Bauwerk
Drauforum
Eva Rubin - Oberdrauburg (A) - 2023
Im oberen Drautal ist über dem Supermarkt Platz für Kultur
Im kärntnerischen Oberdrauburg wird Wert gelegt auf die Erhaltung von Baukultur: Das „Drauforum“ ist auf vielerlei Arten nutzbar – und sitzt im Obergeschoß des Nahversorgers.
10. Januar 2025 - Sigrid Verhovsek
Die günstige Lage im oberen Drautal führte in der kleinen Marktgemeinde Oberdrauburg zu einer frühen Besiedelung in Römer- und Keltenzeit, ein Burgenkranz auf den Berghängen zeigt die strategische Bedeutung im Mittelalter. Maut und Zoll waren bis ins 20. Jahrhundert wichtige Einkommensquellen. Aber der Ort an der Grenze zwischen Kärnten und Osttirol bekam auch die Schattenseiten des motorisierten Verkehrs zu spüren: Die durch Oberdrauburg führende Straße über den Plöckenpass nach Italien war bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts eine stark befahrene Route, die durch ihre Dominanz den Ortskern marginalisierte und beinahe entvölkerte. Zur bereits schwierigen Situation trugen Hochwasserkatastrophen 1965 und 1966 bei, die zu einer Verlegung des Flussbettes der Drau in gewissem Abstand zur Siedlung führten. Auch nach der Entlastung durch Tauern- und Karawankenautobahn 1978/79 blieb die Bundesstraße nach Lienz wichtige Verkehrsverbindung. Oberdrauburg schien sich seinem Schicksal als Durchzugsort zu ergeben. – Oder doch nicht?
Ortskernentwicklung: ein Marathon, kein Sprint
Auch heute noch ist der Ort mit etwa 1200 Einwohner:innen eine Abwanderungsgemeinde, aber der historische Ortskern wird als Lebensraum wahrnehmbar und füllt sich langsam wieder; etwa 350 Personen sind in den vergangenen 15 Jahren ins Zentrum zurückgekehrt. Zeugnis davon geben die durchwegs liebevoll restaurierten Häuser mit beeindruckend großen Wirtschaftsgebäuden, die jüngst ausgebaute moderne, barrierefreie Bahnstation und nicht zuletzt das Drauforum: Das 2023 fertiggestellte Kulturzentrum fügt sich perfekt in Ortsbild und -leben ein. Die Entstehungsgeschichte zeigt anschaulich, dass Baukultur keine Großtat eines Einzelnen ist, sondern nur als kontinuierlicher Prozess mit vielen Mitwirkenden gelingen kann.
2006 wollte ein ortsansässiger Nahversorger ausbauen. Dessen unbestrittene Relevanz musste durch die seelenlose Schachtel an einer prägnanten Ecke des historischen Ortskerns bezahlt werden. Aber die Oberdrauburger Gemeindevertreter knüpften an die Errichtung eines ansonsten banalen Flachbaus eine entscheidende Voraussetzung: Sie sicherten dem Ort das Dach-Aufbaurecht. Ein erster wichtiger und vorausblickender Schritt, jedoch ist Ortskernentwicklung ein Marathon, kein Sprint.
Österreichische Förderlandschaft ist kompliziert
2018 wurde gemeinsam mit dem Wiener Büro Share Architects ein Beteiligungsprozess gestartet, bei dem es um die Fragen der öffentlichen Infrastruktur und des privaten Leerstandsmanagements im Ortskern ging. Ein Bedürfnis wurde dabei offensichtlich: Vereine, Verbände, Schulen und Privatpersonen suchten nach einem Ort für Veranstaltungen, vorzugsweise in fußläufiger Verbindung zu Kindergarten, Schule und Kirche. Eine Machbarkeitsstudie ergab folgende Ausgangssituation: Der neue Kultursaal sollte auf dem Dach des Nahversorgers und anstelle des ersten Obergeschoßes des angrenzenden Bestandsgebäudes errichtet und das danebenliegende denkmalgeschützte „Umfahrer-Haus“ ebenfalls renoviert werden.
