Zeitschrift
TEC21 2018|38
Iran II: Der Garten-Archteyp Chahar Bagh
Paradiesisches Abbild
Einer der wichtigsten Archetypen des Gartenbaus und der Landschaftsarchitektur ist der Chahar Bagh. In seiner klassischen Form besteht er aus zwei sich kreuzenden Wasserläufen und einer Umfassungsmauer. Der Typus breitete sich variantenreich von Persien nach Westeuropa und nach Indien und China aus.
21. September 2018 - Hosna Pourhashemi
Alles beginnt mit Wasser, das in der persischen Mythologie Erde und Himmel verbindet. Als heiliges und heilendes Element vereint es alles zwischen Gott und Menschen. In sumerischen[1] Keilschriften wird das Land Dilum[2] als rein, klar und hell beschrieben. Seine Bewohner kannten weder Krankheit, Gewalt noch Alter – sie hatten jedoch kein frisches Wasser. So wies der sumerische Wassergott Enki den Sonnengott Utu an, den Menschen frisches Wasser zu geben. Utu gehorchte, und das Land verwandelte sich in ein Paradies[3] mit Obstbäumen, grünen Feldern und Wiesen. Auf altorientalischen Darstellungen wird Enki mit den Flüssen Euphrat und Tigris dargestellt, die aus seinen Schultern quellen, in der Hand hält er ein Gefäss, aus dem Wasser fliesst.
Dilum ist nur eines von mehreren altorientalischen Vorbildern des Paradieses. Im Zweistromland Mesopotamien, zwischen Euphrat und Tigris, trugen der Gott und die Göttin des Wassers die menschlichen Schicksale durch jede neue Wachstumsperiode. Man glaubte, die Lebensquelle Wasser sei überall, oben, unten und seitlich%%, und dass die Welt aus diesem riesigen Meer geboren wurde.[4] Auch im Avesta, dem heiligen Buch des Religionsgründers Zarathustra[5], wird Wasser erwähnt. Anahita, die zoroastrische Wassergöttin, schuf im Herzen der Wüste ein Paradies, indem sie das Wasser in vier Bereiche teilte. Das Paradies im Avesta ist auch durch die vier Elemente Luft, Wasser, Erde und Feuer gekennzeichnet und wird von den vier Flüssen der Glückseligkeit belebt, in denen Wasser, Wein, Milch und Honig fliessen. In der realen Welt werden diese Arme mit den vier «Hauptflüssen» Uzun, Gihon-Aras, Tigris und Euphrat in Persien in Verbindung gebracht.
Im modernen Sinn verbindet Wasser die drei Aspekte der Nachhaltigkeit: Es fliesst vom ökologischen Ursprung, den Bergen, in die Gärten, wo es ökonomische und repräsentative Zwecke erfüllt, und von dort weiter in die Städte mit den Menschen.
Antike Gärten und erste Zeugnisse
Über die Jahrtausende haben sich diese Wasserlegenden mit Geschichten um Gärten verwoben und teils mit historischen Fakten vermischt. Alle diese Erzählungen zeugen vom Wunsch der Menschen, eine himmlische Heimat zu bauen, denn in seiner mystischen Interpretation widerspiegelt der persische Garten durch das Wasser – das Leben spendet, erhält und reinigt – die kosmische Ordnung.
Eine frühe Legende um einen Garten findet sich im Gilgamesch-Epos.[6] Der sumerische König beschreibt, wie er in Mesopotamien in einen Göttergarten reist, in dem neben einem Berg eine Quelle liegt. Diese verweist ihn auf die benachbarten Zedern als «Pflanze des Lebens». Eine andere Vorstellung der persischen Landschaft soll der babylonische Garten in Ninive im heutigen Irak gewesen sein: Die Braut des Königs Nebukadnezar II. (6. Jh. v. Chr) soll Persien so vermisst haben, dass er sich bemühte, ihr mit dem Anlegen von Gärten einen Ersatz für die Vegetation ihrer Heimat zu bieten. Der Ort wurde später legendär als «die hängenden Gärten der Semiramis»[7], bei denen es sich wahrscheinlich um Gärten auf Dachterrassen handelte.
