Veranstaltung

«Unaufgeräumt»
Ausstellung
17. März 2007 bis 27. Mai 2007
S AM
Schweizerisches Architekturmuseum
Steinenberg 7
CH-4001 Basel


Veranstalter:in: S AM Schweizerisches Architekturmuseum
Eröffnung: Freitag, 16. März 2007, 19:30 Uhr

Baukünstlerische Fundsachen

Eine Ausstellung im Schweizerischen Architekturmuseum Basel

Ihre erste Ausstellung im Schweizerischen Architekturmuseum nennt Francesca Ferguson «Unaufgeräumt». Ziel der Schau ist es, eine neue Ästhetik des Unvollendeten und Provisorischen zu definieren.

4. April 2007 - Lutz Windhöfel
Projekte von 16 Architektur- und Landschaftsarchitekturbüros aus Deutschland, Grossbritannien, Österreich, Polen, Spanien und der Schweiz stehen im Mittelpunkt der gegenwärtigen Ausstellung im Schweizerischen Architekturmuseum (SAM) in Basel. Sie stammen aus den letzten vier Jahren, sind teilweise bereits realisiert worden, befinden sich teilweise aber auch erst in Planung oder Ausführung. Die Gestalter veränderten mit ihren Interventionen Industrieareale, Wohnbrachen, Verkehrsbauten, alternative und etablierte Kulturforen, historische Herrschaftsarchitektur, landwirtschaftliche Nutzbauten und Freizeitlandschaften.

Bilder und Gedankenfragmente

Die diskursive Vielfalt, die Fergusons Debattier- Zyklus «Free Zone» (NZZ 6. 2. 07) auszeichnete, wird nun im Medium der Ausstellung mit Fotos, schriftlichen Angaben, Zeichnungen, Modellen oder O-Ton-Einspielungen aus einzelnen Werkprozessen zu einer unstrukturierten Addition von Bild-, Raum- und Akustik-Bausteinen. In Form von Collagen an den Wänden und räumlichen Inszenierungen auf Lagerkisten unterschiedlicher Grösse betont die Schau mit ihrer «gefundenen Unaufgeräumtheit» all das, was man anhand der Bauprojekte zeigen will. Und, wo diese gar nicht so «gefunden» oder «unaufgeräumt» aussehen, wird der thematische Rahmen mit gestalterischen Mitteln erzeugt. Etwa so, wie wenn man Schaufensterpuppen die Füsse abschraubt, weil die Hose, die man zeigen will, sonst zu kurz wäre.

Durch die Präsentationscollage, die Nutzungs- und Dimensionsvielfalt der architektonischen Projekte und die Ambition des Ausstellungstitels stimmt einfach alles oder auch gar nichts. Die Organik, die jeder Bauprozess hat (vom Nutzungsbedürfnis über Typologie und Ort bis hin zu Projekt, Planung und Ausführung) wird grandios ignoriert und phantasievoll arrangiert: ein Sampling von Bildern und Gedankenfragmenten. Und mit strenger Antiautorität wird auch jedes Beispiel einer Konstruktion der Zukunft zu einer Dekonstruktion der Gegenwart gemacht. Dies geschieht nicht ohne Komik.

In Ramsen zum Beispiel wurde eine landwirtschaftliche Miniatur-Stallung, die ohne Dach und Fenster, mit angebröckeltem Mauerwerk und tiefen Fassadenrissen auf der grünen Wiese stand, für 25 000 Euro wieder zum Leben erweckt. Dies mit einem sorgfältig geschreinerten Holzkubus, den ein Kran mit einer Präzisionsmontage von oben in die Ruine einsetzte. Denn statt die baufällige Konstruktion abzubrechen, entschied sich das Architekturbüro Fischer Naumann aus Stuttgart für eine Art Denkmalschutz für dieses marginale Baufragment in der Landschaft. In Südwestspanien, der kaum industrialisierten Landschaft nahe der portugiesischen Grenze, wo es noch Herden freilebender Wildpferde gibt, haben Andrès Jaque Architectos aus Madrid ein herrschaftliches, aus dem Spätmittelalter stammendes und im 19. Jahrhundert erweitertes Wohnhaus zu einer Altersresidenz für katholische Priester umgebaut. Aber die in hellem Rosa, Blau und Grün eingefärbten Gläser der neuen Fenster oder die rollbaren Freizeitliegen mit portablen Sitzkissen im Foyer des Hauses lassen eher an ein temporäres Architektur-Arrangement für einen Film von Pedro Almodóvar oder Luis Buñuel, vielleicht sogar an die Dekoration einer Weekend-Party von Paris Hilton denken. Schwer vorstellbar, dass eine kirchennahe Institution einer derart kurzatmigen Freizeitgestaltung zustimmte; und doch muss man eine solche wohl als Bauherrin des 4,8 Millionen Franken teuren Altersheims für Geistliche vermuten. Im Kontext der Ausstellung fragt man sich aber auch, wo hier die «Ästhetik des Unvollendeten und des Provisoriums neu definiert» wird. - In Polen wird es etwas konkreter. Im oberschlesischen Steinkohlenrevier in Bytom (in der Nähe Krakaus) haben die Architekten Przemo Lukasik / Medusa Group aus Gliwice eine aufgeständerte Baracke für 64 000 Franken mit einer angeschobenen Treppenkonstruktion neu erschlossen und für eine Nutzung als Kulturzentrum, Bar und Freizeitraum total saniert. Eine ähnliche Baumassnahme realisierten Index Architekten aus Frankfurt im Main-Osthafen für 1,35 Millionen Franken. Sie setzten ein zweigeschossiges, auskragendes Kultur- und Freizeithaus auf einen ehemaligen Bunker und erschlossen den «Hochbau» mit einer angeschobenen Metalltreppe, die formschön, praktisch und nutzungsgerecht wirkt. Isa Sturm und Urs Wolf aus Zürich werden gemäss Ausstellungs-Leporello bis Ende 2008 in St. Gallen für rund 13,2 Millionen Franken die 1911 vollendete Lokremise von Karl Moser mit drei Raum- Einbauten zu einem der Freizeitnutzung dienenden «Kulturaggregat» umgestalten. Ihr minimalistisches und materialrohes Raumkonzept entstand nach einer intensiven Befragung von künftigen Nutzern, die über Lautsprecher zu hören ist.

Karger und luxuriöser Minimalismus

Aufschlussreich ist die Ausstellung durch die Öffnung des Blicks auf insgesamt sechs Länder Europas. Denn die Ästhetik des Elementaren, der Begriff des Minimalen oder die Situation des Mangels durchläuft bei Projekten, die maximal 1500 Kilometer auseinanderliegen, verschiedene nationale Wirtschaftsräume mit beträchtlichem Einkommensgefälle. Was die Schau im Kern zeigen will, funktioniert bei Beispielen aus Polen oder allenfalls noch bei solchen aus Liverpool und Berlin. Beim Priesterheim in Südspanien oder beim Lokremisen-Kulturprojekt in der Ostschweiz stösst diese Art des architektonischen Minimalismus an ihre Grenzen. Baukosten von 13 Millionen Franken für eine minimalistische Intervention müssen Menschen in Osteuropa wohl als seltsamen Luxus empfinden.

[ Bis 27. Mai. Zur Ausstellung ist ein Plakat-Leporello mit allen Projekten und den wichtigsten Daten erschienen. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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