuzug und die Zersiedelung zu befeuern. Höchste Zeit, mit tauglichen Konzepten der Ratlosigkeit im Umgang mit den alten Strukturen zu begegnen, um zu retten, was noch zu retten ist.
So geschehen in Obermallebarn, wo die Unternehmer- und Bauernfamilie Brandtner einen modernen Landwirtschaftsbetrieb führt. Mit Architekt Ernst Pfaffeneder gelang es, im ererbten Hof Wohnqualitäten zu etablieren, wie sie in einer Einfamilienhaussiedlung am Ortsrand niemals erreichbar wären. Straßenseitig scheint es auf den ersten Blick so, als hätte sich außer neuen Kastenfenstern und der Sanierung des Putzes inklusive fein abgestimmter dezenter Farbgebung nicht viel verändert. Tatsächlich wurden Straßen- und Hoftrakt völlig neu organisiert. Prinzipiell sind alle Häuser in der Zeile so angelegt, dass Längstrakt mit den Stallungen an der westlichen Parzellengrenze liegen, also Fensteröffnungen nach Osten haben. Da aber bereits beim Nachbarhaus im Zuge einer Neustrukturierung der Stalltrakt entfernt worden war, lag es nahe, den Hoftrakt der Brandtners von der westlichen an die östliche Parzellengrenze zu legen, um die Abendsonne in den Hof zu holen. Statt der Einfahrt im Osten führt also nun das Tor an der Westseite in eine geräumige Diele, an die straßenseitig eine an Wiener Altbauwohnungen erinnernde Zimmerflucht anschließt. Hofseitig wurde der Altbestand entkernt und in eine Sala terrena verwandelt, einen erdgeschoßigen Gartensaal, in dem Kunden und Besucher empfangen und Feste gefeiert werden, und der als öffentlichster Bereich einen Schwellenraum zu den familiären Wohnräumen bildet. Die schwarz-weiß karierten Zementfliesen auf dem Boden stammen aus der alten Volksschule, die einst vis-à-vis stand.
Um die Flügeltüren zwischen den Zimmern selbst anfertigen zu können, besorgte sich der Bauherr gebrauchte Tischlereimaschinen: Vorhandenes wiederverwerten und selbst Hand anlegen lautete Devise, ganz so, wie früher die Bauern mit Bedacht und ökonomischem Materialeinsatz ihre Höfe um- und weiterbauten. Ferner gab es 80 Paletten 25 Zentimeter starker Hochlochziegel zweiter Wahl, die der Vater des Bauherrn vor langer Zeit günstig erworben hatte. Aus diesem Materialschatz konstituiert sich der Neubautrakt, den Ernst Pfaffeneder unter drei verschieden dimensionierten Giebeldächern aus massivem zweischaligem Mauerwerk entwickelte. Die äußere Mauerwerksschicht wurde zu den Giebelachsen hin nach außen gefaltet, während die innere Schale gerade geführt wird. Die Hohlräume in den so entstandenen, bis zu einem Meter dicken Wänden wurden mit Schuttmaterial befüllt. Die tiefen Laibungen der bodentiefen Verglasungen verleihen dem Inneren Geborgenheit, die Westsonne verstärkt im Wechselspiel von Licht und Schatten den Eindruck der Faltung und Körperhaftigkeit.
Unter den mächtigen Doppelbalken, auf denen die Dachsparren aufliegen, wurden dienende Zonen wie die Küchenzeile und Sanitärzellen angeordnet. An der Rückwand lagern die Balken auf ziegeldicken Wandpfeilern. Die so entstehenden Nischen wurden für Möbeleinbauten genutzt. 3,8 bis 5,8 Meter beträgt die Raumhöhe unter den weiß lasierten Dachuntersichten, durch die Fensterbänder zusätzlich Zenitallicht von Norden einbringen. Um die Plastizität des neuen Baukörpers nicht durch die Kleinteiligkeit eines Ziegeldachs zu konterkarieren, erhielt er ein leichtes helles Blechdach. Strukturell Teil des Mehrdachhauses und der lebendigen dörflichen Dachlandschaft, hebt es sich farblich als neue Zutat ab.
In der Scheune wurde in Verlängerung des Neubaus neben Wirtschafts- und Haustechnikräumen eine Sommerküche eingerichtet, aus der sich der luftige Essplatz unter dem Scheunendach, der einen Belag aus den Dachbodenziegeln des Altbestandes erhielt, unkompliziert bedienen lässt. Das grüne Feld des Gartenhofs wird mit Holzterrassen eingefasst zum Wohnzimmer im Freien. Ein Karree aus vier Platanen spendet Schatten, Staudenrabatten und Spalierobst malen im Lauf der Jahreszeiten abwechslungsreiche Vegetationsbilder, und aus dem Nachbarshof grüßt die Krone einer pink blühenden Blutpflaume über die Mauer.
Das Dreihaus ist keine Baukunst zum Selbstzweck, sondern entstand aus dem Bedürfnis, räumliche Weite in die dörfliche Enge zu bringen. Es führt das traditionelle Bauprinzip auf authentische Weise fort, interpretiert es aber auf eine zeitgenössische Weise, die in ihrer konzeptuellen Schlüssigkeit vorbildhaft ist.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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