Veranstaltung
3rd International Architecture Biennale Rotterdam. Power
Veranstaltung
24. Mai 2007 bis 2. September 2007
Museumpark
Westzeedijk 341
3015 AA Rotterdam
Westzeedijk 341
3015 AA Rotterdam
Veranstalter:in: International Architecture Biennale Rotterdam
Kritische Blicke auf wuchernde Städte
Die dritte Architekturbiennale von Rotterdam
Rotterdam präsentiert sich in diesem Jahr als «City of Architecture». Hauptattraktion ist die dritte Architekturbiennale, die sich mit dem sozialen Engagement von Architekten in der Dritten Welt befasst. Daneben lockt das Sommerprogramm mit einer grossen Le-Corbusier-Schau.
2. Juni 2007 - Klaus Englert
Die Rotterdamer Architekturbiennale begeisterte die Besucher bisher stets mit städtebaulicher Aufbruchstimmung. Vor dem Ausstellungsort Las Palmas, einem monumentalen Speichergebäude auf der Wilhelminakade, wurde man Zeuge, wie gleich nebenan der Montevideo-Tower hochgezogen wurde. Inzwischen aber ist im Las-Palmas- Bau das Niederländische Fotoinstitut eingezogen, und die Biennale-Veranstalter mussten sich in der Innenstadt nach neuen Räumlichkeiten umsehen. Es bot sich die Kunsthal an, die zusammen mit dem benachbarten Niederländischen Architekturinstitut (NAI) geeignete Ausstellungsflächen besitzt. Zwar mussten die Organisatoren vom Rotterdamer Berlage-Institut diesmal mit geringeren Subventionen auskommen. Das hatte zur Folge, dass man sich mit «Visionary Power. Producing the Contemporary City» zu einem klaren Themenschwerpunkt durchrang, der durch zwei Begleitveranstaltungen - «The New Dutch City» in der Kunsthal und «A Better World, Another Power» im NAI - sinnvoll ergänzt wird.
Bauen am Rande der Legalität
Der Blick auf die Hauptausstellung macht deutlich, dass der Umzug in die Kunsthal mit einem radikalen Perspektivenwechsel verbunden ist: Dominierten in den beiden vorangegangenen Architekturbiennalen Probleme der westlichen Stadtentwicklung, so sieht man sich nun mit den immensen architektonischen, urbanistischen und sozialen Engpässen der Dritten Welt konfrontiert. Den Kuratoren, die den Ausstellungsparcours in fünf Themenkreise (Capital Cities, Corporate Cities, Spectacle Cities, Informal Cities, Hidden Cities) gliederten, lag es fern, Entwürfe von Stararchitekten für boomende Metropolen wie Schanghai, Singapur oder Dubai vorzustellen, mit denen sich zumeist Hochglanz-Magazine schmücken. Vielmehr haben unspektakuläre Projekte den Weg in die Ausstellungshallen gefunden. Während die von den Medien gefeierten Architekten die Selbstdarstellung der Global Cities mit aufsehenerregenden Gebäuden unterstützen, beschäftigen sich ihre weniger bekannten Kollegen in der südlichen Hemisphäre mit der Aufwertung von Slums. Um ihre Tätigkeit auch in unseren Breitengraden etwas bekannter zu machen, haben acht Forscher vierzehn Architekturbüros unter anderem aus Astana, Ceuta, Johannesburg, Mexiko-Stadt und Tijuana / San Diego eingeladen. Auf dem Biennale-Forum demonstrieren die Architekten, wie sie den Bewohnern der «gegenwärtigen informellen Stadt» zu einem menschenwürdigem Dasein verhelfen wollen.
Ein sensibler Blick auf das bauliche und soziale Umfeld ist den meisten Projekten eigen. Besonders die im Ausstellungsbereich «Immigrant City - Migration» von Alfredo Brillembourg und Hubert Klumpner vorgestellten Studios machen deutlich, dass die Arbeit der Drittwelt-Architekten sich kaum mit den Ausbildungsinhalten westlicher Universitäten deckt. Die Kuratoren fordern eine sozial verantwortliche Architektur, die vermehrt Rücksicht auf Gemeinschaften und deren Lebensbedingungen nimmt. Auf diese sollen sich die Architekten mit möglichst flexiblen Strategien einlassen. Brillembourg und Klumpner - die sich in Petare auskennen, einem Slum in Caracas mit einer Million Einwohnern und eigenem «Regierungssystem» - wissen, dass es heute nicht mehr darum gehen kann, die informellen und illegalen Verhältnisse zu beseitigen. Die Regierungen von Venezuela, aber auch von Brasilien haben das ebenfalls erkannt. Heute bemühen sich daher São Paulo, Rio de Janeiro und andere Städte des Südens, in ihren riesigen Favelas minimale Infrastrukturen herzustellen.
