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werk, bauen + wohnen 6-17
Elbphilharmonie
werk, bauen + wohnen 6-17
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Hamburgs neues Wahrzeichen war im Grunde schon Teil des imaginären Stadtbildes, seit 2003 die ersten Skizzen den Verantwortlichen den Kopf verdrehten. Seither hat die Hamburger Politik diesem Projekt die Treue gehalten und seine Realisierung allen Anfeindungen zum Trotz durchgezogen. Kritik gab es genug, als der Bau wie ein heimgebrachtes kleines Krokodil in der Badewanne immer enormere, schliesslich bedrohliche Ausmasse annahm. Schon kurz vor der Eröffnung machte die Häme jedoch restloser Begeisterung Platz – wo hat zeitgenössische Architektur je eine solche Umarmung erlebt? Die Kosten sind bereits jetzt nur noch eine Randnotiz der Geschichte. Hamburg feiert mit der Elbphilharmonie sich selbst und seinen eigenen Mut.

Als Architektur ist das Konzerthaus auf dem Speicher spektakulär; es setzt mit seiner Wellenkrone an der Kante von Stadt und Fluss ein unverwechselbares Zeichen, und es verzaubert die Besucher mit seinen Raumkaskaden. Der Realisierungsaufwand der leicht hingeworfenen Skizze war enorm: die Kräfte nicht nur zu bändigen, sondern auf Umwegen zu führen, gestaltete das Unterfangen so anspruchsvoll. Der Gewinn ist die offene Plaza, ist der schwebende Körper, sind die floatenden Foyers und ein Saal, der seinesgleichen sucht.

Die Elbphilharmonie ist aber auch ein Abbild der Gesellschaft: Gerade weil sie so kontrovers diskutiert wurde, verkörpert sie eine pluralistische Öffentlichkeit, die um den Wert von Kultur streitet, wie Heike Delitz in diesem Heft aufzeigt. Als Konzerthaus ist sie anderseits ein Ort selektiver Öffentlichkeit, denn die Sublimierung des Selbst im Kulturerlebnis ist ein Privileg: Die eigentlichen Raumsensationen – die sich kreuzenden Treppen und Foyers, die überraschenden Weitblicke beim Höhersteigen, schliesslich der mit seinen Tribünen schwingende Saal – sie bleiben dem zahlenden Konzertpublikum vorbehalten.

Zu diesem Erlebnis bildet die öffentlich zugängliche Plaza nur den Vorhof. Dennoch ist diese Plaza für die Öffentlichkeit von besonderem Wert. Um sie frei zu halten, wurden alle Stützen ins Innere geräumt. Die privaten Nutzungen, die ursprünglich das Ganze finanzieren sollten, ordnen sich trotz ihres erheblichen Volumens unter; von ihnen ist heute kaum mehr die Rede und sie sind auch vor Ort nicht zu spüren. Entstanden ist ein öffentlicher Bau, der die Widersprüche der Gesellschaft nicht kittet, aber auch nicht verhüllt.

Sag’ zärtlich Elphi zu mir
Gert Kähler

Das Haus
Iwan Baan

Schall und Wahn
Caspar Schärer und Roland Züger

Alster und Hafen im Blick
Boris Sieverts

Die Musik
Armin Linke

Ästhetik, Pluralität und
Individualität
Heike Delitz

Die Baustelle
Oliver Heissner (Bilder)
Schnetzer Puskas Ingenieure (Visualisierungen)

Schweben als Kraftakt
Daniel Kurz

Die Pläne als Poster
FLAG Aubry / Broquard (Illustration)

Zudem:
werk-notiz: Während alle Welt noch von japanischen Kleinarchitekturen schwärmt, die ihr Versprechen meist nicht halten, berichtet Tibor Joanelly – zurück von einer Japanreise – von neuesten Tendenzen aus dem Land der aufgehenden Sonne: Quartierzentren und Retro-Architektur
Debatte: Die Einordnung neuer Bauten ins historische Siedlungsgefüge ist eine gute Sache – aber kein Freipass für das Abbrechen des echten Alten. Das Ortsbildinventar ISOS sollte ernster genommen werden – nicht nur als Hinweis, den es in allgemeiner Form zu «berücksichtigen» gilt.
Recht: Bei der Umsetzung der vom RPG geforderten Mehrwertabgabe übertreffen sich die Kantone in Minimalismus. Dass diese auch ein Planungsinstrument zur Stadtverbesserung sein könnte, das auch den zahlenden Bauherren sehr viel bringt, zeigt dagegen seit 40 Jahren die Praxis von Basel-Stadt.
Bücher: Wie entstehen Symbole in der Architektur, was eigentlich lässt Form entstehen? Natürlich: Das Soziale! Silke Steets’ Buch wirft Licht auf bisher undeutliche Zusammenhänge.
Ausstellungen: In Biasca ist charaktervolle Nachkriegsarchitektur ausgestellt, deren Inspiration von amerikanischen Vorbildern ausging, während in Chur ganz sinnlich und haptisch das fotografische Werk von Hans Danuser in einer grossen Werkschau gefeiert wird.
Kolumne: Architektur ist …Normcore
Portrait Architecture par principes: Das Pariser Büro Bruther um Stéphanie Bru und Alexandre Thériot hat mit technoiden Bauten auf sich aufmerksam gemacht. Ihr spektakulärer Modernismus entpuppt sich bei genauem Hinsehen als eine realistische Recherche nach der Performance eines Gebäudes und nach einem präzisen Einsatz der Mittel.
Portrait Architecture oblique: Vor etwas mehr als einem Jahr ist Claude Parent verstorben. Der schillernde Architekt galt nicht nur als Grandseigneur der Nachmoderne in Frankreich, sondern auch als streitbarer Tausendsassa und konzeptioneller Einflüstere europäischer Architektur der letzten 30 Jahre.
werk-material: Heilpädagogische Schule in Lyss BE von Met Architektur
werk-material: Schulhaus in Thundorf TG von Lauener Baer Architekten

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