Bauwerk
Q4 Wohnen im Rheintal
querschnitt - Wolfurt (A) - 2021
Wohnen mit leichtem Gepäck in Vorarlberg
Bodenversiegelung ist ein Problem. In Wolfurt hat man es mit Fundamenten gelöst, die wieder abgebaut werden können. Inmitten von Streuobstwiesen entstand so eine temporäre Wohnanlage.
13. April 2023 - Isabella Marboe
Die Idee ist toll: Wohnraum schaffen, ohne den Boden dauerhaft zu versiegeln und ihn der nächsten Generation zu erhalten, am besten aus wiederverwertbaren Baustoffen. Bauherr Gerd Arnold und Simone Burtscher vom Büro Querschnitt Architekten setzten sie beim Projekt „Q4: wiR wohnen im Rheintal mit der Landschaft“ um. Das untere Rheintal zählt zu den dynamischsten, innovativsten Regionen Europas, über 320.000 Menschen leben in 42 Gemeinden. Verkehrsinfrastruktur, Preisniveau, Siedlungsdichte und Nutzungsdruck auf Grünraum und Freizeiteinrichtungen steigen ständig. Viele große Unternehmen sind hier angesiedelt, in einer Werkstatt in Wolfurt begann der Siegeszug von Doppelmayr um die Welt.
Der Ort wuchs zum unüberschaubaren Siedlungskonglomerat an. Rund um die einst bäuerlichen, großen Rheintalhäuser und Wiesen breiten sich Einfamilienhäuser, Wohnbauten und Industrie immer weiter aus. „Es gibt einen großen Siedlungsdruck auf die kommunalen Randzonen“, sagt Architektin Simone Burtscher. „Das Rheintal ist immer noch von landwirtschaftlichen Strukturen geprägt, viele besitzen zentrumsnahe Grundstücke, die vor Jahrzehnten als Bauland gewidmet, aber nie bebaut wurden.“ Man behält sie einfach, ihr Wert steigt mit derselben Sicherheit, wie sich die Orte ausdehnen. 11,5 bis 13 Hektar Land werden in Österreich pro Tag versiegelt, das sind zwischen 16 und 20 Fußballfelder.
Auch Gerd Arnold, Geschäftsführer der Trockenbaufirma Raumwerk, und sein Bruder Egon Arnold besitzen eine baulandgewidmete, große Streuobstwiese in Wolfurt. Ihr Vater hatte hier eine Landwirtschaft, die Lage an der Brühlerstraße, die mitten durch den Ort führt, ist günstig. In der Nähe gibt es eine Bushaltestelle, der Bahnhof ist fußläufig erreichbar. Aber: Im ländlich geprägten Ortsteil Rickenbach fehlt ein Nahversorger. „Ich bekam sehr gute Angebote für das Grundstück“, sagt Arnold. „Ich wollte es nicht verkaufen, nicht versiegeln und trotzdem wirtschaftlich nutzen.“ Konventionelle Wohnbauten mit einem Bauträger und Tiefgarage kamen für ihn nicht infrage.