Die ersten archäologischen Zeugnisse des Gartens stammen aus der Achämenidenzeit, in der Kyros der Grosse (6. Jh. v. Chr.) seinen Palast «Pasargade» nah dem späteren Persepolis baute. David Stronach vom British Institute of Persian Studies erforschte die Ruinen des Palasts und beschrieb sie als offene, kristalline Strukturen mit einem neuen, vierseitigen Charakter. Zudem teilten zwei Achsen den Garten in vier Rechtecke. Diese Disposition bezeichneten Architekten später oft als «Vision der Macht». In mancher Hinsicht ist dies eine der wichtigsten persischen Entwicklungen, die später weltweit Verbreitung findet: Kyros verband den mystischen, religiösen Ausdruck des Gartens mit dem der weltlichen Macht. Tausend Jahre später schlug für Christen und Muslime die physische Erscheinung des Gartens die Brücke zum Paradies, und er wurde in der Bibel und im Koran zum irdischen Gegenstück des versprochenen Eden. Im Koran stehen Garten und Paradies sogar synonym für Orte der blühenden Natur, die nicht zur Wüste gehören.
Als erster überlieferter Leitfaden für Landwirtschaft und Gartenbau gilt das Buch «Irshad Alzerae» aus dem Jahr 1515 n. Chr. Im letzten Kapitel wurde ein Chahar-Bagh-Plan mit Massen des Beckens und des Pavillons beschrieben. Mahvash Alemi[8], der eine Zeichnung des Gartens anfertigte, definierte die Elemente so: «Die Terrassen symbolisieren die kosmischen Berge, und das Gebäude oder der Thron an höchster Stelle repräsentiert die Position Gottes. Vor dem Gebäude liegt ein Wasserbecken, das den kosmischen Ozean als Quelle aller Wasser darstellt und das den Garten bewässert. Bäume, Blumen und Tiere rund um das Gebäude ergänzen das Universum.» Diese Gartenvorstellung findet man oft in persischen Miniaturen.
Der Garten und die Kunst
Vom amerikanischen Experten für iranische Kunst, Arthur Upham Pope, stammt die Aussage, dass der persische Garten das Grundthema des persischen Teppichs sei. Der erste bekannte Gartenteppich ist der «Frühling des Khusrau». Der Historiker Muhammad Ibn Jarir al-Tabari beschrieb ihn in seinem Buch «Geschichte der Propheten und Könige» um 900 n. Chr als einen riesigen Teppich, der einen Garten mit Bächen, Pfaden, Bäumen und Frühlingsblumen zeigte. Der Teppich ist im übertragenen Sinn auch ein Spiegel des Himmels und der transportable Garten der Nomaden, die zwischen Sommer- und Winterquartier hin und her reisten. Sie konnten ihn mit sich tragen und bei Bedarf ausrollen. Mit Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht verbindet man in Europa den fliegenden Teppich: Er inspirierte die Barockgärten mit orientalischen Motiven im Wiener Schlosspark Schönbrunn, den Park des Schlosses Vaux-le-Vicomte und den Jardin du Luxembourg in Paris.
Gärten und die mit ihnen verbundene Suche nach dem Paradies waren grundlegend für das persische Denken. Sie waren Vorbild für Literatur und Malerei, und diese Kunstrichtungen beeinflussten ihrerseits wiederum die Gärten. Speziell die Kunst der Miniaturenmalerei befand sich über Jahrhunderte im intensiven Austausch mit der Gartengestaltung, und auch in literarischen Werken von berühmten persischen Dichtern wie Nezami, Ferdowsi und Hafez erreichten die Kunstrichtungen eine tiefe Übereinstimmung.
Wassermeister der Infrastruktur
Praktisch sind die ersten Siedlungen um 5000 v. Chr. Vorläufer dieser Gärten. Sie veränderten die Gesellschaft grundlegend. Zu dieser Zeit nahm insbesondere die Landstrukturierung durch hydraulische Infrastruktur wie Dämme, Kanäle und Schöpfräder ihren Anfang.[9] Massgebend für die Bewässerung des Chahar Bagh ist der Qanat oder Kariz. Es handelt sich um einen sanft abfallenden, unterirdischen Kanal, der von den Bergen an den höchsten Punkt eines Gartens im Tal führt. Der Kanal geht von einer Quelle aus oder folgt einem Grundwasserleiter. Über zusätzliche vertikale Zugangsschächte fliesst zudem bei Regen weiteres Wasser von der Bodenoberfläche in den Kanal, der zum Mutterbrunnen des Gartens führt. An seinem Auslauf liegen Becken, von denen aus das Wasser den Garten durchfliesst und dann weiter nach unten verteilt wird.4
Einige dieser Bauwerke sind bis heute in Betrieb. Früher verwaltete sie der Mir-Ab, der Wassermeister. Er verteilte das Wasser in Dörfer, Felder oder in städtische Gebiete. Die Eigentümer der Häuser und Felder mieteten in bestimmten zeitlichen Abständen einen Auslauf des Kanals.[10] Die bezogene Wassermenge wurde auf verschiedene Arten gemessen: Häufig mass eine Wasseruhr die Zeit für die Nutzung. Sie besteht in ihrer einfachsten Form aus einer runden Messingschüssel mit einem Loch im Boden. Die Anzahl der bezogenen Schüsseln war ein Zeichen für die hierarchische Stellung des Nutzers.
