Bauwerk
Astana - Masterplan
Kurokawa architect & assoc. - Astana (KZ) - 2003
Öko-Stadt zwischen Steppe und Sumpf
Kisho Kurokawas Masterplan für die Hauptstadt Astana
21. Dezember 2001 - Philipp Meuser
Ob Brasilia, Canberra oder Chandigarh - das 20. Jahrhundert war von der Utopie neuer Metropolen fasziniert. Das jüngste Beispiel ist die kasachische Hauptstadt Astana, deren Masterplan der japanische Architekt Kisho Kurokawa kürzlich vorlegte.
So leer wie die kasachische Landschaft wirken auch die wenigen Städte des Landes, die alle noch von der sowjetischen Zeit geprägt sind. Viele von ihnen gehen auf russische Siedlungen zurück, die seit dem 19. Jahrhundert als Aussenposten Moskaus errichtet wurden. Die typisch kasachische Stadt sucht man vergebens. Deshalb zieht der Masterplan für die nach Astana verlegte neue Hauptstadt - eine Idee des Staatspräsidenten Nursultan Nasarbajew - besondere Aufmerksamkeit auf sich. Der Entwurf stammt vom japanischen Architekten Kisho Kurokawa, der sich 1998 in einem internationalen Wettbewerb durchsetzen konnte. Der Plan soll der Regierung als Werkzeug dienen, um aus dem von Umweltverschmutzung und Verschleiss geprägten Ort eine zukunftweisende Hauptstadt zu machen.
Architektonisches Zeichen in der Leere
In seiner gestalterischen Umsetzung liest sich der Masterplan wie ein traubenartiges Gebilde, das die bestehende Stadt nach Süden erweitert. Hier sollen bis zum Jahre 2030 knapp 800 000 Menschen eine neue Heimat finden. Das entspricht einer Verdreifachung der Einwohnerzahl. Das neue Astana unterscheidet sich von den bis heute umstrittenen Hauptstadtplanungen des vergangenen Jahrhunderts: Während Brasilia und Chandigarh vom «grossen Wurf» ihrer Architekten geprägt wurden, verzichtet Kurokawa bis auf das im Stadtgrundriss verankerte Band der Regierungsbauten gänzlich auf starren Formalismus. Stattdessen entwickelte er eine Strategie, um das Wasser- und Abfallmanagement zu erneuern - mit dem Ergebnis, dass im kommenden Frühjahr mit japanischer Finanzhilfe zunächst die Kanalisation Astanas modernisiert wird. Darüber hinaus soll durch ein grossflächiges Aufforstungsprojekt das extreme Mikroklima der Stadt verbessert werden: Ein Temperaturunterschied von bis zu 80 Grad wird hier im Jahresverlauf gemessen.
Eine schnelle Umsetzung von Kurokawas Masterplan war im vergangenen Jahr jedoch fraglich geworden, nachdem die Stadtverwaltung ohne Absprache mit der gesamtstaatlichen Planungsbehörde von der saudischen Bin-Ladin-Gruppe einen eigenen Generalplan hatte erarbeiten lassen. Dieser basierte zwar auf den Wettbewerbsergebnissen von 1998, wurde jedoch nicht mit Kurokawa abgesprochen. Da seither bereits Strassenzüge angelegt und zahlreiche Baugenehmigungen erteilt worden waren, musste Kurokawa diese Planungen in sein Werk integrieren.
Der parallelen Planung ist es aber auch zuzuschreiben, dass auf dem Areal der neuen Regierungsstadt bereits eine rege Bautätigkeit zu beobachten ist, obwohl der eigentliche Masterplan erst vor wenigen Wochen von Kurokawa offiziell der kasachischen Regierung übergeben wurde. Inmitten einer öden Leere erhebt sich inzwischen eine 200 Meter hohe Konstruktion. Die schlanke Vertikale wirkt in der flachen Landschaft, als habe man auf einer Karte mit der Nadel die neue Hauptstadt markieren wollen. Der Aussichts- und Kommunikationsturm wird das Zentrum des neuen Regierungsviertels überragen und das gestalterische Gleichgewicht zwischen den beiden Endpunkten der neuen Achse bilden. Auf der westlichen Seite wächst der 25-geschossige Zwillingsturm des staatlichen Ölkonzerns in die Höhe, während auf der östlichen Seite Bagger und Planierwalzen auf einem Areal, wo einst Datschen standen, den Bau des Präsidentenpalastes vorbereiten, der in zwei Jahren eingeweiht werden soll.
Astana, bis vor wenigen Jahren ein eher unbedeutender Ort auf dem Weg von Moskau nach Almaty, ist eine Stadt der zwei Geschwindigkeiten. Während die ansässige Bevölkerung in ihren von kleinen Gärten umgebenen Häuschen der Selbstversorgung nachgeht, zeugen die Bagger vom politischen Wunsch einer schnellen Erneuerung. Welchen Bedeutungswandel die Kapitale in den kommenden Jahren erleben dürfte, haben die Bewohner bereits erfahren können, liegt doch Astana seit der künstlichen Verbreiterung des Ishim an einem Fluss, der in seinem Erscheinungsbild mit Seine, Themse oder Donau konkurrieren will. Allerdings entpuppt er sich bei genauerem Hinsehen als stehendes Gewässer. Denn der schmale Fluss, der sich vom Gebirge Hunderte von Kilometern bis in die sumpfige Region um Astana schlängelt, ist im Stadtgebiet lediglich aufgestaut. Immerhin hat Astana seitdem eine Uferpromenade, die an jene der Städte an Ob, Wolga und Ural erinnert.
Die neuen Wohnbauten entlang dem Flussufer, die die Regierung für ihre Beamten errichten liess, wirken wie aus der Lego-Kiste: bunte Farben und einfache Gebäudeformen. Die alten Bewohner haben zwei von ihnen Spitznamen verliehen: «Titanik» und «Kursk» - eine Anspielung darauf, dass die Uferzone nie bewohnt wurde, weil der Ishim in den Jahren vor dem Bau der befestigten und erhöhten Promenade nach der Schneeschmelze regelmässig über die Ufer trat und alles unter Wasser setzte. Freilich spielt auch ein wenig Neid mit. Denn nach wie vor lebt das Gros der Astaner in einfachen Wohnblocks, die in der Nach-Stalin-Ära errichtet wurden. Damals war die Stadt gerade von Akomolinsk in Tselinograd umbenannt worden - in Anlehnung an die landwirtschaftliche Erschliessung der Region im Rahmen des sogenannten Neulandprogramms, in dessen Folge sich Kasachstan zu einem wichtigen Getreidelieferanten der UdSSR entwickelte. Als ab 1991 in den GUS viele Städte ihre alten Namen zurückerhielten, blieb auch Tselinograd nicht von einer Umbenennung verschont. Kurze Zeit hiess es Akmola, bevor Staatspräsident Nasarbajew seiner neuen Hauptstadt diesen Namen wieder nahm. Kritiker hatten nämlich gespottet, dass Akmola in einer freien Übersetzung auch «weisses Grab» bedeuten könne - ein problematischer Name, wenn man an die schneereichen Winter dieser Region denkt. Seither heisst die Hauptstadt auf Wunsch des Präsidenten schlicht Astana, was auf Kasachisch Hauptstadt heisst. Nur noch der Flughafen-Code TSE erinnert an vergangene Zeiten.
Neues Image durch Ökologie
Ginge es nach Kurokawa, dürfte Astana in 30 Jahren zu den modernsten Städten der Welt zählen. Der Japaner überzeugte die Jury vor allem mit der in den sechziger Jahren entwickelten Theorie der metabolischen Stadt, die wie ein Organismus wachsen und sich wandeln soll. Darüber hinaus skizzierte er das Bild einer Symbiose von sowjetischer Altstadt und kasachischer Neustadt anhand der Integrierung des Ishim in den Stadtkörper. Im Gegensatz zu anderen zentralasiatischen Staaten - etwa Usbekistan - will sich Kasachstan nämlich nicht vom sowjetischen Erbe lossagen. Doch so sehr Kurokawa seine Vision einer zukunftsfähigen Stadt in der kasachischen Steppe auch mit ökologischen Ideen verknüpfen mag, einem Denkfehler unterliegt auch er. Denn wie nachhaltig geplant ist eine Hauptstadt, deren Wachstumserwartungen sich nur auf Kosten der Landflucht erfüllen lassen? In der alten Kapitale Almaty hält sich noch immer das Gerücht, dass ein Nachfolger Nasarbajews als erste Amtshandlung die Hauptstadtentscheidung wieder rückgängig machen werde. Den Erbauern des neuen Astana mag dies derzeit aber kaum mehr als ein kräftiger Motivationsschub sein.
So leer wie die kasachische Landschaft wirken auch die wenigen Städte des Landes, die alle noch von der sowjetischen Zeit geprägt sind. Viele von ihnen gehen auf russische Siedlungen zurück, die seit dem 19. Jahrhundert als Aussenposten Moskaus errichtet wurden. Die typisch kasachische Stadt sucht man vergebens. Deshalb zieht der Masterplan für die nach Astana verlegte neue Hauptstadt - eine Idee des Staatspräsidenten Nursultan Nasarbajew - besondere Aufmerksamkeit auf sich. Der Entwurf stammt vom japanischen Architekten Kisho Kurokawa, der sich 1998 in einem internationalen Wettbewerb durchsetzen konnte. Der Plan soll der Regierung als Werkzeug dienen, um aus dem von Umweltverschmutzung und Verschleiss geprägten Ort eine zukunftweisende Hauptstadt zu machen.
Architektonisches Zeichen in der Leere
In seiner gestalterischen Umsetzung liest sich der Masterplan wie ein traubenartiges Gebilde, das die bestehende Stadt nach Süden erweitert. Hier sollen bis zum Jahre 2030 knapp 800 000 Menschen eine neue Heimat finden. Das entspricht einer Verdreifachung der Einwohnerzahl. Das neue Astana unterscheidet sich von den bis heute umstrittenen Hauptstadtplanungen des vergangenen Jahrhunderts: Während Brasilia und Chandigarh vom «grossen Wurf» ihrer Architekten geprägt wurden, verzichtet Kurokawa bis auf das im Stadtgrundriss verankerte Band der Regierungsbauten gänzlich auf starren Formalismus. Stattdessen entwickelte er eine Strategie, um das Wasser- und Abfallmanagement zu erneuern - mit dem Ergebnis, dass im kommenden Frühjahr mit japanischer Finanzhilfe zunächst die Kanalisation Astanas modernisiert wird. Darüber hinaus soll durch ein grossflächiges Aufforstungsprojekt das extreme Mikroklima der Stadt verbessert werden: Ein Temperaturunterschied von bis zu 80 Grad wird hier im Jahresverlauf gemessen.
Eine schnelle Umsetzung von Kurokawas Masterplan war im vergangenen Jahr jedoch fraglich geworden, nachdem die Stadtverwaltung ohne Absprache mit der gesamtstaatlichen Planungsbehörde von der saudischen Bin-Ladin-Gruppe einen eigenen Generalplan hatte erarbeiten lassen. Dieser basierte zwar auf den Wettbewerbsergebnissen von 1998, wurde jedoch nicht mit Kurokawa abgesprochen. Da seither bereits Strassenzüge angelegt und zahlreiche Baugenehmigungen erteilt worden waren, musste Kurokawa diese Planungen in sein Werk integrieren.
Der parallelen Planung ist es aber auch zuzuschreiben, dass auf dem Areal der neuen Regierungsstadt bereits eine rege Bautätigkeit zu beobachten ist, obwohl der eigentliche Masterplan erst vor wenigen Wochen von Kurokawa offiziell der kasachischen Regierung übergeben wurde. Inmitten einer öden Leere erhebt sich inzwischen eine 200 Meter hohe Konstruktion. Die schlanke Vertikale wirkt in der flachen Landschaft, als habe man auf einer Karte mit der Nadel die neue Hauptstadt markieren wollen. Der Aussichts- und Kommunikationsturm wird das Zentrum des neuen Regierungsviertels überragen und das gestalterische Gleichgewicht zwischen den beiden Endpunkten der neuen Achse bilden. Auf der westlichen Seite wächst der 25-geschossige Zwillingsturm des staatlichen Ölkonzerns in die Höhe, während auf der östlichen Seite Bagger und Planierwalzen auf einem Areal, wo einst Datschen standen, den Bau des Präsidentenpalastes vorbereiten, der in zwei Jahren eingeweiht werden soll.
