Bauwerk
American Folk Art Museum
Billie Tsien, Todd Williams - New York (USA)
Markstein in Manhattan
Das American Folk Art Museum von Williams & Tsien
Wie eine Insel steht zurzeit der Neubau des American Folk Art Museum inmitten der Grossbaustelle für die Erweiterung des Museum of Modern Art in New York. Das Gebäude des in Manhattan tätigen Architektenduos Tod Williams & Billie Tsien zählt zu den Marksteinen einer neuen US-Baukultur nach Jahren der Stagnation.
14. November 2002 - Hubertus Adam
Bauzäune und Kräne bestimmen die Nordseite der West 53rd Street zwischen der Fifth Avenue und der Avenue of the Americas. Inmitten der Baugruben für Yoshio Taniguchis Erweiterung des Museum of Modern Art erhebt sich ein Gebäude, das sich mit seinen sechs Geschossen und einer Fassadenbreite von zwölf Metern im Häusermeer von midtown Manhattan - Eero Saarinens in den Himmel schiessendes Hochhaus Black Rock aus dem Jahr 1965 befindet sich schräg gegenüber - wie eine Miniatur ausnimmt. Doch trotz den bescheidenen Dimensionen wirkt das Gebäude selbstbewusst, fast monumental, wozu vor allem die Fassade beiträgt. Sie besteht aus 63 unterschiedlich breiten, aus der Weissbronze-Legierung Tombasil hergestellten Tafeln, die sich zu drei polygonalen, zur Mitte hin leicht nach innen geneigten Grossformen zusammensetzen - eine Geste, welche die orthogonale Anordnung der Metallplatten überspielt. Ein schmaler vertikaler Schlitz inmitten der Front und zwei seitliche deuten auf das Innenleben hinter der opaken Front. Indem die Geschosseinteilung sich aber vor den Augen der Passanten verbirgt, wirkt das Gebäude massstabslos und monolithisch.
Rückkehr der Expressivität
Die expressive Gestaltung der Volumina ist eine Tendenz, welcher in den letzten Jahren eine Reihe von Architekten in New York gefolgt sind; man setzt sich von der zur Renditearchitektur verkommenen Spätestmoderne ebenso ab wie vom postmodernen Investoren-Art-déco, welches den Wolkenkratzern der achtziger Jahre die Wiedererkennbarkeit im Stadtbild garantieren sollte. Beispiele für den jüngsten Trend sind Raimund Abrahams Austrian Cultural Forum, aber auch der schmale Tower, den Christian de Portzamparc für LVMH errichtete. Entfernt erinnert die facettierte Fassade an der 53. Strasse denn auch an Portzamparcs Turm (und an dessen Erweiterung des Tuschinski-Theaters in Amsterdam), aber hinsichtlich der Materialwahl und der Oberflächenreize beschreitet sie neue Wege, indem das aseptische Hightech-Finish zugunsten einer sinnlichen und lebendigen Struktur suspendiert ist. Dem Tombasil wurde in der Giesserei eine unebene Oberfläche verliehen, deren Schründe und Verletzungen sich nun an der Fassade abzeichnen. Während Bronze sonst hochglanzpoliert wird, wirkt sie hier beinahe wie erstarrte Lava; der Schein des Handwerklichen siegt über die Idee industrieller Vollendung.
Der bewusste Verzicht auf Perfektion entspricht der Zweckbestimmung des Gebäudes, welches das American Folk Art Museum (AFAM) beherbergt. Während vier Dekaden waren die umfangreichen Sammlungen, die sich hauptsächlich auf Werke der amerikanischen Volkskunst zwischen 1776 und 1875 konzentrieren, unzulänglich und meist auch unzugänglich untergebracht. Mit der Namensänderung (früher hiess die Institution Museum of American Folk Art) verlässt das AFAM seit längerem die nationale Perspektive und spürt dem Phänomen der «self-taught artists» in Form von Sonderausstellungen auch ausserhalb des amerikanischen Kontinents nach. Einen bedeutenden Zuwachs erhielt die Kollektion des Museums unlängst durch die Schenkung der wohl bedeutendsten privaten Sammlung amerikanischer Volkskunst, jener von Ralph Esmerian, der über lange Jahre als Präsident und jetzt als Chairman des Board of Trustees wirkte.