Die Kanäle waren so eng konzipiert, dass möglichst wenig Wasser verdunsten konnte. Die verfügbare Wassermenge bestimmte auch Standort und Geometrie des Gartens und beeinflusste die Wahl des Bewässerungssystems, die Parzellengrösse, die Pflanzenarten und ihre Abstände zueinander. Die Hauptachse diente ästhetischen Zwecken: An den Wasserbecken und -läufen befanden sich Ziergewächse und Schatten spendende Pflanzen, die den Garten verschönerten. Die Nutzpflanzen mit den funktionalen Bewässerungskanälen befanden sich auf den Seitenachsen. Alles Wasser floss durch Teiche und Brunnen, es bewässerte den Garten und weiter unten auch die Felder und Städte.
Architektur im Garten
Ein Wasserbecken oder ein Pavillon ist das zentrale Element an jener Stelle, an der die Kanäle sich kreuzen. Um die geometrische Komposition des Chahar Bagh zu überhöhen, steht der Pavillon frei und ist von allen Seiten einsehbar. Besonders klar kommt diese Intention in Isfahan beim Hasht-Behesht-Pavillon der Safawiden von 1669 zur Geltung.
Der am häufigsten anzutreffende Pavillontyp weist vier gleiche Fassaden auf, deren Achsen auf die Hauptblickrichtungen ausgerichtet sind und den Bau in den Garten integrieren. Im Fall eines Wasserbeckens anstelle des Pavillons an der Kreuzung spiegelt sich der Himmel darin. Diese Stelle im Becken war früher Gott vorbehalten. Später nahmen Herrschende als Machtdemonstration den zentralen Platz für sich in Anspruch.
Die Mauer um den Garten macht ihn zu einem Kosmos, der von innen und von aussen betrachtet werden kann. Am Eingang hört man Geräusche von Wasser und Tieren. Das Tor bietet den ersten spannenden Blick ins Innere und soll zur Kontemplation einladen. Die Ordnung der Linien, Texturen und das Lichtspiel auf reflektierenden Oberflächen im Innern ist wichtig, denn durch sie tritt das verborgene Universum in Erscheinung.
Nach dem Plan des Chahar Bagh sind in Persien auch architektonische Entwürfe von Palästen, Tempeln, Karawansereien, Moscheen, Mausoleen und Basaren ausgelegt. Einige Beispiele sind der Palast des Delgosha-Gartens in Shiraz, die Hakim-Moschee in Isfahan, der Pavillon im Shahzadeh-Garten bei Mahan in der Provinz Kerman und der Bagh-e Fin in Kashan. Die Kreuzform wurde später durch eine verlängerte Achse dem Christuskreuz angepasst und trat auch in architektonischen Entwürfen westeuropäischer Klöster, Basiliken und Kirchen auf – zum Beispiel beim Kloster St. Gallen, bei der Kathedrale Notre-Dame in Paris, beim Strassburger Münster und beim Mailänder Dom.
Der Chahar Bagh in der Stadt
Eine der ältesten kontinuierlich besiedelten Städte auf der iranischen Hochebene ist Isfahan. Schah Abbas I, der 5. Safawiden-König, entwarf und plante im 16. Jahrhundert die neue Stadt mit dem Basar und dem königlichen Viertel auf einer bestehenden städtischen und vorstädtischen Landschaft. Die Hauptachse des geometrischen Plans war die Chahar Bagh Avenue. Sie war ein Band aus rechteckigen Gärten, das über eine Strecke von einer Meile zum Zayandeh-Fluss lief. Dort führte die mehrstöckige Brücke Si-o-se Pol, die als Aufenthalts- und Aussichtsplattform gedacht war, ans andere Ufer und zog das Band in den gegenüberliegenden Stadtteil weiter. Der französische Architekt André Godard[11] sah im Chahar Bagh in Isfahan eine Promenadenachse. Im Wesentlichen handelte es sich um einen breiten «persischen Gartenteppich», der den Zugang zu den königlichen Gärten erleichterte und mit seiner langen Nord-Süd-Achse den Ort städtebaulich prägte.
