Veranstaltung
Neue Architektur in Südtirol
Ausstellung
4. Februar 2006 bis 17. April 2006
kunst Meran
Laubengasse Nr. 163
I - 39012 Meran
Laubengasse Nr. 163
I - 39012 Meran
Veranstalter:in: kunst Meran, Südtiroler Künstlerbund
Aufbruch an Etsch und Eisack
Neue Architektur in Südtirol - eine Ausstellung in Meran
In jüngster Zeit ist in Südtirol, der autonomen italienischen Provinz Alto Adige, eine lebendige, baukünstlerisch interessante Architekturszene entstanden. Nun stellt eine attraktive Schau in Meran rund fünfzig in den vergangenen sechs Jahren entstandene Bauten vor.
17. Februar 2006 - Hubertus Adam
An den historischen Meraner Lauben wandelten die Architekten Thomas Höller und Georg Klotzner vor fünf Jahren ein im Besitz der städtischen Sparkasse befindliches Wohn- und Geschäftshaus in ein Kulturzentrum um, das Veranstaltungssäle, Ausstellungsflächen und ein Café umfasst. «Kunst Meran - Merano Arte» heisst die Organisation, die hier in den vergangenen Jahren bemerkenswerte Kunst- und Architekturausstellungen veranstaltet hat - im letzten Jahr etwa eine Schau zum uvre des in Vrin tätigen Baukünstlers Gion Caminada, die in diesem Frühling im Bündner Kunstmuseum in Chur zu sehen sein wird. Der diesjährigen Architekturschau kommt besondere Bedeutung zu, da mit ihr zehn Jahre Kunst Meran und zugleich sechzig Jahre Südtiroler Künstlerbund gefeiert werden. Aufgrund dieser Anlässe entschied sich die auch schon für die Caminada-Retrospektive verantwortliche Architekturhistorikerin Bettina Schlorhaufer zu einer Bilanz der jüngsten Architekturentwicklung in der Region. «Neue Architektur in Südtirol 2000-2006» heisst die wiederum als Wanderausstellung konzipierte und von einem ebenso attraktiven wie informativen Katalogbuch begleitete Schau, in der anhand von Modellen, Plänen und Fotos rund fünfzig von einer internationalen Jury ausgewählte Bauten vorgestellt werden. Kunst Meran zählt selbst zu den präsentierten Projekten und stellt daher den idealen Ort für die Veranstaltung dar.
Selbstbewusstsein einer Region
Nachdem sich zunächst im Tessin, dann in Graubünden, Vorarlberg und etwas später in Tirol eine regionale, kontextuell geprägte Architektur ohne provinziellen Beigeschmack zu etablieren vermocht hat, macht seit jüngstem auch Südtirol von sich reden (NZZ 2. 12. 05). Das ist um so erstaunlicher, als der Stand der Baukultur sich in Italien seit längerem als problematisch erweist und herausragende Beispiele für zeitgenössische Architektur zumeist von den Happy Few der internationalen Stararchitektur realisiert werden.
Es ist nicht einfach, den Aufschwung der Südtiroler Architektur zu erklären; zumindest taugen monokausale Begründungen wenig. Man mag ein Planungsgesetz aus dem Jahr 1972 anführen, welches Zersiedlung weitgehend verhindert. Darüber hinaus macht sich die Nähe zu Österreich und der Schweiz bemerkbar - neben einheimischen Architekten sind oft auch Kollegen aus den Nachbarländern tätig. Das Zürcher Büro Bischoff Azzola etwa realisierte die Freie Universität Bozen in gut schweizerisch-minimalistischer Formensprache, und Peter Zumthor ist mit einer Erweiterung der Pension Briol oberhalb von Bad Dreikirchen beauftragt.
Hinzu kommt ein Bewusstsein für die regionale Identität dieses italienischen Landesteils, der 1972 den Status der autonomen Provinz Bozen- Südtirol (Alto Adige) erhalten hat. Die früheren Kämpfe um die Sprachhoheit in dem nach dem Ersten Weltkrieg an Italien gelangten Südtirol sind inzwischen einer zweisprachigen Gelassenheit gewichen, und die einstige Grenzregion, die im vereinten Europa vom Rand in die Mitte gerückt ist, sieht sich mit neuen Problemen konfrontiert. Der Ausbau des Brennerpasses war einst ein Segen für die Region - Merans Bedeutung als Kurort um 1900 resultierte aus der neuen Zugsverbindung mit dem Norden. Der heutige Fluch besteht darin, dass sich die Täler von Eisack und Etsch in Transitkorridore für den Schwerverkehr verwandelt haben und Orte wie Meran in einer Zeit des weltumspannenden Flugtourismus lagemässige Vorteile eingebüsst haben.
Die Verkehrsflut betrifft indes nicht nur die Hauptachse, sondern auch den Vinschgau, das Tal, welches Meran mit dem Schweizer Münstertal verbindet. Ein planerisch wie architektonisch gleichermassen bemerkenswertes Vorhaben war die Wiedereröffnung der 1990 stillgelegten Vinschgau-Bahn im vergangenen Jahr. Walter Dietl hat für die reaktivierten Stationen ein architektonisch attraktives Modulsystem entwickelt, das sich an den jeweiligen Orten variieren lässt; Fahrradverleih-Stationen, wie sie Karl Spitaler in Schlanders realisiert hat, sollen Besucher anziehen, die bewusst auf das Auto verzichten.
Stadt und Land
Die Ausstellung in Meran ist nicht typologisch oder chronologisch, sondern nach den einzelnen Landschaftsräumen gegliedert: Vinschgau, Talkessel zwischen Meran und Bozen, unteres Etschtal, Eisacktal und Pustertal. Auffallend viele Projekte setzen sich mit der historischen Substanz auseinander: SOFA-Architekten, PVC-Architects und die Szenographen Steiner Sarnen bauten den vielbesuchten Sisi-Kultort Schloss Trautmannsdorff in abgeschwächt dekonstruktiver Manier zum botanischen Garten mit Tourismus- Museum um, Walter Angonese und Markus Scherer widmeten sich in sensibler Weise Schloss Tirol. Gemeinsam mit Silvia Boday und Rainer Köberl war Angonese auch für einen der überzeugendsten Bauten der neuen Südtiroler Architektur verantwortlich, das fast unsichtbar in die Landschaft eingefügte Weingut Manincor am Kalterersee. Einen Spezialfall der Aneignung historischer Architektur und eine besondere Herausforderung stellen die Monumentalbauten aus den dreissiger Jahren in Bozen dar. Sie waren Teil eines Plans, die ehemals deutschsprachige Stadt in ein faschistisches Bollwerk zu verwandeln: Stanislao Fierro machte die Piazza del Tribunale auf unprätentiöse Weise neu erlebbar, Klaus Kada erweiterte mit einem Glasbau das Gebäude der faschistischen Jugendorganisation GIL, das heute zu Recht als ein Meisterwerk der Paduaner Architekten Mansutti und Miotto gilt.
Die neue Architektur in Südtirol konzentriert sich nicht auf die eher städtischen Räume von Meran und Bozen, sondern findet sich auch in abgelegeneren Ortschaften. Zu den besten neuen Bauten zählen ein polygonales Mehrzweckgebäude von Mutschenlechner & Mahlknecht in St. Jakob im Ahrntal, die zeltartig wirkende Erweiterung der Pfarrkirche von Leifers von Höller & Klotzner sowie ein Wohnhaus von Silvia Boday in Tramin, das sich volumetrisch in das Gefüge der lokalen Satteldachbauten einfügt und doch dank Sichtbeton und grossflächigen Verglasungen auf der Aussichtsseite zeitgenössische Eigenständigkeit beweist.
Obwohl mit dem Hotel «Drei Zinnen» von Clemens Holzmeister in Sexten, dem Hotel «Monte Pana» von Franz Baumann auf der Seiser-Alp und dem Sporthotel «Valmartello» von Gio Ponti in den zwanziger und dreissiger Jahren grossartige Hotelarchitekturen in Südtirol entstanden, gibt es nur wenige überzeugende Beispiele für eine zeitgenössische Tourismusarchitektur. Eines davon ist die «Pergola Residence» des in Mailand tätigen Südtirolers Mateo Thun, die als exquisite terrassierte Hotelsiedlung in die Weinberge zwischen dem Dorf Algund und dem Algunder Waalweg integriert wurde.
[ Bis 17. April; Katalog: Neue Architektur in Südtirol 2000-2006. Hrsg. Bettina Schlorhaufer. Springer-Verlag, Wien 2006. 328 S., viele Farbabbildungen, Fr. 68.- (Euro 39.95 in der Ausstellung). ]
Selbstbewusstsein einer Region
Nachdem sich zunächst im Tessin, dann in Graubünden, Vorarlberg und etwas später in Tirol eine regionale, kontextuell geprägte Architektur ohne provinziellen Beigeschmack zu etablieren vermocht hat, macht seit jüngstem auch Südtirol von sich reden (NZZ 2. 12. 05). Das ist um so erstaunlicher, als der Stand der Baukultur sich in Italien seit längerem als problematisch erweist und herausragende Beispiele für zeitgenössische Architektur zumeist von den Happy Few der internationalen Stararchitektur realisiert werden.
Es ist nicht einfach, den Aufschwung der Südtiroler Architektur zu erklären; zumindest taugen monokausale Begründungen wenig. Man mag ein Planungsgesetz aus dem Jahr 1972 anführen, welches Zersiedlung weitgehend verhindert. Darüber hinaus macht sich die Nähe zu Österreich und der Schweiz bemerkbar - neben einheimischen Architekten sind oft auch Kollegen aus den Nachbarländern tätig. Das Zürcher Büro Bischoff Azzola etwa realisierte die Freie Universität Bozen in gut schweizerisch-minimalistischer Formensprache, und Peter Zumthor ist mit einer Erweiterung der Pension Briol oberhalb von Bad Dreikirchen beauftragt.
