Bauwerk
Rathausgalerie
Dominique Perrault, ATP architekten ingenieure, RPM Architekten - Innsbruck (A) - 2002
Das Rathaus als Rasthaus
In Österreich kaum mehr zu glauben, aber wahr: Ein Architekt gewinnt einen Wettbewerb - und darf sein Großprojekt dann sogar realisieren! Auch sonst ist Dominique Perraults neues Innsbrucker Rathaus ein gelungenes Beispiel lebendiger Baukultur.
13. Dezember 2002 - Judith Eiblmayr
Eine der Idealvoraussetzun gen für eine lebendige Baukultur ist ein diesbezüglich klares Bekenntnis eines politisch Verantwortlichen. Ein Politiker, dem ein nuanciertes Stadtbild durch moderne Architektur ein Anliegen ist, wird durch den Einsatz vieler verschiedener Kreativer eine Vielfalt an Kreativität erzielen.
Da die Moderne in Kunst und Architektur nicht unbedingt mehrheitsfähig ist, erfordert es Mut und Durchhaltevermögen der Entscheidungsträger, um spannendere Bauten durchzubringen. Zur Zeit ist tendenziell das Gegenteil der Fall; in Wien werden die Investoren von Großbauprojekten zu den eigentlich Verantwortlichen für die Stadtentwicklung erkoren, frei nach dem Motto „Wer zahlt, schafft an“. Diese Developer im doppelten Sinn wollen in Architekturfragen tunlichst wirtschaftlich auf Nummer Sicher gehen und beschäftigen eine kleine Riege an arrivierten Architekturbüros, die aktuelle Vergabepraxis zwischen Wien Mitte und Salzburg Stadt zeigt, daß Bauaufträge nach fairen Auswahlverfahren oder architektonischen Qualitätskriterien ein frommer Wunsch sind.
Ein Projekt wie der Neubau des Innsbrucker Rathauses mutet da bereits als ein herausragendes Ereignis in der österreichischen Architekturwelt an, denn hier hat nicht nur ein französischer Stararchitekt den Wettbewerb gewonnen, er durfte sein Projekt auch bauen!
Dominique Perrault ist einer der angesehensten Architekten Frankreichs, international bekannt wurde er Anfang der neunziger Jahre durch seine Planung für die Bibliothèque Nationale de France in Paris, die 1996 eröffnet wurde. Ungefähr zu dieser Zeit wurde Perrault zum Wettbewerb für den neuen Rathauskomplex in Innsbruck geladen, den er in Kooperation mit seinem Partner Rolf Reichert aus München abwickelte und den die beiden vor fünf Jahren für sich entscheiden konnten.
Nachdem das erste Projekt für ein neues Rathaus von Leopold Gerstel, datierend aus dem Jahr 1985, aus ökonomischen Gründen nicht weiterverfolgt worden war, wußte die neu gebildete und um Investoren bereicherte Rathausbaukommission 1994 bereits konkreter, welche Kriterien die Planung erfüllen muß, um als städtebauliches Großprojekt zu reüssieren.
Das alte Rathaus liegt direkt an der Maria-Theresien-Straße im Stadtzentrum von Innsbruck, der Erweiterungsbau aus der Nazizeit an der Fallmerayerstraße war bislang nur über einen Hof an das Hauptgebäude angebunden. Diese bauliche Trennung - verschärft durch den ungeliebten Hinterhofcharakter - und die Zerrissenheit der Behörde, da einige Ämter sich an anderen Orten in der Stadt befanden, sollten beseitigt werden. Das Ziel: eine neue, zentrale Anlaufstelle für Bürgeranliegen. Um den Kaufkraftabfluß in die Shopping-Center an der Peripherie hintanzuhalten, sollte zugleich die Belebung der Innenstadt forciert werden, am besten mittels einer Einkaufspassage mit Tiefgarage, ergänzt um ein Vier-Sterne-Hotel.
Perraults Lösung für diese Anforderungen galt als die städtebaulich sensibelste, vor allem war sein Entwurf der einzige, der den Baukörper verstärkt in die Höhe und nicht in die Breite entwickelte. Seitens der Errichtergesellschaft BOE wurde Perrault ein ortskundiges Gesamtplanungsbüro (Achammer-Tritthart & Partner) zur Seite gestellt, offiziell um die wirtschaftliche Umsetzung der Planung zu gewährleisten. Perrault gilt als ein Architekt, dem nicht Materialperfektionismus in Details, sondern architektonische Gesamtzusammenhänge wichtig sind - und genau das hat er mit seinem Entwurf bewiesen.
