Zeitschrift
TEC21 2011|11
Sämling und Steckling
«Von der Ecke des aus persischen Satteltaschen gefertigten Diwans, auf dem er lag und, wie es seine Gewohnheit war, unzählige Zigaretten rauchte, konnte Lord Henry Wotton gerade noch die honigsüssen, honiggelben Blüten eines Goldregens leuchten sehen, dessen zitternde Zweige, wie es schien, die Last einer solch flammengleichen Schönheit kaum zu tragen vermochten.»[1]
Mit dem Bild des Goldregens (Laburnum anagyroides) im zweiten Satz seines Romans «Das Bildnis des Dorian Gray» kondensierte Oscar Wilde die ganze Tragik seines Protagonisten – faustisch verführt, narzisstisch verzehrt –, aufgeladen mit der Konnotation des Goldregens nach dem griechischen Mythos um Danae. Diese Verdichtung, die noch dazu – wenn auch wohl unwissentlich – die Kreuztoleranz zwischen Nikotin und Cytisin, dem giftigen Hauptalkaloid des Laburnum, beinhaltet, verdanken wir einem Zierstrauch, der eigentlich aus unseren Breitengraden verbannt gehörte – und erst recht aus englischen Gefilden. Denn der Goldregen stammt ursprünglich aus Italien, Frankreich, Kroatien und Slowenien und kam 1560 erstmals nach England[2] – Jahrzehnte nach der für die Definition «Neophyt» magischen Grenze[3]. Dieser Zeitschwelle bzw. der mit ihr verbundenen Einteilung in «einheimische» und «eingewanderte» Pflanzen haftet etwas Willkürliches an. Denn Pflanzen migrieren per definitionem, sodass Herkunftsgebiet und genetische Identität – ebenfalls bereits als Kriterium für «ansässig» postuliert – keineswegs übereinstimmen müssen.
Der Biodiversität einer Parkanlage in Bern Brünnen war es denn auch förderlich, dass aus Sämlingen gezogene, d. h. genetisch nicht völlig identische, Linden gepflanzt wurden statt über Stecklinge sortenrein vermehrte Bäume («Berner Rosen»).
Der Autor von «‹Einheimische› Pflanzen» plädiert für eine differenzierte Auslegung des Begriffs «einheimisch» bzw. dafür, ihn durch «standort-gerecht» zu ersetzen. «Standortgerecht» wiederum hat auch eine soziale Komponente: Der Goldregen macht wegen seiner Giftigkeit einen Garten für Kinder zur No-go-Area, für Raucher aber zur potenziellen Entwöhnungszone ...
Rahel Hartmann Schweizer
Anmerkungen
[1] Oscar Wilde: Das Bildnis des Dorian Gray. Manesse-Verlag, Zürich 1999, S. 9
[2] Maggie Campbell-Culver: The Origin of Plants. London 2001, S. 163
[3] Gemeinhin wird diese Zeitschwelle 1492 angesetzt, beim Jahr der Entdeckung Amerikas. In der Schweiz wird sie um 1500 gezogen. Pflanzen, die hierzulande davor schon existierten, gelten der schweizerischen Kommission für die Erhaltung von Wildpflanzen als «gebietsheimisch»
05 WETTBEWERBE
Wohn- und Pflegezentrum, Zollikon ZH | Siedlung Muggenbühl, Zürich
10 PERSÖNLICH
Barbara Jehle: «Jeder Anfang setzt neue Energie frei»
11 MAGAZIN
Kriminalprävention im Städtebau | Cosmic Communist Constructions | Reinere Luft dank Pflanzen
18 «EINHEIMISCHE» PFLANZEN?
Hansjörg Gadient «Einheimische Pflanzen» ist ein unbrauchbarer Begriff, obwohl er auch in der Fachwelt immer mehr Verbreitung findet. Aber nicht nur der Ausdruck ist fragwürdig, sondern auch das Konzept dahinter, denn es negiert den Reichtum der Gartenkultur.
