Bauwerk
Milwaukee Art Museum - Quadracci Pavilion
Santiago Calatrava - Milwaukee (USA) - 2002
Stählerne Flügelschläge am Lake Michigan
Calatravas Erweiterung des Milwaukee Art Museum
Seit jüngstem wartet auch Milwaukee mit einem Wahrzeichen eines prominenten Architekten auf: Der Trend zu spektakulären Museumsbauten in den USA findet durch Santiago Calatrava am Lake Michigan seine Fortsetzung. Entstanden ist ein spektakuläres Zeichen, das hinsichtlich seiner Nutzung indes nur bedingt überzeugt.
1. November 2002 - Hubertus Adam
Verglichen mit der Hektik und Betriebsamkeit Chicagos wirkt Milwaukee, in knapp zweistündiger Fahrt zu erreichen, fast schon beschaulich. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts liessen sich hier vor allem deutsche Einwanderer nieder. Und so ist es auch kein Wunder, dass das Milwaukee Art Museum mit einer ansehnlichen Sammlung deutscher Kunst aufwarten kann, darunter Naturalisten und Expressionisten, aber auch der industriellen Tradition Entsprechendes: gemütvolle Wirtshausszenen und überdimensionale Steingutkrüge, die - mit Jugendstildekorationen versehen - um 1900 von der Mettlacher Firma Villeroy & Boch speziell für den amerikanischen Markt hergestellt wurden.
Von der Kunstkiste zum Wahrzeichen
Das Museum, das seine Kunstsammlung durch grosse Schenkungen in den vergangenen Jahrzehnten eindrucksvoll erweitern konnte, entstand als Zusammenschluss zweier ursprünglich selbständiger Institutionen - der auf die akademische Tradition des 19. Jahrhundert spezialisierten, 1888 gegründeten Layton Art Gallery sowie des Milwaukee Art Institute, das aus einer lokalen Künstlervereinigung hervorging und vornehmlich durch Ausstellungen Bedeutung erlangte: Ein Jahr nach der «Armory Show» gab hier 1914 «The Modern Spirit» einen Überblick über die neuste Kunstentwicklung in Europa, und 1933 wurde die von Henry-Russel Hitchcock und Philip Johnson kuratierte Schau «Modern Architecture: International Exhibition» vom MoMA aus New York übernommen.
Die Voraussetzung für die Fusion von Sammlung und Ausstellungsinstitut ergab sich im Rahmen der während des Zweiten Weltkriegs lancierten Kampagne für «Living War Memorials». Erinnerungsstätten für die Gefallenen sollten mit kulturellen Organisationen verzahnt werden. Der finnische Architekt Eliel Saarinen, der in den zwanziger Jahren für die Realisierung des Cranbrook Campus bei Detroit in die USA übersiedelt war, erhielt 1944 den Auftrag für die Planung des in der Verlängerung der East Mason Street am Ufer des Lake Michigan zu errichtenden Neubaus, doch verzögerte sich die Realisierung bis zum Tod des Architekten 1955. Ausgeführt wurde die vierseitig auskragende, um einen Innenhof gruppierte und über einem Sockelgeschoss aufgestelzte Betonstruktur daher in den folgenden Jahren von Saarinens Sohn Eero.
Die ständig wachsende Sammlung erzwang indes schon bald eine Vergrösserung der Ausstellungsfläche: 1975 ergänzte der ortsansässige Architekt David Kahler das Museum um einen Erweiterungsbau, welcher sich seeseitig dem Sockel Saarinens vorlagert. Nach knapp zwei weiteren Dekaden stand eine neuerliche Erweiterung zur Debatte. Allerdings hatte sich inzwischen das Konzept geändert: Nicht mehr eine dienende Raumhülle für die Kunst war Ziel der Initiatoren, sondern ein spektakuläres Architekturobjekt, das die Raumbedürfnisse befriedigen, aber selbst auch eine Attraktion darstellen sollte. Es ging also zusätzlich um Standortmarketing für eine Stadt von 1,5 Millionen Einwohnern. Glaubt man den Verantwortlichen, hat das 100-Millionen-Dollar- Projekt seinen Zweck erfüllt; zufrieden spricht der Direktor von der Museumserweiterung als einer «urban landmark» und einem Symbol der Vitalität und Zukunftsorientierung von Milwaukee.
