Bauwerk

Amtsgebäude
Franz Riepl - Salzburg (A) - 2000

Wohnbare Wildbachbezähmung

Amtsgebäude rahmen die Amtsführung, fundieren politischen Überbau. Wo noch keine hochkarätigen Vorbilder den Weg zum nächsten öffentlichen Bau ebnen, müssen zentral geschärfte Standards Ausgangspunkt der Planung sein: etwa Franz Riepls Salz-burger Zweitrakter.

12. Oktober 2002 - Walter Chramosta
Widersprüchliche Bilder zur bundesbaulichen Verfaßtheit der Bürokratie sind an der Tagesordnung. Ein Frühsommertag in der Steiermark: rauschende Eröffnung einer baukünstlerisch reich bestückten Bezirkshauptmannschaft, die Frau Landeshauptmann beschwört die Architektur als Symbolträgerin ei- ner zeitgemäßen Verwaltung, die Kritiker des Entwurfs mögen sich endlich vom Bau überzeugen lassen, der Bezirkshauptmann ist stolz auf die ver-wirklichte Modernität; intensive und für die Anwesenden ganz selbstverständliche Architekturpräsenz. - Ein Frühherbsttag in Niederösterreich: wahlkämpferische Eröffnung eines baukünstlerisch mangels Substanz belanglosen Gendarmeriepostens, der Innenminister beschwört den Beamten auf der Straße statt im Büro als Garant der öffentlichen Ordnung, die Kritiker der Reform mögen sich vom Endeffekt überzeugen lassen, der Postenkommandant ist stolz auf die trotz Reibungswärme absehbaren Synergieeffekte der Postenzusammenlegung; intensive und für die Anwesenden ganz selbstverständliche Architekturabsenz.

Dürfen Neubauten für Organe der Bundesverwaltung ihren Reformwillen einmal durch kulturelle Aufgeschlossenheit und mutige Vorbildwirkung, ein andermal durch kulturelle Angepaßtheit und ängstliches Versteckspiel manifestieren? Kann es von einer nachgeordneten Dienststelle abhängen, ob ein Biedermeier-Tarnschlössel vom Zweck ablenkt oder ein allzeit bereiter „Sicherheitsapparat“ auftritt? Die Frage des Minimums an architektonischer Aussage für ein Amtsgebäude ist die eigentlich produktive. Das Licht einer Glanzleistung, wie der erwähnten Bezirkshauptmannschaft Murau, fällt nicht automatisch auf jeden weiteren Bau; Regeln für die lichtlosen Zonen tun not. Die Stärke einer Bürokratie ist Routine; die Architekturszene gehe ihr endlich an die Hand, Routinen guten Bauens für kleine Aufgaben zu finden.

Beispiele für respektable Stan- dardbauten des Bundes sind rar; vielmehr verdichtet sich der Eindruck, daß alle schon in der letzten Legislaturperiode ausverhandelten und fast beschlossenen Vorsätze für eine institutionell untermauerte Architekturdoktrin der Republik den reißenden Wildbach der Null-defiziteuphorie hinuntergegangen sind. Stereotype Sparsamkeit ist großen Teilen der Bundesbauadministration noch immer ein wohnbarer Ort, legitimiert durch fragwürdige Kriterien von Funktionalität, Wirtschaftlichkeit und Angemessenheit. Politische Ansagen zur Architektur fehlen noch immer!

Die peinliche Beispielslücke an kleinen Realisierungen zwischen wenigen abgefeierten Prädikatsbauten und der massigen Alltagsbanalität kann ein 2000 fertiggestellter Komplex in der Stadt Salzburg eindrücklich füllen. Franz Riepl, renommierter Münchner Architekt oberösterreichischer Herkunft und emeritierter Architekturprofessor an der TU Graz, hat westlich des Hauptbahnhofs ein präzises, wie immer stilles, als Grundsatzstimulator spannendes Ensemble errichtet. Riepl ist es gelungen, in einem städtebaulich heiklen Umfeld aus zwei- bis dreigeschoßigen Einzel- und Reihenhäusern eine im öffentlichen Interesse stehende Doppelnutzung - Bundesamt, sozialer Wohnbau - so zu organisieren, daß man sie prototypisch nennen kann.

