Bauwerk
Hausadaptierung Heubergsiedlung
studio urbanek - Wien (A) - 2021
Adolf Loos wird umgebaut – die Mustersiedlung am Wiener Heuberg
Wiens Siedlern auf der Spur: Auf dem Heuberg reihen sich kleine Häuser mit großen Nutzgärten aneinander, 17 Planer entwickelten 17 Haustypen. Eines dieser Häuser wurde nun ausgebaut.
17. Februar 2024 - Isabella Marboe
Die Geschichte der Siedlerbewegung ist eine von solidarischer Selbstermächtigung. Sie begann um 1918 mit einer illegalen Landnahme durch Zehntausende verzweifelte, verarmte, ausgestempelte, hungrige Menschen aller Klassen. Sie bauten ihr eigenes Gemüse an und errichteten sich „um alle Eigentumsrechte unbekümmert“ (Otto Bauer) provisorische Behausungen in sogenannten Bretteldörfern im Wald- und Wiesengürtel Wiens, aber auch auf Militärparadeplätzen, in Parks und Brachstätten der Stadt. In den 1920er-Jahren wurden sie von der Stadtregierung legalisiert und in die Verwaltung eingegliedert.
Adolf Loos leitete das städtische Siedlungsamt, er plante auch die Siedlung auf dem Heuberg. Minimierte Reihenhäuser in Schottenbauweise mit Nutzgarten zur Selbstversorgung, Loos parzellierte sie so, dass die Gärten 40 bis 50 Meter lang und gut besonnt waren, er zeichnete sogar die Beete ein. Siedler und Siedlerinnen leisteten 3000 Arbeitsstunden am Bau, die fertigen Häuser wurden verlost. 17 Architekten entwarfen auf dem Heuberg 17 Haustypen, auch Loos’ Mitarbeiterin Margarethe Schütte-Lihotzky plante zwei Häuser.
Loos realisierte dort acht Musterhäuser als „Haus mit einer Mauer“, das er 1921 patentieren ließ. Es fasst Feuer- und Außenmauer zweier benachbarter Häuser zur gemeinsamen tragenden Trennwand zusammen. Beider 5,5 Meter lange Deckenbalken konnten sie als Auflager nutzen, das sparte wertvolles Baumaterial.
Einst winzig wie eine Skihütte
Für heutige Verhältnisse sind die Häuser sehr klein, die großen Gärten, das merkbar kühlere Mikroklima und die günstigen Mieten machen sie resilient. Sie so umzubauen, dass auch die Nachkommen der Errichtergeneration gern darin wohnen, birgt großes Zukunftspotenzial. Die Mauern sind hellhörig, die Nachbarschaft kommt einander sehr nah. Soziale Verträglichkeit empfiehlt sich, auch das birgt Zukunftspotenzial.
Das Siedlerhaus der Bauherren wurde von Stadtbaumeister Hans Uvodich geplant. Es ist eines der Reihenhäuser in der Röntgengasse, nur 5,90 Meter breit, 7,10 Meter lang, mit kleinem Vorgarten, der Nutzgarten ist riesig. Der Eingang liegt fünf Stufen erhöht an der linken Trennmauer, wo eine gewendelte Treppe ins Obergeschoß führt. Zwei Zimmer und ein Kabinett, straßenseitig das größte mit 16 Quadratmetern, die kleineren zehn und sechs Quadratmeter groß. Im Erdgeschoß eine Wohnküche, dahinter der Stall für das Kleinvieh, die Spüle und der Abort, wichtig zur Düngerproduktion.
Der Urgroßvater der Bauherrin war einer der ersten Siedler der ersten Stunde, später erbte der Onkel das Haus. Er nutzte es vor allem am Wochenende, die einstige Spülküche wurde zum Bad und der Stall zur Küche, sonst änderte sich nicht viel. Später zogen die Bauherren ein, damals noch Studierende. Im Sommer ist es auf dem Heuberg wesentlich kühler und viel ruhiger als in der Stadt, die Bauherren hatten Hochbeete und Obstbäume im Garten. Doch das Haus war winzig und gedrückt wie eine Skihütte, an einen Umbau dachten sie schon lang, im Jahr 2018 begann Architektin Katharina Urbanek mit der Planung.
