Veranstaltung
Architektur der Wunderkinder
Ausstellung
3. Februar 2005 bis 1. Mai 2005
Architekturmuseum der TU München
in der Pinakothek der Moderne
Barer Straße 40
D-80333 München
in der Pinakothek der Moderne
Barer Straße 40
D-80333 München
Veranstalter:in: Architekturmuseum der TU München
Bauen auf Ruinen
Widersprüchliche Nachkriegsarchitektur - eine Ausstellung in München
Mit der Architektur der Wirtschaftswunderjahre verbindet man organischen Schwung und heitere Eleganz. In Deutschland aber gestaltete sich die bauliche Entwicklung aufgrund der geschichtlichen Zäsur widersprüchlicher als anderswo. Eine Ausstellung in München beleuchtet nun die Vielfalt der Nachkriegsbaukunst am Beispiel Bayerns.
2. April 2005 - Roman Hollenstein
Noch heute zeugt das Weichbild deutscher Städte von Kriegsverlust und schnellem Wiederaufbau. Doch während sich die fünfziger Jahre in Hamburg oder Köln mit leichten Pavillons und filigranen Rasterbauten zukunftsfroh gaben, blickte man in Bayern gern zurück. Deshalb waren dort die städtebaulichen Veränderungen der Nachkriegszeit viel weniger einschneidend als sonst in Deutschland - und dies, obwohl Städte wie Augsburg, München oder Nürnberg grösstenteils in Schutt und Asche lagen. Doch statt die Trümmer abzuräumen und neu zu bauen, entschied man sich im Freistaat oft für die Wiederherstellung der Strassenachsen und der wichtigen Fassaden. So vergisst man heute leicht, dass etwa das «mittelalterliche» Rothenburg ob der Tauber ein Remake der fünfziger Jahre und Münchens Zentrum vom Königsplatz bis hin zu Residenz und Siegestor weitgehend nachgebaut ist.
Die denkmalpflegerisch nicht unproblematische, psychohygienisch aber wichtige möglichst abbildgetreue Rekonstruktion von Platz- und Strassenräumen liess München als wohl schönste Metropole Deutschlands wiederauferstehen. Nur an zurückversetzten Orten durften hier im Zentrum auch wegweisende Neubauten wie das 1957 vollendete Justizgebäude der Neuen Maxburg errichtet werden. Dieser Glaspalast von Sep Ruf und Theo Pabst verkörperte in seiner programmatischen Transparenz den neuen demokratischen Geist der Bundesrepublik. Doch offener als für die gläserne Nachkriegsmoderne war man an der Isar für die autogerechte Stadt. So schlug der schon unter den Nazis tätige Oberbaudirektor Karl Meitinger bereits 1945 erfolgreich den Bau eines Cityringes vor. Auch wenn dieser ein Fragment bleiben sollte, fügte er dem Stadtbild bleibende Wunden zu. Derartige Interventionen nährten den Mythos, die Fehlgriffe im Wiederaufbau der deutschen Städte basierten auf Plänen von Albert Speer. Neuste Forschungen entkräften zwar diese Vermutungen weitgehend, machen dafür aber deutlich, dass auch in Architektenkreisen einstige Parteimitglieder und Mitläufer nach dem Krieg schnell zu «Wendehälsen» wurden, welche mit der Heiterkeit der Fifties oft höchst erfolgreich ihre dunkle Vergangenheit zu überspielen wussten. Wohl setzten Ewiggestrige wie Roderich Fick beim Verlagsgebäude von C. H. Beck oder Paul Schmitthenner beim neuen (überraschend fein proportionierten) Münchner Sitz der Frankona-Versicherung weiterhin auf die Gravität der Nazizeit. Doch andere konservativ-moderne Bauten wie der Hauptsitz der Allianz in München von Josef Wiedemann oder das Rathaus in Aschaffenburg von Diez Brandi belegen eine kreative Auseinandersetzung mit dem skandinavischen Klassizismus eines Gunnar Asplund.
Baukünstlerischer Reichtum
Dieser Vielfalt von urbanistischen und architektonischen Entwicklungen zwischen vorsichtiger Rekonstruktion und stürmischer Modernisierung, zwischen monumentaler Schwere und spielerischer Eleganz spüren nun Winfried Nerdinger und Inez Florschütz am Beispiel Bayerns in einer sorgfältig konzipierten Ausstellung nach. Die vom Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne unter dem Titel «Architektur der Wunderkinder» materialreich inszenierte Schau verweist auf Kurt Hoffmanns Film «Wir Wunderkinder», der 1958 die Widersprüchlichkeiten der Wirtschaftswunderzeit zwischen Schuld, Verdrängung und Neuanfang aufzeigte. Obwohl schon 1949 die ersten Bauausstellungen - von denen eine ausgerechnet in der ehemaligen Nazi-Kongresshalle in Nürnberg durchgeführt wurde - die leuchtend moderne Architektur der USA, Skandinaviens und der Schweiz unter dem Slogan «Wir müssen bauen» zur Nachahmung empfahlen und obwohl bald neue Schulhäuser, Wohnsiedlungen und Freibäder ein fortschrittlicheres Zeitalter ankündigten, glaubten verunsicherte Geister wie der Schriftsteller Wolfgang Koeppen, selbst unter den neuen Strassen weiterhin «den unheimlichen deutschen Grund, das völkische Moor» zu spüren.
