Zeitschrift
Hintergrund 38 Hintergrund
Tel Aviv
Im Juli 2003 erhob die UNESCO das Stadtzentrum von Tel Aviv in den Rang eines Weltkulturerbes. Die israelische Stadt am Meer verfügt – wie hierzulande wenig bekannt – über ein einzigartiges Ensemble von mehr als 4.000 Häusern im Stil des Neuen Bauens, die erst in den letzten Jahren teilweise restauriert wurden. Unter dem Titel „The White City of Tel Aviv – The Modern Movement“ tourt seit 2004 eine von der Stadt Tel Aviv organisierte Ausstellung durch die Welt, die von 20.2. bis 19.5.2008 im Architekturzentrum Wien erstmals im deutschsprachigen Raum gezeigt wird.
Die Ausgabe 38 des Hintergrunds widmet sich – als Begleitheft zur Ausstellung – in ihrem Thementeil zur Gänze der israelischen Metropole. Die Stadt versteht sich als das säkulare und liberale Gegenstück zum geschichtsschweren und heiß umkämpften Jerusalem. Tel Avivs funktionalistische Architektur ist nur im Kontext eines zionistisch-sozialistischen Projekts zu verstehen, dem es um einen Neuen Menschen, den Neuen Israeli ging. Doch der Anschein, dass hier das moderne, kosmopolitische Israel ganz bei sich selbst ist, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Tel Aviv ebenfalls auf eine Geschichte von schweren Konflikten zurückblickt. Seine Entstehung als jüdische Alternative zum Jahrtausende alten Jaffa war von Auseinandersetzungen mit dessen mehrheitlich arabischer Bevölkerung geprägt, die im Unabhängigkeitskrieg 1948 kulminierten. Die Ausstellung „The White City“ repräsentiert den – von berechtigtem Stolz geleiteten – israelischen Blick auf ein bemerkenswertes urbanistisches Projekt. Im vorliegenden Themenheft soll aber auch Kritik an dieser Perspektive auf die Stadtgeschichte ihren Platz haben.
Die deutsche Kunst- und Architekturhistorikerin Ita Heinze-Greenberg, durch zahlreiche Forschungs- und Lehraufträge in Israel bestens mit dessen Architekturgeschichte vertraut, bettet in ihrem Artikel zur „Weißen Stadt“ die Rezeption der Moderne in den zionistischen Kontext ein. In ihren Augen „kürten die Journalisten Tel Aviv zur größten ‚Bauhaus’-Stadt der Welt, unbeirrt von sachten bis deutlichen Hinweisen der Architekturhistoriker, doch den korrekten Umgang mit Begriffen und Bezeichnungen zu pflegen“. Der Erfolg der Eintragung als UNESCO-Weltkulturerbe rief im rechten und linken politischen Lager gänzlich unterschiedliche Reaktionen hervor: Frohlockte der damalige Tourismusminister Benyamin Elon von der rechtsgerichteten Moledet-Partei: „Die Schaffung der Stadt Tel Aviv ist eines der stärksten Symbole für den Erfolg der zionistischen Bewegung“, begann der linke Flügel am Mythos der auf Sand gebauten Weißen Stadt zu rütteln.
Heinze-Greenberg kommt auch in einer ausführlichen Rezension zu einem kontroversiellen Buch von Anna Minta zu Wort: „Israel bauen. Architektur, Städtebau und Denkmalpflege nach der Staatsgründung 1948.“ Minta widmet sich in ihren Forschungen der Bedeutung von Architektur und Städtebau in Israel als geo- und kulturpolitische Instrumentarien. Die Rezensentin verweist auf die postzionistische Sicht der Autorin. Das Aufbrechen tabuisierter Gründungsmythen, wie der freiwilligen Migration der arabischen Bevölkerung, löste einen heftigen Streit unter israelischen Historikern aus.
Jeremie Hoffmann, Direktor des Denkmalamtes der Stadt Tel Aviv, erläutert in seinem Beitrag die Schwierigkeiten bei der dringend notwendigen Sanierung der Häuser der Moderne.
Zur Riege der hochkarätigen Autoren für diese Ausgabe gesellte sich in letzter Sekunde auch der Vorgänger im Amt von Jeremie Hoffmann: Pe’era Goldman (bis 2005 als Leiter des Denkmalamtes tätig).