Geschichte des Hauses erhalten
Die Reihenhäuser auf dem Heuberg wurden von der Genossenschaft Gartensiedlung neu gedämmt, ihre Fassaden tragen nun einheitlich weißen Vollwärmeschutz und Isolierglas in grünen Rahmen. Sie fallen in die Schutzzone, an der Straße wurde nichts verändert; gartenseitig gestattet der Bebauungsplan noch einen 2,9 Meter breiten Grundstreifen über die gesamte Parzellenbreite. Immerhin. „Für mich war klar: Die Geschichte des Hauses sollte ablesbar bleiben“, sagt Katharina Urbanek.
Gleichermaßen archäologisch legte sie Schicht für Schicht frei. Die Holzbalken wurden von den abgehängten Decken befreit und sandgestrahlt, die 40 Zentimeter tiefen Hohlräume dazwischen lassen die Räume wesentlich luftiger und größer erscheinen. „Außerdem kann man Schaukeln aufhängen“, lacht der Bauherr. Oben in der Küche baumelt nun eine von der Decke, die Familie hat drei Kinder.
Katharina Urbanek drehte die Nutzungen um und höhlte den Bestand komplett aus. Von den ehemaligen Zwischenwänden gibt es keine mehr, die alte Treppe wurde durch eine sehr leichte, einläufige Stahlstiege ersetzt, innen minzefarben; eine Außenstiege gibt es auch, vanillegelb führt sie von der Wohnebene in den Garten, der nun besser zugänglich ist.
Fast schwebend über dem Garten
Der Putz der einstigen Außenmauer wurde abgeschlagen. In den rauen, alten, im ökonomischen Rattefallen-Verband – hochkant alternierend zwei parallele Läufer um einen Hohlraum, dann ein Binder – verlegten Ziegeln mit dem hervorquellenden Mörtel vermittelt sich viel Geschichte. Im Wohngeschoß blieben nur ein mittlerer und zwei schmale, seitliche Wandpfeiler stehen, der alte Betonkranz wurde von einem Stahlträger verstärkt.
Der Übergang zu Küche und Esstisch im gartenseitig verglasten Zubau, einer leichten Holzkonstruktion, ist fließend. Er macht sich die Erkerregelung zunutze und kragt um die noch zulässigen 80 Zentimeter über das Erdgeschoß hinaus. Das schafft ein loftartiges Raumgefühl; man hat den Eindruck, über dem Garten zu schweben. Die niedrigen Hauszeilen und großen Grünflächen der Siedlung ermöglichen es, den Blick weit über Wien schweifen zu lassen.
Neben der Treppe ist ein Luftraum eingeschnitten: Das erzeugt zusätzliche Offenheit, verstärkt die Verbindung zwischen oben und unten und verschafft dem Wohnraum eine kleine Galerie. Vom dortigen Arbeitsplatz hat man nun Treppe und Wohnen im Blick.
Räume lassen sich abtrennen oder verbinden
Im Erdgeschoß ist es Katharina Urbanek mit der sehr klugen Anordnung von Türen in der richtigen Aufschlagrichtung und einer Vorhangschiene im Elternschafzimmer gelungen, die familiäre Privatheit zu schützen, obwohl man dort das Haus betritt. Die Treppe zieht nach oben, eine vanillegelbe Wand, von der auch das WC zugänglich ist, flankiert unmissverständlich den Durchstich zum Garten. Die neue dortige Außenwand ist wie früher massiv: Kalksandsteinziegel, unverputzt.
