Veranstaltung

Linie Form Funktion
Ausstellung
Linie Form Funktion © DAM, Foto: Norbert Miguletz
28. November 2015 bis 1. Mai 2016
DAM Deutsches Architekturmuseum
Schaumainkai 43
D-60596 Frankfurt / Main


Veranstalter:in: Deutsches Architekturmuseum (DAM)
Eröffnung: Freitag, 27. November 2015, 19:00 Uhr

Die Eleganz des Einfachen

Der grosse deutsche Architekt Ferdinand Kramer

Zweimal hat er Frankfurt am Main als Architekt gedient, jeweils in den Notzeiten nach den Weltkriegen: Ferdinand Kramer, ein Grosser des funktionalen Bauens. Dazwischen lagen schwierige Jahre des Exils in den USA.

24. Januar 2016 - Wolfgang Jean Stock
Schon mehrfach hat das Deutsche Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt am Main an die Entstehung der modernen Architektur in der eigenen Stadt erinnert. In erster Linie an Ernst May (NZZ 3. 10. 11), den Begründer und Leiter des legendären Bauprogramms «Das Neue Frankfurt» in den 1920er Jahren. Vor einigen Jahren waren auch die Bauten seines Mitstreiters Martin Elsaesser (NZZ 27. 1. 10) zu sehen, darunter die berühmt gewordene Grossmarkthalle, die heute ein Teil des Neubaus der Europäischen Zentralbank (EZB) ist. Relativ spät würdigt nun das DAM den Dritten im Bunde, den Architekten und Designer, der 1898 in Frankfurt geboren wurde und 1985 dort starb.

Qualität mit sparsamen Mitteln

Dabei ist Kramer ein Sonderfall, weil er auch zu einem Pionier der zweiten Frankfurter Nachkriegsmoderne wurde. Betrachtet man seine Bauten aus dieser Zeit, so hat es einen tieferen Sinn, dass Kramers Lebenswerk erstmals umfassend in Zürich ausgebreitet wurde, 1991 in der von Claude Lichtenstein für das Museum für Gestaltung kuratierten Ausstellung «Der Charme des Systematischen». Die konsequente Sachlichkeit von Kramers Gestaltungen hatte nämlich nichts mit der deutschen Nierentisch-Moderne zu tun, sondern war dem Geist und der Haltung eines Max Bill verwandt. Was dieser bis 1955 mit der Hochschule für Gestaltung in Ulm schuf, fand seine Entsprechung in Kramers Neubauten für die Frankfurter Universität.

Wolfgang Voigt, der sich nun mit der Frankfurter Ausstellung als stellvertretender Direktor aus dem DAM verabschiedet, zeigt Kramers Bauten auf einladende Art. Zartfarbig gestrichene Wände unterscheiden vier Perioden: die Frankfurter Jahre bis 1938, das anschliessende Exil in den USA, die zweite Karriere als Baudirektor der Frankfurter Universität von 1952 bis 1964, zuletzt die Wohnhäuser des Privatarchitekten nach 1957. Zahlreiche historische Fotos, aber auch anrührende Autografen zu Kramers Leben und Werk stammen aus dem von seiner zweiten Ehefrau Lore geführten Privatarchiv. Die kleinformatigen Schwarz-Weiss-Fotos der Bauten werden wirkungsvoll ergänzt durch grosse Farbfotos von Norbert Miguletz, die den gegenwärtigen, teilweise traurigen Zustand der Gebäude wiedergeben. Fünfzehn schöne Modelle, in der Mehrzahl eigens für die Ausstellung angefertigt, machen die Bauten und Projekte besonders anschaulich. Unterstützt wurde Voigt von den jungen Mit-Kuratoren Philipp Sturm und Peter Körner.

Architektur und Städtebau

Ferdinand Kramer, der aus einer angesehenen Frankfurter Bürgerfamilie kam, schloss 1922 sein Architekturstudium bei Theodor Fischer in München ab. Zeitlebens blickte er dankbar auf seinen Lehrer zurück: «Für ihn waren Architektur und Städtebau noch eine Einheit – im Gegensatz zu heute, wo manch ein Städtebauer noch nicht einmal ein Bahnwärterhäuschen gebaut hat.» Auch diese Äusserung zeigt, dass Kramer ein kritischer, ja eigensinniger Kopf war. 1923 in Frankfurt zurück, erhielt er jedoch als Architekt zunächst keine Aufträge. Deshalb schuf er Gegenstände des täglichen Gebrauchs, «praktische Dinge, die auf dem Markt fehlten», wie Kochtöpfe, Kannen, Kombinationsmöbel und den berühmt gewordenen Kramer-Ofen. Diese mit grossem Erfolg verkauften Objekte werden in der Ausstellung aber nur gestreift, weil das benachbarte Museum Angewandte Kunst schon im Frühjahr 2014 den Designer Ferdinand Kramer (NZZ 19. 3. 14) vorgestellt hatte.

Bereits an diesen frühen Entwürfen lassen sich die Prinzipien von Kramers langer gestalterischer Arbeit erkennen: Verzicht auf Opulenz und Ornament, Orientierung am sozialen Gebrauchswert und «höchste Qualität mit sparsamsten Mitteln», wie er es auf der Bootswerft seines Grossvaters gelernt hatte. Sehr nah fühlte er sich dem zweiten Bauhaus-Direktor, Hannes Meyer (NZZ 17. 7. 15), der «Volksbedarf statt Luxusbedarf» gefordert hatte. Diese Maxime musste auch deshalb gelten, weil angesichts der immensen Frankfurter Bauaufgaben die finanziellen Mittel stets zu gering waren. 1925 von Ernst May für fünf Jahre in das Team des «Neuen Frankfurt» geholt, arbeitete Kramer als Fachmann für Typisierung. Sein erstes grosses architektonisches Werk wurde dann die von 1929 bis 1931 errichtete Siedlung Westhausen. Die in strenger Ordnung aufgereihten Häuserzeilen mit Laubengängen enthielten zwar kleine Wohnungen, aber in einem damals hochmodernen Standard mit Bad und Zentralheizung aus einem eigenen Heizkraftwerk. Durch die Reduktion auf das Notwendige waren die Wohnungen auch tatsächlich für Arbeiter erschwinglich.

Parallel dazu entwarf Kramer eines der wenigen privaten Wohnhäuser des «Neuen Bauens» in Frankfurt, das Haus Erlenbach. Dieses dreigeschossige Gebäude, das gegen heftige Einsprüche der Baupolizei durchgesetzt werden musste, war ein strahlend weisses Haus mit Flachdach und Stahlrahmenfenstern mit schlanken Profilen. Die Schwierigkeiten mit der Baupolizei nahmen schon vorweg, dass Kramer nach 1933 nur durch gestalterische Anpassung an die Normen des Dritten Reiches überleben konnte. Nachdem ihn 1937 regimetreue Frankfurter Kollegen als «entarteten Architekten» angeprangert hatten und er kurz darauf wegen seiner aus einer jüdischen Familie stammenden Frau Berufsverbot erhalten hatte, entschloss sich Kramer ein Jahr später schweren Herzens zum Exil in die USA. Dort erregte er zwar mit neuartigen Warenhaus-Einrichtungen und zerlegbaren Möbeln Aufsehen, doch als Architekt konnte er nicht Fuss fassen. Das einzige grössere Bauprojekt waren zwei Siedlungen mit konventionellen amerikanischen Landhäusern aus Holz, die er im Auftrag des ebenfalls aus Frankfurt emigrierten Instituts für Sozialforschung ausführte.

Die Tragik des Pioniers

So ergriff Ferdinand Kramer gern die Chance zu einer zweiten Karriere. 1952 bat ihn Max Horkheimer als Rektor der zu 85 Prozent zerstörten Frankfurter Universität, die Leitung des Universitätsbauamts zu übernehmen. Bis 1964 entstanden in dichter Folge wissenschaftliche Institute, Seminargebäude, Hörsäle, Studentenheime mit einer neuartigen Wohnlichkeit und eine grosse Mensa. Insgesamt 23 Gebäude hat Kramer für die Universität geschaffen, wobei ihm finanzielle Engpässe immer wieder zu schaffen machten. Einen Höhepunkt bildete die 1964 fertiggestellte Stadt- und Universitätsbibliothek, die damals modernste deutsche Bibliothek, weil auch die erste mit einem weitgehenden Freihandsystem.

Mit einem Fanal hatte sich Kramer 1953 eingeführt, weil er das schmale neobarocke Hauptportal der Universität durch einen sieben Meter breiten und voll verglasten Eingang ersetzen liess. War er schon in den 1920er Jahren als «Glattmacher» gescholten worden, galt er nun gar als «Barbar». Dabei hatte Kramer ein funktionales Zeichen für eine offene demokratische Universität gesetzt. Der Filmemacher und Schriftsteller Alexander Kluge, der dort seinerzeit als Jurist arbeitete, erblickte darin einen «Befreiungsschlag».

Bei dem neuen Haupteingang mit seinen schlichten Metallprofilen war die von Kramer gepflegte Eleganz des Einfachen besonders anschaulich. Dies galt auch für die neuen Gebäude, die überwiegend in Stahlbeton-Skelettbauweise errichtet wurden. Je nach Funktion war das Skelett durch Fensterflächen, Glasbausteine oder hellgelbe Klinker ausgefacht. Eine Sonderstellung nahm das «Philosophicum» ein, das erste Hochhaus in Deutschland mit einem nach aussen hin unverhüllten tragenden Stahlgerüst, was zuvor aus Gründen des Brandschutzes nicht zulässig war.

Doch nur wenige Jahre nach seinem Abschied aus dem Bauamt wurde Ferdinand Kramer bitter enttäuscht. Zeitlebens politisch links fühlend, betrachtete er die studentische Protestbewegung mit Sympathie. Fassungslos machte ihn aber der Umgang der Studenten mit seinen Gebäuden. Sie wurden von ihnen nicht nur für allerlei Aktionen gebraucht, sondern dabei rabiat verbraucht. Mauern und Wände wurden mit Parolen beschmiert, Möbel und technische Einrichtungen willkürlich zerstört. Ausgerechnet diese Studenten hatten nicht begriffen, dass Kramers Architektur auf sozialreformerischen Ideen fusste.

Vandalismus

Der Vandalismus führte zusammen mit einem mangelnden Bauunterhalt zu derart erbärmlichen Zuständen, dass die Universitätsleitung schon 1985 für Abrisse plädierte. Seither sind einige von Kramers Bauten abgebrochen worden, immerhin fünf stehen noch unter Denkmalschutz. Die Zukunft der Bibliothek ist ungewiss, das Philosophicum wird derzeit zu einem Apartmenthaus für Studenten umgebaut, dabei aber seinen Charakter weitgehend verlieren. Sollte es ganz tragisch werden, bliebe von Kramers Erbe nur das Pharmaziegebäude, das auf vorbildliche Weise saniert, ertüchtigt und umgenutzt wurde. Es wäre dann das letzte Zeugnis einer Architektur, deren «Schönheit sich nicht der Zwecke schämte», wie Kramer oft betont hat.
[ Bis 1. Mai im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main. Katalog: Ferdinand Kramer – Die Bauten. Hrsg.: Wolfgang Voigt, Philipp Sturm, Peter Körner, Peter Cachola Schmal. Ernst-Wasmuth-Verlag, Tübingen 2015. 174 S., € 32.– (im Museum). ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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