Ursula Prokop, Kunst- und Architekturhistorikerin, geht in ihrem Artikel auf einige österreichisch-jüdische Architekten ein, die sich – noch vor der großen, durch die Gewaltherrschaft der Nazis bedingten Einwanderungswelle – am Aufbau Palästinas stadtplanerisch beteiligt hatten. Dass sich deren Anteil, gemessen an anderen Nationalitäten, trotzdem in Grenzen hielt, hängt wohl mit der traditionell eher antizionistischen Haltung der österreichischen Juden zusammen.
Im Az W-Journalteil erfahren Sie auch diesmal wieder Wissenswertes über unsere Veranstaltungen, Führungen, Ausstellungen. Sollten sie also keine Gelegenheit gehabt haben, live dabei zu sein, bekommen Sie in der um neue Formate bereicherten Nachlese Einblick in die Aktivitäten des Az W der letzten Monate. Mehr als Vorschau denn als Nachlese ist wohl die Bildstrecke mit unfertigen Hotelanlagen zu bezeichnen, die die Künstlerinnen Sabine Haubitz und Stefanie Zoche zwischen 2002 und 2005 auf der ägyptischen Halbinsel Sinai fotografiert haben. Das Az W zeigt diese außergewöhnliche Dokumentation von 24.04.2008 bis 12.05.2008 in einer Ausstellung in der Halle F3.
Besonders hervorheben möchten wir den Beitrag von Inge Scheidl, die das seit vier Jahren laufende, vom FWF geförderte Forschungsprojekt „Wiener Architektenlexikon 1880-1945“ leitet und in einem pointierten Artikel von ihren teils leidvollen Erfahrungen berichtet. Das akribisch recherchierte Architektenlexikon, ein Desiderat seit Jahrzehnten, wird bereits seit 2005 in einer Datenbank auf der Website des Az W (www.azw.at, www.architektenlexikon.at) sukzessive erweitert und kostenlos zugänglich gemacht. Für das heurige Frühjahr ist mit der Fertigstellung zu rechnen.
Einen ganz anderen Aspekt der Architekturforschung – den Originalitätsbegriff der Moderne sowie die gefährdete Authentizität ihrer Monumente durch Renovierung – berührt Dietmar Steiner in seiner Glosse zur „Sanierung der Moderne“. Diesem nicht nur für die Denkmalpflege in Tel Aviv brisanten Thema ist ein gemeinsam mit dem österreichischen Bundesdenkmalamt organisiertes Symposion gewidmet, das am 12.04.2008 im Az W stattfindet.
Nicht zuletzt möchten wir Ihre Aufmerksamkeit auch auf die sanfte grafische Veränderung des Heftes lenken. „Eine veränderung, die keine verbesserung ist, ist eine verschlechterung“ – getreu diesem Ausspruch von Adolf Loos hoffen wir, dass Sie das modifizierte Erscheinungsbild des Hintergrunds positiv überrascht. Wenn Sie sich darüber hinaus – was wir besonders hoffen – von den Inhalten dieses Heftes angesprochen fühlen, so erlauben Sie uns an dieser Stelle den dezenten wie pragmatischen Hinweis, dass man den Hintergrund nicht nur günstig erwerben, sondern auch günstig abonnieren kann.