Dank zweier Schwingtüren im Bad, das als Puffer zwischen Kinder- und Elternschlafzimmer liegt, lassen sich diese Räume jeweils für sich abtrennen oder miteinander verbinden. Ähnlich funktioniert der Vorhang, der sich in einer leichten Rundung um das Elternschlafzimmer schieben lässt. Ist er zu, schafft er einen weichen, intimen, uneinsichtigen Raum. Ist er offen, vergrößert sich das Schlafzimmer um die angrenzende Gangfläche. Sind auch die anderen Türen offen, können die Kinder rund um das WC und die verbleibende Trennwand im Kreis laufen.
Erstaunlich, wie viel Raum in einem Siedlerhaus steckt. Dafür muss aber die richtige Architektin auf die richtigen Bauherren treffen. Das passt zur Siedlerbewegung: Sie ist so stark wie die Menschen, die sie leben.
Adolf Loos leitete das städtische Siedlungsamt, er plante auch die Siedlung auf dem Heuberg. Minimierte Reihenhäuser in Schottenbauweise mit Nutzgarten zur Selbstversorgung, Loos parzellierte sie so, dass die Gärten 40 bis 50 Meter lang und gut besonnt waren, er zeichnete sogar die Beete ein. Siedler und Siedlerinnen leisteten 3000 Arbeitsstunden am Bau, die fertigen Häuser wurden verlost. 17 Architekten entwarfen auf dem Heuberg 17 Haustypen, auch Loos’ Mitarbeiterin Margarethe Schütte-Lihotzky plante zwei Häuser.
Loos realisierte dort acht Musterhäuser als „Haus mit einer Mauer“, das er 1921 patentieren ließ. Es fasst Feuer- und Außenmauer zweier benachbarter Häuser zur gemeinsamen tragenden Trennwand zusammen. Beider 5,5 Meter lange Deckenbalken konnten sie als Auflager nutzen, das sparte wertvolles Baumaterial.
Einst winzig wie eine Skihütte
Für heutige Verhältnisse sind die Häuser sehr klein, die großen Gärten, das merkbar kühlere Mikroklima und die günstigen Mieten machen sie resilient. Sie so umzubauen, dass auch die Nachkommen der Errichtergeneration gern darin wohnen, birgt großes Zukunftspotenzial. Die Mauern sind hellhörig, die Nachbarschaft kommt einander sehr nah. Soziale Verträglichkeit empfiehlt sich, auch das birgt Zukunftspotenzial.
Das Siedlerhaus der Bauherren wurde von Stadtbaumeister Hans Uvodich geplant. Es ist eines der Reihenhäuser in der Röntgengasse, nur 5,90 Meter breit, 7,10 Meter lang, mit kleinem Vorgarten, der Nutzgarten ist riesig. Der Eingang liegt fünf Stufen erhöht an der linken Trennmauer, wo eine gewendelte Treppe ins Obergeschoß führt. Zwei Zimmer und ein Kabinett, straßenseitig das größte mit 16 Quadratmetern, die kleineren zehn und sechs Quadratmeter groß. Im Erdgeschoß eine Wohnküche, dahinter der Stall für das Kleinvieh, die Spüle und der Abort, wichtig zur Düngerproduktion.
Der Urgroßvater der Bauherrin war einer der ersten Siedler der ersten Stunde, später erbte der Onkel das Haus. Er nutzte es vor allem am Wochenende, die einstige Spülküche wurde zum Bad und der Stall zur Küche, sonst änderte sich nicht viel. Später zogen die Bauherren ein, damals noch Studierende. Im Sommer ist es auf dem Heuberg wesentlich kühler und viel ruhiger als in der Stadt, die Bauherren hatten Hochbeete und Obstbäume im Garten. Doch das Haus war winzig und gedrückt wie eine Skihütte, an einen Umbau dachten sie schon lang, im Jahr 2018 begann Architektin Katharina Urbanek mit der Planung.
Geschichte des Hauses erhalten
Die Reihenhäuser auf dem Heuberg wurden von der Genossenschaft Gartensiedlung neu gedämmt, ihre Fassaden tragen nun einheitlich weißen Vollwärmeschutz und Isolierglas in grünen Rahmen. Sie fallen in die Schutzzone, an der Straße wurde nichts verändert; gartenseitig gestattet der Bebauungsplan noch einen 2,9 Meter breiten Grundstreifen über die gesamte Parzellenbreite. Immerhin. „Für mich war klar: Die Geschichte des Hauses sollte ablesbar bleiben“, sagt Katharina Urbanek.