Am Mayburger-Kai, der Salzach zugewandt, stehen nun drei Häuser mit je sechs Geschoßwohnungen in Reihe, dahinter eine „Villa“ mit zwei Wohneinheiten und als Paralleltrakt zum Kai und als Abschluß des Mietergartens über der mittigen Tiefgarage das Amtsgebäude der Sektion Salzburg des Forsttechnischen Dienstes für Wildbach- und Lawinenverbauung an der Bergheimer Straße. Bemerkenswert ist die homogene und elegante Erscheinung der Anlage nach innen und außen, die von Passanten respektierend kommentiert wird.

Sie wurzelt einerseits im gegen Anrainer und mit dem Gestaltungsbeirat über eineinhalb Jahrzehnte errungenen Doppeltrakter, der Wohnen richtig an Hof und Fluß, Amtsportal und Garageneinfahrt dagegen an die Quartierseite bringt. Andererseits bleibt Riepl seinen Markenzeichen treu: schlank und klug ausgelegten Details, der Massivbauweise, bewährten Grundrißtypologien. Er hält sich im Gestalterischen zurück, erreicht in der Variationen über wenige architektonische Elemente und Ideen einen klaren architektonischen Ausdruck. Getragen von einigen Materialien und Konstruktionen, wie weißem Putz, hier leider auf leichter Dämmung, verzinkten Geländern und Kragleuchten, ausladenden Pultdächern, gleichförmig gesetzten und dimensionierten Fenstern, erweist sich seine Architektur als „Nicht-Design“, als eine jetzt schon über Jahrzehnte „unmodische“, aber aktuelle
Ableitung der Moderne, als im Ansatz kritisch-regionale und doch verallgemeinerbare Position. Riepls architektonisches Credo, nach dem das Alte am besten im Neuen aufgehoben ist, verbindet nutzwertsteigernd regionale Baueinsichten und -praktiken mit neuen Techniken. Seine Werke sind daher sehr alterungsbeständig, in jeder Hinsicht.

Wohn- und Verwaltungsbau unterscheiden sich nicht im Großen und Ganzen, sondern im Detail: bei der Anordnung der Fenster im Gewände, bei den Balkonen, beim Sonnenschutz. Zwei architektonische Grammatiken, zwei Adressaten, zwei Nutzer, aber ein Projekt: Gemeinsam von einem Bauträger errichtet, sind Republik und Bundesbedienstete nebeneinander Mieter. Ausnahmsweise gerät die privatisierte Trägerschaft dem Amtshaus nicht zum Nachteil. Es ist in seinen feinen Unterschieden zum Wohnbau prägnant genug, in Relation zum salzburgisch-konservativen Umfeld sowieso herausstechend. Riepl versteht es hier neuerlich, den „ewigen“ Anforderungen an Architektur so unspektakulär, so umfänglich zu genügen, daß sich sowohl Gewißheit über den Sinn des Werks als auch ein Hochmaß an „Anonymität“ einstellen kann.

Riepls sozial gesonnene Geschoßwohnbauten sind immer beste Stadtbildner, seine Land- und Gastwirtschaften sind leistungsfähige Dorfgeneratoren. Amtshäuser wie dieses könnten öffentliche Räume definieren, die räumlichen Rechte der Öffentlichkeit auch unter dem Druck privater Interessen sicherstellen. Ob irgendein Eröffnungsredner, ob der Bauherr das Potenzial dieser Architektur erkannt hat, Standards öffentlichen Bauens über den Einzelfall hinaus zu begründen, darf bezweifelt werden.

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