In Europa sind Planungen von grossen Aussenraumanlagen von diesem Konzept beeinflusst, darunter die Champs-Elysées in Paris, die La Rambla in Barcelona und die Pennsylvania Avenue in Washington. Im Jahre 1898 entwickelte der Brite Ebenezer Howard die Idee zur Gartenstadt weiter.
Weit gereister Archetyp
Die Wege, auf denen sich der Typus des Chahar Bagh in die Welt verbreitete, sind verschlungen und vielfältig: Über die griechische Zivilisation erreichte er einerseits unter der lateinischen Bezeichnung «hortus conclusus» (geschlossener Garten) das Römische Reich, und von dort gelangte er im Lauf der Renaissance bis in die barocken Parks Frankreichs. Andererseits beeinflusste er, nachdem im 7. Jahrhundert die Araber Persien eroberten, auch die muslimische Philosophie. Das Bild der eingerahmten, gehobenen und veredelten Natur, das ein geometrisches «Mandala» zeigt, in dem der Fürst seine Macht als Spiegelbild der grossen Schöpfung darstellen und geniessen konnte, inspirierte nicht nur die europäischen, sondern auch die muslimischen Herrscher.
Der Chahar Bagh strahlte mit der Verbreitung des Islams ostwärts bis nach Indien mit dem Taj Mahal und dem Humayun-Grab und westwärts bis zur Alhambra mit dem Löwenhof und dem Generalife in Andalusien (14. Jahrhundert). Durch die andalusischen Parkanlagen breitete sich der Typus in der Neuen Welt aus, wo sein Einfluss vor allem in Kalifornien in den spanischen Kolonialgärten des frühen 20. Jahrhundert eine Rolle spielte. In der Schweiz sind der St. Galler Klostergarten und der Garten der Kartause Ittingen von diesem Archetypus inspiriert. Die Wirkung reicht bis in die heutige Zeit, so liess sich der Landschaftsarchitekt Dieter Kienast bei seinen Entwürfen etwa der «Grün 80» davon konzeptionell beeinflussen.
Die Einfachheit der Form und die Anziehungskraft des persischen Gartens auf die Sinne eignen sich für die Schaffung friedlicher und erholsamer Aussenräume bis in unsere Zeit. Seine Gestaltungselemente haben sich ökologisch und ökonomisch über Jahrtausende teils in Wüstengegenden bewährt. Es ist daher heute bedeutungsvoll, sich die einfachen architektonischen Elemente, die den Umgang mit Wasser und natürlichen Ressourcen steuern, vor Augen zu halten. Die uralten Legenden und Mythen lassen uns ausserdem einen Schritt zurücktreten vom reinen Formalismus und Funktionalismus und einen Blick auf das werfen, womit alles begann – das Wasser.
Anmerkungen:
[01] Sumer: südliche Teil der Kulturlandschaft des mesopotamischen Schwemmlands, zwischen der heutigen Stadt Bagdad und dem Zagros-Gebirge.
[02] Dilmun lag am Persischen Golf, an einer Handelsroute zwischen Mesopotamien und der Zivilisation im Industal. Ca. 3000 v. Chr. umfasste es die heutigen Staaten Bahrain, Kuwait, Katar und östlichen Teilregionen von Saudi-Arabien.
[03] Paradies: avestisches Wort «pairidaeza» (Gehege). Es verbreitet sich über die Jahrtausende weltweit und wurde mehrfach uminterpretiert. Der griechische Historiker Xenophon missverstand das Wort als Zusammensetzung aus «pairi» (rundherum) und «daeza» (Mauer).
[04] Elizabeth B. Moynihan, Paradise As a Garden – In Persia and Mughal India. New York 1979.
[05] Priester und Philosoph, Begründer des Zoroastrismus, 2. oder 1. Jahrtausend v. Chr.
[06] Gilgamesch: halbmythischer König von Uruk in Mesopotamien, bekannt aus dem sumerisch-babylonischen Gilgamesch-Epos (1400 v. Chr).
[07] Filippo Pizzoni, Kunst und Geschichte des Gartens. München 1999.
[08] Mahvash Alemi, «Symbolism in Persian Gardens: The Sense of Nature in the Royal Safavid Gardens». In Manzar, The Iranian Academic Open Access Journal of Landscape, Teheran 2012; Ausgabe 17, Band 3, Artikel 2, S. 6–13.
[09] Gwendolyn Leick, The Babylonian World. London 2007.
[10] Hosna Pourhashemi, Masterwork: The Role of Water in the Sustainability of Persian Gardens. Zürich/Teheran 2013.
[11] Bekannter Archäologe; 1928–1953 und 1956–1960 Direktor des Iranian Archeological Service, Teheran.
Dilum ist nur eines von mehreren altorientalischen Vorbildern des Paradieses. Im Zweistromland Mesopotamien, zwischen Euphrat und Tigris, trugen der Gott und die Göttin des Wassers die menschlichen Schicksale durch jede neue Wachstumsperiode. Man glaubte, die Lebensquelle Wasser sei überall, oben, unten und seitlich%%, und dass die Welt aus diesem riesigen Meer geboren wurde.[4] Auch im Avesta, dem heiligen Buch des Religionsgründers Zarathustra[5], wird Wasser erwähnt. Anahita, die zoroastrische Wassergöttin, schuf im Herzen der Wüste ein Paradies, indem sie das Wasser in vier Bereiche teilte. Das Paradies im Avesta ist auch durch die vier Elemente Luft, Wasser, Erde und Feuer gekennzeichnet und wird von den vier Flüssen der Glückseligkeit belebt, in denen Wasser, Wein, Milch und Honig fliessen. In der realen Welt werden diese Arme mit den vier «Hauptflüssen» Uzun, Gihon-Aras, Tigris und Euphrat in Persien in Verbindung gebracht.
Im modernen Sinn verbindet Wasser die drei Aspekte der Nachhaltigkeit: Es fliesst vom ökologischen Ursprung, den Bergen, in die Gärten, wo es ökonomische und repräsentative Zwecke erfüllt, und von dort weiter in die Städte mit den Menschen.
Antike Gärten und erste Zeugnisse
Über die Jahrtausende haben sich diese Wasserlegenden mit Geschichten um Gärten verwoben und teils mit historischen Fakten vermischt. Alle diese Erzählungen zeugen vom Wunsch der Menschen, eine himmlische Heimat zu bauen, denn in seiner mystischen Interpretation widerspiegelt der persische Garten durch das Wasser – das Leben spendet, erhält und reinigt – die kosmische Ordnung.
Eine frühe Legende um einen Garten findet sich im Gilgamesch-Epos.[6] Der sumerische König beschreibt, wie er in Mesopotamien in einen Göttergarten reist, in dem neben einem Berg eine Quelle liegt. Diese verweist ihn auf die benachbarten Zedern als «Pflanze des Lebens». Eine andere Vorstellung der persischen Landschaft soll der babylonische Garten in Ninive im heutigen Irak gewesen sein: Die Braut des Königs Nebukadnezar II. (6. Jh. v. Chr) soll Persien so vermisst haben, dass er sich bemühte, ihr mit dem Anlegen von Gärten einen Ersatz für die Vegetation ihrer Heimat zu bieten. Der Ort wurde später legendär als «die hängenden Gärten der Semiramis»[7], bei denen es sich wahrscheinlich um Gärten auf Dachterrassen handelte.
Die ersten archäologischen Zeugnisse des Gartens stammen aus der Achämenidenzeit, in der Kyros der Grosse (6. Jh. v. Chr.) seinen Palast «Pasargade» nah dem späteren Persepolis baute. David Stronach vom British Institute of Persian Studies erforschte die Ruinen des Palasts und beschrieb sie als offene, kristalline Strukturen mit einem neuen, vierseitigen Charakter. Zudem teilten zwei Achsen den Garten in vier Rechtecke. Diese Disposition bezeichneten Architekten später oft als «Vision der Macht». In mancher Hinsicht ist dies eine der wichtigsten persischen Entwicklungen, die später weltweit Verbreitung findet: Kyros verband den mystischen, religiösen Ausdruck des Gartens mit dem der weltlichen Macht. Tausend Jahre später schlug für Christen und Muslime die physische Erscheinung des Gartens die Brücke zum Paradies, und er wurde in der Bibel und im Koran zum irdischen Gegenstück des versprochenen Eden. Im Koran stehen Garten und Paradies sogar synonym für Orte der blühenden Natur, die nicht zur Wüste gehören.