Die erste Kostenschätzung brachte Ernüchterung, aber die gemeinsam im Ort entwickelte und von den Verantwortlichen verfolgte Vision war stark genug, um zu bestehen. Dank intensiver Beratung und Begleitung durch das im Land Kärnten zuständige Team für kommunale Bauvorhaben und Baukultur konnte im Vorfeld sichergestellt werden, dass durch innovativen Förderungsmix und Bedarfszuweisungen keine zusätzlichen, die Gemeindekasse belastenden Kredite notwendig waren. Ein nicht ganz einfacher Weg, denn die österreichische Förderlandschaft ist extrem kompliziert: Verschiedene Töpfe sind auf unterschiedliche Gremien aufgeteilt und unterliegen je nach Interessenslage anderen Voraussetzungen.
Zusammenarbeit von acht Gemeinden
Hilfestellung seitens der jeweiligen Organisation wird im Anlassfall zwar gegeben, aber kann nur im Rahmen des eigenen Wirkungskreises erfolgen. Was und wie im Bausektor gerade gefördert wird, betrifft nicht immer Energiekonzept, Gestaltung oder Materialwahl, Entscheidungen im eigenen Machtbereich also: Eine der wichtigsten Voraussetzungen in diesem Fall war die regionale Zusammenarbeit von acht Gemeinden unterschiedlicher Couleurs um Oberdrauburg, die sich aber alle auf diesen Veranstaltungsort einigen konnten und das Projekt bis heute mittragen.
Obwohl die baulichen Rahmenbedingungen also genau definiert schienen, wurden sechs Architekturbüros zu einem Wettbewerb geladen, um wirklich alle Möglichkeiten auszuloten. Ähnlich wie andere Entwürfe schließt das Siegerprojekt des Architekturbüros Eva Rubin in Zusammenarbeit mit Florian Anzenberger mit einer durchgezogenen Straßenfront das „offene Eck“ über dem Flachdach des Supermarktes unaufdringlich, aber bestimmt – eine klare städtebauliche Entscheidung. Dass gerade dieses Projekt den Bewerb für sich entschied, ist unter anderem der neu gedachten Eingangssituation zu verdanken.
Die Berge werden in den Raum eingeladen
Durch den stimmungsvollen Durchgang des unter den wachsamen Augen des BDA mustergültig renovierten Umfahrer-Hauses betritt man einen offenen ruhigen Innenhof mit vier Vogelbeerbäumen. Von hier gelangt man zum lichtdurchfluteten Foyer und Stiegenhaus, das durch großzügige Verglasungen die Lienzer Dolomiten und den Hausberg Hochstadel gleichsam in den Raum einlädt. Das ist keine Notlösung, sondern eine sensible Inszenierung des Ankommens, die Drinnen und Draußen, Alt und Neu entspannt verknüpft und eben ein weiteres Gebäude sinnvoll integriert.
Der Innenraum des Kultursaales im Obergeschoß ist kraftvoll, dennoch bleibt die Architektursprache fein. Die fünf großen, auffallenden Ziegelgitter-Fenster an der Hauptfront zur Straße verbinden das Bauwerk symbolisch mit dem historischen Ortskern, wo noch einige Gebäude diese traditionelle Fenster- bzw. Lüftungsgestaltung aufweisen. Im Inneren spielen sie mit der Südsonne und erzeugen zarte Lichtspiele. Die dazwischenliegenden, jeweils paarweise angeordneten Stahlseile bilden auffallende Akzente. Die imposante Struktur dieses offenen Daches bot gemeinsam mit dem Aufbau des Saals über dem Nahversorger bzw. über dem Erdgeschoß des Nachbarhauses und der Unterbringung der Lüftungstechnik im Dachboden des Umfahrer-Hauses auch statisch einige Herausforderungen.