Sinnlichkeit des Materials
Entstanden ist der Bau an der West 53rd Street nach Plänen des New Yorker Architekturbüros Tod Williams & Billie Tsien. Williams, der nach seinem Studienabschluss von 1967 in Princeton bei Richard Meier arbeitete, gründete 1986 mit Tsien ein eigenes Büro. Dieses zählt zu den wenigen in den USA, welche abseits rein kommerzieller Aufgaben erfolgreich sind. Durchaus in der Tradition der Moderne wurzelnd, pflegen Williams & Tsien keinen asketischen Reduktionismus, sondern interessieren sich für die Sinnlichkeit des Materials. Neben Privathäusern sind in den Jahren gemeinsamen Schaffens eine Reihe von Universitäts- und Institutsbauten entstanden, zuletzt das Neurosciences Institute im kalifornischen La Jolla (1996) und das Students Art Center der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore.
Das Innere des neuen Museums ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich auch unter beengten Verhältnissen ein vielgestaltiges und faszinierendes Raumerlebnis schaffen lässt, welches überdies den funktionalen Anforderungen eines Museumsbetriebs genügt. Nach dem «Guggenheim-Prinzip» fährt man mit dem Lift zunächst hinauf in das sechste Geschoss, um sich dann über die verschiedenen Ebenen hinabzubewegen. Auch hier gibt es einen zentralen Lichtschacht, der von Ausstellungsflächen umgeben ist. Die Geschosseinteilung indes bleibt gewahrt - drei verschiedene Treppensysteme erlauben Rund-, Um- und Rückwege nach Belieben. Durch das Glasdach strömt das Licht hinunter bis zu der Freitreppe aus Beton, welche über den Luftraum hinweg die dritte und vierte Ebene verbindet und somit eine optische Zäsur des bis in das Erdgeschoss sich verzweigenden Lichtschachts bildet. Rings um den Schacht sind die Ausstellungsräume angeordnet, die vom Szenographen Ralph Appelbaum mit Gespür für die Qualitäten der Architektur eingerichtet wurden. Stahlgerüste und Trennwände fungieren als kräftige Strukturen, welche den zumeist kleinformatigen Kunstwerken den notwendigen Rückhalt verleihen und dennoch immer wieder Ausblicke ermöglichen: hinunter in den Lichtschacht, hinaus auf Saarinens «Black Rock» und das Tishman Building.
Die Lichtschlitze in den Ecken des Gebäudes lassen Seitenlicht als zweite natürliche Lichtquelle in den Raum, vor allem überspielen sie die Begrenzungen des Volumens. Zum grosszügigen Eindruck trägt daneben auch der Verzicht auf Unterteilungen zwischen Ausstellungs- und Erschliessungsbereichen bei. Stahl, Glas, Holz und der wie Terrazzo wirkende Beton finden zu einem faszinierenden Stelldichein: Bald fühlt man sich an die Raumbildungen des frühen Frank Lloyd Wright erinnert, bald an die Betonpraxis eines Louis I. Kahn oder Paul Rudolph. Lastendes und Leichtes sind auf wundersame Weise ins Gleichgewicht gebracht, und wenn ein New Yorker Kritiker anlässlich der Eröffnung behauptete, seit Philip Johnsons AT&T-Building sei kein Bau dieser Bedeutung in New York entstanden, so ist dem rundweg zuzustimmen. Wahrscheinlich wird das AFAM das Juwel inmitten von Taniguchis architektonisch eher zweitrangiger MoMA-Erweiterung bleiben. Trotz verschiedentlichen Versuchen des grossen Nachbarn, dem kleinen, etwas anarchischen Museum ein anderes Grundstück anzubieten, beharrte man auf dem Bauplatz. Welches Glück.
Rückkehr der Expressivität
Die expressive Gestaltung der Volumina ist eine Tendenz, welcher in den letzten Jahren eine Reihe von Architekten in New York gefolgt sind; man setzt sich von der zur Renditearchitektur verkommenen Spätestmoderne ebenso ab wie vom postmodernen Investoren-Art-déco, welches den Wolkenkratzern der achtziger Jahre die Wiedererkennbarkeit im Stadtbild garantieren sollte. Beispiele für den jüngsten Trend sind Raimund Abrahams Austrian Cultural Forum, aber auch der schmale Tower, den Christian de Portzamparc für LVMH errichtete. Entfernt erinnert die facettierte Fassade an der 53. Strasse denn auch an Portzamparcs Turm (und an dessen Erweiterung des Tuschinski-Theaters in Amsterdam), aber hinsichtlich der Materialwahl und der Oberflächenreize beschreitet sie neue Wege, indem das aseptische Hightech-Finish zugunsten einer sinnlichen und lebendigen Struktur suspendiert ist. Dem Tombasil wurde in der Giesserei eine unebene Oberfläche verliehen, deren Schründe und Verletzungen sich nun an der Fassade abzeichnen. Während Bronze sonst hochglanzpoliert wird, wirkt sie hier beinahe wie erstarrte Lava; der Schein des Handwerklichen siegt über die Idee industrieller Vollendung.
