Veranstaltung
100 Jahre Deutscher Werkbund 1907|2007
Ausstellung
19. April 2007 bis 26. August 2007
Architekturmuseum der Technischen Universität München in der Pinakothek der Moderne
Barer Straße 40
D-80333 München
Barer Straße 40
D-80333 München
Veranstalter:in: Architekturmuseum der TU München
Kultur und Ökonomie
Jubiläumsausstellung des Deutschen Werkbunds in München
Mit 500 Exponaten lässt eine Münchner Ausstellung die hundertjährige Ge- schichte des Deutschen Werkbunds Revue passieren. Die Institution, die sich einst der Geschmacksbildung und Wirtschaftsförderung verschrieben hatte, versteht sich heute eher als Diskussionsplattform.
6. Juni 2007
Im Oktober 1907 kam es in München zu einem folgenreichen Zusammenschluss: Zwölf Künstler und Architekten verbanden sich mit zwölf Firmen zum Deutschen Werkbund (DWB). Ziel der neuen Organisation war die «Wiedergewinnung einer harmonischen Kultur» durch das Zusammenwachsen der «erfindenden und ausführenden Kräfte».
Wie die Liaison von Ästhetik und Ökonomie konkret aussehen sollte, darüber bestand nicht immer Einigkeit, doch bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs entwickelte der Deutsche Werkbund eine erstaunliche Vielzahl von Aktivitäten. Mit dem Ende des Wilhelminismus musste die Institution sich zunächst neu erfinden - der Werkbund schwenkte auf die Moderne ein, propagierte die «Form ohne Ornament» und inszenierte mit der Stuttgarter Weissenhofsiedlung 1927 gleichsam das Gipfeltreffen der zeitgenössischen Architekturavantgarde.
Tour d'Horizon
Nach 1945 propagierte man zunächst - inspiriert von den Schweizer Kollegen um Max Bill - die «gute Form», bevor soziologische Fragestellungen an Bedeutung gewannen. Auf einer Tagung in Marl 1959 fragte Hans Schwippert, Integrationsfigur des Deutschen Werkbunds nach 1945, was es nütze, wenn man es in fünfzig Jahren zu guten Trinkgläsern gebracht habe, das Wasser aber eine «denaturierte Brühe» sei. Lange vor den Warnungen des Club of Rome oder der Entstehung grüner Parteien befasste sich der Werkbund mit Fragen der Zersiedlung und der Umweltzerstörung, doch blieb seine Wirkung bescheiden.
Die zunehmende Politisierung in den sechziger und siebziger Jahren spaltete die Mitglieder. Debatten von gesamtgesellschaftlicher Relevanz hat die Institution seither kaum mehr lanciert. Durch Austritt einiger Regionalverbände ist die Zentrale geschwächt, und die von dem Japaner Kazunari Sakamoto geplante Werkbundsiedlung Wiesenfeld in München, die als Mustersiedlung für das 21. Jahrhundert gedacht war, scheint wegen des Kleinmuts der Bauträger vor dem Aus zu stehen.
Das Hundertjahrjubiläum des DWB ist jetzt Anlass für eine Ausstellung des Architekturmuseums der Technischen Universität München in der Pinakothek der Moderne. 100 Jahre Werkbund, das sind mehr als 100 Jahre deutsche Kultur- und Gesellschaftsgeschichte. Schon früh formierten sich nämlich vergleichbare Institutionen in anderen Ländern. Der Schweizerische Werkbund entstand 1913 und realisierte 1931 auf dem Neubühl in Zürich eine eigene Siedlung; eine Kollektivgruppe von Schweizer Architekten war darüber hinaus an der Einrichtung von Mies van der Rohes Apartmenthaus in der Weissenhofsiedlung in Stuttgart 1927 beteiligt. Im Jubeljahr nun widmen sich mehrere Ausstellungen regionalen Aspekten des Werkbunds - etwa in Krefeld oder Wuppertal. Winfried Nerdinger, Leiter des Architekturmuseums in München, aber hat sich dazu entschieden, 100 Jahre Deutscher Werkbund in einer einzigen Ausstellung Revue passieren zu lassen. Das ist eine herkulische Aufgabe, die - trotz anfänglicher Skepsis - auf überzeugende Weise gemeistert wurde. Dabei konnten sich die Organisatoren auf Forschungen der vergangenen 20 Jahre stützen, die das Bild des DWB differenziert und revidiert haben.
Im Sinne eines linearen Geschichtsverständnisses sah man im frühen Werkbund lediglich eine Latenzphase der Moderne; heute ist das Bild facettenreicher und widersprüchlicher. Anlässlich der Werkbundausstellung in Köln kam es 1914 zur Konfrontation zweier Fraktionen: Jene um Henry van de Velde vertrat die künstlerische Freiheit des Individuums, während jene um Hermann Muthesius die Typisierung - und Reglementierung - als Notwendigkeit der Zeit postulierte.
Muthesius musste seine Thesen zwar revidieren, sollte aber angesichts der Kriegswirtschaft zwischen 1914 und 1918 sowie der Mangelökonomie der Weimarer Republik doch das wegweisende Stichwort geliefert haben. Der Deutsche Werkbund wurzelte in der Kunstgewerbebewegung um 1900, die mit einigen Exponaten in der Ausstellung eher angerissen denn thematisiert wird. Anknüpfend an Ideen des englischen Arts and Crafts Movement, suchten Künstler und Architekten wie Peter Behrens, Henry van de Velde oder Richard Riemerschmid gegenüber dem Historismus nach einer Reform der künstlerischen Praxis. Anders als in England, wo die Protagonisten mit Gilden und Handwerksbetrieben auf vorindustrielle Produktionsbedingungen setzten, suchte man in Deutschland bewusst den Zusammenschluss mit der Industrie. Die angestrebte Verbindung von Ästhetik und Ökonomie zeigt sich am deutlichsten in dem Engagement von Peter Behrens für die AEG: Vom Briefbogen bis zur Turbinenhalle sorgte der Künstler für das, was man heute Corporate Design nennen würde, und steigerte damit die Absatzfähigkeit der Produkte des Konzerns auf dem Weltmarkt. Auch andere Firmen wie Kaffee HAG in Bremen oder die Keksfabrik Bahlsen in Hannover engagierten für ihren Auftritt Künstler aus dem Werkbund- Umfeld; Grafiker wie Lucius Bernhard initiierten zudem eine auf die Wirkung der Marke konzentrierte Plakatwerbung.
Dass der Werkbund geschickt das Potenzial der Medialisierung nutzte, zeigt sich in der Ausstellung nicht nur anhand der vor dem Ersten Weltkrieg publizierten Schriften, sondern auch an den Auftritten der zwanziger und dreissiger Jahre. Als Instrumente nutzte man nun die Mustersiedlungen in Stuttgart (1927) und Breslau (1929); weitere Werkbundsiedlungen entstanden in Brünn, Prag, Wien und Zürich. Mit der Schau «Film und Foto» in Stuttgart 1927 thematisierte der Werkbund das Neue Sehen, 1930 verantwortete er überdies die deutsche Abteilung auf der Kunstgewerbeausstellung in Paris und übernahm damit gleichsam die offizielle Auslandsrepräsentation des Deutschen Reichs. Eine für 1932 geplante Grossausstellung «Die neue Zeit» kam angesichts der Weltwirtschaftskrise nicht mehr zustande. Allerdings flossen grundlegende Ideen in die NS-Propagandaausstellung «Schaffendes Volk» von 1937 in Düsseldorf ein. Entsprechend jüngeren Forschungen kann die Münchner Ausstellung auch die NS-Zeit differenziert behandeln und Widerstandslegenden entlarven. Unter dem Vorsitzenden Hermann Gretsch blieb der DWB bis 1938 bestehen und wurde dann aufgelöst. Dennoch konnten Designer wie Wilhelm Wagenfeld, Heinrich Löffelhardt oder Gretsch selbst während der Jahre der Diktatur ihre klaren Formvorstellungen im Bereich von Glas und Keramik umsetzen, die dann für das Nachkriegsdeutschland bestimmend werden sollten.
Neue Herausforderungen
Der letzte Raum der Münchner Schau bilanziert die Debatten der Nachkriegszeit. Zweifelsohne gingen wichtige Impulse von der Organisation aus: zunächst das Postulat der guten Form, dann die Warnung vor den Folgen radikaler Modernisierung. «Werkbundkisten» gelangten als Unterrichtsmaterialien in die Schulen, um die Geschmacksbildung zu befördern. In den siebziger Jahren, als Denkmalpflege zum Thema wurde, trug Julius Posener dazu bei, dass die Bauten der frühen Werkbundmitglieder neue Wertschätzung erlangten, beispielsweise die von Hans Poelzig oder Hermann Muthesius. Und in den vergangenen Jahren beschäftigte sich der DWB in Ausstellungen mit DDR-Design oder den Hinterlassenschaften der Wegwerfgesellschaft. Das ist ehrenvoll, und doch: Der Einfluss, den der Werkbund in seinen ersten Dezennien besass, besteht nicht mehr - und dies, obwohl sich die Probleme nicht verringert haben. Im Gegenteil: Von der Verstädterung bis zur Globalisierung stellen sich neue Herausforderungen, zu denen man gerne die Stellungnahme des DWB vernehmen würde.
[ Bis 26. August in München, anschliessend vom 16. September bis 18. November in der Akademie der Künste, Berlin. Katalog: 100 Jahre Deutscher Werkbund 1907-2007. Hrsg. Winfried Nerdinger. Prestel-Verlag, München 2007. 380 S., Euro 38.-. ]
Wie die Liaison von Ästhetik und Ökonomie konkret aussehen sollte, darüber bestand nicht immer Einigkeit, doch bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs entwickelte der Deutsche Werkbund eine erstaunliche Vielzahl von Aktivitäten. Mit dem Ende des Wilhelminismus musste die Institution sich zunächst neu erfinden - der Werkbund schwenkte auf die Moderne ein, propagierte die «Form ohne Ornament» und inszenierte mit der Stuttgarter Weissenhofsiedlung 1927 gleichsam das Gipfeltreffen der zeitgenössischen Architekturavantgarde.
Tour d'Horizon
Nach 1945 propagierte man zunächst - inspiriert von den Schweizer Kollegen um Max Bill - die «gute Form», bevor soziologische Fragestellungen an Bedeutung gewannen. Auf einer Tagung in Marl 1959 fragte Hans Schwippert, Integrationsfigur des Deutschen Werkbunds nach 1945, was es nütze, wenn man es in fünfzig Jahren zu guten Trinkgläsern gebracht habe, das Wasser aber eine «denaturierte Brühe» sei. Lange vor den Warnungen des Club of Rome oder der Entstehung grüner Parteien befasste sich der Werkbund mit Fragen der Zersiedlung und der Umweltzerstörung, doch blieb seine Wirkung bescheiden.
Die zunehmende Politisierung in den sechziger und siebziger Jahren spaltete die Mitglieder. Debatten von gesamtgesellschaftlicher Relevanz hat die Institution seither kaum mehr lanciert. Durch Austritt einiger Regionalverbände ist die Zentrale geschwächt, und die von dem Japaner Kazunari Sakamoto geplante Werkbundsiedlung Wiesenfeld in München, die als Mustersiedlung für das 21. Jahrhundert gedacht war, scheint wegen des Kleinmuts der Bauträger vor dem Aus zu stehen.
Das Hundertjahrjubiläum des DWB ist jetzt Anlass für eine Ausstellung des Architekturmuseums der Technischen Universität München in der Pinakothek der Moderne. 100 Jahre Werkbund, das sind mehr als 100 Jahre deutsche Kultur- und Gesellschaftsgeschichte. Schon früh formierten sich nämlich vergleichbare Institutionen in anderen Ländern. Der Schweizerische Werkbund entstand 1913 und realisierte 1931 auf dem Neubühl in Zürich eine eigene Siedlung; eine Kollektivgruppe von Schweizer Architekten war darüber hinaus an der Einrichtung von Mies van der Rohes Apartmenthaus in der Weissenhofsiedlung in Stuttgart 1927 beteiligt. Im Jubeljahr nun widmen sich mehrere Ausstellungen regionalen Aspekten des Werkbunds - etwa in Krefeld oder Wuppertal. Winfried Nerdinger, Leiter des Architekturmuseums in München, aber hat sich dazu entschieden, 100 Jahre Deutscher Werkbund in einer einzigen Ausstellung Revue passieren zu lassen. Das ist eine herkulische Aufgabe, die - trotz anfänglicher Skepsis - auf überzeugende Weise gemeistert wurde. Dabei konnten sich die Organisatoren auf Forschungen der vergangenen 20 Jahre stützen, die das Bild des DWB differenziert und revidiert haben.
Im Sinne eines linearen Geschichtsverständnisses sah man im frühen Werkbund lediglich eine Latenzphase der Moderne; heute ist das Bild facettenreicher und widersprüchlicher. Anlässlich der Werkbundausstellung in Köln kam es 1914 zur Konfrontation zweier Fraktionen: Jene um Henry van de Velde vertrat die künstlerische Freiheit des Individuums, während jene um Hermann Muthesius die Typisierung - und Reglementierung - als Notwendigkeit der Zeit postulierte.
Muthesius musste seine Thesen zwar revidieren, sollte aber angesichts der Kriegswirtschaft zwischen 1914 und 1918 sowie der Mangelökonomie der Weimarer Republik doch das wegweisende Stichwort geliefert haben. Der Deutsche Werkbund wurzelte in der Kunstgewerbebewegung um 1900, die mit einigen Exponaten in der Ausstellung eher angerissen denn thematisiert wird. Anknüpfend an Ideen des englischen Arts and Crafts Movement, suchten Künstler und Architekten wie Peter Behrens, Henry van de Velde oder Richard Riemerschmid gegenüber dem Historismus nach einer Reform der künstlerischen Praxis. Anders als in England, wo die Protagonisten mit Gilden und Handwerksbetrieben auf vorindustrielle Produktionsbedingungen setzten, suchte man in Deutschland bewusst den Zusammenschluss mit der Industrie. Die angestrebte Verbindung von Ästhetik und Ökonomie zeigt sich am deutlichsten in dem Engagement von Peter Behrens für die AEG: Vom Briefbogen bis zur Turbinenhalle sorgte der Künstler für das, was man heute Corporate Design nennen würde, und steigerte damit die Absatzfähigkeit der Produkte des Konzerns auf dem Weltmarkt. Auch andere Firmen wie Kaffee HAG in Bremen oder die Keksfabrik Bahlsen in Hannover engagierten für ihren Auftritt Künstler aus dem Werkbund- Umfeld; Grafiker wie Lucius Bernhard initiierten zudem eine auf die Wirkung der Marke konzentrierte Plakatwerbung.
Dass der Werkbund geschickt das Potenzial der Medialisierung nutzte, zeigt sich in der Ausstellung nicht nur anhand der vor dem Ersten Weltkrieg publizierten Schriften, sondern auch an den Auftritten der zwanziger und dreissiger Jahre. Als Instrumente nutzte man nun die Mustersiedlungen in Stuttgart (1927) und Breslau (1929); weitere Werkbundsiedlungen entstanden in Brünn, Prag, Wien und Zürich. Mit der Schau «Film und Foto» in Stuttgart 1927 thematisierte der Werkbund das Neue Sehen, 1930 verantwortete er überdies die deutsche Abteilung auf der Kunstgewerbeausstellung in Paris und übernahm damit gleichsam die offizielle Auslandsrepräsentation des Deutschen Reichs. Eine für 1932 geplante Grossausstellung «Die neue Zeit» kam angesichts der Weltwirtschaftskrise nicht mehr zustande. Allerdings flossen grundlegende Ideen in die NS-Propagandaausstellung «Schaffendes Volk» von 1937 in Düsseldorf ein. Entsprechend jüngeren Forschungen kann die Münchner Ausstellung auch die NS-Zeit differenziert behandeln und Widerstandslegenden entlarven. Unter dem Vorsitzenden Hermann Gretsch blieb der DWB bis 1938 bestehen und wurde dann aufgelöst. Dennoch konnten Designer wie Wilhelm Wagenfeld, Heinrich Löffelhardt oder Gretsch selbst während der Jahre der Diktatur ihre klaren Formvorstellungen im Bereich von Glas und Keramik umsetzen, die dann für das Nachkriegsdeutschland bestimmend werden sollten.
Neue Herausforderungen
Der letzte Raum der Münchner Schau bilanziert die Debatten der Nachkriegszeit. Zweifelsohne gingen wichtige Impulse von der Organisation aus: zunächst das Postulat der guten Form, dann die Warnung vor den Folgen radikaler Modernisierung. «Werkbundkisten» gelangten als Unterrichtsmaterialien in die Schulen, um die Geschmacksbildung zu befördern. In den siebziger Jahren, als Denkmalpflege zum Thema wurde, trug Julius Posener dazu bei, dass die Bauten der frühen Werkbundmitglieder neue Wertschätzung erlangten, beispielsweise die von Hans Poelzig oder Hermann Muthesius. Und in den vergangenen Jahren beschäftigte sich der DWB in Ausstellungen mit DDR-Design oder den Hinterlassenschaften der Wegwerfgesellschaft. Das ist ehrenvoll, und doch: Der Einfluss, den der Werkbund in seinen ersten Dezennien besass, besteht nicht mehr - und dies, obwohl sich die Probleme nicht verringert haben. Im Gegenteil: Von der Verstädterung bis zur Globalisierung stellen sich neue Herausforderungen, zu denen man gerne die Stellungnahme des DWB vernehmen würde.
[ Bis 26. August in München, anschliessend vom 16. September bis 18. November in der Akademie der Künste, Berlin. Katalog: 100 Jahre Deutscher Werkbund 1907-2007. Hrsg. Winfried Nerdinger. Prestel-Verlag, München 2007. 380 S., Euro 38.-. ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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