Über und in den drei miteinander verwobenen Gebäuden ist nun ein außergewöhnliches multifunktionales Kultur-, Informations- und Tourismuszentrum entstanden. Der Nahversorger behält seine wichtige Funktion, tritt aber optisch zurück. Die fortgesetzten Bemühungen der Gemeinde um die Erhaltung der Baukultur in ihrem Ortskern, das von den politisch Verantwortlichen getragene, mutige Beharren auf einer Vision und das nun so eindeutig gerechtfertigte Vertrauen in externe Professionist:innen zeigen sich auch in Auszeichnungen wie dem Kärntner Landesbaupreis, dem Holzbaupreis Kärnten und zuletzt dem Bauherrenpreis 2024.
Ortskernentwicklung: ein Marathon, kein Sprint
Auch heute noch ist der Ort mit etwa 1200 Einwohner:innen eine Abwanderungsgemeinde, aber der historische Ortskern wird als Lebensraum wahrnehmbar und füllt sich langsam wieder; etwa 350 Personen sind in den vergangenen 15 Jahren ins Zentrum zurückgekehrt. Zeugnis davon geben die durchwegs liebevoll restaurierten Häuser mit beeindruckend großen Wirtschaftsgebäuden, die jüngst ausgebaute moderne, barrierefreie Bahnstation und nicht zuletzt das Drauforum: Das 2023 fertiggestellte Kulturzentrum fügt sich perfekt in Ortsbild und -leben ein. Die Entstehungsgeschichte zeigt anschaulich, dass Baukultur keine Großtat eines Einzelnen ist, sondern nur als kontinuierlicher Prozess mit vielen Mitwirkenden gelingen kann.
2006 wollte ein ortsansässiger Nahversorger ausbauen. Dessen unbestrittene Relevanz musste durch die seelenlose Schachtel an einer prägnanten Ecke des historischen Ortskerns bezahlt werden. Aber die Oberdrauburger Gemeindevertreter knüpften an die Errichtung eines ansonsten banalen Flachbaus eine entscheidende Voraussetzung: Sie sicherten dem Ort das Dach-Aufbaurecht. Ein erster wichtiger und vorausblickender Schritt, jedoch ist Ortskernentwicklung ein Marathon, kein Sprint.
Österreichische Förderlandschaft ist kompliziert
2018 wurde gemeinsam mit dem Wiener Büro Share Architects ein Beteiligungsprozess gestartet, bei dem es um die Fragen der öffentlichen Infrastruktur und des privaten Leerstandsmanagements im Ortskern ging. Ein Bedürfnis wurde dabei offensichtlich: Vereine, Verbände, Schulen und Privatpersonen suchten nach einem Ort für Veranstaltungen, vorzugsweise in fußläufiger Verbindung zu Kindergarten, Schule und Kirche. Eine Machbarkeitsstudie ergab folgende Ausgangssituation: Der neue Kultursaal sollte auf dem Dach des Nahversorgers und anstelle des ersten Obergeschoßes des angrenzenden Bestandsgebäudes errichtet und das danebenliegende denkmalgeschützte „Umfahrer-Haus“ ebenfalls renoviert werden.
Die erste Kostenschätzung brachte Ernüchterung, aber die gemeinsam im Ort entwickelte und von den Verantwortlichen verfolgte Vision war stark genug, um zu bestehen. Dank intensiver Beratung und Begleitung durch das im Land Kärnten zuständige Team für kommunale Bauvorhaben und Baukultur konnte im Vorfeld sichergestellt werden, dass durch innovativen Förderungsmix und Bedarfszuweisungen keine zusätzlichen, die Gemeindekasse belastenden Kredite notwendig waren. Ein nicht ganz einfacher Weg, denn die österreichische Förderlandschaft ist extrem kompliziert: Verschiedene Töpfe sind auf unterschiedliche Gremien aufgeteilt und unterliegen je nach Interessenslage anderen Voraussetzungen.