Hinzu kommt ein Bewusstsein für die regionale Identität dieses italienischen Landesteils, der 1972 den Status der autonomen Provinz Bozen- Südtirol (Alto Adige) erhalten hat. Die früheren Kämpfe um die Sprachhoheit in dem nach dem Ersten Weltkrieg an Italien gelangten Südtirol sind inzwischen einer zweisprachigen Gelassenheit gewichen, und die einstige Grenzregion, die im vereinten Europa vom Rand in die Mitte gerückt ist, sieht sich mit neuen Problemen konfrontiert. Der Ausbau des Brennerpasses war einst ein Segen für die Region - Merans Bedeutung als Kurort um 1900 resultierte aus der neuen Zugsverbindung mit dem Norden. Der heutige Fluch besteht darin, dass sich die Täler von Eisack und Etsch in Transitkorridore für den Schwerverkehr verwandelt haben und Orte wie Meran in einer Zeit des weltumspannenden Flugtourismus lagemässige Vorteile eingebüsst haben.
Die Verkehrsflut betrifft indes nicht nur die Hauptachse, sondern auch den Vinschgau, das Tal, welches Meran mit dem Schweizer Münstertal verbindet. Ein planerisch wie architektonisch gleichermassen bemerkenswertes Vorhaben war die Wiedereröffnung der 1990 stillgelegten Vinschgau-Bahn im vergangenen Jahr. Walter Dietl hat für die reaktivierten Stationen ein architektonisch attraktives Modulsystem entwickelt, das sich an den jeweiligen Orten variieren lässt; Fahrradverleih-Stationen, wie sie Karl Spitaler in Schlanders realisiert hat, sollen Besucher anziehen, die bewusst auf das Auto verzichten.
Stadt und Land
Die Ausstellung in Meran ist nicht typologisch oder chronologisch, sondern nach den einzelnen Landschaftsräumen gegliedert: Vinschgau, Talkessel zwischen Meran und Bozen, unteres Etschtal, Eisacktal und Pustertal. Auffallend viele Projekte setzen sich mit der historischen Substanz auseinander: SOFA-Architekten, PVC-Architects und die Szenographen Steiner Sarnen bauten den vielbesuchten Sisi-Kultort Schloss Trautmannsdorff in abgeschwächt dekonstruktiver Manier zum botanischen Garten mit Tourismus- Museum um, Walter Angonese und Markus Scherer widmeten sich in sensibler Weise Schloss Tirol. Gemeinsam mit Silvia Boday und Rainer Köberl war Angonese auch für einen der überzeugendsten Bauten der neuen Südtiroler Architektur verantwortlich, das fast unsichtbar in die Landschaft eingefügte Weingut Manincor am Kalterersee. Einen Spezialfall der Aneignung historischer Architektur und eine besondere Herausforderung stellen die Monumentalbauten aus den dreissiger Jahren in Bozen dar. Sie waren Teil eines Plans, die ehemals deutschsprachige Stadt in ein faschistisches Bollwerk zu verwandeln: Stanislao Fierro machte die Piazza del Tribunale auf unprätentiöse Weise neu erlebbar, Klaus Kada erweiterte mit einem Glasbau das Gebäude der faschistischen Jugendorganisation GIL, das heute zu Recht als ein Meisterwerk der Paduaner Architekten Mansutti und Miotto gilt.
Die neue Architektur in Südtirol konzentriert sich nicht auf die eher städtischen Räume von Meran und Bozen, sondern findet sich auch in abgelegeneren Ortschaften. Zu den besten neuen Bauten zählen ein polygonales Mehrzweckgebäude von Mutschenlechner & Mahlknecht in St. Jakob im Ahrntal, die zeltartig wirkende Erweiterung der Pfarrkirche von Leifers von Höller & Klotzner sowie ein Wohnhaus von Silvia Boday in Tramin, das sich volumetrisch in das Gefüge der lokalen Satteldachbauten einfügt und doch dank Sichtbeton und grossflächigen Verglasungen auf der Aussichtsseite zeitgenössische Eigenständigkeit beweist.
Obwohl mit dem Hotel «Drei Zinnen» von Clemens Holzmeister in Sexten, dem Hotel «Monte Pana» von Franz Baumann auf der Seiser-Alp und dem Sporthotel «Valmartello» von Gio Ponti in den zwanziger und dreissiger Jahren grossartige Hotelarchitekturen in Südtirol entstanden, gibt es nur wenige überzeugende Beispiele für eine zeitgenössische Tourismusarchitektur. Eines davon ist die «Pergola Residence» des in Mailand tätigen Südtirolers Mateo Thun, die als exquisite terrassierte Hotelsiedlung in die Weinberge zwischen dem Dorf Algund und dem Algunder Waalweg integriert wurde.
[ Bis 17. April; Katalog: Neue Architektur in Südtirol 2000-2006. Hrsg. Bettina Schlorhaufer. Springer-Verlag, Wien 2006. 328 S., viele Farbabbildungen, Fr. 68.- (Euro 39.95 in der Ausstellung). ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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