Publikation
Gohm Hiessberger vis-à-vis
Architektur & Fotografie
ISBN: 978-3-03860-046-6
Beiträge von: Marina Hämmerle, Otto Kapfinger und Michael Köhlmeier
Publikationsdatum: 2017
Umfang: 372 S., 171 farbige und 105 sw Abb. und Pläne
Format: gebunden, 24 x 33 cm
Ein Buchraum zum Flanieren und Vertiefen
3. April 2017 - Martina Pfeifer Steiner
Vis-à-vis in ihrem Architekturbüro sitzen einander Markus Gohm und Ulf Hiessberger seit 25 Jahren. Nun geben sie mit einem außergewöhnlichen Buch Einblick in ihr Werk. Es ist keine Monografie im herkömmlichen Sinn, obwohl es sich 24 ausgewählten Bauwerken widmet. Die Architekten drängen sich nicht vor, eine Minimalbiografie erzählt das Wesentliche, sie feiern auch nicht ihre Architektur, sondern geben Einblick, laden uns ein näherzukommen, zu entdecken, wie es sich so lebt in ihren Gebäuden.
Die Suche nach der Patina
Sie folgen der Idee, die Komponente der Veränderung durch Benützung und Zeit zu reflektieren. „Uns interessiert wie sich die von uns geschaffene Architektur in diesen 25 Jahren verändert hat, wie sie im Gebrauch gealtert ist und Patina außen wie innen angelegt hat. Zudem dient uns dieses nochmalige genaue Hinsehen der Überprüfung der eigenen Positionierung“, sagt Ulf Hiessberger.
Und obligates Mittel dafür ist die Fotografie. Markus Gohm erzählt in seinem ausführlichen Fotoessay eine Geschichte. Seit sieben Jahren fotografiert er wieder intensiv und ist Mitglied der Berufsvereinigung der bildenden Künstler Vorarlbergs. „Der Blick durch die Kamera gilt üblicherweise nicht der Architektur, sondern dem Leben. Meine Fotografie erkundet Beziehungen – zwischen Menschen, zwischen ihnen und Räumen, Landschaften oder Objekten. Auch bei der Fotografie für dieses Buch handelt es sich nicht um Architekturfotografie, sondern um eine Reportage auf der Suche nach Aggregatszuständen, der Suche nach Gebrauchsspuren.“
Es fand sich das richtige Kernteam zusammen. Marina Hämmerle ist Herausgeberin. Sie hat schon bei anderen Buchprojekten gezeigt, wie unkonventionelle Ansätze zu ganz neuen Sichtweisen von Architektur führen können. Michael Marte, der Junge des Grafikbüros Create Sense übernahm die Buchgestaltung und entwickelte dafür sogar eine neue Typografie. Harry Marte, der Vater, war Creative Consultant. Er brachte auch Michael Köhlmeier ins Spiel, die beiden verbindet nicht nur Freundschaft, sondern auch die Musik.
So nehmen wir das hochwertige Buch im großen Format zur Hand, schwarz-weiß, weiß-schwarz das Cover, Fülle und Farbe dazwischen. Gleich am Anfang überrascht der Text von Michael Köhlmeier. 13 kurze Kapitel, mit Titeln überschrieben („II. Der Herd“, „IV. Nachbar und Barbar“, „X. Heimat und Himmel“ etc.) bringen eine ganz andere Perspektive ein, die sich nicht mit der Architektur von Gohm Hiessberger befasst. „In den MINIMA TABERNACULA, einer Erzählung zur Überwindung des Mangels, beginnt Michael Köhlmeier bei der Urhütte. Er ertastet darin, wie viel es zum Hausen braucht und was an uns rührt“, steht im Editorial.
Architektur darf man überantworten
Es folgt als Hauptteil das Fotoessay von Markus Gohm. Die Architekten können damit auch selber überprüfen, wie Bauten Zeit und Nutzern standhalten beziehungsweise was sie den Benutzern offerieren. „Die Rückschau bestärkte uns auch in der Haltung, Architektur muss überantwortet werden an die Nutzerinnen. Wir können nicht vorschreiben, wie sie die Bauten zu nutzen haben“, so Hiessberger. Die LeserInnen dürfen eintreten, in aller Ruhe (mindestens sieben Bildseiten lang) und sich einlassen auf die Ästhetik des alltäglichen Lebens. Manchmal tauchen Menschen auf, oft ist es das Gebäude wie es ist, nur der hölzerne Stiefelknecht, angelehnt am roten Spint, erzählt davon, was Feuerwehrleute brauchen; ein Haufen Plüschtier-Frösche vor der immensen Plattensammlung, von der Sammelleidenschaft des Bewohners, vorbeihuschende Personen, vom Leben in der Stadt.
Spätestens wenn man am Inlay mit dem Essay „DER ZWEITE SATZ“ von Marina Hämmerle anlangt, erschließt sich der Rhythmus des Buches, einer Lemniskate, der liegenden Acht, folgend. Das Fotoessay in Farbe beginnt mit den neuesten Projekten. Wo die Schleife wieder für den nächsten Ausschlag Schwung holt, finden sich 13 Projektbeschreibungen, die zwar präzise von der Architektur sprechen und doch poetisch und vielschichtig durchscheinen lassen, dass es um den großen Bogen geht, auch zu den Texten von Köhlmeier, die Inspiration für den jeweiligen Fokus geben. Und an diesem Schnittpunkt die weitere Bewegung. Doppelseitige Architektur-Fotos, zum Zeitpunkt der Fertigstellung aufgenommen, in Schwarz-Weiß lassen die soeben besuchten Bauten wiedererkennen. Die Orientierung wird leicht gemacht, denn es folgt pragmatisch und immer im gleichen eleganten Format und Maßstab ein genordeter Satelliten-Lageplan, die Fakten wie Bauherrschaft, Ausführung, Umbauter Raum, Nutzfläche und eine Grafik von Schnitt und Grundrissen. Interessiert können wir zurückblättern, denn im Sinne guter Signaletik findet sich der Wegweiser elegant als Seitennummer, wo das Pendant in Farbe oder Text zu finden ist. Dieser Projektteil beginnt mit den frühen Werken und nimmt drei Projekte in Bau und drei in Planung als Blick in die Zukunft mit.
Überraschende Einlagen
Die „Vis à Vis“-Geschichte wird in Bildern erzählt, es gibt keine Beschriftung oder Textpassagen in der umfassenden Fotostrecke, sondern nur das weiße Trennblatt mit der Verortung des jeweiligen Gebäudes und einem über die ganze Seite auseinandergezogenen Drei- bis Vierzeiler: MASSGESCHNEIDERTE UMWANDLUNG – MIT RESERVE für einen Hausumbau oder INS LAND HINEINSCHAUEN – DEN GARTEN VOR SICH zum Baumarkt in Dornbirn. Die Texte sind von den Bildern entkoppelt und tauchen im gut lesbaren Format als Inlay auf. Zum Schluss das Essay von Otto Kapfinger. Der Architekturpublizist rezensiert nicht wie erwartet die Bauten, sondern beschreibt genau den Blick des Fotografen. Schon wieder überrascht, können wir das, wozu wir uns vielleicht im ersten Teil in Eigengesprächen verleiten ließen, mit Kapfinger reflektieren.
Etwas provokant könnte man sagen: Man muss sich nicht für die Bauten von Gohm Hiessberger interessieren, um dieses Buch zu lesen. Es macht einfach Freude hindurchzuwandern.
Die Suche nach der Patina
Sie folgen der Idee, die Komponente der Veränderung durch Benützung und Zeit zu reflektieren. „Uns interessiert wie sich die von uns geschaffene Architektur in diesen 25 Jahren verändert hat, wie sie im Gebrauch gealtert ist und Patina außen wie innen angelegt hat. Zudem dient uns dieses nochmalige genaue Hinsehen der Überprüfung der eigenen Positionierung“, sagt Ulf Hiessberger.
Und obligates Mittel dafür ist die Fotografie. Markus Gohm erzählt in seinem ausführlichen Fotoessay eine Geschichte. Seit sieben Jahren fotografiert er wieder intensiv und ist Mitglied der Berufsvereinigung der bildenden Künstler Vorarlbergs. „Der Blick durch die Kamera gilt üblicherweise nicht der Architektur, sondern dem Leben. Meine Fotografie erkundet Beziehungen – zwischen Menschen, zwischen ihnen und Räumen, Landschaften oder Objekten. Auch bei der Fotografie für dieses Buch handelt es sich nicht um Architekturfotografie, sondern um eine Reportage auf der Suche nach Aggregatszuständen, der Suche nach Gebrauchsspuren.“
Es fand sich das richtige Kernteam zusammen. Marina Hämmerle ist Herausgeberin. Sie hat schon bei anderen Buchprojekten gezeigt, wie unkonventionelle Ansätze zu ganz neuen Sichtweisen von Architektur führen können. Michael Marte, der Junge des Grafikbüros Create Sense übernahm die Buchgestaltung und entwickelte dafür sogar eine neue Typografie. Harry Marte, der Vater, war Creative Consultant. Er brachte auch Michael Köhlmeier ins Spiel, die beiden verbindet nicht nur Freundschaft, sondern auch die Musik.