Gabriele Kaiser, Sonja Pisarik
05 Vorwort
Thema Tel Aviv
09 Ita Heinze-Greenberg: Die „Weiße Stadt“ von Tel Aviv. Anmerkungen zur Rezeption der Moderne im zionistischen Kontext
21 Jeremie Hoffmann: Towards Conservation. The „White City” of Tel Aviv as a World Heritage Site
27 Pe'era Goldman: Tel Aviv – Urban Vision and Reality
35 Ursula Prokop: Zum Anteil österreichisch-jüdischer Architekten am Aufbau Palästinas
45 Ita Heinze-Greenberg: Buchbesprechung Anna Minta, Israel Bauen
Az W Journal
50 Az W Bibliothek – Handapparat Tel Aviv
54 Inge Scheidl: Wozu brauchen wir ein Wiener Architekten-Lexikon?
63 Ute Waditschatka: Die Frankfurter Küche und 100 Jahre Theiss & Jaksch
66 Gabriele Kaiser: Sinai Hotels von Haubitz Zoche
73 Ivan Ristić: „Paradoxe ABCs“ von Bogdan Bogdanović
74 1 Frage, 10 Tage, 5 Elemente – Ein Projekt von Sandra Häuplik-Meusburger, Verena Holzgethan und Nikolaus Similache
89 Marion Kuzmany: slowenien brandneu und bratislava topaktuell
92 Dietmar Steiner: Sanierung der Moderne
94 Kurzbios Autorinnen und Autoren
95 Team Az W
96 Mitglieder Architecture Lounge, xlarge Partner
Die Ausgabe 38 des Hintergrunds widmet sich – als Begleitheft zur Ausstellung – in ihrem Thementeil zur Gänze der israelischen Metropole. Die Stadt versteht sich als das säkulare und liberale Gegenstück zum geschichtsschweren und heiß umkämpften Jerusalem. Tel Avivs funktionalistische Architektur ist nur im Kontext eines zionistisch-sozialistischen Projekts zu verstehen, dem es um einen Neuen Menschen, den Neuen Israeli ging. Doch der Anschein, dass hier das moderne, kosmopolitische Israel ganz bei sich selbst ist, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Tel Aviv ebenfalls auf eine Geschichte von schweren Konflikten zurückblickt. Seine Entstehung als jüdische Alternative zum Jahrtausende alten Jaffa war von Auseinandersetzungen mit dessen mehrheitlich arabischer Bevölkerung geprägt, die im Unabhängigkeitskrieg 1948 kulminierten. Die Ausstellung „The White City“ repräsentiert den – von berechtigtem Stolz geleiteten – israelischen Blick auf ein bemerkenswertes urbanistisches Projekt. Im vorliegenden Themenheft soll aber auch Kritik an dieser Perspektive auf die Stadtgeschichte ihren Platz haben.
Die deutsche Kunst- und Architekturhistorikerin Ita Heinze-Greenberg, durch zahlreiche Forschungs- und Lehraufträge in Israel bestens mit dessen Architekturgeschichte vertraut, bettet in ihrem Artikel zur „Weißen Stadt“ die Rezeption der Moderne in den zionistischen Kontext ein. In ihren Augen „kürten die Journalisten Tel Aviv zur größten ‚Bauhaus’-Stadt der Welt, unbeirrt von sachten bis deutlichen Hinweisen der Architekturhistoriker, doch den korrekten Umgang mit Begriffen und Bezeichnungen zu pflegen“. Der Erfolg der Eintragung als UNESCO-Weltkulturerbe rief im rechten und linken politischen Lager gänzlich unterschiedliche Reaktionen hervor: Frohlockte der damalige Tourismusminister Benyamin Elon von der rechtsgerichteten Moledet-Partei: „Die Schaffung der Stadt Tel Aviv ist eines der stärksten Symbole für den Erfolg der zionistischen Bewegung“, begann der linke Flügel am Mythos der auf Sand gebauten Weißen Stadt zu rütteln.
Heinze-Greenberg kommt auch in einer ausführlichen Rezension zu einem kontroversiellen Buch von Anna Minta zu Wort: „Israel bauen. Architektur, Städtebau und Denkmalpflege nach der Staatsgründung 1948.“ Minta widmet sich in ihren Forschungen der Bedeutung von Architektur und Städtebau in Israel als geo- und kulturpolitische Instrumentarien. Die Rezensentin verweist auf die postzionistische Sicht der Autorin. Das Aufbrechen tabuisierter Gründungsmythen, wie der freiwilligen Migration der arabischen Bevölkerung, löste einen heftigen Streit unter israelischen Historikern aus.
Jeremie Hoffmann, Direktor des Denkmalamtes der Stadt Tel Aviv, erläutert in seinem Beitrag die Schwierigkeiten bei der dringend notwendigen Sanierung der Häuser der Moderne.
Zur Riege der hochkarätigen Autoren für diese Ausgabe gesellte sich in letzter Sekunde auch der Vorgänger im Amt von Jeremie Hoffmann: Pe’era Goldman (bis 2005 als Leiter des Denkmalamtes tätig).
Ursula Prokop, Kunst- und Architekturhistorikerin, geht in ihrem Artikel auf einige österreichisch-jüdische Architekten ein, die sich – noch vor der großen, durch die Gewaltherrschaft der Nazis bedingten Einwanderungswelle – am Aufbau Palästinas stadtplanerisch beteiligt hatten. Dass sich deren Anteil, gemessen an anderen Nationalitäten, trotzdem in Grenzen hielt, hängt wohl mit der traditionell eher antizionistischen Haltung der österreichischen Juden zusammen.