Anhand einer Vielzahl zeitgenössischer Fotos, Pläne und Modelle stellt die Schau städtebauliche Konzepte zwischen Wiederherstellung und Tabula rasa ebenso vor wie schnell errichtete Notkirchen, nüchterne Verwaltungsbauten, das improvisierte Wohnen in ehemaligen Rüstungsfabriken oder etwa den einer faschistischen Ästhetik verpflichteten Neubau des Herkules-Saals von Rolf Esterer in der zerstörten Münchner Residenz. Doch bald schon manifestierte sich der Traum von einem schöneren Leben in Pavillons, Eiscafés, Kinos, Kaufhäusern oder in den Villen von Hans und Traudl Maurer, aber auch in fortschrittlichen Ständerbauten, kühnen Flugdächern und geschwungenen Freitreppen. Als architektonisch besonders interessant erweist sich heute der kritisch-schöpferische Wiederaufbau der Kirche St. Bonifaz und der Alten Pinakothek durch Hans Döllgast, des Siegestors und des Odeons durch Wiedemann oder der Kirche St. Johannis in Würzburg durch Reinhard Riemerschmid. Hier trat an die Stelle der bald schon als «Geschichtsfälschung» oder «kultureller Atavismus» abgelehnten Rekonstruktion eine baukünstlerische Intervention, welche die Ruine und deren zeitgenössische Ergänzungen gleichermassen thematisierte und die Bauten so zu eigentlichen Monumenten der Erinnerung machte.
Gefährdetes Architekturerbe
Anders als aus dem hervorragenden Katalog geht aus der Ausstellung der heutige Erhaltungszustand all dieser Leuchttürme der Nachkriegsmoderne nicht hervor. Nur am Beispiel des 1957 eröffneten Landesversorgungsamtes von Hans und Wassili Luckhardt wird in einem eigenen Kapitel auf die mutwillige Zerstörung eines rationalistischen Hauptwerks hingewiesen. Die Bedeutung der Ausstellung reicht weit über die zweifellos wichtige Aufarbeitung der vielen architektonischen Aspekte der Wirtschaftswunderjahre hinaus. Als Plädoyer für die Nachkriegsarchitektur, die vom konservativen Steinhaus bis hin zum Meisterwerk aus Glas und Stahl viele hochinteressante Bauten umfasst, macht die auf bayrische Beispiele beschränkte Schau klar, dass Deutschland neben einem historischen auch ein eminent baukünstlerisches Erbe zu verwalten und zu schützen hat. Wie nötig dies ist, demonstriert der jüngst durchgeführte Abriss der 1952 aus einem hochkarätigen Wettbewerb hervorgegangenen Chemisch-Pharmazeutischen Institute unweit des Münchner Königsplatzes. Hier lässt sich ein ähnlicher Mangel an Respekt vor dem gebauten Patrimonium ausmachen wie etwa in Frankfurt, wo vor gut drei Jahren mit dem Zürich-Haus ein Juwel der frühen Hochhausarchitektur der Spitzhacke zum Opfer fiel.
Die denkmalpflegerisch nicht unproblematische, psychohygienisch aber wichtige möglichst abbildgetreue Rekonstruktion von Platz- und Strassenräumen liess München als wohl schönste Metropole Deutschlands wiederauferstehen. Nur an zurückversetzten Orten durften hier im Zentrum auch wegweisende Neubauten wie das 1957 vollendete Justizgebäude der Neuen Maxburg errichtet werden. Dieser Glaspalast von Sep Ruf und Theo Pabst verkörperte in seiner programmatischen Transparenz den neuen demokratischen Geist der Bundesrepublik. Doch offener als für die gläserne Nachkriegsmoderne war man an der Isar für die autogerechte Stadt. So schlug der schon unter den Nazis tätige Oberbaudirektor Karl Meitinger bereits 1945 erfolgreich den Bau eines Cityringes vor. Auch wenn dieser ein Fragment bleiben sollte, fügte er dem Stadtbild bleibende Wunden zu. Derartige Interventionen nährten den Mythos, die Fehlgriffe im Wiederaufbau der deutschen Städte basierten auf Plänen von Albert Speer. Neuste Forschungen entkräften zwar diese Vermutungen weitgehend, machen dafür aber deutlich, dass auch in Architektenkreisen einstige Parteimitglieder und Mitläufer nach dem Krieg schnell zu «Wendehälsen» wurden, welche mit der Heiterkeit der Fifties oft höchst erfolgreich ihre dunkle Vergangenheit zu überspielen wussten. Wohl setzten Ewiggestrige wie Roderich Fick beim Verlagsgebäude von C. H. Beck oder Paul Schmitthenner beim neuen (überraschend fein proportionierten) Münchner Sitz der Frankona-Versicherung weiterhin auf die Gravität der Nazizeit. Doch andere konservativ-moderne Bauten wie der Hauptsitz der Allianz in München von Josef Wiedemann oder das Rathaus in Aschaffenburg von Diez Brandi belegen eine kreative Auseinandersetzung mit dem skandinavischen Klassizismus eines Gunnar Asplund.
