Veranstaltung
5.000.000 m³ Wien
Ausstellung
23. Juli 2003 bis 1. September 2003
Architekturzentrum Wien, Alte Halle
Um zwei Pyramiden mehr
DER BAUKASTEN Anmerkungen zur Architektur
Diesmal: Wiener Großbaukunst einst und jetzt. Wien wächst. Das Bauglück boomt. Wiens neue Großarchitekten schwelgen im Großglück. Wenn alles gut geht, wird Wien demnächst um 5.000.000 Kubikmeter größer.
30. Juli 2003 - Jan Tabor
Fünf Millionen! Das entspricht, damit wir uns den großartigen Wienzuwachs vorstellen können, dem Volumen von 2,15 Cheopspyramiden. (Lediglich zwei und etwas Pyramiden! Hoffentlich habe ich mich da nicht verrechnet.)
Das neue Bauvolumen für Wien haben die Fachleute des Architektur Zentrums Wien berechnet, indem sie alle städtebaulich wichtigen Vorhaben und Projekte zusammengetragen haben, um sie in einer informativen Rundschau über die aktuelle Stadtentwicklung Wiens zu vereinigen: „5.000.000 m³ Wien. Die neuen Großprojekte“.
Vorgestellt werden insgesamt 16 reale und virtuelle Baustellen. Manche Entwürfe sind längst nicht mehr neu, das „Eurogate“ zum Beispiel, ein neues Stadtviertel, das nach einem städtebaulichen Plan des britischen Star- und Großarchitekten Norman Foster auf den Aspanggründen enstehen soll, ist mittlerweile fast wieder vergessen. Manche stehen vor der Fertigstellung, die „Messe Wien Neu“ etwa, ein gründlicher Neu- und Umbau des alten Messegeländes im Prater durch Peichl & Partner. Das neue Wahrzeichen der Messe, ein gläserner Zylinder, wurde kürzlich durch einen Kegelturm auf 96 Meter erhöht und ist bereits weithin sichtbar. Wer sich über das Vorbild informieren will, der schlage in „Pioniere der sowjetischen Architektur“ von Selim O. Chan-Magomedow (Löcker Verlag, 1983) auf der Seite 190 nach. Dort ist der in Moskau 1922 von W. Schuchow errichtete Sendeturm abgebildet. Der Zeitgeist der Achtzigerjahre ist, so der Eindruck nach Besuch der Ausstellung, zurückgekehrt.
Die bereits stattfindende Erweiterung der Wiener Stadthalle nach dem Entwurf von Dietrich/Untertrifaller Architekten hat wegen des brutalen Umgangs mit dem Innenraum der Stadthalle, deren Möblierung und mit der Kunst-am-Bau draußen, die alle zum integralen Bestandteil von Roland Rainers Meisterwerk gehörten, bereits für einige Aufregung gesorgt. Außerdem kann es kaum als Großprojekt bezeichnet werden. Das Büro- und Geschäftszentrum St. Marx der Architektur Consult ZT GmbH Domenig-Peyker-Eisenköck befindet sich im Rohbau, und der Rohbau des kunstvoll gebogenen und gebrochenen Baukörpers ist eine wahre Sehenswürdigkeit. Von der Baustelle haben sich die Gestalter der Ausstellung, die Jungarchitektengruppe SPAN, eine mächtige, 14 Meter lange Eisentraverse geborgt. Sie wird als Podest für Architekturmodelle und als Maßstab für die Dimensionen des Bauens verwendet. SPAN hat die Schau exzellent gestaltet - als räumlich spannenden und graphisch ruhigen Gegenpol zum Größenrausch der neuen Wienerbauer.
Aber Achtung: Die meisten Bilder fallen aus dem Bereich der üblichen beschönigenden Anschaulichkeit von Architekturdarstellungen heraus und in die kämpferische Verlogenheit der Werbegrafik hinein, welche die Fähigkeit, zwischen Wunschvorstellung und grafisch vorweggenommener Wirklichkeit zu unterscheiden, stark beeinträchtigt. Denn nicht überall läuft es optimal. Die Bauwerke, aus denen sich die Donaucity zusammensetzt, sind allesamt nicht schlecht und zum Teil von hervorragender Qualität, wirken in ihrer Anhäufung aber wie ratlos zusammengewürfelte dunkelgraue Häusermassen. Obwohl es bereits einige Masterplans gegeben hat, wartet nun Dominique Perrault mit einem neuen auf. Der ViennaDC-Plan des französischen Stararchitekten enthält, soll heißen: wiederholt die Idee, den Brückenkopf mit ordentlich hohen Hochhäusern dicht zu bestücken, und ist genauso belanglos wie seine Vorgänger. Allerdings hat Perrault erkannt, was Harry Seidler mit seinem weißen Wohnturm längst praktiziert hat: Es muss mehr farbliche Abwechslung in das synthetische Grau der ViennaDC, früher Donau City, zuerst Donauplatte, oder - schlicht und schön - Platte genannt.
