Veranstaltung

ArchiSkulptur
Ausstellung
3. Oktober 2004 bis 30. Januar 2005
Fondation Beyeler
Baselstrasse 101
CH-4125 Riehen / Basel


Veranstalter:in: Fondation Beyeler

Rationalität und Expressivität

Dialog zwischen Architektur und Skulptur in Riehen

Unter dem Titel «ArchiSkulptur» präsentiert die Fondation Beyeler in Riehen Skulptur im Dialog mit Architektur. Die breit angelegte Ausstellung macht deutlich, dass die Wechselbeziehungen zwischen den Gattungen seit dem Ende des 18. Jahrhunderts für beide Seiten fruchtbar, aber auch wegweisend für heutige Entwicklungen waren.

6. Oktober 2004 - Martino Stierli
In seinem Urteil zum griechischen Tempel war der Architekturhistoriker Nikolaus Pevsner unzweideutig: Er sei der nie wieder erreichte Gipfelpunkt der Architektur, soweit sie je ihre Erfüllung in plastisch-körperhafter Schönheit gesucht habe. Die Wahlverwandtschaft zwischen den beiden Disziplinen Architektur und Skulptur scheint damit von allem Anfang an zu bestehen. Und vermutlich hat Markus Brüderlin sich des Diktums Pevsners erinnert, als er seiner gegenwärtigen Ausstellung in der Fondation Beyeler emblematisch ein Modell des Parthenons voranstellte. Die Schau in Riehen bei Basel hat zum Ziel, den Kreuzbestäubungen zwischen moderner Architektur und Skulptur auf den Grund zu gehen und damit die Fruchtbarkeit des gattungsübergreifenden Dialogs für beide Seiten zu demonstrieren. Es fällt schwer, sich der suggestiven Kraft des Ausstellungsauftakts zu entziehen.
Einleuchtende Gegenüberstellungen

Auch im weiteren Verlauf der Schau wird der Besucher in Sachen Inszenierung und Qualität der Exponate nicht enttäuscht. Der an nicht weniger als 180 Objekten von über 100 Künstlern und Architekten vorbeiführende Parcours folgt einer chronologischen Ordnung, wobei schwerpunktmässig die klassische Moderne sowie die jüngere Vergangenheit bis hin zur Gegenwart hervorgehoben werden. Eine Binnengliederung erfährt der historische Längsschnitt durch die Unterteilung des gesammelten Materials in zehn Kapitel. Eingestreute Rückblenden und Vorgriffe helfen dabei, die Konstanz zentraler Motive und Themen über die Zeitläufe und Gattungsgrenzen hinweg zu illustrieren. Das erste Kapitel rollt die Vorgeschichte der zeitgenössischen «ArchiSkulptur» in «Klassik», Gotik und Barock auf, ohne dabei den Brückenschlag in die Moderne zu unterlassen. So erscheinen Malewitschs suprematistische «Architekona» oder ein Hochhausentwurf von Oswald Mathias Ungers neben Etienne-Louis Boullées Kenotaph für Newton, eine Plastik von Antoine Pevsner neben dem Modell der Kathedrale von Reims oder Henri Matisses Figurine «La serpentine» neben Borrominis Sant'Ivo della Sapienza mit ihrer gewundenen Laternenspitze, die freilich auch auf Gaudí oder Tatlins berühmtes «Denkmal der III. Internationale» vorausweist.

Damit ist die Überleitung ins 20. Jahrhundert mehrfach angekündigt. Das Kapitel zu Kubismus, De Stijl und Bauhaus steht unter dem Stichwort der «Eroberung des Raumes», während die anschliessende Sektion die gleichzeitige Entdeckung plastischer Qualitäten durch die expressionistische Architektur aufzeigt. Anhand dieser Gegenüberstellung von Rationalität und Expressivität offenbart die Ausstellung zwei grundlegende künstlerische Haltungen und suggeriert zugleich, dass sich der Widerstreit zwischen Geometrik und Organik gleichsam als roter Faden durch die Geschichte des Austauschs zwischen den Disziplinen zieht. In der Tat wird der Dualismus beim Rundgang immer wieder sichtbar; so etwa bei der als Exkurs eingeschobenen Gegenüberstellung des Goetheanums von Rudolf Steiner und Ludwig Wittgensteins Haus Stonborough, der - auf der Ebene der Plastik - die Kontrastierung von Beuys und LeWitt entspricht.