Die Streuobstwiese sollte für künftige Generation bewahrt werden, Arnold dachte an Tiny Houses oder Container, möglichst unkompliziert, etwa 20 Stück. Er zog Simone Burtscher zurate. Sie plädierte dafür, den Bestand mit der Hofeinfahrt, den Parkplätzen an der Straße, einem Schuppen für Gerätschaften, Gemüsebeeten und dem großen Nussbaum in das Konzept einzubeziehen. „Man kann doch so ein Rheintalhaus weder schleifen noch brachliegen lassen.“ Sie sah sich den Grund an. An der begrenzenden Stickerstraße im Norden betreibt ein Bauer im Nebenerwerb eine Landwirtschaft; seine Kühe weiden im Frühjahr auf besagter Streuobstwiese, auch im Süden und Westen gibt es noch Felder. Der Teil des Grundstücks mit der Landwirtschaft ist als Misch-, die anschließende Wiese als Wohngebiet gewidmet. Sie musste unbedingt frei bleiben. 2018 fand ein Workshop mit Roland Wück, einem Landschaftsplaner der Wiener Boku, statt. Er lehrte das Lesen der Kulturlandschaft: In den Mulden an den Grundstücksrändern zeichneten sich ehemalige Entwässerungsgräben ab, auch die von Ost nach West verlaufenden Reihen, in denen früher die Obstbäume standen, sind noch erkennbar. Streuobstwiesen sind am Schwinden, keiner der verbliebenen Bäume sollte gefällt werden; einer musste dran glauben, alle anderen überlebten die Baustelle. „Der Kerngedanke war, dass sich die vorgefertigten Einheiten leicht per Lkw transportieren lassen“, sagt Burtscher. So sind sie bei Bedarf leicht auf einem anderen Streifenfundament auf einer anderen Wiese zur inneren Verdichtung zu parken. Das Konzept kam bei der Gemeinde gut an, im Juli 2019 war die Baueingabe, Ende 2020 zogen die ersten, Anfang 2021 die letzten Mieter:innen ein, seither einige wieder aus. Gewohnt wird in zweigeschoßigen Holzboxen, die über eine offene Stiege miteinander verbunden sind. Je zwei Quader, 4,60 Meter breit, 15 Meter lang, 6,50 Meter hoch, mit je zwei Wohnungen, machen vier: „Q4: wiR wohnen im Rheintal mit der Landschaft.“ Drei an der Sticklergasse im Norden, zwei grenzen an die Wiese im Süden, dazwischen ein breiter Grünstreifen. Jede Box ist seitlich bis auf zwei Fensterschlitze beim Bad geschlossen, an den Breitseiten raumhoch verglast, der südseitige Wohnraum dehnt sich auf die 2,5 Meter tiefe Loggia aus.
Ohne Auto geht hier gar nichts
Die Zimmerei Oasys aus Alberschwende baute die vorgefertigten Holzelemente in einer holzwollegedämmten Pfosten-Riegel-Konstruktion, sie standen in kurzer Zeit, die Holzfenster stammen aus dem Bregenzerwald: regionale Wertschöpfung. Die Boxen halten locker 40 Jahre und sind extrem kompakt: Man betritt sie gegenüber dem Installationskern mit Waschmaschine, Dusche, Toilette, eingangsseitig eine Garderobe, südseitig die einzeilige Küche. Der Bauherr fertigte das Trockenbauelement selbst. Es teilt die Einheit in eine Wohnküche von etwa 20 Quadratmetern mit zehn Quadratmeter Loggia und ein etwas größeres Zimmer. Je zwei können für Familien oder zum Arbeiten und Wohnen zusammengeschlossen werden. Das tat kaum jemand.
Viele Loggien sind sehr vollgestellt, eine Familie okkupierte die Wiese vor ihrer Einheit mit Griller und Gartenmobiliar. Vielleicht zu wenig Stauraum? Architektin und Bauherr verneinen, jeder hätte einen Spind vor der Tür, ein Kellerabteil und den Fahrradraum im Altbau, der schon lange Baustelle ist. Der Bauherr saniert ihn, künftig soll man auch im Bestand wohnen können. Dort befindet sich auch die Pelletheizung der Anlage, die man sich autofrei wünschte. Doch ohne Auto geht hier gar nichts, der Parkplatz ist voll.
An der Grenze zur Streuobstwiese steht ein Hochbeet, erste Setzlinge recken ihre Blätter der noch schwachen Sonne entgegen. „Das Hochbeet ist eines meiner Projekte, das verwende zu 90 Prozent ich“, sagt Ramona Brunner lachend. Sie lebt mit ihrer Partnerin Melanie Dobler im Erdgeschoß, die beiden kommen mit ihren knapp 50 Quadratmetern gut aus, einzig die Küche ist etwas klein. „Es ist schön, da zu wohnen, die Lage ist mega.“ Die Miete wurde kürzlich auf 810 Euro pro Monat angehoben, dazu kommen zehn Prozent USt. und 110 Euro Betriebskosten. Zu zweit ginge das noch, für Singles und Familien sei es sehr viel.