Manche Projekte werden einfach Wien West, Forum Schönbrunn oder Rinderhalle St. Marx genannt, andere bekommen Developer-Fantasy-Namen wie Euro Gate, Gate 2, Monte Laa (einst Laaer Berg), Saturn Tower oder Town Town, auch TownTown geschrieben. Dieses Projekt, eine Art an gestalterischem Vitaminmangel leidende Beriberi-City, ist ein Gemeinschaftswerk der U-Bahn AGU Holzbauer-Marschalek-Ladstätter-Ganter, Coop Himmelb(l)au und Peichl&Partner - eine wahre Retortenstadt, die erneuerte Vision jenes megalomanischen und uncharmanten, um nicht zu sagen: unerotischen Städtebaues, der in den Siebziger- und Achtzigerjahren vorherrschte.
Damals ist der spezifisch wienerische Begriff „Großarchitekt“ erfunden worden (meines Wissens von Friedrich Kurrent), um die Denkweisen und Architekturauffassungen von erfolgreich in den Netzwerken staatlicher und semistaatlicher Institutionen und Bauträgern agierenden Architekten in einem Kürzel zusammenzufassen. Die Zeiten aber ändern sich, damit auch die großen Namen. Damals hießen sie Czernin, Hlawenicka, Lippert, Lintl, Glück, Neumann und Frank oder Holzbauer; heute heißen sie Holzbauer, Hollein, Peichl&Partner, Neumann und Partner, Hollein und Neumann, Ortner & Ortner, Coop Himmelb(l)au und Wehdorn. Vor allem Wehdorn, der Experte für die Herstellung des Neualten, die nach wie vor die wichtigste architektonische Fertigkeit in Wien darstellt.
Es gibt allerdings einige kleine Unterschiede zu damals. Den Kleinarchitekten, von denen es in Wien besonders viele besonders hervorragende gibt, geht es momentan schlecht. Auf jeden Fall schlechter als früher. Hermann Czech zum Beispiel hatte im Auftrag der IBM Pläne für einen Büroturm auf der Platte ausgearbeitet, als er erfahren musste, dass der Bau, Saturn genannt, auf die auf Großerfolge abonnierte Arbeitsgemeinschaft Hollein und Neumann umgeleitet wurde. Czechs Entwurf kann in der AzW-Schau nicht begutachtet werden. In der hervorragenden Architekturzeitschrift UmBau (Heft 20/2003) kann man den erledigten genialen Entwurf von Czech bewundern.
Die staatlichen Netzwerke sind nicht verschwunden, lediglich kleiner geworden; noch mehr semi-, mehr quasi-privat, komplizierter und unübersichtlicher. Viele Architekten waren zuerst Stararchitekten, nun sind sie beides, Star-und Großarchitekten in einem, was der allgemeinen Akzeptanz ihrer beeindruckenden Architekturproduktion und den Developern, die es wirklich nicht leicht haben, gehörig entgegenkommt - und zwar deswegen, weil Stararchitekten wie Holzbauer oder Hollein verschiedene öffentliche Funktionen bekleidet haben oder bekleiden, die ihnen das Berufsleben als großbauende Architekten erleichtern. Der substanzielle Unterschied besteht darin, dass ein Großarchitekt als Mitglied des mächtigen Gestaltungsbeirates oder einer wichtigen Wettbewerbsjury damals nicht denkbar gewesen wäre. Heute ist das üblich, und niemand regt sich noch auf.
Bei der Diskussion anlässlich der Ausstellungseröffnung im AzW machte der Developer Ariel Muzicant, auf dessen Initiative die wichtige und richtige Initialbebauung an der Wagramer Straße zurückgeht, auf den aus der Statistik bekannten „Schweinezyklus“ aufmerksam: Muzicant fürchtet, dass der in der Ausstellung dokumentierte Aufschwung zur städtebaulichen Modernisierung Wiens wieder genauso plötzlich verschwindet, wie er entstanden ist, wodurch für die Stadt und ihre Bedeutung im internationalen Kontext schwere Nachteile entstünden.
Die AzW-Schau enthält sich zwar jeglicher Kritik an den einzelnen Bauten und dem Städtebau insgesamt, vermittelt aber, dass die Stadt aus dem zyklischen Tief der Stagnation herausgeführt wurde. Und die modische Eintönigkeit fällt ohnedies von selbst auf: vor allem die grauen Glaskisten. Glas ist das einzige, was die präsentierten Großprojekte von denjenigen der Achtzigerjahre unterscheidet. Wir haben zwei Möglichkeiten, mit dieser Erkenntnis umzugehen. Wir können uns von den heutigen Großprojekten deprimieren lassen; oder wir müssen damit beginnen, die Architektur des Aufschwungs vor dreißig Jahren neu zu bewerten.