25 BERNER ROSEN
Hansjörg Gadient Die Parkanlage Brünnengut in Bern basiert auf dem Konzept einer robusten äusseren Gestalt, die einer differenzierten Bespielung im «Innern» Raum gibt. Die Landschaftsarchitekten David Bosshard und Andreas Tremp verbinden ökologische Verträglichkeit mit sozialer Toleranz.
33 SIA
Neuer Präsident/Neue Präsidentin SIA | «Die Schweiz bauen» | Geschäftslage im 4. Quartal 2010
36 FIRMEN
45 IMPRESSUM
46 VERANSTALTUNGEN
Mit dem Bild des Goldregens (Laburnum anagyroides) im zweiten Satz seines Romans «Das Bildnis des Dorian Gray» kondensierte Oscar Wilde die ganze Tragik seines Protagonisten – faustisch verführt, narzisstisch verzehrt –, aufgeladen mit der Konnotation des Goldregens nach dem griechischen Mythos um Danae. Diese Verdichtung, die noch dazu – wenn auch wohl unwissentlich – die Kreuztoleranz zwischen Nikotin und Cytisin, dem giftigen Hauptalkaloid des Laburnum, beinhaltet, verdanken wir einem Zierstrauch, der eigentlich aus unseren Breitengraden verbannt gehörte – und erst recht aus englischen Gefilden. Denn der Goldregen stammt ursprünglich aus Italien, Frankreich, Kroatien und Slowenien und kam 1560 erstmals nach England[2] – Jahrzehnte nach der für die Definition «Neophyt» magischen Grenze[3]. Dieser Zeitschwelle bzw. der mit ihr verbundenen Einteilung in «einheimische» und «eingewanderte» Pflanzen haftet etwas Willkürliches an. Denn Pflanzen migrieren per definitionem, sodass Herkunftsgebiet und genetische Identität – ebenfalls bereits als Kriterium für «ansässig» postuliert – keineswegs übereinstimmen müssen.
Der Biodiversität einer Parkanlage in Bern Brünnen war es denn auch förderlich, dass aus Sämlingen gezogene, d. h. genetisch nicht völlig identische, Linden gepflanzt wurden statt über Stecklinge sortenrein vermehrte Bäume («Berner Rosen»).
Der Autor von «‹Einheimische› Pflanzen» plädiert für eine differenzierte Auslegung des Begriffs «einheimisch» bzw. dafür, ihn durch «standort-gerecht» zu ersetzen. «Standortgerecht» wiederum hat auch eine soziale Komponente: Der Goldregen macht wegen seiner Giftigkeit einen Garten für Kinder zur No-go-Area, für Raucher aber zur potenziellen Entwöhnungszone ...
Rahel Hartmann Schweizer
Anmerkungen
[1] Oscar Wilde: Das Bildnis des Dorian Gray. Manesse-Verlag, Zürich 1999, S. 9
[2] Maggie Campbell-Culver: The Origin of Plants. London 2001, S. 163
[3] Gemeinhin wird diese Zeitschwelle 1492 angesetzt, beim Jahr der Entdeckung Amerikas. In der Schweiz wird sie um 1500 gezogen. Pflanzen, die hierzulande davor schon existierten, gelten der schweizerischen Kommission für die Erhaltung von Wildpflanzen als «gebietsheimisch»
05 WETTBEWERBE
Wohn- und Pflegezentrum, Zollikon ZH | Siedlung Muggenbühl, Zürich
10 PERSÖNLICH
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18 «EINHEIMISCHE» PFLANZEN?
Hansjörg Gadient «Einheimische Pflanzen» ist ein unbrauchbarer Begriff, obwohl er auch in der Fachwelt immer mehr Verbreitung findet. Aber nicht nur der Ausdruck ist fragwürdig, sondern auch das Konzept dahinter, denn es negiert den Reichtum der Gartenkultur.
25 BERNER ROSEN
Hansjörg Gadient Die Parkanlage Brünnengut in Bern basiert auf dem Konzept einer robusten äusseren Gestalt, die einer differenzierten Bespielung im «Innern» Raum gibt. Die Landschaftsarchitekten David Bosshard und Andreas Tremp verbinden ökologische Verträglichkeit mit sozialer Toleranz.
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