Zeitschrift

TEC21 2009|18
Komplementär
TEC21 2009|18
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG
In der Farbenlehre bezeichnet man Farben als «komplementär», die miteinander gemischt einen Grauton ergeben. Je nach Farbsystem variieren die «Gegensatzpaare»: Der Physiker Hermann Ludwig Ferdinand von Helmholtz begründete das Modell Blau-Gelb, Rot-Cyan und Grün-Magenta, das bis heute im RGB- oder CMY-System Verwendung findet. Das-NCS-System basiert auf den vom Physiologen und Hirnforscher Karl Ewald Konstantin Hering postulierten Blau-Gelb- und Rot-Grün-Kontrasten. Und Johann Wolfgang von Goethe orientierte sich an Blau-Orange, Rot-Grün und Gelb-Violett, dem Johannes Itten im 20. Jahrhundert eine Renaissance bescherte. Er war es auch, der den von Hering im Rahmen seiner Gegenfarbentheorie beschriebenen Simultankontrast in seine Definition der Sieben Farbkontraste integrierte. Beim Simultankontrast handelt es sich um ein physiologisch begründetes Wahrnehmungsphänomen, bei dem das Auge zu einer gegebenen Farbe die komplementäre Ergänzung selbstständig erzeugt.

Komplementarität kennt man aber auch in der Physik, der Quantenmechanik und der Mathematik, in der Logik, der Kommunikationstheorie und der Sprachwissenschaft sowie in der Pädagogik, der Philosophie und der Psychologie. Carl Gustav Jung hat sie mit dem Begriff «Synchronizität» gefasst und die Reaktion von Menschen gemeint, physische Ereignisse als körperlich manifestierte Spiegelungen innerer seelischer Zustände zu empfinden – einem Traum etwa einen Sinnzusammenhang zu unterstellen mit einem darauf folgenden Erlebnis, ohne dass die beiden kausal etwas miteinander zu tun hätten.

In der Physik ist es der «Welle-Teilchen-Dualismus», wonach jedes quantenphysikalische Objekt stets sowohl Wellen- als auch Teilcheneigenschaften hat. Beobachten lassen sie sich aber nie gleichzeitig. In der Quantenmechanik sind Ort und Impuls komplementäre Messgrössen.

All diesen Phänomenen gemeinam ist, dass immer etwas Gegenwärtiges auf etwas Abwesendes verweist. Analog verhält es sich mit den Bauten, die in diesem Heft besprochen werden. Die für das Gropius-Meisterhaus in Dessau vorgeschlagenen abstrakten schwarzen Kuben würden wie ein Schatten auf den zerstörten Bau fallen («Schattenspiel oder Spiegelfechterei?»). Der Bauschmuck, der die Villa Rainhof heute ziert, wirkt wie ein Nachbild der einstigen Stuckaturen und Täferverkleidungen («Balanceakt»), und in der Mittelpunktbibliothek in Berlin-Köpenick («Vetraut und fremd») schwingt die Resonanz der ursprünglichen städtebaulichen Harmonie.
Rahel Hartmann Schweizer

05 WETTBEWERBE
Neubau Therapiezentrum Altdorf

11 MAGAZIN
Planat: erste Etappe abgeschlossen

14 SCHATTENSPIEL ODER SPIEGELFECHTEREI?
Jürgen Tietz
In Dessau steht das Bauhaus-Erbe zur Diskussion: Dabei ist Walter Gropius’ Meisterhaus zum Spielball geworden in der Debatte um Rekonstruktion oder Integration in eine abstrakte Komposition.

17 BALANCEAKT
Rahel Hartmann
Schweizer Die 1867 errichtete Villa Rainhof in Zürich wurde renoviert und trägt nun auf der Rückseite komplementäre Züge zur Front, sodass sie zwischen dem 19. und dem 21. Jahrhundert balanciert.

23 VERTRAUT UND FREMD
Christian Holl
Die Mittelpunktbibliothek in Berlin-Köpenick macht deutlich, dass ein grosses Potenzial darin liegt, das Heterogene zum architektonischen Thema zu machen.

30 SIA
Beitritte zum SIA im 1. Quartal 2009

31 PRODUKTE

37 IMPRESSUM

38 VERANSTALTUNGEN

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Verlags-AG der akademischen technischen Vereine

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