So nehmen wir das hochwertige Buch im großen Format zur Hand, schwarz-weiß, weiß-schwarz das Cover, Fülle und Farbe dazwischen. Gleich am Anfang überrascht der Text von Michael Köhlmeier. 13 kurze Kapitel, mit Titeln überschrieben („II. Der Herd“, „IV. Nachbar und Barbar“, „X. Heimat und Himmel“ etc.) bringen eine ganz andere Perspektive ein, die sich nicht mit der Architektur von Gohm Hiessberger befasst. „In den MINIMA TABERNACULA, einer Erzählung zur Überwindung des Mangels, beginnt Michael Köhlmeier bei der Urhütte. Er ertastet darin, wie viel es zum Hausen braucht und was an uns rührt“, steht im Editorial.
Architektur darf man überantworten
Es folgt als Hauptteil das Fotoessay von Markus Gohm. Die Architekten können damit auch selber überprüfen, wie Bauten Zeit und Nutzern standhalten beziehungsweise was sie den Benutzern offerieren. „Die Rückschau bestärkte uns auch in der Haltung, Architektur muss überantwortet werden an die Nutzerinnen. Wir können nicht vorschreiben, wie sie die Bauten zu nutzen haben“, so Hiessberger. Die LeserInnen dürfen eintreten, in aller Ruhe (mindestens sieben Bildseiten lang) und sich einlassen auf die Ästhetik des alltäglichen Lebens. Manchmal tauchen Menschen auf, oft ist es das Gebäude wie es ist, nur der hölzerne Stiefelknecht, angelehnt am roten Spint, erzählt davon, was Feuerwehrleute brauchen; ein Haufen Plüschtier-Frösche vor der immensen Plattensammlung, von der Sammelleidenschaft des Bewohners, vorbeihuschende Personen, vom Leben in der Stadt.
Spätestens wenn man am Inlay mit dem Essay „DER ZWEITE SATZ“ von Marina Hämmerle anlangt, erschließt sich der Rhythmus des Buches, einer Lemniskate, der liegenden Acht, folgend. Das Fotoessay in Farbe beginnt mit den neuesten Projekten. Wo die Schleife wieder für den nächsten Ausschlag Schwung holt, finden sich 13 Projektbeschreibungen, die zwar präzise von der Architektur sprechen und doch poetisch und vielschichtig durchscheinen lassen, dass es um den großen Bogen geht, auch zu den Texten von Köhlmeier, die Inspiration für den jeweiligen Fokus geben. Und an diesem Schnittpunkt die weitere Bewegung. Doppelseitige Architektur-Fotos, zum Zeitpunkt der Fertigstellung aufgenommen, in Schwarz-Weiß lassen die soeben besuchten Bauten wiedererkennen. Die Orientierung wird leicht gemacht, denn es folgt pragmatisch und immer im gleichen eleganten Format und Maßstab ein genordeter Satelliten-Lageplan, die Fakten wie Bauherrschaft, Ausführung, Umbauter Raum, Nutzfläche und eine Grafik von Schnitt und Grundrissen. Interessiert können wir zurückblättern, denn im Sinne guter Signaletik findet sich der Wegweiser elegant als Seitennummer, wo das Pendant in Farbe oder Text zu finden ist. Dieser Projektteil beginnt mit den frühen Werken und nimmt drei Projekte in Bau und drei in Planung als Blick in die Zukunft mit.
Überraschende Einlagen
Die „Vis à Vis“-Geschichte wird in Bildern erzählt, es gibt keine Beschriftung oder Textpassagen in der umfassenden Fotostrecke, sondern nur das weiße Trennblatt mit der Verortung des jeweiligen Gebäudes und einem über die ganze Seite auseinandergezogenen Drei- bis Vierzeiler: MASSGESCHNEIDERTE UMWANDLUNG – MIT RESERVE für einen Hausumbau oder INS LAND HINEINSCHAUEN – DEN GARTEN VOR SICH zum Baumarkt in Dornbirn. Die Texte sind von den Bildern entkoppelt und tauchen im gut lesbaren Format als Inlay auf. Zum Schluss das Essay von Otto Kapfinger. Der Architekturpublizist rezensiert nicht wie erwartet die Bauten, sondern beschreibt genau den Blick des Fotografen. Schon wieder überrascht, können wir das, wozu wir uns vielleicht im ersten Teil in Eigengesprächen verleiten ließen, mit Kapfinger reflektieren.
Etwas provokant könnte man sagen: Man muss sich nicht für die Bauten von Gohm Hiessberger interessieren, um dieses Buch zu lesen. Es macht einfach Freude hindurchzuwandern.
Der Text erschien am 3. April 2017 in KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, http://www.kulturzeitschrift.at/kritiken/literatur/ein-buchraum-zum-flanieren-und-vertiefen-gohm-hiessberger-vis-a-vis-architektur-fotografie
Für den Beitrag verantwortlich: newroom
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