Von den 70 international bekannten Architekten, die zur Präqualifikation eingeladen worden waren, erhielt schliesslich Santiago Calatrava den Zuschlag und konnte sich damit unter anderem gegen Frank O. Gehry, Thom Mayne, Norman Foster, Arata Isozaki und Fumihiko Maki durchsetzen. Mit seinen rund 15 000 Quadratmetern Nutzfläche dient der neue «Quadracci Pavilion» nur zum kleinen Teil für die Präsentation von Kunstwerken: Ziel war es vielmehr, sämtliche Zusatzfunktionen wie Kasse, Museumsshop, Auditorium und Restaurant aus dem Komplex von Saarinen und Kahler auszulagern. Dadurch verkehrt sich die Wahrnehmung des Museums: Mit der Anordnung des Eingangs in der Achse der einen Block südlich der East Mason Street gelegenen Wisconsin Avenue, der historischen Hauptstrasse von Downtown Milwaukee, schafft Calatrava eine städtebaulich sinnvolle Einbindung, rückt aber den bestehenden Museumsbau, der nun allein vom Inneren des neuen Pavillons aus erschlossen wird, beinahe ins Abseits. Diese Tendenz wird noch verstärkt durch das mit dem Grau des in die Jahre gekommenen Betons kontrastierende strahlende Weiss des Calatrava-Ensembles - und durch die spektakuläre formale Gestalt, die sämtliche Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Der Grundriss des Erweiterungsbaus erinnert an eine Kirche mit drei Konchen: Ein dreischiffiges Langhaus schliesst südlich an den Kahler-Bau an, das Querhaus - über eine elegante, an Kabeln von einem schräg in den Himmel ragenden Mast abgehängte Brücke mit der Stadt verbunden - birgt den Eingang sowie ein saalartiges Foyer. Dieses kragt nicht nur mit einem parabelförmigen verglasten Vorbau Richtung See aus, sondern wird überdies von einer kühnen Dachkonstruktion überfangen, die zwischen dem Zugring aus Stahlbeton und einem parallel zum Brückenmast aufragenden zweiten Mast aufgespannt ist. Eine aufwendige Brise-Soleil-Struktur, welche lediglich dazu dient, das Foyer bei Bedarf zu verschatten, ist zum eigentlichen Wahrzeichen des Museums geworden: Ein «Gefieder» aus 72 Stahlrohren unterschiedlicher Länge beidseitig des Mastes lässt sich über das Glasdach senken oder ähnlich den gigantischen Schwingen eines über dem See aufsteigenden Vogels emporklappen, so dass die beiden vordersten Rohre eine Horizontale bilden. Calatrava versucht, die kinetische Plastik der sechziger Jahre in biomorphen Formen neu zu interpretieren und in die Architektur zu übertragen - ein Gedanke, der schon seiner «Shadow Machine» im Garten des MoMA 1992 sowie dem zeitgleichen kuwaitischen Pavillon auf der Expo in Sevilla zugrunde lag.
Maritime Allusionen mit organischer Metaphorik verbindend, hat Calatrava zweifellos jenes Wahrzeichen realisiert, das sich die Organisatoren vor Ort wünschten. Auch städtebaulich weist das Projekt Qualitäten auf - indem es die vielbefahrene Uferstrasse überbrückt und damit zur Anbindung des höher gelegenen Stadtzentrums an den Lake Michigan beiträgt. Verbunden mit dem Bau des Museums ist eine Neugestaltung der Uferbereiche; auf dem bis unter die Brücke reichenden Vorplatz konnte der Landschaftsarchitekt Dan Kiley eine grosse Installation realisieren.
