Bauwerk

Weißenhofsiedlung
Hans Scharoun, Bruno Taut, Josef Frank, Ludwig Mies van der Rohe, Hans Poelzig, Adolf Gustav Schneck, Adolf Rading, Jacobus Johannes Pieter Oud, Mart Stam, Ludwig Hilberseimer, Richard Döcker, Peter Behrens, Victor Bourgeois, Walter Gropius, Max Taut, Le Corbusier - Stuttgart (D) - 1927
Weißenhofsiedlung, Foto: Klaus Frahm / ARTUR IMAGES
Weißenhofsiedlung, Foto: Klaus Frahm / ARTUR IMAGES

Das „Araberdorf“ der Moderne

Ausstellungen zur Weissenhofsiedlung in Stuttgart

Vor 75 Jahren wurde in Stuttgart im Rahmen der Werkbund-Ausstellung «Die Wohnung» die Weissenhofsiedlung eröffnet. Siebzehn Architekten aus fünf europäischen Ländern errichteten eine der herausragendsten Mustersiedlungen der Moderne. Ihr widmet die Städtische Galerie Stuttgart zwei umfangreiche Jubiläumsausstellungen.

13. August 2002 - Timo John
Die wichtigsten Architekten des 20. Jahrhunderts stellten 1927 im Rahmen der Werkbund- Ausstellung «Die Wohnung» und unter Leitung von Ludwig Mies van der Rohe ihre Vorschläge für modernes Bauen und zukünftiges Wohnen der Öffentlichkeit vor. Dazu wurden oberhalb des Stuttgarter Talkessels am Killesberg in nur fünf Monaten insgesamt 21 Ein- und Mehrfamilienhäuser mit 63 Wohnungen von bedeutenden Architekten wie Mies van der Rohe, Jacobus Johannes Pieter Oud, Le Corbusier und Pierre Jeanneret, Walter Gropius, Ludwig Hilberseimer, Bruno Taut, Hans Poelzig, Max Taut, Josef Frank, Mart Stam, Peter Behrens und Hans Scharoun errichtet. Diese einmalige Demonstration der Moderne beeinflusste das Bauen weltweit. Auch 75 Jahre nach ihrer Errichtung haben die Musterhäuser nichts von ihrer Modernität eingebüsst. Das Konzept der Weissenhofsiedlung unterschied sich von den meisten anderen Wohnbauprojekten der Zeit durch die gezielte Förderung experimenteller Konstruktionsverfahren und moderner Baumaterialien. Erklärtes Ziel war es, mit der Vielfalt von Haustypen den unterschiedlichen Bedürfnissen der Bewohner gerecht zu werden. Parallel dazu folgte eine breite Diskussion über gesellschaftspolitische, ökonomische und ästhetische Probleme des Wohnungsbaus.

Nach einer zehnjährigen Welttournee durch 21 Städte kehrt die 1992 in Stuttgart vom Institut für Auslandbeziehungen konzipierte Ausstellung über die Weissenhofsiedlung im Jubiläumsjahr zu ihrem letzten Auftritt an ihren Entstehungsort zurück. In der Städtischen Galerie Stuttgart ist die mit Plänen, Zeichnungen und Modellen aufwartende Schau noch um zahlreiche Originalmöbel aus der Zeit ergänzt worden. Gleichzeitig wird die Weissenhofsiedlung erstmals auch digital durch ein von der Stadt Stuttgart und IBM erarbeitetes interaktives Informationssystem präsentiert, das virtuelle Rundgänge durch die Weissenhofsiedlung im Zustand von 1927 ermöglicht.


Internationale Architektur

Damals gab es parallel zur Weissenhof-Ausstellung «Die Wohnung» in Stuttgart noch eine weitere, heute kaum mehr bekannte Veranstaltung, die «Internationale Plan- und Modellausstellung neuer Baukunst», die in dem von Bernhard Pankok am Interimstheaterplatz entworfenen Ausstellungspavillon gezeigt wurde. Hier stellten 129 Architekten aus zehn Ländern anhand von über 500 Exponaten Beispiele modernen Bauens in Europa und Amerika vor, um so die Internationalität der auf dem Weissenhof verwirklichten Gedanken zu belegen. Diese Schau sollte den zahlreichen Kritikern und den über eine halbe Million Besuchern der Weissenhofsiedlung verdeutlichen, dass oben auf dem Killesberg nicht ein paar Spinner orientalisch anmutende, weiss getünchte Hauskuben mit Flachdächern hingeklotzt hatten. Bezeichnete doch der Architekt Paul Bonatz, einer der Köpfe der konservativen Stuttgarter Schule, die Weissenhofsiedlung polemisch als eine «Vorstadt Jerusalems»; andere sprachen von einem «Araberdorf». Diese Ergänzungsausstellung wollte zudem veranschaulichen, dass das Neue Bauen Ausdruck einer weltweiten Bewegung war, innerhalb deren die Weissenhofsiedlung einen Markstein darstellte. Gross war das Interesse an der «Plan- und Modellausstellung» auch im Ausland. Auf ihrer Europatournee besuchte sie gleich nach Stuttgart in neuer Zusammenstellung Zürich und Anfang 1928 auch Basel.


Zukunftsweisende Bauten

Die «Internationale Plan- und Modellausstellung» ist Thema der zweiten Jubiläumsausstellung in der Städtischen Galerie mit dem Titel «Neues Bauen International 1927-2002 - ein imaginäres Museum der Architektur-Avantgarde in Europa und Amerika». Originell ist die Idee, dem zur Ausstellung erschienenen Katalog den offiziellen Führer von 1927 als Reprint voranzustellen. Die Ausstellung versucht dabei nicht, die Architekturschau von damals zu rekonstruieren, sondern zeigt lediglich eine Auswahl von 60 Architekten und deren Bauten, die noch zukunftsweisender waren, als es damals die optimistischsten Bewunderer geglaubt hatten. Hunderte von Plänen, Entwürfen, Skizzen und Photographien werden hier vorgestellt. El Lissitzkys Wolkenbügel, Walter Gropius' Faguswerke, zahlreiche Villen und Landhäuser von Le Corbusier oder Mies van der Rohes Hochhausentwurf für die Friedrichstrasse in Berlin versammeln sich hier, im Modell nachgebaut, bevor auch diese Schau für die nächsten Jahre auf Wanderschaft geht. Bis anhin war das Interesse des Auslandes an der Weissenhofsiedlung immer grösser als das der Stuttgarter. Nach Zeiten der Vernachlässigung, der Zerstörung, des Verfalls und der Umwandlung wurde das verbliebene Ensemble mittlerweile unter Denkmalschutz gestellt, und die elf noch erhalten Häuser wurden renoviert.


[Bis zum 6. Oktober. Katalog: Neues Bauen International 1927-2002. Hrsg. Institut für Auslandsbeziehungen Gebr.- Mann-Verlag, Stuttgart 2002. 216 S., Euro 19.-. - Karin Kirsch: Werkbund-Ausstellung «Die Wohnung» Stuttgart 1927. Die Weissenhofsiedlung. Hrsg. Institut für Auslandsbeziehungen. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1993. 71 S., Euro 19.-.]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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