Die Rathaus-Galerie wurde nach den Kriterien einer klassischen Einkaufspassage des 19. Jahrhunderts so angelegt, daß sie die Verbindung wichtiger Straßen herstellt. In ihrem Mittelpunkt birgt sie den Eingang ins neue Rathaus. Darüber erstreckt sich das weithin sichtbare Zeichen des neuen Gebäudes, der 37 Meter hohe gläserne Stiegenhausturm, dessen oberstes Geschoß als geschützte Plattform für die Öffentlichkeit angelegt ist. Von hier aus kann man einen Blick auf die Stadt und die flankierenden Berge werfen.
Der sechsgeschoßige Trakt des Rathauszubaus liegt zwischen den beiden alten Gebäuden und bindet diese aneinander an. Formal ist die schwarzweiße Glasfassade im (rechteckigen) Schachbrettmuster ein eigenständiger Baukörper, der von dem mit einem Geflecht aus Nirostastäben eingehausten, darunter verglasten Plenarsaal bekrönt ist. Materialien wie diese zu Matten verarbeiteten Metalle entsprechen Dominique Perraults Streben nach Transparenz in der Architektur und Leichtigkeit in deren Materialität. Als metaphorischer Verweis auf Innsbrucks Wahrzeichen hätten die Metallstäbe übrigens aus Messing sein und im Sonnenlicht hoch über den „Dacheln“ golden strahlen sollen.
Transparenz ist jedoch nicht nur ein formaler Gag des Architekten, sondern zieht sich als leicht identifizierbares Gegenkonzept zu „Wir da oben, ihr da unten“ durch den ganzen neuen Rathauskomplex: vom schwellenlosen Bürgerservice im Eingangsbereich zum Rathaus über den gläsernen Erschließungsturm bis zum Terrassen-Café auf dem Dach. Diese Verwobenheit von Dienstleistung und Komfort und die identifikatorische Qualität, die Stadt gemeinsam überblicken zu können, schafft ein sehr ausgeglichenes Verhältnis zwischen Bediensteten und Bürgern, entsprechend hoch ist laut Thomas Posch von der Innsbrucker Stadtplanung die Zufriedenheit der Angestellten und die Akzeptanz durch die Bevölkerung.
Natürlich gab es im Vorfeld Anrainerproteste, aber der damalige Innsbrucker Bürgermeister und jetzige Landeshauptmann von Tirol, Herwig van Staa, der vor allem von Perraults Architektur überzeugt war, und die BOE standen immer engagiert hinter dem Projekt.
Ambitioniert war man seitens der Stadt auch bei der Kunst am Bau, die konzeptionell in die Architektur einbezogen wurde; stellvertretend seien zwei Werke erwähnt: Die Südseite des gläsernen Turmes ist mit einer durchscheinenden Applikation des Innsbruckers Peter Kogler versehen. Über die gesamte Höhe zieht sich ein unregelmäßiges System von Schläuchen und Röhren, ein Abbild der verschlungenen Vernetzung des Urbanen einerseits, ein vorgelagertes Bild beim Blick auf die Innsbrucker Dachlandschaft mit ihren Dachrinnen und Abluftrohren andrerseits. Durch entsprechendes Fokussieren kann der Blick des Betrachters auf das Bild selbst oder durch dieses hindurch über die Stadt hinweg bis zu Zaha Hadids neuer Sprungschanze auf dem Bergisel gerichtet werden.
Auch der Konzeptkünstlers Daniel Buren spielt mit einer Glasfläche, indem er in die Passagenüberdachung einzelne bunte Glasfelder integriert und so den darunterliegenden Raum in angenehmes natürliches Licht taucht.
Apropos Passage: Vielleicht liegt es an den Lichtverhältnissen oder an der sinnvollen Funktionskulminierung, die Rathaus-Galerien sind belebt, und man fühlt sich wohl. Nicht, daß der Branchenmix spannender wäre als anderswo, aber es scheint, daß die Dimensionierung, die Anzahl der Lokale und das Fehlen jeglicher Attribute einer touristisch-tirolerischen Gemütlichkeit das Durchqueren der Passage zu einem angenehmen Geh- und Seherlebnis werden läßt.
Die kreuzförmige Wegführung ist zwar noch nicht umgesetzt, da die bauliche Anbindung an die Anichstraße noch aussteht, trotzdem ist auch die bestehende kleine Achse wichtig: Am Ausgang Stainerstraße gelangt man zum völlig neu gestalteten Adolf-Pichler-Platz, den baulichen Abschluß an dieser Ecke macht der Trakt des Hotels Penz.