„Aus finanziellen Gründen tut man das nicht, reich wird man so nicht“, sagt Gerd Arnold. Die Nachfrage ist hoch, auch die Optionswohnung für die Gäste aller ist fix vergeben. Die Mieter:innen sind 20 bis 60 Jahre alt, meist Singles oder Pärchen, Kinder gibt es kaum, für Auszubildende und Lehrlinge ist es zu teuer; aber gerade sie brauchen dringend kleine Wohnungen.
Der Ort wuchs zum unüberschaubaren Siedlungskonglomerat an. Rund um die einst bäuerlichen, großen Rheintalhäuser und Wiesen breiten sich Einfamilienhäuser, Wohnbauten und Industrie immer weiter aus. „Es gibt einen großen Siedlungsdruck auf die kommunalen Randzonen“, sagt Architektin Simone Burtscher. „Das Rheintal ist immer noch von landwirtschaftlichen Strukturen geprägt, viele besitzen zentrumsnahe Grundstücke, die vor Jahrzehnten als Bauland gewidmet, aber nie bebaut wurden.“ Man behält sie einfach, ihr Wert steigt mit derselben Sicherheit, wie sich die Orte ausdehnen. 11,5 bis 13 Hektar Land werden in Österreich pro Tag versiegelt, das sind zwischen 16 und 20 Fußballfelder.
Auch Gerd Arnold, Geschäftsführer der Trockenbaufirma Raumwerk, und sein Bruder Egon Arnold besitzen eine baulandgewidmete, große Streuobstwiese in Wolfurt. Ihr Vater hatte hier eine Landwirtschaft, die Lage an der Brühlerstraße, die mitten durch den Ort führt, ist günstig. In der Nähe gibt es eine Bushaltestelle, der Bahnhof ist fußläufig erreichbar. Aber: Im ländlich geprägten Ortsteil Rickenbach fehlt ein Nahversorger. „Ich bekam sehr gute Angebote für das Grundstück“, sagt Arnold. „Ich wollte es nicht verkaufen, nicht versiegeln und trotzdem wirtschaftlich nutzen.“ Konventionelle Wohnbauten mit einem Bauträger und Tiefgarage kamen für ihn nicht infrage.
Die Streuobstwiese sollte für künftige Generation bewahrt werden, Arnold dachte an Tiny Houses oder Container, möglichst unkompliziert, etwa 20 Stück. Er zog Simone Burtscher zurate. Sie plädierte dafür, den Bestand mit der Hofeinfahrt, den Parkplätzen an der Straße, einem Schuppen für Gerätschaften, Gemüsebeeten und dem großen Nussbaum in das Konzept einzubeziehen. „Man kann doch so ein Rheintalhaus weder schleifen noch brachliegen lassen.“ Sie sah sich den Grund an. An der begrenzenden Stickerstraße im Norden betreibt ein Bauer im Nebenerwerb eine Landwirtschaft; seine Kühe weiden im Frühjahr auf besagter Streuobstwiese, auch im Süden und Westen gibt es noch Felder. Der Teil des Grundstücks mit der Landwirtschaft ist als Misch-, die anschließende Wiese als Wohngebiet gewidmet. Sie musste unbedingt frei bleiben. 2018 fand ein Workshop mit Roland Wück, einem Landschaftsplaner der Wiener Boku, statt. Er lehrte das Lesen der Kulturlandschaft: In den Mulden an den Grundstücksrändern zeichneten sich ehemalige Entwässerungsgräben ab, auch die von Ost nach West verlaufenden Reihen, in denen früher die Obstbäume standen, sind noch erkennbar. Streuobstwiesen sind am Schwinden, keiner der verbliebenen Bäume sollte gefällt werden; einer musste dran glauben, alle anderen überlebten die Baustelle. „Der Kerngedanke war, dass sich die vorgefertigten Einheiten leicht per Lkw transportieren lassen“, sagt Burtscher. So sind sie bei Bedarf leicht auf einem anderen Streifenfundament auf einer anderen Wiese zur inneren Verdichtung zu parken. Das Konzept kam bei der Gemeinde gut an, im Juli 2019 war die Baueingabe, Ende 2020 zogen die ersten, Anfang 2021 die letzten Mieter:innen ein, seither einige wieder aus. Gewohnt wird in zweigeschoßigen Holzboxen, die über eine offene Stiege miteinander verbunden sind. Je zwei Quader, 4,60 Meter breit, 15 Meter lang, 6,50 Meter hoch, mit je zwei Wohnungen, machen vier: „Q4: wiR wohnen im Rheintal mit der Landschaft.“ Drei an der Sticklergasse im Norden, zwei grenzen an die Wiese im Süden, dazwischen ein breiter Grünstreifen. Jede Box ist seitlich bis auf zwei Fensterschlitze beim Bad geschlossen, an den Breitseiten raumhoch verglast, der südseitige Wohnraum dehnt sich auf die 2,5 Meter tiefe Loggia aus.