Breiter Platz wird der Dekade zwischen 1950 und 1960 eingeräumt, zumal die Ausstellung hier einen besonders ergiebigen Dialog ausmacht, ganz im Sinne von Carola Giedion-Welcker, die für die Epoche ein eigentliches «Sculptural Age» ausgerufen hatte. Die Gegenüberstellung des Modells von Le Corbusiers Wallfahrtskirche in Ronchamp mit einer Liegenden von Henry Moore setzt die These ebenso bildwirksam um wie der Vergleich einer Skulptur von Fritz Wotruba mit der stereometrischen Körperhaftigkeit seiner gemeinsam mit Fritz Gerhard Mayr entworfenen Wiener Kirche Zur Heiligsten Dreifaltigkeit. In weiteren Kapiteln zeichnet die Ausstellung die «Architektonisierung» der Skulptur durch ihr Ausgreifen in den Stadtraum unter dem Begriff der Installation nach (Dan Graham) oder zeigt die Spuren auf, die die Minimal Art in der Architektur der jüngeren Vergangenheit hinterlassen hat (Donald Judd - Herzog & de Meuron).

Dass selbst im Städtebau mit skulpturalen Modi der Formfindung experimentiert wird, belegt ein Blick auf die urbanen Utopien der sechziger Jahre. Arata Isozakis «Clusters in the Air» etwa zeugen von einem Nachdenken über Struktur, das Zoltan Kemenys geschichteten Metallplastiken vergleichbar scheint. Einen Ausblick in die Zukunft bietet das letzte Kapitel, das die beiden aktuellen architektonischen Konzepte des Blobs (mit Beispielen von Greg Lynn) und der Box (anhand von Jean Nouvels Monolith der Expo 02) einander gegenüberstellt und ihre formale Verwandtschaft mit Themen der zeitgenössischen Plastik betont. Als Synthese der beiden Positionen bietet sich ein virtueller Kunstraum von Peter Kogler an, der gleichsam die Grenzen zwischen Architektur und Skulptur verwischt. Das Pendant im realen Raum bildet eine Auftragsarbeit von Herzog & de Meuron, die im Museumspark Aufstellung gefunden hat.

Es liegt in der Natur der Dinge, dass die durch die Ausstellung forcierte Betonung der formalen Gemeinsamkeiten von Architektur und Skulptur zu einer Ausblendung der funktionalen Zusammenhänge und Eigengesetzlichkeiten beider Disziplinen führt. Immer wieder ertappt sich der Betrachter bei besonders überzeugenden Vergleichen dabei, die Frage nach «Architektur» oder «Skulptur» zu vergessen, zumal diese bei verschiedenen zeitgenössischen Arbeiten gar nicht mehr eindeutig zu beantworten ist. Indessen ist es müssig, die fehlende Differenzierung zu beklagen, zielt die Ausstellung mit ihrer dezidiert formalistischen Fragestellung doch ganz bewusst auf eine Ergänzung der «offiziellen» Geschichte der beiden Disziplinen ab. Die für das Verständnis der eigenständigen Entwicklungen moderner Architektur und Plastik unerlässlichen Hintergrundinformationen werden denn auch in den Katalogtexten stichwortartig nachgeliefert.
Weite Assoziationsräume

Dagegen muss das Projekt auf seinen Anspruch hin befragt werden, die Disziplinen in ein fruchtbares Zwiegespräch treten zu lassen. Es ist eine Stärke der Ausstellung, dass sie sich nicht auf paarige Vergleiche beschränkt und dass sie es unterlässt, stringente Beweisketten der gegenseitigen «Beeinflussung» zu konstruieren. Stattdessen fasst sie Kunstwerke und Architekturmodelle jeweils in Gruppen zusammen, was dem Betrachter weite Assoziationsräume eröffnet und ihn dazu auffordert, eigene Querbezüge und Analogien herzustellen. Einzelne Vergleiche mögen Opfer einer gewissen Beliebigkeit sein. Wenn etwa die Skulpturen Henry Moores in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen als Gesprächspartner für Architekturen herangezogen werden, so wirkt die Erkenntnis eines beidseitigen Anthropomorphismus alles andere als überraschend (dafür aber bisweilen fragwürdig).

Die methodischen Fallstricke werden dabei in der Ausstellung durchaus mitreflektiert. So ist die Gegenüberstellung von Originalskulpturen und - notabene - verkleinerten Architekturrepräsentationen in Form von Modellen keineswegs unproblematisch. Indem die Ausstellungsmacher in einem Vergleich von Hans Arps grossem «Schalenbaum» mit einem Miniaturmodell von Frank Lloyd Wrights Guggenheim Museum die realen Grössenverhältnisse in drastischer Weise auf den Kopf stellen, scheinen sie das eigene Vorgehen gleichsam zu ironisieren. Das ist klug und, auch hier, ein optischer Genuss.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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Dialoge zwischen Architektur und Plastik vom 18. Jahrhundert bis heute