Und so gelangen die Bürger von verschiedenen Seiten bequem zum neuen Zentrum der Stadtverwaltung, das nicht nur ein Rathaus ist, sondern auch als Rasthaus zum Verweilen über den Dächern der Stadt einlädt. Dank Perraults Architektur ein gelungenes Beispiel lebendiger Baukultur.
Da die Moderne in Kunst und Architektur nicht unbedingt mehrheitsfähig ist, erfordert es Mut und Durchhaltevermögen der Entscheidungsträger, um spannendere Bauten durchzubringen. Zur Zeit ist tendenziell das Gegenteil der Fall; in Wien werden die Investoren von Großbauprojekten zu den eigentlich Verantwortlichen für die Stadtentwicklung erkoren, frei nach dem Motto „Wer zahlt, schafft an“. Diese Developer im doppelten Sinn wollen in Architekturfragen tunlichst wirtschaftlich auf Nummer Sicher gehen und beschäftigen eine kleine Riege an arrivierten Architekturbüros, die aktuelle Vergabepraxis zwischen Wien Mitte und Salzburg Stadt zeigt, daß Bauaufträge nach fairen Auswahlverfahren oder architektonischen Qualitätskriterien ein frommer Wunsch sind.
Ein Projekt wie der Neubau des Innsbrucker Rathauses mutet da bereits als ein herausragendes Ereignis in der österreichischen Architekturwelt an, denn hier hat nicht nur ein französischer Stararchitekt den Wettbewerb gewonnen, er durfte sein Projekt auch bauen!
Dominique Perrault ist einer der angesehensten Architekten Frankreichs, international bekannt wurde er Anfang der neunziger Jahre durch seine Planung für die Bibliothèque Nationale de France in Paris, die 1996 eröffnet wurde. Ungefähr zu dieser Zeit wurde Perrault zum Wettbewerb für den neuen Rathauskomplex in Innsbruck geladen, den er in Kooperation mit seinem Partner Rolf Reichert aus München abwickelte und den die beiden vor fünf Jahren für sich entscheiden konnten.
Nachdem das erste Projekt für ein neues Rathaus von Leopold Gerstel, datierend aus dem Jahr 1985, aus ökonomischen Gründen nicht weiterverfolgt worden war, wußte die neu gebildete und um Investoren bereicherte Rathausbaukommission 1994 bereits konkreter, welche Kriterien die Planung erfüllen muß, um als städtebauliches Großprojekt zu reüssieren.
Das alte Rathaus liegt direkt an der Maria-Theresien-Straße im Stadtzentrum von Innsbruck, der Erweiterungsbau aus der Nazizeit an der Fallmerayerstraße war bislang nur über einen Hof an das Hauptgebäude angebunden. Diese bauliche Trennung - verschärft durch den ungeliebten Hinterhofcharakter - und die Zerrissenheit der Behörde, da einige Ämter sich an anderen Orten in der Stadt befanden, sollten beseitigt werden. Das Ziel: eine neue, zentrale Anlaufstelle für Bürgeranliegen. Um den Kaufkraftabfluß in die Shopping-Center an der Peripherie hintanzuhalten, sollte zugleich die Belebung der Innenstadt forciert werden, am besten mittels einer Einkaufspassage mit Tiefgarage, ergänzt um ein Vier-Sterne-Hotel.
Perraults Lösung für diese Anforderungen galt als die städtebaulich sensibelste, vor allem war sein Entwurf der einzige, der den Baukörper verstärkt in die Höhe und nicht in die Breite entwickelte. Seitens der Errichtergesellschaft BOE wurde Perrault ein ortskundiges Gesamtplanungsbüro (Achammer-Tritthart & Partner) zur Seite gestellt, offiziell um die wirtschaftliche Umsetzung der Planung zu gewährleisten. Perrault gilt als ein Architekt, dem nicht Materialperfektionismus in Details, sondern architektonische Gesamtzusammenhänge wichtig sind - und genau das hat er mit seinem Entwurf bewiesen.
Die Rathaus-Galerie wurde nach den Kriterien einer klassischen Einkaufspassage des 19. Jahrhunderts so angelegt, daß sie die Verbindung wichtiger Straßen herstellt. In ihrem Mittelpunkt birgt sie den Eingang ins neue Rathaus. Darüber erstreckt sich das weithin sichtbare Zeichen des neuen Gebäudes, der 37 Meter hohe gläserne Stiegenhausturm, dessen oberstes Geschoß als geschützte Plattform für die Öffentlichkeit angelegt ist. Von hier aus kann man einen Blick auf die Stadt und die flankierenden Berge werfen.