Als erster überlieferter Leitfaden für Landwirtschaft und Gartenbau gilt das Buch «Irshad Alzerae» aus dem Jahr 1515 n. Chr. Im letzten Kapitel wurde ein Chahar-Bagh-Plan mit Massen des Beckens und des Pavillons beschrieben. Mahvash Alemi[8], der eine Zeichnung des Gartens anfertigte, definierte die Elemente so: «Die Terrassen symbolisieren die kosmischen Berge, und das Gebäude oder der Thron an höchster Stelle repräsentiert die Position Gottes. Vor dem Gebäude liegt ein Wasserbecken, das den kosmischen Ozean als Quelle aller Wasser darstellt und das den Garten bewässert. Bäume, Blumen und Tiere rund um das Gebäude ergänzen das Universum.» Diese Gartenvorstellung findet man oft in persischen Miniaturen.
Der Garten und die Kunst
Vom amerikanischen Experten für iranische Kunst, Arthur Upham Pope, stammt die Aussage, dass der persische Garten das Grundthema des persischen Teppichs sei. Der erste bekannte Gartenteppich ist der «Frühling des Khusrau». Der Historiker Muhammad Ibn Jarir al-Tabari beschrieb ihn in seinem Buch «Geschichte der Propheten und Könige» um 900 n. Chr als einen riesigen Teppich, der einen Garten mit Bächen, Pfaden, Bäumen und Frühlingsblumen zeigte. Der Teppich ist im übertragenen Sinn auch ein Spiegel des Himmels und der transportable Garten der Nomaden, die zwischen Sommer- und Winterquartier hin und her reisten. Sie konnten ihn mit sich tragen und bei Bedarf ausrollen. Mit Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht verbindet man in Europa den fliegenden Teppich: Er inspirierte die Barockgärten mit orientalischen Motiven im Wiener Schlosspark Schönbrunn, den Park des Schlosses Vaux-le-Vicomte und den Jardin du Luxembourg in Paris.
Gärten und die mit ihnen verbundene Suche nach dem Paradies waren grundlegend für das persische Denken. Sie waren Vorbild für Literatur und Malerei, und diese Kunstrichtungen beeinflussten ihrerseits wiederum die Gärten. Speziell die Kunst der Miniaturenmalerei befand sich über Jahrhunderte im intensiven Austausch mit der Gartengestaltung, und auch in literarischen Werken von berühmten persischen Dichtern wie Nezami, Ferdowsi und Hafez erreichten die Kunstrichtungen eine tiefe Übereinstimmung.
Wassermeister der Infrastruktur
Praktisch sind die ersten Siedlungen um 5000 v. Chr. Vorläufer dieser Gärten. Sie veränderten die Gesellschaft grundlegend. Zu dieser Zeit nahm insbesondere die Landstrukturierung durch hydraulische Infrastruktur wie Dämme, Kanäle und Schöpfräder ihren Anfang.[9] Massgebend für die Bewässerung des Chahar Bagh ist der Qanat oder Kariz. Es handelt sich um einen sanft abfallenden, unterirdischen Kanal, der von den Bergen an den höchsten Punkt eines Gartens im Tal führt. Der Kanal geht von einer Quelle aus oder folgt einem Grundwasserleiter. Über zusätzliche vertikale Zugangsschächte fliesst zudem bei Regen weiteres Wasser von der Bodenoberfläche in den Kanal, der zum Mutterbrunnen des Gartens führt. An seinem Auslauf liegen Becken, von denen aus das Wasser den Garten durchfliesst und dann weiter nach unten verteilt wird.4
Einige dieser Bauwerke sind bis heute in Betrieb. Früher verwaltete sie der Mir-Ab, der Wassermeister. Er verteilte das Wasser in Dörfer, Felder oder in städtische Gebiete. Die Eigentümer der Häuser und Felder mieteten in bestimmten zeitlichen Abständen einen Auslauf des Kanals.[10] Die bezogene Wassermenge wurde auf verschiedene Arten gemessen: Häufig mass eine Wasseruhr die Zeit für die Nutzung. Sie besteht in ihrer einfachsten Form aus einer runden Messingschüssel mit einem Loch im Boden. Die Anzahl der bezogenen Schüsseln war ein Zeichen für die hierarchische Stellung des Nutzers.