[ Die Ausstellung „5.000.000 m³ Wien“ ist bis 1.9.2003 im Architekturzentrum Wien (1., Museumsplatz 1, im MQ) zu sehen. ]
Das neue Bauvolumen für Wien haben die Fachleute des Architektur Zentrums Wien berechnet, indem sie alle städtebaulich wichtigen Vorhaben und Projekte zusammengetragen haben, um sie in einer informativen Rundschau über die aktuelle Stadtentwicklung Wiens zu vereinigen: „5.000.000 m³ Wien. Die neuen Großprojekte“.
Vorgestellt werden insgesamt 16 reale und virtuelle Baustellen. Manche Entwürfe sind längst nicht mehr neu, das „Eurogate“ zum Beispiel, ein neues Stadtviertel, das nach einem städtebaulichen Plan des britischen Star- und Großarchitekten Norman Foster auf den Aspanggründen enstehen soll, ist mittlerweile fast wieder vergessen. Manche stehen vor der Fertigstellung, die „Messe Wien Neu“ etwa, ein gründlicher Neu- und Umbau des alten Messegeländes im Prater durch Peichl & Partner. Das neue Wahrzeichen der Messe, ein gläserner Zylinder, wurde kürzlich durch einen Kegelturm auf 96 Meter erhöht und ist bereits weithin sichtbar. Wer sich über das Vorbild informieren will, der schlage in „Pioniere der sowjetischen Architektur“ von Selim O. Chan-Magomedow (Löcker Verlag, 1983) auf der Seite 190 nach. Dort ist der in Moskau 1922 von W. Schuchow errichtete Sendeturm abgebildet. Der Zeitgeist der Achtzigerjahre ist, so der Eindruck nach Besuch der Ausstellung, zurückgekehrt.
Die bereits stattfindende Erweiterung der Wiener Stadthalle nach dem Entwurf von Dietrich/Untertrifaller Architekten hat wegen des brutalen Umgangs mit dem Innenraum der Stadthalle, deren Möblierung und mit der Kunst-am-Bau draußen, die alle zum integralen Bestandteil von Roland Rainers Meisterwerk gehörten, bereits für einige Aufregung gesorgt. Außerdem kann es kaum als Großprojekt bezeichnet werden. Das Büro- und Geschäftszentrum St. Marx der Architektur Consult ZT GmbH Domenig-Peyker-Eisenköck befindet sich im Rohbau, und der Rohbau des kunstvoll gebogenen und gebrochenen Baukörpers ist eine wahre Sehenswürdigkeit. Von der Baustelle haben sich die Gestalter der Ausstellung, die Jungarchitektengruppe SPAN, eine mächtige, 14 Meter lange Eisentraverse geborgt. Sie wird als Podest für Architekturmodelle und als Maßstab für die Dimensionen des Bauens verwendet. SPAN hat die Schau exzellent gestaltet - als räumlich spannenden und graphisch ruhigen Gegenpol zum Größenrausch der neuen Wienerbauer.
Aber Achtung: Die meisten Bilder fallen aus dem Bereich der üblichen beschönigenden Anschaulichkeit von Architekturdarstellungen heraus und in die kämpferische Verlogenheit der Werbegrafik hinein, welche die Fähigkeit, zwischen Wunschvorstellung und grafisch vorweggenommener Wirklichkeit zu unterscheiden, stark beeinträchtigt. Denn nicht überall läuft es optimal. Die Bauwerke, aus denen sich die Donaucity zusammensetzt, sind allesamt nicht schlecht und zum Teil von hervorragender Qualität, wirken in ihrer Anhäufung aber wie ratlos zusammengewürfelte dunkelgraue Häusermassen. Obwohl es bereits einige Masterplans gegeben hat, wartet nun Dominique Perrault mit einem neuen auf. Der ViennaDC-Plan des französischen Stararchitekten enthält, soll heißen: wiederholt die Idee, den Brückenkopf mit ordentlich hohen Hochhäusern dicht zu bestücken, und ist genauso belanglos wie seine Vorgänger. Allerdings hat Perrault erkannt, was Harry Seidler mit seinem weißen Wohnturm längst praktiziert hat: Es muss mehr farbliche Abwechslung in das synthetische Grau der ViennaDC, früher Donau City, zuerst Donauplatte, oder - schlicht und schön - Platte genannt.