Astana, bis vor wenigen Jahren ein eher unbedeutender Ort auf dem Weg von Moskau nach Almaty, ist eine Stadt der zwei Geschwindigkeiten. Während die ansässige Bevölkerung in ihren von kleinen Gärten umgebenen Häuschen der Selbstversorgung nachgeht, zeugen die Bagger vom politischen Wunsch einer schnellen Erneuerung. Welchen Bedeutungswandel die Kapitale in den kommenden Jahren erleben dürfte, haben die Bewohner bereits erfahren können, liegt doch Astana seit der künstlichen Verbreiterung des Ishim an einem Fluss, der in seinem Erscheinungsbild mit Seine, Themse oder Donau konkurrieren will. Allerdings entpuppt er sich bei genauerem Hinsehen als stehendes Gewässer. Denn der schmale Fluss, der sich vom Gebirge Hunderte von Kilometern bis in die sumpfige Region um Astana schlängelt, ist im Stadtgebiet lediglich aufgestaut. Immerhin hat Astana seitdem eine Uferpromenade, die an jene der Städte an Ob, Wolga und Ural erinnert.
Die neuen Wohnbauten entlang dem Flussufer, die die Regierung für ihre Beamten errichten liess, wirken wie aus der Lego-Kiste: bunte Farben und einfache Gebäudeformen. Die alten Bewohner haben zwei von ihnen Spitznamen verliehen: «Titanik» und «Kursk» - eine Anspielung darauf, dass die Uferzone nie bewohnt wurde, weil der Ishim in den Jahren vor dem Bau der befestigten und erhöhten Promenade nach der Schneeschmelze regelmässig über die Ufer trat und alles unter Wasser setzte. Freilich spielt auch ein wenig Neid mit. Denn nach wie vor lebt das Gros der Astaner in einfachen Wohnblocks, die in der Nach-Stalin-Ära errichtet wurden. Damals war die Stadt gerade von Akomolinsk in Tselinograd umbenannt worden - in Anlehnung an die landwirtschaftliche Erschliessung der Region im Rahmen des sogenannten Neulandprogramms, in dessen Folge sich Kasachstan zu einem wichtigen Getreidelieferanten der UdSSR entwickelte. Als ab 1991 in den GUS viele Städte ihre alten Namen zurückerhielten, blieb auch Tselinograd nicht von einer Umbenennung verschont. Kurze Zeit hiess es Akmola, bevor Staatspräsident Nasarbajew seiner neuen Hauptstadt diesen Namen wieder nahm. Kritiker hatten nämlich gespottet, dass Akmola in einer freien Übersetzung auch «weisses Grab» bedeuten könne - ein problematischer Name, wenn man an die schneereichen Winter dieser Region denkt. Seither heisst die Hauptstadt auf Wunsch des Präsidenten schlicht Astana, was auf Kasachisch Hauptstadt heisst. Nur noch der Flughafen-Code TSE erinnert an vergangene Zeiten.
Neues Image durch Ökologie
Ginge es nach Kurokawa, dürfte Astana in 30 Jahren zu den modernsten Städten der Welt zählen. Der Japaner überzeugte die Jury vor allem mit der in den sechziger Jahren entwickelten Theorie der metabolischen Stadt, die wie ein Organismus wachsen und sich wandeln soll. Darüber hinaus skizzierte er das Bild einer Symbiose von sowjetischer Altstadt und kasachischer Neustadt anhand der Integrierung des Ishim in den Stadtkörper. Im Gegensatz zu anderen zentralasiatischen Staaten - etwa Usbekistan - will sich Kasachstan nämlich nicht vom sowjetischen Erbe lossagen. Doch so sehr Kurokawa seine Vision einer zukunftsfähigen Stadt in der kasachischen Steppe auch mit ökologischen Ideen verknüpfen mag, einem Denkfehler unterliegt auch er. Denn wie nachhaltig geplant ist eine Hauptstadt, deren Wachstumserwartungen sich nur auf Kosten der Landflucht erfüllen lassen? In der alten Kapitale Almaty hält sich noch immer das Gerücht, dass ein Nachfolger Nasarbajews als erste Amtshandlung die Hauptstadtentscheidung wieder rückgängig machen werde. Den Erbauern des neuen Astana mag dies derzeit aber kaum mehr als ein kräftiger Motivationsschub sein.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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