Die Kanäle waren so eng konzipiert, dass möglichst wenig Wasser verdunsten konnte. Die verfügbare Wassermenge bestimmte auch Standort und Geometrie des Gartens und beeinflusste die Wahl des Bewässerungssystems, die Parzellengrösse, die Pflanzenarten und ihre Abstände zueinander. Die Hauptachse diente ästhetischen Zwecken: An den Wasserbecken und -läufen befanden sich Ziergewächse und Schatten spendende Pflanzen, die den Garten verschönerten. Die Nutzpflanzen mit den funktionalen Bewässerungskanälen befanden sich auf den Seitenachsen. Alles Wasser floss durch Teiche und Brunnen, es bewässerte den Garten und weiter unten auch die Felder und Städte.
Architektur im Garten
Ein Wasserbecken oder ein Pavillon ist das zentrale Element an jener Stelle, an der die Kanäle sich kreuzen. Um die geometrische Komposition des Chahar Bagh zu überhöhen, steht der Pavillon frei und ist von allen Seiten einsehbar. Besonders klar kommt diese Intention in Isfahan beim Hasht-Behesht-Pavillon der Safawiden von 1669 zur Geltung.
Der am häufigsten anzutreffende Pavillontyp weist vier gleiche Fassaden auf, deren Achsen auf die Hauptblickrichtungen ausgerichtet sind und den Bau in den Garten integrieren. Im Fall eines Wasserbeckens anstelle des Pavillons an der Kreuzung spiegelt sich der Himmel darin. Diese Stelle im Becken war früher Gott vorbehalten. Später nahmen Herrschende als Machtdemonstration den zentralen Platz für sich in Anspruch.
Die Mauer um den Garten macht ihn zu einem Kosmos, der von innen und von aussen betrachtet werden kann. Am Eingang hört man Geräusche von Wasser und Tieren. Das Tor bietet den ersten spannenden Blick ins Innere und soll zur Kontemplation einladen. Die Ordnung der Linien, Texturen und das Lichtspiel auf reflektierenden Oberflächen im Innern ist wichtig, denn durch sie tritt das verborgene Universum in Erscheinung.
Nach dem Plan des Chahar Bagh sind in Persien auch architektonische Entwürfe von Palästen, Tempeln, Karawansereien, Moscheen, Mausoleen und Basaren ausgelegt. Einige Beispiele sind der Palast des Delgosha-Gartens in Shiraz, die Hakim-Moschee in Isfahan, der Pavillon im Shahzadeh-Garten bei Mahan in der Provinz Kerman und der Bagh-e Fin in Kashan. Die Kreuzform wurde später durch eine verlängerte Achse dem Christuskreuz angepasst und trat auch in architektonischen Entwürfen westeuropäischer Klöster, Basiliken und Kirchen auf – zum Beispiel beim Kloster St. Gallen, bei der Kathedrale Notre-Dame in Paris, beim Strassburger Münster und beim Mailänder Dom.
Der Chahar Bagh in der Stadt
Eine der ältesten kontinuierlich besiedelten Städte auf der iranischen Hochebene ist Isfahan. Schah Abbas I, der 5. Safawiden-König, entwarf und plante im 16. Jahrhundert die neue Stadt mit dem Basar und dem königlichen Viertel auf einer bestehenden städtischen und vorstädtischen Landschaft. Die Hauptachse des geometrischen Plans war die Chahar Bagh Avenue. Sie war ein Band aus rechteckigen Gärten, das über eine Strecke von einer Meile zum Zayandeh-Fluss lief. Dort führte die mehrstöckige Brücke Si-o-se Pol, die als Aufenthalts- und Aussichtsplattform gedacht war, ans andere Ufer und zog das Band in den gegenüberliegenden Stadtteil weiter. Der französische Architekt André Godard[11] sah im Chahar Bagh in Isfahan eine Promenadenachse. Im Wesentlichen handelte es sich um einen breiten «persischen Gartenteppich», der den Zugang zu den königlichen Gärten erleichterte und mit seiner langen Nord-Süd-Achse den Ort städtebaulich prägte.
In Europa sind Planungen von grossen Aussenraumanlagen von diesem Konzept beeinflusst, darunter die Champs-Elysées in Paris, die La Rambla in Barcelona und die Pennsylvania Avenue in Washington. Im Jahre 1898 entwickelte der Brite Ebenezer Howard die Idee zur Gartenstadt weiter.