Der Architekt Teddy Cruz demonstriert, wie notwendig schnell zu errichtende, improvisierte Behausungen sind. An der mexikanisch-amerikanischen Grenze von San Ysidro arbeitet er zusammen mit der NGO-Vereinigung «Casa Familia», um für die anschwellenden Migrantenströme «Living Rooms», temporäre Unterkünfte mit privaten und gemeinschaftlichen Räumen, zu errichten. Und in Mexiko-Stadt hat es das Team Arquitectura 911sc mit einem informellen Sektor zu tun, der parallel zur «formellen Stadt» wächst und diese in absehbarer Zukunft in den Schatten stellen wird. In der Grauzone zwischen diesen beiden Bereichen, irgendwo in den ausufernden Metastasen im Osten der Megapole - im Ödland zwischen einer properen Klinkersiedlung und den chaotischen Behausungen eines riesigen Slums -, wollen die Mitarbeiter von Arquitectura 911sc einen Park anlegen. Dabei haben sie erkannt, dass dies nicht ohne Verhandlung mit beiden Seiten und nur mit dezentraler Planung möglich ist. Und es ist ihnen klargeworden, dass der Gegensatz zwischen «formell» und «informell» für ihre Arbeit hinfällig geworden ist.
Kurator Roemer van Thoorn ist davon überzeugt, dass die ausgewählten Projekte aus mehreren Kontinenten den städtischen Raum wiedergewinnen und die Rolle der «civitas» reaktivieren können. Das ist begrüssenswert, doch bleibt es zweifelhaft, ob das traditionelle Bild von der europäischen Stadt ohne weiteres auf die urbanistischen Wucherungen in Caracas oder Mexiko- Stadt übertragbar ist. Der vom Office Kersten Geers entworfene ghettoartige Auffangbereich für afrikanische Migranten in Ceuta ist bestenfalls eine zynische Antwort auf die gängige Praxis von Sicherheitswall und Abschiebehaft. Selbst die von «a-u-r-a/FÜNDC BV» für Havanna vorgeschlagene nachhaltige Stadtentwicklung widerspricht den Idealen der «bürgerlichen Stadt». Die Architekten sehen nämlich die einzige Rettung Havannas vor einem künftigen Ansturm global agierender Investoren in der Musealisierung der Ciudad Vieja, dem Aufbau touristenfreier Pufferzonen und einer Ciudad Nueva, einer künstlichen Wolkenkratzer-Insel vor dem Malecón.
Le Corbusier in Südamerika
Diese funktionalistische Dreiteilung Havannas ist wahrscheinlich ebenso artifiziell und lebensfremd wie Le Corbusiers rationalistische Stadtvisionen der 1920er Jahre. Beim Besuch der von Stanislaus von Moos und Arthur Rüegg betreuten Ausstellung «Le Corbusier. The Art of Architecture», des Glanzlichts der Architekturbiennale im NAI, lässt sich jedoch feststellen, dass die Stadtlandschaft von Rio de Janeiro und deren eigenartige Topographie den Schweizer während der Lateinamerikareise von 1929 zum radikalen Umformulieren seiner städtebaulichen Theorien veranlassten. Rüegg und von Moos zeigen dazu Le Corbusiers Reiseskizze der mäandrierenden Wegführung eines Autobahnviadukts an der Küste Rios. Der Architekt habe sich damals vom geometrischen Schachbrettmuster seines «plan voisin» befreit, mit dem er in seiner Phantasie noch kurz zuvor das Paris nördlich der Seine kahl schlagen und Platz für 18 Hochhäuser schaffen wollte. 1932 übertrug Le Corbusier dann seine neue Vorstellung von einem organischen Städtebau auf Algier - in Form einer schlaufenförmigen Bandstadt mit Wohneinheiten und darüber geführter Autobahn.