Der sechsgeschoßige Trakt des Rathauszubaus liegt zwischen den beiden alten Gebäuden und bindet diese aneinander an. Formal ist die schwarzweiße Glasfassade im (rechteckigen) Schachbrettmuster ein eigenständiger Baukörper, der von dem mit einem Geflecht aus Nirostastäben eingehausten, darunter verglasten Plenarsaal bekrönt ist. Materialien wie diese zu Matten verarbeiteten Metalle entsprechen Dominique Perraults Streben nach Transparenz in der Architektur und Leichtigkeit in deren Materialität. Als metaphorischer Verweis auf Innsbrucks Wahrzeichen hätten die Metallstäbe übrigens aus Messing sein und im Sonnenlicht hoch über den „Dacheln“ golden strahlen sollen.
Transparenz ist jedoch nicht nur ein formaler Gag des Architekten, sondern zieht sich als leicht identifizierbares Gegenkonzept zu „Wir da oben, ihr da unten“ durch den ganzen neuen Rathauskomplex: vom schwellenlosen Bürgerservice im Eingangsbereich zum Rathaus über den gläsernen Erschließungsturm bis zum Terrassen-Café auf dem Dach. Diese Verwobenheit von Dienstleistung und Komfort und die identifikatorische Qualität, die Stadt gemeinsam überblicken zu können, schafft ein sehr ausgeglichenes Verhältnis zwischen Bediensteten und Bürgern, entsprechend hoch ist laut Thomas Posch von der Innsbrucker Stadtplanung die Zufriedenheit der Angestellten und die Akzeptanz durch die Bevölkerung.
Natürlich gab es im Vorfeld Anrainerproteste, aber der damalige Innsbrucker Bürgermeister und jetzige Landeshauptmann von Tirol, Herwig van Staa, der vor allem von Perraults Architektur überzeugt war, und die BOE standen immer engagiert hinter dem Projekt.
Ambitioniert war man seitens der Stadt auch bei der Kunst am Bau, die konzeptionell in die Architektur einbezogen wurde; stellvertretend seien zwei Werke erwähnt: Die Südseite des gläsernen Turmes ist mit einer durchscheinenden Applikation des Innsbruckers Peter Kogler versehen. Über die gesamte Höhe zieht sich ein unregelmäßiges System von Schläuchen und Röhren, ein Abbild der verschlungenen Vernetzung des Urbanen einerseits, ein vorgelagertes Bild beim Blick auf die Innsbrucker Dachlandschaft mit ihren Dachrinnen und Abluftrohren andrerseits. Durch entsprechendes Fokussieren kann der Blick des Betrachters auf das Bild selbst oder durch dieses hindurch über die Stadt hinweg bis zu Zaha Hadids neuer Sprungschanze auf dem Bergisel gerichtet werden.
Auch der Konzeptkünstlers Daniel Buren spielt mit einer Glasfläche, indem er in die Passagenüberdachung einzelne bunte Glasfelder integriert und so den darunterliegenden Raum in angenehmes natürliches Licht taucht.
Apropos Passage: Vielleicht liegt es an den Lichtverhältnissen oder an der sinnvollen Funktionskulminierung, die Rathaus-Galerien sind belebt, und man fühlt sich wohl. Nicht, daß der Branchenmix spannender wäre als anderswo, aber es scheint, daß die Dimensionierung, die Anzahl der Lokale und das Fehlen jeglicher Attribute einer touristisch-tirolerischen Gemütlichkeit das Durchqueren der Passage zu einem angenehmen Geh- und Seherlebnis werden läßt.
Die kreuzförmige Wegführung ist zwar noch nicht umgesetzt, da die bauliche Anbindung an die Anichstraße noch aussteht, trotzdem ist auch die bestehende kleine Achse wichtig: Am Ausgang Stainerstraße gelangt man zum völlig neu gestalteten Adolf-Pichler-Platz, den baulichen Abschluß an dieser Ecke macht der Trakt des Hotels Penz.
Und so gelangen die Bürger von verschiedenen Seiten bequem zum neuen Zentrum der Stadtverwaltung, das nicht nur ein Rathaus ist, sondern auch als Rasthaus zum Verweilen über den Dächern der Stadt einlädt. Dank Perraults Architektur ein gelungenes Beispiel lebendiger Baukultur.
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