Manche Projekte werden einfach Wien West, Forum Schönbrunn oder Rinderhalle St. Marx genannt, andere bekommen Developer-Fantasy-Namen wie Euro Gate, Gate 2, Monte Laa (einst Laaer Berg), Saturn Tower oder Town Town, auch TownTown geschrieben. Dieses Projekt, eine Art an gestalterischem Vitaminmangel leidende Beriberi-City, ist ein Gemeinschaftswerk der U-Bahn AGU Holzbauer-Marschalek-Ladstätter-Ganter, Coop Himmelb(l)au und Peichl&Partner - eine wahre Retortenstadt, die erneuerte Vision jenes megalomanischen und uncharmanten, um nicht zu sagen: unerotischen Städtebaues, der in den Siebziger- und Achtzigerjahren vorherrschte.
Damals ist der spezifisch wienerische Begriff „Großarchitekt“ erfunden worden (meines Wissens von Friedrich Kurrent), um die Denkweisen und Architekturauffassungen von erfolgreich in den Netzwerken staatlicher und semistaatlicher Institutionen und Bauträgern agierenden Architekten in einem Kürzel zusammenzufassen. Die Zeiten aber ändern sich, damit auch die großen Namen. Damals hießen sie Czernin, Hlawenicka, Lippert, Lintl, Glück, Neumann und Frank oder Holzbauer; heute heißen sie Holzbauer, Hollein, Peichl&Partner, Neumann und Partner, Hollein und Neumann, Ortner & Ortner, Coop Himmelb(l)au und Wehdorn. Vor allem Wehdorn, der Experte für die Herstellung des Neualten, die nach wie vor die wichtigste architektonische Fertigkeit in Wien darstellt.
Es gibt allerdings einige kleine Unterschiede zu damals. Den Kleinarchitekten, von denen es in Wien besonders viele besonders hervorragende gibt, geht es momentan schlecht. Auf jeden Fall schlechter als früher. Hermann Czech zum Beispiel hatte im Auftrag der IBM Pläne für einen Büroturm auf der Platte ausgearbeitet, als er erfahren musste, dass der Bau, Saturn genannt, auf die auf Großerfolge abonnierte Arbeitsgemeinschaft Hollein und Neumann umgeleitet wurde. Czechs Entwurf kann in der AzW-Schau nicht begutachtet werden. In der hervorragenden Architekturzeitschrift UmBau (Heft 20/2003) kann man den erledigten genialen Entwurf von Czech bewundern.
Die staatlichen Netzwerke sind nicht verschwunden, lediglich kleiner geworden; noch mehr semi-, mehr quasi-privat, komplizierter und unübersichtlicher. Viele Architekten waren zuerst Stararchitekten, nun sind sie beides, Star-und Großarchitekten in einem, was der allgemeinen Akzeptanz ihrer beeindruckenden Architekturproduktion und den Developern, die es wirklich nicht leicht haben, gehörig entgegenkommt - und zwar deswegen, weil Stararchitekten wie Holzbauer oder Hollein verschiedene öffentliche Funktionen bekleidet haben oder bekleiden, die ihnen das Berufsleben als großbauende Architekten erleichtern. Der substanzielle Unterschied besteht darin, dass ein Großarchitekt als Mitglied des mächtigen Gestaltungsbeirates oder einer wichtigen Wettbewerbsjury damals nicht denkbar gewesen wäre. Heute ist das üblich, und niemand regt sich noch auf.
Bei der Diskussion anlässlich der Ausstellungseröffnung im AzW machte der Developer Ariel Muzicant, auf dessen Initiative die wichtige und richtige Initialbebauung an der Wagramer Straße zurückgeht, auf den aus der Statistik bekannten „Schweinezyklus“ aufmerksam: Muzicant fürchtet, dass der in der Ausstellung dokumentierte Aufschwung zur städtebaulichen Modernisierung Wiens wieder genauso plötzlich verschwindet, wie er entstanden ist, wodurch für die Stadt und ihre Bedeutung im internationalen Kontext schwere Nachteile entstünden.
Die AzW-Schau enthält sich zwar jeglicher Kritik an den einzelnen Bauten und dem Städtebau insgesamt, vermittelt aber, dass die Stadt aus dem zyklischen Tief der Stagnation herausgeführt wurde. Und die modische Eintönigkeit fällt ohnedies von selbst auf: vor allem die grauen Glaskisten. Glas ist das einzige, was die präsentierten Großprojekte von denjenigen der Achtzigerjahre unterscheidet. Wir haben zwei Möglichkeiten, mit dieser Erkenntnis umzugehen. Wir können uns von den heutigen Großprojekten deprimieren lassen; oder wir müssen damit beginnen, die Architektur des Aufschwungs vor dreißig Jahren neu zu bewerten.
[ Die Ausstellung „5.000.000 m³ Wien“ ist bis 1.9.2003 im Architekturzentrum Wien (1., Museumsplatz 1, im MQ) zu sehen. ]
Für den Beitrag verantwortlich: Falter
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