Eindrucksvolle Architekturplastik
Gewiss mag sich Calatravas Architekturplastik vor der Kulisse von Milwaukee eindrucksvoll ausnehmen - funktional indes überzeugt sie nur bedingt. So ist das seeseitig unter dem Foyer gelegene Café-Restaurant nur über einen umständlich geführten Zugangsweg zu erreichen. Und das dreischiffige «Langhaus» des Quadracci Pavilion wird seiner räumlichen Wirkung beraubt, indem das grosszügige Mittelschiff sich in eine Abfolge aus Auditorium, Museumsshop und Sonderausstellungssaal unterteilt. Als Verbindung zwischen dem Foyer und den Ausstellungsbereichen im Altbau fungieren somit die durch das Stakkato aus weissen Stahlbetonrippen rhythmisierten Seitenschiffe, wobei das östliche ebenfalls für Sonderausstellungen Verwendung findet. Gerade die Anbindung aber bleibt unvermittelt: Hinter einer Tür steht man plötzlich in der orthogonalen Raumstruktur des Altbaus. Somit offenbart sich auch Calatravas erster Grossbau in den USA als ein architektonisches Event; die Nutzfunktion ist als nachgeordnet einzustufen.
Von der Kunstkiste zum Wahrzeichen
Das Museum, das seine Kunstsammlung durch grosse Schenkungen in den vergangenen Jahrzehnten eindrucksvoll erweitern konnte, entstand als Zusammenschluss zweier ursprünglich selbständiger Institutionen - der auf die akademische Tradition des 19. Jahrhundert spezialisierten, 1888 gegründeten Layton Art Gallery sowie des Milwaukee Art Institute, das aus einer lokalen Künstlervereinigung hervorging und vornehmlich durch Ausstellungen Bedeutung erlangte: Ein Jahr nach der «Armory Show» gab hier 1914 «The Modern Spirit» einen Überblick über die neuste Kunstentwicklung in Europa, und 1933 wurde die von Henry-Russel Hitchcock und Philip Johnson kuratierte Schau «Modern Architecture: International Exhibition» vom MoMA aus New York übernommen.
Die Voraussetzung für die Fusion von Sammlung und Ausstellungsinstitut ergab sich im Rahmen der während des Zweiten Weltkriegs lancierten Kampagne für «Living War Memorials». Erinnerungsstätten für die Gefallenen sollten mit kulturellen Organisationen verzahnt werden. Der finnische Architekt Eliel Saarinen, der in den zwanziger Jahren für die Realisierung des Cranbrook Campus bei Detroit in die USA übersiedelt war, erhielt 1944 den Auftrag für die Planung des in der Verlängerung der East Mason Street am Ufer des Lake Michigan zu errichtenden Neubaus, doch verzögerte sich die Realisierung bis zum Tod des Architekten 1955. Ausgeführt wurde die vierseitig auskragende, um einen Innenhof gruppierte und über einem Sockelgeschoss aufgestelzte Betonstruktur daher in den folgenden Jahren von Saarinens Sohn Eero.
Die ständig wachsende Sammlung erzwang indes schon bald eine Vergrösserung der Ausstellungsfläche: 1975 ergänzte der ortsansässige Architekt David Kahler das Museum um einen Erweiterungsbau, welcher sich seeseitig dem Sockel Saarinens vorlagert. Nach knapp zwei weiteren Dekaden stand eine neuerliche Erweiterung zur Debatte. Allerdings hatte sich inzwischen das Konzept geändert: Nicht mehr eine dienende Raumhülle für die Kunst war Ziel der Initiatoren, sondern ein spektakuläres Architekturobjekt, das die Raumbedürfnisse befriedigen, aber selbst auch eine Attraktion darstellen sollte. Es ging also zusätzlich um Standortmarketing für eine Stadt von 1,5 Millionen Einwohnern. Glaubt man den Verantwortlichen, hat das 100-Millionen-Dollar- Projekt seinen Zweck erfüllt; zufrieden spricht der Direktor von der Museumserweiterung als einer «urban landmark» und einem Symbol der Vitalität und Zukunftsorientierung von Milwaukee.