Baukünstlerischer Reichtum
Dieser Vielfalt von urbanistischen und architektonischen Entwicklungen zwischen vorsichtiger Rekonstruktion und stürmischer Modernisierung, zwischen monumentaler Schwere und spielerischer Eleganz spüren nun Winfried Nerdinger und Inez Florschütz am Beispiel Bayerns in einer sorgfältig konzipierten Ausstellung nach. Die vom Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne unter dem Titel «Architektur der Wunderkinder» materialreich inszenierte Schau verweist auf Kurt Hoffmanns Film «Wir Wunderkinder», der 1958 die Widersprüchlichkeiten der Wirtschaftswunderzeit zwischen Schuld, Verdrängung und Neuanfang aufzeigte. Obwohl schon 1949 die ersten Bauausstellungen - von denen eine ausgerechnet in der ehemaligen Nazi-Kongresshalle in Nürnberg durchgeführt wurde - die leuchtend moderne Architektur der USA, Skandinaviens und der Schweiz unter dem Slogan «Wir müssen bauen» zur Nachahmung empfahlen und obwohl bald neue Schulhäuser, Wohnsiedlungen und Freibäder ein fortschrittlicheres Zeitalter ankündigten, glaubten verunsicherte Geister wie der Schriftsteller Wolfgang Koeppen, selbst unter den neuen Strassen weiterhin «den unheimlichen deutschen Grund, das völkische Moor» zu spüren.
Anhand einer Vielzahl zeitgenössischer Fotos, Pläne und Modelle stellt die Schau städtebauliche Konzepte zwischen Wiederherstellung und Tabula rasa ebenso vor wie schnell errichtete Notkirchen, nüchterne Verwaltungsbauten, das improvisierte Wohnen in ehemaligen Rüstungsfabriken oder etwa den einer faschistischen Ästhetik verpflichteten Neubau des Herkules-Saals von Rolf Esterer in der zerstörten Münchner Residenz. Doch bald schon manifestierte sich der Traum von einem schöneren Leben in Pavillons, Eiscafés, Kinos, Kaufhäusern oder in den Villen von Hans und Traudl Maurer, aber auch in fortschrittlichen Ständerbauten, kühnen Flugdächern und geschwungenen Freitreppen. Als architektonisch besonders interessant erweist sich heute der kritisch-schöpferische Wiederaufbau der Kirche St. Bonifaz und der Alten Pinakothek durch Hans Döllgast, des Siegestors und des Odeons durch Wiedemann oder der Kirche St. Johannis in Würzburg durch Reinhard Riemerschmid. Hier trat an die Stelle der bald schon als «Geschichtsfälschung» oder «kultureller Atavismus» abgelehnten Rekonstruktion eine baukünstlerische Intervention, welche die Ruine und deren zeitgenössische Ergänzungen gleichermassen thematisierte und die Bauten so zu eigentlichen Monumenten der Erinnerung machte.
Gefährdetes Architekturerbe
Anders als aus dem hervorragenden Katalog geht aus der Ausstellung der heutige Erhaltungszustand all dieser Leuchttürme der Nachkriegsmoderne nicht hervor. Nur am Beispiel des 1957 eröffneten Landesversorgungsamtes von Hans und Wassili Luckhardt wird in einem eigenen Kapitel auf die mutwillige Zerstörung eines rationalistischen Hauptwerks hingewiesen. Die Bedeutung der Ausstellung reicht weit über die zweifellos wichtige Aufarbeitung der vielen architektonischen Aspekte der Wirtschaftswunderjahre hinaus. Als Plädoyer für die Nachkriegsarchitektur, die vom konservativen Steinhaus bis hin zum Meisterwerk aus Glas und Stahl viele hochinteressante Bauten umfasst, macht die auf bayrische Beispiele beschränkte Schau klar, dass Deutschland neben einem historischen auch ein eminent baukünstlerisches Erbe zu verwalten und zu schützen hat. Wie nötig dies ist, demonstriert der jüngst durchgeführte Abriss der 1952 aus einem hochkarätigen Wettbewerb hervorgegangenen Chemisch-Pharmazeutischen Institute unweit des Münchner Königsplatzes. Hier lässt sich ein ähnlicher Mangel an Respekt vor dem gebauten Patrimonium ausmachen wie etwa in Frankfurt, wo vor gut drei Jahren mit dem Zürich-Haus ein Juwel der frühen Hochhausarchitektur der Spitzhacke zum Opfer fiel.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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