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werk, bauen + wohnen 03-19
Vertikalgrün
werk, bauen + wohnen 03-19
zur Zeitschrift: werk, bauen + wohnen
Alltag in der Altstadt wie im gutbürgerlichen Wohnquartier: Junges Grün umschmiegt alte Mauern wie ein schützender Wettermantel. Efeu, Glyzinien, wilder Wein, je nach Jahreszeit blühend, duftend, dsummend. Nicht nur die Bienen finden an der Hauswand reiche Ernte. Trauben, Birnen, Aprikosen – allerlei Obst wächst sittsam am Spalier. der Reformwohnungsbau im frühen 20. Jahrhundert bis hin zu Heinrich Tessenow ist durchwachsen von dieser Idee, das Spaliergitter Erkennungszeichen von Selbstversorgung und Naturidylle. Bedienen wir heute mit Urban Farming und Vertical Gardens ähnliche Vorstellungen? Die verführerische Pracht der Vegetation lässt ein Bedürfnis anklingen, die Natur aus der Nähe, im Alltag zu erleben. Man kann den Trend zum Grün als Reaktion auf die Entfremdungserfahrungen der Moderne erklären. Aber dem Hype um Bäume auf Hochhäusern und Gärten in der Vertikalen schlägt auch tiefes Misstrauen entgegen. Jetzt sollen wir auch noch grüne Häuser planen? Das bietet manchem schon Grund genug, sich angewidert abzuwenden – weitere Chorstimmen der Tirade: Bauphysik, Barrierefreiheit und BIM. Nennen wir es die aktuelle B-Seite der Architektur. Gleichwohl erwächst einem Bau aus dem Vertikalgrün viel konkreter Nutzen: Verdunstungskühlung, Sonnenschutz und Verbesserung der Luftqualität. Die Vorbehalte gründen freilich tiefer, gilt doch die Festigkeit als ein Fundament der Architektur. Grün aber lebt und geht ein. Es muss gezähmt werden, sonst überwuchert es auch den architektonischen Entwurf. Das Dynamische des Grüns, die Veränderlichkeit als Teil der Architektur zu erkennen, läuft vielen zuwider. Es ist an der Zeit, sich an vergessene Qualitäten zu erinnern. Deshalb würdigen wir mit diesem Heft das Vertikalgrün mit einem kritischen Blick, ohne dessen architektonische, wirtschaftliche und biologische Bedingungen aus den Augen zu verlieren. Denn die betörende Bildkraft jüngster Beispiele wächst meist in tropischen Gefilden, in Singapur oder Vietnam, wo anderes Klima herrscht. Das Heft bietet eine gute Grundlage zum Training für den Klimawandel. Wer mehr wissen will, als das Kondensat in dieser Ausgabe: Dieses Heft ist zugleich Katalog zur Ausstellung Gebäude.grün, die vom 21. März bis 17. Mai 2019 im Architekturforum Zürich gezeigt wird.

Lebende Architektur
Was die Architektenschaft vom Vertikalgrün wissen sollte
Roland Züger

Diskurs in der Enge
Migros-Provisorium in Zürich von Haerle Hubacher und Raderschall Partner

Grüner Klimamantel
Lagerhalle Gradischegg, Innsbruck (A), von Gilbert Sommer und Andreas Flora

Geordnete Vielfalt
Stücki Park in Basel von Diener & Diener mit Fahrni und Breitenfeld

Hängende Gärten in der Gewerbezone
Sky-Frame in Frauenfeld von Daniel Ganz und Atelier Strut

Betörender Bildteppich
Musée du Quai Branly – Jacques Chirac, Paris, von Patrick Blanc und Jean Nouvel

Prototyp mit Pflegeplan
Bosco Verticale in Mailand von Stefano Boeri mit Studio Laura Gatti und Emanuela Borio

Urbaner Evergreen
Terrassenhäuser in Wien und Mailand
Lorenzo De Chiffre, Martin Feiersinger (Bilder)

Wo Architektur wächst
Architekturgeschichtliches über Natur
Albert Kirchengast

Zudem:
werk-notiz: Sanft im Wind wehendes Gras: Das Cover von werk, bauen + wohnen ist in Bewegung geraten – zumindest in digitaler Ansicht. Das Luzerner Studio Feixen bestreitet 2019 unsere Titelseite.
Debatte: Milliarden werden in den Ausbau der Bahn investiert, doch das meiste Geld fliesst in den Ausbau bestehender Strecken und Verbindungen. Über den gezielten Einsatz der Mittel im Sinn der Raumplanung wird viel zu wenig nachgedacht, mahnt der Experte Paul Schneeberger.
Wettbewerb: Das Zürcher Hochschulquartier ist Schauplatz eines umstritttenen städtebaulichen Grossvorhabens. Die parallelen Wettbewerbe für das Universitätsspitals und das Forum UZH zeigen, dass eine kontextverträgliche Lösung möglich ist.
Ausstellungen: Das Schweizerische Architekturmuseum S AM stellt dem Gerede von Dichtestress die Ausstellung Dichtelust entgegen, die ein breiteres Publikum anstecken soll. Das Vitra Design Museum widmet Balkrishna Doshi die erste grosse Schau ausserhalb Indiens. Und das Architekturforum Zürich vertieft das Thema dieses Hefts mit der Ausstellung Gebäude.grün.
Bücher: Eine mal unterhaltsame, mal quälende Lektüre: Bei seinem Unterfangen, die ganze Geschichte der Architektur auf 288 Seiten zu erzählen, hat Günther Fischer ein Werk verfasst, das reizvolle Blicke hinter den Vorhang gewohnter Deutungen wirft, aber auch Widersprüche aufweist.
Vernetztes Stadtwohnen: Mit dem Ecoquartier Jonction im Zentrum von Genf haben Dreier Frenzel eine durchmischte Überbauung in hoher Dichte geschaffen, in der ganz unterschiedliche Wohnwelten und Gewerbenutzungen zusammenkommen. Im Hochhaus der Genossenschaft CODHA bot die Stützen-Platten-Konstruktion maximale Flexibilität für die partizipativ erarbeiteten Wohntypologien.
Schwarmintelligenz bei der Planung: Partizipative Planung bereitete die Basis für das Gemeinschaftswohnen im Hochhaus; die Gemeinschaftstrukturen waren beim Bezug schon etabliert. Doch was bedeutet es für die Architekten, wenn so viele Menschen über Typologien und Materialisierung mitbestimmen?
werk-material: Kindergarten Paradiesstrasse in Riehen BS von Miller & Maranta Architekten
werk-material: Dreifachkindergarten in Würenlingen AG von Malte Kloes und Christoph Reichen

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Verlag Werk AG

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