Von den 70 international bekannten Architekten, die zur Präqualifikation eingeladen worden waren, erhielt schliesslich Santiago Calatrava den Zuschlag und konnte sich damit unter anderem gegen Frank O. Gehry, Thom Mayne, Norman Foster, Arata Isozaki und Fumihiko Maki durchsetzen. Mit seinen rund 15 000 Quadratmetern Nutzfläche dient der neue «Quadracci Pavilion» nur zum kleinen Teil für die Präsentation von Kunstwerken: Ziel war es vielmehr, sämtliche Zusatzfunktionen wie Kasse, Museumsshop, Auditorium und Restaurant aus dem Komplex von Saarinen und Kahler auszulagern. Dadurch verkehrt sich die Wahrnehmung des Museums: Mit der Anordnung des Eingangs in der Achse der einen Block südlich der East Mason Street gelegenen Wisconsin Avenue, der historischen Hauptstrasse von Downtown Milwaukee, schafft Calatrava eine städtebaulich sinnvolle Einbindung, rückt aber den bestehenden Museumsbau, der nun allein vom Inneren des neuen Pavillons aus erschlossen wird, beinahe ins Abseits. Diese Tendenz wird noch verstärkt durch das mit dem Grau des in die Jahre gekommenen Betons kontrastierende strahlende Weiss des Calatrava-Ensembles - und durch die spektakuläre formale Gestalt, die sämtliche Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Der Grundriss des Erweiterungsbaus erinnert an eine Kirche mit drei Konchen: Ein dreischiffiges Langhaus schliesst südlich an den Kahler-Bau an, das Querhaus - über eine elegante, an Kabeln von einem schräg in den Himmel ragenden Mast abgehängte Brücke mit der Stadt verbunden - birgt den Eingang sowie ein saalartiges Foyer. Dieses kragt nicht nur mit einem parabelförmigen verglasten Vorbau Richtung See aus, sondern wird überdies von einer kühnen Dachkonstruktion überfangen, die zwischen dem Zugring aus Stahlbeton und einem parallel zum Brückenmast aufragenden zweiten Mast aufgespannt ist. Eine aufwendige Brise-Soleil-Struktur, welche lediglich dazu dient, das Foyer bei Bedarf zu verschatten, ist zum eigentlichen Wahrzeichen des Museums geworden: Ein «Gefieder» aus 72 Stahlrohren unterschiedlicher Länge beidseitig des Mastes lässt sich über das Glasdach senken oder ähnlich den gigantischen Schwingen eines über dem See aufsteigenden Vogels emporklappen, so dass die beiden vordersten Rohre eine Horizontale bilden. Calatrava versucht, die kinetische Plastik der sechziger Jahre in biomorphen Formen neu zu interpretieren und in die Architektur zu übertragen - ein Gedanke, der schon seiner «Shadow Machine» im Garten des MoMA 1992 sowie dem zeitgleichen kuwaitischen Pavillon auf der Expo in Sevilla zugrunde lag.
Maritime Allusionen mit organischer Metaphorik verbindend, hat Calatrava zweifellos jenes Wahrzeichen realisiert, das sich die Organisatoren vor Ort wünschten. Auch städtebaulich weist das Projekt Qualitäten auf - indem es die vielbefahrene Uferstrasse überbrückt und damit zur Anbindung des höher gelegenen Stadtzentrums an den Lake Michigan beiträgt. Verbunden mit dem Bau des Museums ist eine Neugestaltung der Uferbereiche; auf dem bis unter die Brücke reichenden Vorplatz konnte der Landschaftsarchitekt Dan Kiley eine grosse Installation realisieren.
Eindrucksvolle Architekturplastik
Gewiss mag sich Calatravas Architekturplastik vor der Kulisse von Milwaukee eindrucksvoll ausnehmen - funktional indes überzeugt sie nur bedingt. So ist das seeseitig unter dem Foyer gelegene Café-Restaurant nur über einen umständlich geführten Zugangsweg zu erreichen. Und das dreischiffige «Langhaus» des Quadracci Pavilion wird seiner räumlichen Wirkung beraubt, indem das grosszügige Mittelschiff sich in eine Abfolge aus Auditorium, Museumsshop und Sonderausstellungssaal unterteilt. Als Verbindung zwischen dem Foyer und den Ausstellungsbereichen im Altbau fungieren somit die durch das Stakkato aus weissen Stahlbetonrippen rhythmisierten Seitenschiffe, wobei das östliche ebenfalls für Sonderausstellungen Verwendung findet. Gerade die Anbindung aber bleibt unvermittelt: Hinter einer Tür steht man plötzlich in der orthogonalen Raumstruktur des Altbaus. Somit offenbart sich auch Calatravas erster Grossbau in den USA als ein architektonisches Event; die Nutzfunktion ist als nachgeordnet einzustufen.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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