Gleichermaßen archäologisch legte sie Schicht für Schicht frei. Die Holzbalken wurden von den abgehängten Decken befreit und sandgestrahlt, die 40 Zentimeter tiefen Hohlräume dazwischen lassen die Räume wesentlich luftiger und größer erscheinen. „Außerdem kann man Schaukeln aufhängen“, lacht der Bauherr. Oben in der Küche baumelt nun eine von der Decke, die Familie hat drei Kinder.
Katharina Urbanek drehte die Nutzungen um und höhlte den Bestand komplett aus. Von den ehemaligen Zwischenwänden gibt es keine mehr, die alte Treppe wurde durch eine sehr leichte, einläufige Stahlstiege ersetzt, innen minzefarben; eine Außenstiege gibt es auch, vanillegelb führt sie von der Wohnebene in den Garten, der nun besser zugänglich ist.
Fast schwebend über dem Garten
Der Putz der einstigen Außenmauer wurde abgeschlagen. In den rauen, alten, im ökonomischen Rattefallen-Verband – hochkant alternierend zwei parallele Läufer um einen Hohlraum, dann ein Binder – verlegten Ziegeln mit dem hervorquellenden Mörtel vermittelt sich viel Geschichte. Im Wohngeschoß blieben nur ein mittlerer und zwei schmale, seitliche Wandpfeiler stehen, der alte Betonkranz wurde von einem Stahlträger verstärkt.
Der Übergang zu Küche und Esstisch im gartenseitig verglasten Zubau, einer leichten Holzkonstruktion, ist fließend. Er macht sich die Erkerregelung zunutze und kragt um die noch zulässigen 80 Zentimeter über das Erdgeschoß hinaus. Das schafft ein loftartiges Raumgefühl; man hat den Eindruck, über dem Garten zu schweben. Die niedrigen Hauszeilen und großen Grünflächen der Siedlung ermöglichen es, den Blick weit über Wien schweifen zu lassen.
Neben der Treppe ist ein Luftraum eingeschnitten: Das erzeugt zusätzliche Offenheit, verstärkt die Verbindung zwischen oben und unten und verschafft dem Wohnraum eine kleine Galerie. Vom dortigen Arbeitsplatz hat man nun Treppe und Wohnen im Blick.
Räume lassen sich abtrennen oder verbinden
Im Erdgeschoß ist es Katharina Urbanek mit der sehr klugen Anordnung von Türen in der richtigen Aufschlagrichtung und einer Vorhangschiene im Elternschafzimmer gelungen, die familiäre Privatheit zu schützen, obwohl man dort das Haus betritt. Die Treppe zieht nach oben, eine vanillegelbe Wand, von der auch das WC zugänglich ist, flankiert unmissverständlich den Durchstich zum Garten. Die neue dortige Außenwand ist wie früher massiv: Kalksandsteinziegel, unverputzt.
Dank zweier Schwingtüren im Bad, das als Puffer zwischen Kinder- und Elternschlafzimmer liegt, lassen sich diese Räume jeweils für sich abtrennen oder miteinander verbinden. Ähnlich funktioniert der Vorhang, der sich in einer leichten Rundung um das Elternschlafzimmer schieben lässt. Ist er zu, schafft er einen weichen, intimen, uneinsichtigen Raum. Ist er offen, vergrößert sich das Schlafzimmer um die angrenzende Gangfläche. Sind auch die anderen Türen offen, können die Kinder rund um das WC und die verbleibende Trennwand im Kreis laufen.
Erstaunlich, wie viel Raum in einem Siedlerhaus steckt. Dafür muss aber die richtige Architektin auf die richtigen Bauherren treffen. Das passt zur Siedlerbewegung: Sie ist so stark wie die Menschen, die sie leben.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom