Bauwerk
Maison Hermès
Renzo Piano - Tokyo (J) - 2001
Eine Laterna magica in der Ginza
Das Hermès-Hochhaus von Renzo Piano in Tokio
12. März 2002 - Martin Hablesreiter
Fast jeder kennt sie als eine der teuersten Gegenden der Welt: die Ginza in Tokio. Das vornehme Einkaufsviertel steht seit langem für Luxus, Tradition und grosse Marken. Der Wirtschaftsboom der achtziger Jahre liess in diesem Quartier Tokios die Bodenpreise derart in die Höhe schnellen, dass nur japanische Unternehmen in der Lage waren, hier zu bauen. Die begehrten ausländischen Produkte hingegen wurden in den vielen Nobelkaufhäusern angeboten. Der Zusammenbruch der «Bubble Economy» machte den teuren Boden nun auch für internationale Firmen wieder erschwinglich. Hermès leistete sich als bislang erstes und einziges europäisches Modehaus den Luxus, in der Ginza einen Repräsentationsbau zu errichten. Mit Entwurf und Planung des 13-stöckigen Gebäudes wurde Italiens Stararchitekt Renzo Piano beauftragt.
Der Umstand, dass kein anderes europäisches Designerlabel ein eigenes Haus in der Ginza unterhält, scheint unverständlich in Anbetracht von Prestige und Charakteristik dieses Stadtteils. Trotz der Nähe zum kaiserlichen Palast und den vielen japanischen Geschäften ist ein Grossteil des Warenangebots westlich orientiert. Traditionelle Kimonos werden neben Schweizer Chronometern, handgeschöpftes Papier wird neben französischen Schuhen verkauft. Die edelsten westlichen Produkte werden in der Ginza angeboten, denn der Stadtteil verstand sich schon immer als kommerzielles Tor zum Westen. Hier wurden neue Errungenschaften aus Übersee vorgestellt und dem japanischen Publikum schmackhaft gemacht. Selbst die Abwicklung der Geschäfte war und ist hier für japanische Kunden ungewöhnlich. So entstand in der Ginza einst das erste Kaufhaus Japans, in dem das Betreten ohne das obligatorische Ausziehen der Schuhe möglich war, und ein junger Pharmazeut eröffnete hier die erste westliche Apotheke des Landes. Aus dieser sollte später der Weltkonzern Shiseido entstehen, der sich erst kürzlich vom Spanier Ricardo Bofill das repräsentative Ginza Shiseido Building errichten liess.
Die Ginza war immer schon ein Ort des Staunens und der Attraktionen. Auf die daraus hervorgehende Erwartungshaltung antwortete Renzo Piano mit einer spektakulären Fassade aus speziell angefertigten Glasbausteinen. Dabei verfremdete er den in den sechziger Jahren so beliebten Baustoff bewusst, indem er ihn vor das Gebäude hängte und so einen gelungenen Kommentar zur Geschichte und zum gegenwärtigen Erscheinungsbild der Ginza schuf. Die Verwendung von Glasziegeln kann als historisches Zitat verstanden werden, war doch die Ginza das erste Viertel Tokios, dessen Häuser aus Ziegeln gebaut wurden. In Japan, wo der Holzbau eine lange Tradition hat, erhielten die nach englischem Vorbild ausgeführten Strassenzüge bald den Spitznamen «Bricktown».
Der neue Flagship-Store von Hermès besticht wegen dieser Fassade und besitzt mit ihr einen würdigen Werbescreen. Die aufwendige und doch schlichte Glashaut kontrastiert angenehm mit dem bunten Flimmern der leinwandgrossen Bildschirme an den umliegenden Gebäudefronten. Der feine Raster der Steine und die optische Verzerrung schaffen eine mysteriöse Hülle, die vieles verbirgt und alles Dahinterliegende zum Objekt der Begierde erhebt. Die kraftvolle Wirkung der Fassade wird bei Einbruch der Dunkelheit noch verstärkt, wenn warmes Licht gleichmässig aus dem Inneren des Gebäudes dringt. Das Geschäftshaus verwandelt sich damit in ein freundlich leuchtendes Objekt am Eingang der Ginza. Eine magische Laterne soll es sein, sagt Hermès und erinnert damit an den fernöstlichen Brauch, die Pforten von Restaurants und Geschäften mit Lampions zu schmücken. Piano gelingt es, die Metapher der magischen Laterne, die die Traditionen der Ginza und des Standorts Japan mit jenen des Modehauses vereinen soll, in ein modernes Kostüm zu kleiden.
Leider kommt dieser Hang zur Tradition im Inneren des Gebäudes auf ganz andere Weise zum Tragen. Das Interieur wurde nämlich nicht von Piano, sondern von Rena Dumas, der Gattin von Hermès-Chef Jean-Louis Dumas, gestaltet. Zeitlos elegant soll das gediegene Ambiente der Verkaufsräume wohl sein, doch leider ist es nur aussergewöhnlich langweilig. Die Einmaligkeit der Aussenhülle wird im Inneren von einer Austauschbarkeit abgelöst, die den Kunden nicht mehr klar erkennen lässt, ob er sich in Paris, New York oder Tokio befindet. Die Fassadenarchitektur wird als augenfälliges Aushängeschild genutzt, um die Präsenz der Marke zu signalisieren, der Name und das Können des Stararchitekten als Werbeträger. Die Enttäuschung beim Betreten des attraktiven Bauwerks ist gross. Es erweckt den Eindruck, als sei der Architekt nur noch als imageträchtiger Fassadenmacher und - gleich einem Supermodel - als teurer Botschafter einer Marketingstrategie engagiert worden.
Der Umstand, dass kein anderes europäisches Designerlabel ein eigenes Haus in der Ginza unterhält, scheint unverständlich in Anbetracht von Prestige und Charakteristik dieses Stadtteils. Trotz der Nähe zum kaiserlichen Palast und den vielen japanischen Geschäften ist ein Grossteil des Warenangebots westlich orientiert. Traditionelle Kimonos werden neben Schweizer Chronometern, handgeschöpftes Papier wird neben französischen Schuhen verkauft. Die edelsten westlichen Produkte werden in der Ginza angeboten, denn der Stadtteil verstand sich schon immer als kommerzielles Tor zum Westen. Hier wurden neue Errungenschaften aus Übersee vorgestellt und dem japanischen Publikum schmackhaft gemacht. Selbst die Abwicklung der Geschäfte war und ist hier für japanische Kunden ungewöhnlich. So entstand in der Ginza einst das erste Kaufhaus Japans, in dem das Betreten ohne das obligatorische Ausziehen der Schuhe möglich war, und ein junger Pharmazeut eröffnete hier die erste westliche Apotheke des Landes. Aus dieser sollte später der Weltkonzern Shiseido entstehen, der sich erst kürzlich vom Spanier Ricardo Bofill das repräsentative Ginza Shiseido Building errichten liess.
Die Ginza war immer schon ein Ort des Staunens und der Attraktionen. Auf die daraus hervorgehende Erwartungshaltung antwortete Renzo Piano mit einer spektakulären Fassade aus speziell angefertigten Glasbausteinen. Dabei verfremdete er den in den sechziger Jahren so beliebten Baustoff bewusst, indem er ihn vor das Gebäude hängte und so einen gelungenen Kommentar zur Geschichte und zum gegenwärtigen Erscheinungsbild der Ginza schuf. Die Verwendung von Glasziegeln kann als historisches Zitat verstanden werden, war doch die Ginza das erste Viertel Tokios, dessen Häuser aus Ziegeln gebaut wurden. In Japan, wo der Holzbau eine lange Tradition hat, erhielten die nach englischem Vorbild ausgeführten Strassenzüge bald den Spitznamen «Bricktown».
Der neue Flagship-Store von Hermès besticht wegen dieser Fassade und besitzt mit ihr einen würdigen Werbescreen. Die aufwendige und doch schlichte Glashaut kontrastiert angenehm mit dem bunten Flimmern der leinwandgrossen Bildschirme an den umliegenden Gebäudefronten. Der feine Raster der Steine und die optische Verzerrung schaffen eine mysteriöse Hülle, die vieles verbirgt und alles Dahinterliegende zum Objekt der Begierde erhebt. Die kraftvolle Wirkung der Fassade wird bei Einbruch der Dunkelheit noch verstärkt, wenn warmes Licht gleichmässig aus dem Inneren des Gebäudes dringt. Das Geschäftshaus verwandelt sich damit in ein freundlich leuchtendes Objekt am Eingang der Ginza. Eine magische Laterne soll es sein, sagt Hermès und erinnert damit an den fernöstlichen Brauch, die Pforten von Restaurants und Geschäften mit Lampions zu schmücken. Piano gelingt es, die Metapher der magischen Laterne, die die Traditionen der Ginza und des Standorts Japan mit jenen des Modehauses vereinen soll, in ein modernes Kostüm zu kleiden.
Leider kommt dieser Hang zur Tradition im Inneren des Gebäudes auf ganz andere Weise zum Tragen. Das Interieur wurde nämlich nicht von Piano, sondern von Rena Dumas, der Gattin von Hermès-Chef Jean-Louis Dumas, gestaltet. Zeitlos elegant soll das gediegene Ambiente der Verkaufsräume wohl sein, doch leider ist es nur aussergewöhnlich langweilig. Die Einmaligkeit der Aussenhülle wird im Inneren von einer Austauschbarkeit abgelöst, die den Kunden nicht mehr klar erkennen lässt, ob er sich in Paris, New York oder Tokio befindet. Die Fassadenarchitektur wird als augenfälliges Aushängeschild genutzt, um die Präsenz der Marke zu signalisieren, der Name und das Können des Stararchitekten als Werbeträger. Die Enttäuschung beim Betreten des attraktiven Bauwerks ist gross. Es erweckt den Eindruck, als sei der Architekt nur noch als imageträchtiger Fassadenmacher und - gleich einem Supermodel - als teurer Botschafter einer Marketingstrategie engagiert worden.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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