Bauwerk

Chatam-Sofer-Gedenkstätte
Martin Kvasnica - Bratislava (SK) - 2002

Schauplatz Bratislava - Spätes Eingedenken

Eine Grabstätte als Mahnmal für die ermordeten Juden

Bratislava war einst ein Zentrum der jüdischen Orthodoxie. Bis zum heutigen Tage ist das Grabmal des Jeschiwa-Gründers Chatam Sofer Ziel unzähliger Pilger. Seine Neugestaltung wird von manchen als Mahnmal für die ermordeten Juden aus der Slowakei verstanden. Tatsächlich hat die jüdische Gemeinde täglich mit der Deportationsgeschichte zu tun. Sie ist Gegenstand einer Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland.

15. November 2002 - Stephan Templ
Viele Wunder und Legenden ranken sich um die Person Moses Schreibers - besser bekannt als Chatam Sofer. Ein wahres Wunder ist es jedenfalls, dass sein Grab bewahrt geblieben ist. Gerade als die Deportationen der Juden aus der Slowakei eingesetzt hatten, beschloss die Stadtverwaltung 1942, den alten jüdischen Friedhof zu schleifen, um einer neuen Strasse Platz zu machen. Die Vorfahren von Heinrich Heine und Karl Marx lagen hier beerdigt - Chatam Sofer liegt immer noch hier mit 22 anderen Rabbinern. Ein aufwendiger Betonsarkophag wurde in den Kriegsjahren um deren Gräber herum gebaut. Knapp 60 Jahre rollten der Schwerverkehr und Strassenbahnen darüber. Lediglich ein Schacht führte damals in diese Unterwelt der Gräber, das mochte das Geheimnis des Überlebens noch erhöhen. Das feuchte Klima jedenfalls hat den 23 Grabsteinen und vor allem der darüber befindlichen Betondecke schwer zugesetzt. Letzteres ist der ganz prosaische Grund, weshalb man die Erneuerung der Grabstätte nun in Angriff nahm. Die Stadtverwaltung Pressburg spricht von der überragenden Persönlichkeit Chatam Sofers, welche die Stadtväter stets und auch zur Zeit der Deportationen respektiert hätten, doch scheinen vielmehr Geldzahlungen im Jahre 1942 die 23 Grabmäler gerettet zu haben.


Nicht gerade zimperlich

In der Nachkriegszeit ging die Stadt Bratislava nicht gerade zimperlich mit ihrem jüdischen Erbe um: Die im Krieg nicht substanziell beschädigte grosse orthodoxe Synagoge in der Zamocká aus dem Jahre 1893 wurde in den fünfziger Jahren abgerissen, 1968 wurden dann Teile des ehemaligen Ghettos sowie der intakte neologische Tempel am Rybne namestí abgebrochen. Sie mussten der neuen Donaubrücke Platz machen. Selbst die Tauwetterstimmung jener Zeit hatte daran nichts zu ändern vermocht.

Die heute lediglich 800 Personen zählende Gemeinde war einst mit 15 000 Mitgliedern blühend gewesen. Pressburg war weit über seine Grenzen für die von Chatam Sofer gegründete Jeschiwa berühmt. Es war eine von der Orthodoxie geprägte Gemeinde. Hier gab es dank der Nähe zur einflussreichen Reichshaupt- und Residenzstadt Wien keinen Assimilationsdruck auf Juden wie in Budapest. Bezeichnenderweise unterhielt hier in Poszony (Pressburg) die orthodoxe Gemeinde elf Synagogen, sechs Bethäuser, sechs Schulen und elf Lehrhäuser, während die Reformierten (Neologen) nur zwei Synagogen und zwei Schulen hatten. Heute beten alle in der einzigen erhaltenen Synagoge Pressburgs, der orthodoxen in der Heydukova. Zum Slowakischen, Deutschen, Hebräischen und Ungarischen mischt sich nun auch das Englische: Denn viele reisen aus Amerika an, um das Grab Chatam Sofers zu sehen. Im Oktober, zum Jahrestag Chatam Sofers, sollen es mehrere tausend Menschen gewesen sein. Oft kommen die Pilger mit dem Taxi von den Flughäfen (Budapest, Bratislava und Wien-Schwechat) direkt zur Grabstätte, halten ihre Gebete ab und kehren gleich wieder zum Flugplatz zurück. Für sie ist das Grabmal das Zentrum Bratislavas. In die «äusseren Bezirke» kommen sie selten.