Ohne Auto geht hier gar nichts
Die Zimmerei Oasys aus Alberschwende baute die vorgefertigten Holzelemente in einer holzwollegedämmten Pfosten-Riegel-Konstruktion, sie standen in kurzer Zeit, die Holzfenster stammen aus dem Bregenzerwald: regionale Wertschöpfung. Die Boxen halten locker 40 Jahre und sind extrem kompakt: Man betritt sie gegenüber dem Installationskern mit Waschmaschine, Dusche, Toilette, eingangsseitig eine Garderobe, südseitig die einzeilige Küche. Der Bauherr fertigte das Trockenbauelement selbst. Es teilt die Einheit in eine Wohnküche von etwa 20 Quadratmetern mit zehn Quadratmeter Loggia und ein etwas größeres Zimmer. Je zwei können für Familien oder zum Arbeiten und Wohnen zusammengeschlossen werden. Das tat kaum jemand.
Viele Loggien sind sehr vollgestellt, eine Familie okkupierte die Wiese vor ihrer Einheit mit Griller und Gartenmobiliar. Vielleicht zu wenig Stauraum? Architektin und Bauherr verneinen, jeder hätte einen Spind vor der Tür, ein Kellerabteil und den Fahrradraum im Altbau, der schon lange Baustelle ist. Der Bauherr saniert ihn, künftig soll man auch im Bestand wohnen können. Dort befindet sich auch die Pelletheizung der Anlage, die man sich autofrei wünschte. Doch ohne Auto geht hier gar nichts, der Parkplatz ist voll.
An der Grenze zur Streuobstwiese steht ein Hochbeet, erste Setzlinge recken ihre Blätter der noch schwachen Sonne entgegen. „Das Hochbeet ist eines meiner Projekte, das verwende zu 90 Prozent ich“, sagt Ramona Brunner lachend. Sie lebt mit ihrer Partnerin Melanie Dobler im Erdgeschoß, die beiden kommen mit ihren knapp 50 Quadratmetern gut aus, einzig die Küche ist etwas klein. „Es ist schön, da zu wohnen, die Lage ist mega.“ Die Miete wurde kürzlich auf 810 Euro pro Monat angehoben, dazu kommen zehn Prozent USt. und 110 Euro Betriebskosten. Zu zweit ginge das noch, für Singles und Familien sei es sehr viel.
„Aus finanziellen Gründen tut man das nicht, reich wird man so nicht“, sagt Gerd Arnold. Die Nachfrage ist hoch, auch die Optionswohnung für die Gäste aller ist fix vergeben. Die Mieter:innen sind 20 bis 60 Jahre alt, meist Singles oder Pärchen, Kinder gibt es kaum, für Auszubildende und Lehrlinge ist es zu teuer; aber gerade sie brauchen dringend kleine Wohnungen.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom