Zeitschrift

werk, bauen + wohnen 03-18
Knochenarchitektur
werk, bauen + wohnen 03-18
zur Zeitschrift: werk, bauen + wohnen
«Starke Strukturen» nannten wir vor neun Jahren ein Heft, das von der Raumbildung sprechende Tragwerke zum Gegenstand hatte und die Zusammenarbeit von Architekt und Bauingenieurin aufs Podest hob. «Weit gespannt» war dann ein weiteres Heft, das vor allem mit Hallenkonstruktionen belegen wollte, dass in einem architektonisch gedachten Tragwerk nicht nur Entwurfspotenzial steckt, sondern auch bautechnische Innovation.
Nun spannen wir diesen thematischen Bogen weiter mit aktuellen Bauten, bei denen die Gleichung zwischen Tragwerk und Raum auf überzeugende Weise aufgeht. Über die Bestandesaufnahme hinaus sind zwei weitere Aspekte charakteristisch. Da ist zum einen die Struktur selbst, die mit zunehmender Virtuosität zum Sprechen gebracht wird – Stichwort «Tektonik» –, und da ist zum anderen auch ein verhaltener Klassizismus, der bei den präsentierten Bauten ausnahmslos mitschwingt. Beides fügt sich für uns in einen Begriff der «Haut- und Knochenarchitektur», der gemeinhin Mies van der Rohe zugeschrieben wird, seine geistesgeschichtliche Herkunft aber im 19. Jahrhundert hat.
Das heute verbreitete Herzeigen der kraftvollen Struktur sehen wir als eine baukünstlerische Reaktion auf eingebildete oder tatsächliche Auflösungs-
erscheinungen in der Architektur. Der zunehmenden Spezialisierung im Beruf und der Differenzierung konstruktiver Funktionen kann mit einem synthetischen, «zusammenführenden» Anspruch an das Bauen begegnet werden. Die Tragstruktur ist hier – mit Vorliebe aus Beton – die ordnende Instanz, die sozusagen für die Architekturhaftigkeit der Architektur
sorgt, weitab von einer Diskussion um Referenzen oder Bilder.
Ebenso wie diese hat die «Poetik der Tragstruktur» das Zeug zu einem Stil in der Architektur, und es ist sicher nicht falsch, wenn man erneut von einem «Ingenieur-Stil» oder zumindest von einem «Struktur-Stil» sprechen würde, der sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in unsere Zeit hinzieht. Dem bei den vorgestellten Bauten mitschwingenden Essenzialismus (What you see is what you get) fällt dabei der Part der kraftvollen Erzählung zu, die je nach Zeitgeist mit weiteren Inhalten wie Fortschritt, Flexibilität, Konnektivität, Gemeinschaft oder Tradition angereichert werden kann.

Anatomie und Architektur
Der analytische Blick in der Mitte des 19. Jahrhunderts
Tobias Erb und Lukas Ingold

Urbanes Regal
Public Condenser in Paris–Saclay von Muoto
Roland Züger, Maxime Delvaux (Bilder)

Starker Rahmen
Primarschule Linden Niederhasli von Graser Architekten
Lucia Gratz, Andrea Helbling (Bilder)

Mehrfach codiert
Start-up-Labor der Firma Nolax in Sempach von Deon Architekten
Stefan Kunz, Kuster Frey (Bilder)

Entfaltung der reinen Struktur Stickereiquartier von Corinna Menn und Mark Ammann.
Eva Stricker, Roger Frei (Bilder)

Im Tempel der Kräfte
Indizien zum Klassizismus
Tibor Joanelly

Zudem:
werk-notiz: Im Schatten von Donald Trump haben sich Europas Kulturminister am diesjährigen WEF in einer Davos Declaration der Baukultur verpflichet. Angezeigt wäre in deren Sinne jetzt auch eine Grundsatzdiskussion über technische Normen.
Debatte: «Die überlieferte materielle Substanz des Denkmals ist unbestechlich und kann immer wieder neu befragt werden»: Der Denkmalexperte Bernhard Furrer nimmt Stellung gegen die Überlegungen zur «ideellen Substanz» von Stephan Buchhofer in wbw 10 – 2017.
Recht: Nach den KBOB-Empfehlungen hat sich die Eidgenössische Wettbewerbskommission die Lohn und Honorarordnung des SIA vorgenommen: Doch die Abschaffung ihrer Empfehlungen wäre nicht im Interesse der Auftraggeber.
Bücher: Warum sind die Proportionen seit Le Corbusier aus dem Architekturdiskurs verschwunden? Eine neue Publikation frischt Wissen auf und gibt erhellende Einblicke in die praktische Arbeit mit klassischen Ordnungen. Und bei Birkhäuser sind ein sinnliches und ein gewichtiges Buch zur Geschichte der Landschaftsarchitektur erschienen.
Ausstellungen: Hans Danuser hat mit Blumen für Andrea in der Villa Garbald in Castasegna ein ebenso vielschichtiges wie berührendes Spiel um Räume und Blumen geschaffen. Und in Form folgt Paragraph forscht das AzW in Wien nach den Spielräumen, die Normen und Paragraphen für innovative Architektur noch frei lassen.
Kolumne: Architektur ist ... eine Tüte Gummibär
Szenografie des Wohnens: 110 Habitaciones – 110 Zimmer nennt das junge Architektenkollektiv MAIO das städtische Wohnhaus in Barcelona. Rätselhafte Symbole bilden den Kern einer szenografischen Erzählung – mit Anklängen an den katalanischen Modernisme um 1900.
Bauten Im Lichtregen: Anders als andere Prestigeprojekte der Golfmetropole bemühte sich Jean Nouvel für den Museumsbau des Louvre Abu Dhabi um eine Auseinandersetzung mit dem Ort. Entstanden ist ein Archipel von Museumsräumen im Schatten einer komplex aufgebauten Kuppel.
werk-material: Fernwärmezentrale Waldau in St. Gallen von Thomas K. Keller, St. Gallen
werk-material: Sportzentrum Heuried in Zürich von EM2N und Balliana Schubert, Zürich

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