Die materialreiche Le-Corbusier-Schau, die im Herbst ins Vitra-Museum in Weil am Rhein weiterziehen wird, befasst sich vornehmlich mit den künstlerischen, kunsthandwerklichen und kulturellen Einflüssen, welche die Architektur des Meisters geprägt haben. Laut von Moos «war Le Corbusiers Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit der modernen Technik nach dem Zweiten Weltkrieg stark erschüttert». Dennoch glaubte er weiterhin an die Machbarkeit der Welt. Seine Idealstadt Chandigarh wurde zum Vorbild von Brasilia und jüngst auch von Astana. Letztlich waren - das zeigt die sehenswerte Ausstellung auch - zwei Seelen in Le Corbusiers Brust: eine, die sich fremden Kultureinflüssen öffnete, und eine andere, die das modernistische Credo von technischem Fortschritt und Rationalisierung hochhielt.
[ Bis 2. September: «Visionary Power. Producing the Contemporary City» und «The New Dutch City» in der Kunsthal sowie «A Better World, Another Power» und «Le Corbusier. The Art of Architecture» im NAI. Der Biennale-Katalog (englisch) kostet Euro 39.50, der Le-Corbusier-Katalog (deutsch/englisch) Euro 84.75. ]
Bauen am Rande der Legalität
Der Blick auf die Hauptausstellung macht deutlich, dass der Umzug in die Kunsthal mit einem radikalen Perspektivenwechsel verbunden ist: Dominierten in den beiden vorangegangenen Architekturbiennalen Probleme der westlichen Stadtentwicklung, so sieht man sich nun mit den immensen architektonischen, urbanistischen und sozialen Engpässen der Dritten Welt konfrontiert. Den Kuratoren, die den Ausstellungsparcours in fünf Themenkreise (Capital Cities, Corporate Cities, Spectacle Cities, Informal Cities, Hidden Cities) gliederten, lag es fern, Entwürfe von Stararchitekten für boomende Metropolen wie Schanghai, Singapur oder Dubai vorzustellen, mit denen sich zumeist Hochglanz-Magazine schmücken. Vielmehr haben unspektakuläre Projekte den Weg in die Ausstellungshallen gefunden. Während die von den Medien gefeierten Architekten die Selbstdarstellung der Global Cities mit aufsehenerregenden Gebäuden unterstützen, beschäftigen sich ihre weniger bekannten Kollegen in der südlichen Hemisphäre mit der Aufwertung von Slums. Um ihre Tätigkeit auch in unseren Breitengraden etwas bekannter zu machen, haben acht Forscher vierzehn Architekturbüros unter anderem aus Astana, Ceuta, Johannesburg, Mexiko-Stadt und Tijuana / San Diego eingeladen. Auf dem Biennale-Forum demonstrieren die Architekten, wie sie den Bewohnern der «gegenwärtigen informellen Stadt» zu einem menschenwürdigem Dasein verhelfen wollen.
Ein sensibler Blick auf das bauliche und soziale Umfeld ist den meisten Projekten eigen. Besonders die im Ausstellungsbereich «Immigrant City - Migration» von Alfredo Brillembourg und Hubert Klumpner vorgestellten Studios machen deutlich, dass die Arbeit der Drittwelt-Architekten sich kaum mit den Ausbildungsinhalten westlicher Universitäten deckt. Die Kuratoren fordern eine sozial verantwortliche Architektur, die vermehrt Rücksicht auf Gemeinschaften und deren Lebensbedingungen nimmt. Auf diese sollen sich die Architekten mit möglichst flexiblen Strategien einlassen. Brillembourg und Klumpner - die sich in Petare auskennen, einem Slum in Caracas mit einer Million Einwohnern und eigenem «Regierungssystem» - wissen, dass es heute nicht mehr darum gehen kann, die informellen und illegalen Verhältnisse zu beseitigen. Die Regierungen von Venezuela, aber auch von Brasilien haben das ebenfalls erkannt. Heute bemühen sich daher São Paulo, Rio de Janeiro und andere Städte des Südens, in ihren riesigen Favelas minimale Infrastrukturen herzustellen.