Zusammenarbeit von acht Gemeinden
Hilfestellung seitens der jeweiligen Organisation wird im Anlassfall zwar gegeben, aber kann nur im Rahmen des eigenen Wirkungskreises erfolgen. Was und wie im Bausektor gerade gefördert wird, betrifft nicht immer Energiekonzept, Gestaltung oder Materialwahl, Entscheidungen im eigenen Machtbereich also: Eine der wichtigsten Voraussetzungen in diesem Fall war die regionale Zusammenarbeit von acht Gemeinden unterschiedlicher Couleurs um Oberdrauburg, die sich aber alle auf diesen Veranstaltungsort einigen konnten und das Projekt bis heute mittragen.
Obwohl die baulichen Rahmenbedingungen also genau definiert schienen, wurden sechs Architekturbüros zu einem Wettbewerb geladen, um wirklich alle Möglichkeiten auszuloten. Ähnlich wie andere Entwürfe schließt das Siegerprojekt des Architekturbüros Eva Rubin in Zusammenarbeit mit Florian Anzenberger mit einer durchgezogenen Straßenfront das „offene Eck“ über dem Flachdach des Supermarktes unaufdringlich, aber bestimmt – eine klare städtebauliche Entscheidung. Dass gerade dieses Projekt den Bewerb für sich entschied, ist unter anderem der neu gedachten Eingangssituation zu verdanken.
Die Berge werden in den Raum eingeladen
Durch den stimmungsvollen Durchgang des unter den wachsamen Augen des BDA mustergültig renovierten Umfahrer-Hauses betritt man einen offenen ruhigen Innenhof mit vier Vogelbeerbäumen. Von hier gelangt man zum lichtdurchfluteten Foyer und Stiegenhaus, das durch großzügige Verglasungen die Lienzer Dolomiten und den Hausberg Hochstadel gleichsam in den Raum einlädt. Das ist keine Notlösung, sondern eine sensible Inszenierung des Ankommens, die Drinnen und Draußen, Alt und Neu entspannt verknüpft und eben ein weiteres Gebäude sinnvoll integriert.
Der Innenraum des Kultursaales im Obergeschoß ist kraftvoll, dennoch bleibt die Architektursprache fein. Die fünf großen, auffallenden Ziegelgitter-Fenster an der Hauptfront zur Straße verbinden das Bauwerk symbolisch mit dem historischen Ortskern, wo noch einige Gebäude diese traditionelle Fenster- bzw. Lüftungsgestaltung aufweisen. Im Inneren spielen sie mit der Südsonne und erzeugen zarte Lichtspiele. Die dazwischenliegenden, jeweils paarweise angeordneten Stahlseile bilden auffallende Akzente. Die imposante Struktur dieses offenen Daches bot gemeinsam mit dem Aufbau des Saals über dem Nahversorger bzw. über dem Erdgeschoß des Nachbarhauses und der Unterbringung der Lüftungstechnik im Dachboden des Umfahrer-Hauses auch statisch einige Herausforderungen.
Über und in den drei miteinander verwobenen Gebäuden ist nun ein außergewöhnliches multifunktionales Kultur-, Informations- und Tourismuszentrum entstanden. Der Nahversorger behält seine wichtige Funktion, tritt aber optisch zurück. Die fortgesetzten Bemühungen der Gemeinde um die Erhaltung der Baukultur in ihrem Ortskern, das von den politisch Verantwortlichen getragene, mutige Beharren auf einer Vision und das nun so eindeutig gerechtfertigte Vertrauen in externe Professionist:innen zeigen sich auch in Auszeichnungen wie dem Kärntner Landesbaupreis, dem Holzbaupreis Kärnten und zuletzt dem Bauherrenpreis 2024.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom
Akteure
ArchitekturBauherrschaft
Tragwerksplanung
Fotografie
wettbewerb
Das Projekt ist aus dem Verfahren Drauforum Oberdrauburg hervorgegangen1. Rang, Gewinner
Eva Rubin
1. Nachrücker auf Preise
OKAI Architekt DI Stefan Thalmann
1. Runde
SHARE architects DI3 ZT GmbH
1. Runde
bauraum architekten
1. Runde
1. Runde
Peter Jungmann