Die ob ihrer wenig demokratischen Traditionen bekannte Slowakei muss mittlerweile dringender denn je für die Beitrittsverhandlungen mit der EU Zeichen setzen. Was liegt da aus Sicht der Regierung näher, als sich auf der «jüdischen» Karte Europas einzuzeichnen? Die Stadtverwaltung beteiligt sich daher mit etwa einer Million Euro am Zustandekommen der Chatam-Sofer-Gedenkstätte. Der Verkehrsweg direkt über den 23 Grabmälern wird verlegt, die einstige Betondecke aufgeschnitten und der Halacha gemäss für alle Zeiten an der Grundstücksgrenze aufbewahrt, denn die Decke könnte mit den Überresten eines Toten in Verbindung gekommen sein. - Die Halacha zwingt den planenden Architekten Martin Kvasnica zu technischer Meisterschaft: Auf dem Friedhof durfte nicht gegraben werden, und so hat er, beginnend mit dem Zugangsweg über die nach oben offene Eingangshalle bis schliesslich zum unterirdischen Mausoleum, alle Bauteile auf bestehendes Erdreich legen müssen. Wahrlich nicht einfach in dem bisweilen feucht-frostigen Klima direkt am Donaustrom. Die Gestaltung musste stets mit dem Hauptsponsor, dem Internationalen Komitee von Geonai, einem in New York angesiedelten Verein zur Erhaltung jüdischer Grabsteine, abgesprochen werden. So musste ein eigener, durch eine Glaswand von den Grabsteinen getrennter Raum für die Priesterkaste der Kohanim geschaffen werden, die bekanntlich mit den Toten - Unreinem - nicht in Berührung kommen dürfen.

Die sehr abstrakte Raumgestaltung kommt sicher dem Gebot der Bildnislosigkeit entgegen. Lediglich das aus Stahldrähten geflochtene Eingangstor und das Lavavium sind etwas narrativ ausgefallen. Einige der Pilger üben Kritik, dass es sich hier um keine Grabstätte mehr handle, sondern um eine Inszenierung, ein Museum, ja gar um das Mahnmal für die ermordeten Juden der Slowakei. Das auf dem Nachbargrundstück in Planung befindliche turmartige Gebäude, das neben einer Mikwe (rituelles Bad) auch einen Informationsraum zur Geschichte des Ortes und der Pressburger Judengemeinde haben soll, deutet darauf hin. Zweifellos handelt es sich um einen zentralen Ort: Selbst von den vorbeiziehenden Touristendampfern aus kann man das direkt unter der Burg gelegene Mausoleum sehen.


«Deportationskosten»

Die Pressburger Gemeinde selbst hat tagtäglich mit der Vergangenheit und dem Überleben zu kämpfen. Da gilt es, ein Altersheim zu erhalten, eine rituelle Küche für die Gemeindemitglieder, und dann ist da eben noch die bauliche Erhaltung der Friedhöfe. Für das nach 1939 enteignete Vermögen, welches dem damaligen slowakischen Staat zufloss, zeichnet sich eine Entschädigungszahlung seitens der slowakischen Regierung von 20 Millionen Euro ab. Gegen die Bundesrepublik Deutschland läuft seit etwas mehr als einem Jahr eine Klage wegen Rückstellung der 1943 durch den faschistischen Staat an Berlin gezahlten Deportationskosten von 500 Reichsmark pro Person.

Nicht der heutige slowakische Staat klagt - er sieht sich nicht als Rechtsnachfolger des damals faschistischen -, sondern Fero Alexander, der Vorsitzende des Zentralverbands der jüdischen Gemeinden in der Slowakei, brachte die Klage ein. Schliesslich stammten die mehr als 17 Millionen Reichsmark, welche nach der Ermordung der Deportierten von den NS-Behörden kassiert wurden, aus dem beschlagnahmten Vermögen der Umgebrachten. Ein erstinstanzliches Urteil ist bereits erfolgt: Die Klage wird zurückgewiesen, denn der Zentralverband könne «kein Testament oder Erbvertrag» der Ermordeten vorlegen - als wären auf der Deportationsrampe derlei Verträge abgeschlossen worden. Mit dieser Begründung kann sich die Bundesrepublik wahrscheinlich jeder Verpflichtung entschlagen. Denn die Nachkommen der Umgekommenen werden bei Ansprüchen ebenso abgewiesen werden: Wie sollen sie nachweisen, dass die 500 Reichsmark genau vom beschlagnahmten Vermögen ihrer Verwandten gezahlt wurden? Im Januar kommenden Jahres wird es zur Berufungsverhandlung kommen. Die Aussichten auf Erfolg sind nicht sehr gross.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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