Im Az W-Journalteil erfahren Sie auch diesmal wieder Wissenswertes über unsere Veranstaltungen, Führungen, Ausstellungen. Sollten sie also keine Gelegenheit gehabt haben, live dabei zu sein, bekommen Sie in der um neue Formate bereicherten Nachlese Einblick in die Aktivitäten des Az W der letzten Monate. Mehr als Vorschau denn als Nachlese ist wohl die Bildstrecke mit unfertigen Hotelanlagen zu bezeichnen, die die Künstlerinnen Sabine Haubitz und Stefanie Zoche zwischen 2002 und 2005 auf der ägyptischen Halbinsel Sinai fotografiert haben. Das Az W zeigt diese außergewöhnliche Dokumentation von 24.04.2008 bis 12.05.2008 in einer Ausstellung in der Halle F3.
Besonders hervorheben möchten wir den Beitrag von Inge Scheidl, die das seit vier Jahren laufende, vom FWF geförderte Forschungsprojekt „Wiener Architektenlexikon 1880-1945“ leitet und in einem pointierten Artikel von ihren teils leidvollen Erfahrungen berichtet. Das akribisch recherchierte Architektenlexikon, ein Desiderat seit Jahrzehnten, wird bereits seit 2005 in einer Datenbank auf der Website des Az W (www.azw.at, www.architektenlexikon.at) sukzessive erweitert und kostenlos zugänglich gemacht. Für das heurige Frühjahr ist mit der Fertigstellung zu rechnen.
Einen ganz anderen Aspekt der Architekturforschung – den Originalitätsbegriff der Moderne sowie die gefährdete Authentizität ihrer Monumente durch Renovierung – berührt Dietmar Steiner in seiner Glosse zur „Sanierung der Moderne“. Diesem nicht nur für die Denkmalpflege in Tel Aviv brisanten Thema ist ein gemeinsam mit dem österreichischen Bundesdenkmalamt organisiertes Symposion gewidmet, das am 12.04.2008 im Az W stattfindet.
Nicht zuletzt möchten wir Ihre Aufmerksamkeit auch auf die sanfte grafische Veränderung des Heftes lenken. „Eine veränderung, die keine verbesserung ist, ist eine verschlechterung“ – getreu diesem Ausspruch von Adolf Loos hoffen wir, dass Sie das modifizierte Erscheinungsbild des Hintergrunds positiv überrascht. Wenn Sie sich darüber hinaus – was wir besonders hoffen – von den Inhalten dieses Heftes angesprochen fühlen, so erlauben Sie uns an dieser Stelle den dezenten wie pragmatischen Hinweis, dass man den Hintergrund nicht nur günstig erwerben, sondern auch günstig abonnieren kann.
Gabriele Kaiser, Sonja Pisarik
05 Vorwort
Thema Tel Aviv
09 Ita Heinze-Greenberg: Die „Weiße Stadt“ von Tel Aviv. Anmerkungen zur Rezeption der Moderne im zionistischen Kontext
21 Jeremie Hoffmann: Towards Conservation. The „White City” of Tel Aviv as a World Heritage Site
27 Pe'era Goldman: Tel Aviv – Urban Vision and Reality
35 Ursula Prokop: Zum Anteil österreichisch-jüdischer Architekten am Aufbau Palästinas
45 Ita Heinze-Greenberg: Buchbesprechung Anna Minta, Israel Bauen
Az W Journal
50 Az W Bibliothek – Handapparat Tel Aviv
54 Inge Scheidl: Wozu brauchen wir ein Wiener Architekten-Lexikon?
63 Ute Waditschatka: Die Frankfurter Küche und 100 Jahre Theiss & Jaksch
66 Gabriele Kaiser: Sinai Hotels von Haubitz Zoche
73 Ivan Ristić: „Paradoxe ABCs“ von Bogdan Bogdanović
74 1 Frage, 10 Tage, 5 Elemente – Ein Projekt von Sandra Häuplik-Meusburger, Verena Holzgethan und Nikolaus Similache
89 Marion Kuzmany: slowenien brandneu und bratislava topaktuell
92 Dietmar Steiner: Sanierung der Moderne
94 Kurzbios Autorinnen und Autoren
95 Team Az W
96 Mitglieder Architecture Lounge, xlarge Partner
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