Weit gereister Archetyp
Die Wege, auf denen sich der Typus des Chahar Bagh in die Welt verbreitete, sind verschlungen und vielfältig: Über die griechische Zivilisation erreichte er einerseits unter der lateinischen Bezeichnung «hortus conclusus» (geschlossener Garten) das Römische Reich, und von dort gelangte er im Lauf der Renaissance bis in die barocken Parks Frankreichs. Andererseits beeinflusste er, nachdem im 7. Jahrhundert die Araber Persien eroberten, auch die muslimische Philosophie. Das Bild der eingerahmten, gehobenen und veredelten Natur, das ein geometrisches «Mandala» zeigt, in dem der Fürst seine Macht als Spiegelbild der grossen Schöpfung darstellen und geniessen konnte, inspirierte nicht nur die europäischen, sondern auch die muslimischen Herrscher.
Der Chahar Bagh strahlte mit der Verbreitung des Islams ostwärts bis nach Indien mit dem Taj Mahal und dem Humayun-Grab und westwärts bis zur Alhambra mit dem Löwenhof und dem Generalife in Andalusien (14. Jahrhundert). Durch die andalusischen Parkanlagen breitete sich der Typus in der Neuen Welt aus, wo sein Einfluss vor allem in Kalifornien in den spanischen Kolonialgärten des frühen 20. Jahrhundert eine Rolle spielte. In der Schweiz sind der St. Galler Klostergarten und der Garten der Kartause Ittingen von diesem Archetypus inspiriert. Die Wirkung reicht bis in die heutige Zeit, so liess sich der Landschaftsarchitekt Dieter Kienast bei seinen Entwürfen etwa der «Grün 80» davon konzeptionell beeinflussen.
Die Einfachheit der Form und die Anziehungskraft des persischen Gartens auf die Sinne eignen sich für die Schaffung friedlicher und erholsamer Aussenräume bis in unsere Zeit. Seine Gestaltungselemente haben sich ökologisch und ökonomisch über Jahrtausende teils in Wüstengegenden bewährt. Es ist daher heute bedeutungsvoll, sich die einfachen architektonischen Elemente, die den Umgang mit Wasser und natürlichen Ressourcen steuern, vor Augen zu halten. Die uralten Legenden und Mythen lassen uns ausserdem einen Schritt zurücktreten vom reinen Formalismus und Funktionalismus und einen Blick auf das werfen, womit alles begann – das Wasser.
Anmerkungen:
[01] Sumer: südliche Teil der Kulturlandschaft des mesopotamischen Schwemmlands, zwischen der heutigen Stadt Bagdad und dem Zagros-Gebirge.
[02] Dilmun lag am Persischen Golf, an einer Handelsroute zwischen Mesopotamien und der Zivilisation im Industal. Ca. 3000 v. Chr. umfasste es die heutigen Staaten Bahrain, Kuwait, Katar und östlichen Teilregionen von Saudi-Arabien.
[03] Paradies: avestisches Wort «pairidaeza» (Gehege). Es verbreitet sich über die Jahrtausende weltweit und wurde mehrfach uminterpretiert. Der griechische Historiker Xenophon missverstand das Wort als Zusammensetzung aus «pairi» (rundherum) und «daeza» (Mauer).
[04] Elizabeth B. Moynihan, Paradise As a Garden – In Persia and Mughal India. New York 1979.
[05] Priester und Philosoph, Begründer des Zoroastrismus, 2. oder 1. Jahrtausend v. Chr.
[06] Gilgamesch: halbmythischer König von Uruk in Mesopotamien, bekannt aus dem sumerisch-babylonischen Gilgamesch-Epos (1400 v. Chr).
[07] Filippo Pizzoni, Kunst und Geschichte des Gartens. München 1999.
[08] Mahvash Alemi, «Symbolism in Persian Gardens: The Sense of Nature in the Royal Safavid Gardens». In Manzar, The Iranian Academic Open Access Journal of Landscape, Teheran 2012; Ausgabe 17, Band 3, Artikel 2, S. 6–13.
[09] Gwendolyn Leick, The Babylonian World. London 2007.
[10] Hosna Pourhashemi, Masterwork: The Role of Water in the Sustainability of Persian Gardens. Zürich/Teheran 2013.
[11] Bekannter Archäologe; 1928–1953 und 1956–1960 Direktor des Iranian Archeological Service, Teheran.
Für den Beitrag verantwortlich: TEC21
Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Solt