Der bewusste Verzicht auf Perfektion entspricht der Zweckbestimmung des Gebäudes, welches das American Folk Art Museum (AFAM) beherbergt. Während vier Dekaden waren die umfangreichen Sammlungen, die sich hauptsächlich auf Werke der amerikanischen Volkskunst zwischen 1776 und 1875 konzentrieren, unzulänglich und meist auch unzugänglich untergebracht. Mit der Namensänderung (früher hiess die Institution Museum of American Folk Art) verlässt das AFAM seit längerem die nationale Perspektive und spürt dem Phänomen der «self-taught artists» in Form von Sonderausstellungen auch ausserhalb des amerikanischen Kontinents nach. Einen bedeutenden Zuwachs erhielt die Kollektion des Museums unlängst durch die Schenkung der wohl bedeutendsten privaten Sammlung amerikanischer Volkskunst, jener von Ralph Esmerian, der über lange Jahre als Präsident und jetzt als Chairman des Board of Trustees wirkte.
Sinnlichkeit des Materials
Entstanden ist der Bau an der West 53rd Street nach Plänen des New Yorker Architekturbüros Tod Williams & Billie Tsien. Williams, der nach seinem Studienabschluss von 1967 in Princeton bei Richard Meier arbeitete, gründete 1986 mit Tsien ein eigenes Büro. Dieses zählt zu den wenigen in den USA, welche abseits rein kommerzieller Aufgaben erfolgreich sind. Durchaus in der Tradition der Moderne wurzelnd, pflegen Williams & Tsien keinen asketischen Reduktionismus, sondern interessieren sich für die Sinnlichkeit des Materials. Neben Privathäusern sind in den Jahren gemeinsamen Schaffens eine Reihe von Universitäts- und Institutsbauten entstanden, zuletzt das Neurosciences Institute im kalifornischen La Jolla (1996) und das Students Art Center der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore.
Das Innere des neuen Museums ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich auch unter beengten Verhältnissen ein vielgestaltiges und faszinierendes Raumerlebnis schaffen lässt, welches überdies den funktionalen Anforderungen eines Museumsbetriebs genügt. Nach dem «Guggenheim-Prinzip» fährt man mit dem Lift zunächst hinauf in das sechste Geschoss, um sich dann über die verschiedenen Ebenen hinabzubewegen. Auch hier gibt es einen zentralen Lichtschacht, der von Ausstellungsflächen umgeben ist. Die Geschosseinteilung indes bleibt gewahrt - drei verschiedene Treppensysteme erlauben Rund-, Um- und Rückwege nach Belieben. Durch das Glasdach strömt das Licht hinunter bis zu der Freitreppe aus Beton, welche über den Luftraum hinweg die dritte und vierte Ebene verbindet und somit eine optische Zäsur des bis in das Erdgeschoss sich verzweigenden Lichtschachts bildet. Rings um den Schacht sind die Ausstellungsräume angeordnet, die vom Szenographen Ralph Appelbaum mit Gespür für die Qualitäten der Architektur eingerichtet wurden. Stahlgerüste und Trennwände fungieren als kräftige Strukturen, welche den zumeist kleinformatigen Kunstwerken den notwendigen Rückhalt verleihen und dennoch immer wieder Ausblicke ermöglichen: hinunter in den Lichtschacht, hinaus auf Saarinens «Black Rock» und das Tishman Building.
Die Lichtschlitze in den Ecken des Gebäudes lassen Seitenlicht als zweite natürliche Lichtquelle in den Raum, vor allem überspielen sie die Begrenzungen des Volumens. Zum grosszügigen Eindruck trägt daneben auch der Verzicht auf Unterteilungen zwischen Ausstellungs- und Erschliessungsbereichen bei. Stahl, Glas, Holz und der wie Terrazzo wirkende Beton finden zu einem faszinierenden Stelldichein: Bald fühlt man sich an die Raumbildungen des frühen Frank Lloyd Wright erinnert, bald an die Betonpraxis eines Louis I. Kahn oder Paul Rudolph. Lastendes und Leichtes sind auf wundersame Weise ins Gleichgewicht gebracht, und wenn ein New Yorker Kritiker anlässlich der Eröffnung behauptete, seit Philip Johnsons AT&T-Building sei kein Bau dieser Bedeutung in New York entstanden, so ist dem rundweg zuzustimmen. Wahrscheinlich wird das AFAM das Juwel inmitten von Taniguchis architektonisch eher zweitrangiger MoMA-Erweiterung bleiben. Trotz verschiedentlichen Versuchen des grossen Nachbarn, dem kleinen, etwas anarchischen Museum ein anderes Grundstück anzubieten, beharrte man auf dem Bauplatz. Welches Glück.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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