Der Architekt Teddy Cruz demonstriert, wie notwendig schnell zu errichtende, improvisierte Behausungen sind. An der mexikanisch-amerikanischen Grenze von San Ysidro arbeitet er zusammen mit der NGO-Vereinigung «Casa Familia», um für die anschwellenden Migrantenströme «Living Rooms», temporäre Unterkünfte mit privaten und gemeinschaftlichen Räumen, zu errichten. Und in Mexiko-Stadt hat es das Team Arquitectura 911sc mit einem informellen Sektor zu tun, der parallel zur «formellen Stadt» wächst und diese in absehbarer Zukunft in den Schatten stellen wird. In der Grauzone zwischen diesen beiden Bereichen, irgendwo in den ausufernden Metastasen im Osten der Megapole - im Ödland zwischen einer properen Klinkersiedlung und den chaotischen Behausungen eines riesigen Slums -, wollen die Mitarbeiter von Arquitectura 911sc einen Park anlegen. Dabei haben sie erkannt, dass dies nicht ohne Verhandlung mit beiden Seiten und nur mit dezentraler Planung möglich ist. Und es ist ihnen klargeworden, dass der Gegensatz zwischen «formell» und «informell» für ihre Arbeit hinfällig geworden ist.
Kurator Roemer van Thoorn ist davon überzeugt, dass die ausgewählten Projekte aus mehreren Kontinenten den städtischen Raum wiedergewinnen und die Rolle der «civitas» reaktivieren können. Das ist begrüssenswert, doch bleibt es zweifelhaft, ob das traditionelle Bild von der europäischen Stadt ohne weiteres auf die urbanistischen Wucherungen in Caracas oder Mexiko- Stadt übertragbar ist. Der vom Office Kersten Geers entworfene ghettoartige Auffangbereich für afrikanische Migranten in Ceuta ist bestenfalls eine zynische Antwort auf die gängige Praxis von Sicherheitswall und Abschiebehaft. Selbst die von «a-u-r-a/FÜNDC BV» für Havanna vorgeschlagene nachhaltige Stadtentwicklung widerspricht den Idealen der «bürgerlichen Stadt». Die Architekten sehen nämlich die einzige Rettung Havannas vor einem künftigen Ansturm global agierender Investoren in der Musealisierung der Ciudad Vieja, dem Aufbau touristenfreier Pufferzonen und einer Ciudad Nueva, einer künstlichen Wolkenkratzer-Insel vor dem Malecón.
Le Corbusier in Südamerika
Diese funktionalistische Dreiteilung Havannas ist wahrscheinlich ebenso artifiziell und lebensfremd wie Le Corbusiers rationalistische Stadtvisionen der 1920er Jahre. Beim Besuch der von Stanislaus von Moos und Arthur Rüegg betreuten Ausstellung «Le Corbusier. The Art of Architecture», des Glanzlichts der Architekturbiennale im NAI, lässt sich jedoch feststellen, dass die Stadtlandschaft von Rio de Janeiro und deren eigenartige Topographie den Schweizer während der Lateinamerikareise von 1929 zum radikalen Umformulieren seiner städtebaulichen Theorien veranlassten. Rüegg und von Moos zeigen dazu Le Corbusiers Reiseskizze der mäandrierenden Wegführung eines Autobahnviadukts an der Küste Rios. Der Architekt habe sich damals vom geometrischen Schachbrettmuster seines «plan voisin» befreit, mit dem er in seiner Phantasie noch kurz zuvor das Paris nördlich der Seine kahl schlagen und Platz für 18 Hochhäuser schaffen wollte. 1932 übertrug Le Corbusier dann seine neue Vorstellung von einem organischen Städtebau auf Algier - in Form einer schlaufenförmigen Bandstadt mit Wohneinheiten und darüber geführter Autobahn.
Die materialreiche Le-Corbusier-Schau, die im Herbst ins Vitra-Museum in Weil am Rhein weiterziehen wird, befasst sich vornehmlich mit den künstlerischen, kunsthandwerklichen und kulturellen Einflüssen, welche die Architektur des Meisters geprägt haben. Laut von Moos «war Le Corbusiers Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit der modernen Technik nach dem Zweiten Weltkrieg stark erschüttert». Dennoch glaubte er weiterhin an die Machbarkeit der Welt. Seine Idealstadt Chandigarh wurde zum Vorbild von Brasilia und jüngst auch von Astana. Letztlich waren - das zeigt die sehenswerte Ausstellung auch - zwei Seelen in Le Corbusiers Brust: eine, die sich fremden Kultureinflüssen öffnete, und eine andere, die das modernistische Credo von technischem Fortschritt und Rationalisierung hochhielt.
[ Bis 2. September: «Visionary Power. Producing the Contemporary City» und «The New Dutch City» in der Kunsthal sowie «A Better World, Another Power» und «Le Corbusier. The Art of Architecture» im NAI. Der Biennale-Katalog (englisch) kostet Euro 39.50, der Le-Corbusier-Katalog (deutsch/englisch) Euro 84.75. ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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