Publikation

Wer baut Wien?
Autor:in: Reinhard Seiß
ISBN: 3702505385
Beiträge von: Friedrich Achleitner (Vorwort)
Sprache: Deutsch
Publikationsdatum: 2006
Umfang: 180 S.,
Format: Pappband, 21.5 x 13.7 cm

Von Freunderlwirtschaft zur Friends Economy

Wer baut Wien? Das fragte sich in den vergangenen Jahren auch Stadtplaner Reinhard Seiß. Soeben ist in Buchform eine erste Antwort auf diese verzwickte Frage entstanden. Und sie liest sich wie ein Wirtschaftskrimi

3. Februar 2007 - Wojciech Czaja
Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs hatte Wien endlich seine große Chance gewittert. Man wollte hoch hinaus, am Horizont stand der hehre Traum einer Weltstadt. Man wünschte sich Hochhäuser. Man bekam sie. Man wünschte sich revitalisierte Industriebrachen. Man bekam sie. Man wünschte sich sogar ganze neue Stadtteile auf Geländen, die erst geschaffen werden mussten. Man bekam auch diese.

Manchmal scheint es, als habe die Stadt Wien ihre Visionen um jeden Preis umgesetzt. Mit der Wienerberg-City und dem Monte Laa entstanden Stadtteile fernab hochqualifizierter öffentlicher Anbindung. Beim Projekt des Millennium-Towers wurden Flächenwidmungen umgangen und maximal zulässige Gebäudehöhen überschritten. In der Donau-City ist der Wind so stark, dass er einen geruhsamen Aufenthalt im Freien beinahe unmöglich macht. Spielplätze fehlen da wie dort. Bisweilen fragt man sich, nach welchen Kriterien derartige Stadterweiterungen und -verdichtungen beurteilt und bewilligt werden konnten.

Der Raumplaner Reinhard Seiß hat die Geschehnisse der letzten fünfzehn Jahre analysiert und in ein Buch gefasst. „Wer baut Wien?“, zeigt auf, in welcher Wechselbeziehung Politik und Wirtschaft zueinanderstehen. Es ist - wie Friedrich Achleitner es im Vorwort zu dem Buch ausdrückt - ein Führer in die Katakomben der Planungs- und Baupolitik.

„Die Intention des Buches ist, ein breites, öffentliches Bewusstsein für die Abläufe in der Stadt zu schaffen“, erklärt Seiß. Manchen wird das Buch aus der Seele sprechen. Für andere wird es eine unbequeme Lektüre sein. Den Funktionären in den Chefsesseln der Wiener Kommunalpolitik ist nun zu wünschen, dass sie sich nicht in Kränkung vergrämen, sondern dem Autor folgen und die eben eröffnete Diskussion fortführen. Zum Wohle der Stadt, wie es so schön heißt.

der Standard: Nach der Lektüre Ihres Buches hat man den Eindruck, dass in Wien die Investoren und Developer das Sagen haben. Wird die Politik zu einem machtlosen Strohhalm im Wind?

Seiß: Im Gegenteil. Wir leben ja nicht in einer kapitalistischen Wildwest-Stadt, in der einige Clans alle Fäden in der Hand haben und nach Belieben herumfuhrwerken können. Nein, in Wien ist es das Traurige, dass all die Akteure, die an der Stadt mitbauen - seien es die großen Baukonzerne, seien es die Wohnbauträger oder die Immobilientöchter der Banken und Versicherungen - dies ja nicht gegen den Willen der Stadt tun, sondern vonseiten des Rathauses regelrecht unterstützt werden. Im Fall von so problematischen Neubauvierteln wie der Wienerberg-City und des Monte Laa hat der ehemalige Wohnbaustadtrat Werner Faymann stolz betont, dass diese Stadtteile überhaupt erst durch die Wohnbauförderung entstehen konnten. Die Politik trägt eine massive Mitverantwortung an vielen Fehlentwicklungen, die in der öffentlichen Darstellung allerdings gern ins Gegenteil verkehrt und mitunter sogar als Best Practices der Stadtentwicklung dargestellt werden. Die Wienerberg-City beispielsweise als Weiterentwicklung des sozialen Wohnbaus zu bezeichnen, ist schon eine ziemliche Chuzpe.

Liegt das nicht auch daran, dass die Stadt Wien in wirtschaftlicher Hinsicht perfekt vernetzt ist? Teilweise liegen politische und gewerbliche Interessen ja in einer Hand.

Seiß: Ganz richtig. Ein Beispiel: Die Bank Austria ist bekanntlich aus der Zentralsparkasse hervorgegangen, also aus einer damals stadteigenen Bank. Nach wie vor hält die Stadt Wien über die AVZ-Stiftung maßgebliche Anteile an der Bank Austria, die mit ihren Immobilientöchtern unbestritten eine der größten privaten Stadtentwickler Wiens war und ist. Ähnlich sieht es beim Baukonzern Porr aus, der direkt über der meist befahrenen Autobahn Österreichs den Stadtteil Monte Laa entwickelt. Die Porr befindet sich zur Hälfte im Eigentum der Bank Austria, die Stadt Wien ist aber auch direkter Aktionär der Porr und bildet mit ihr sogar Jointventures. Der Gipfel war, als der ehemalige Vizebürgermeister, Wirtschafts- und Finanzstadtrat Hans Mayr unmittelbar nach Ende seiner politischen Karriere Aufsichtsratspräsident von Porr wurde. Auf diese oder ähnliche Art sind viele wirtschaftliche Akteure in Wien mit dem Rathaus verbunden - und das schlägt sich nicht zuletzt in der Stadtentwicklung nieder.

War das immer schon so? Oder ist das eine Erscheinung der vergangenen ein, zwei Jahrzehnte?

Seiß: Es läuft vermutlich schon länger so. Früher war alles vielleicht ein bissl versteckter. Heute ist es dank einer größeren Medienvielfalt und einer wachsenden Öffentlichkeit in allen Bereichen wahrscheinlich schwieriger, solche Zusammenhänge bedeckt zu halten.

In Ihrem Buch wird ja so manch bezeichnendes Vorgehen der Wiener Kommunalpolitik geschildert. Ist es in anderen Ländern beispielsweise auch üblich, zuerst ein Projekt hinzustellen und danach dann den Flächenwidmungsplan hinzubiegen?

Seiß: Es ist tatsächlich beschämend, dass es keinerlei Sanktionen gibt, wenn jemand - wie im Fall des Millennium-Towers - die Flächenwidmung quasi ignoriert und deutlich mehr und deutlich höher baut als erlaubt gewesen wäre. Beschämend ist in der Folge dann auch, dass man stattdessen den Rechtsstand an die Bausünden anpasst - und diese damit legitimiert. In Ländern mit einer ausgeprägteren Planungskultur wie in der Schweiz oder den Niederlanden wäre so etwas wohl nicht denkbar.

Warum sind die übergeordneten Konzepte wie der Stadtentwicklungsplan, der Masterplan Verkehr, das Hochhauskonzept oder das Klimaschutzprogramm in Wien nicht verbindlich?

Seiß: In allen Konzepten, die Sie nennen, stecken viel Engagement und Hirnschmalz drin, aber solange sie keinerlei Rechtskraft besitzen, sind es bloß nette Gesten an die Fachwelt. 2004 hat dies sogar der Rechnungshof harsch kritisiert und an die Stadtregierung appelliert, den Stadtentwicklungsplan verbindlich zu machen. Doch die Stadt Wien will das nicht, zumal die Politik dadurch ihren Handlungsspielraum und damit ihre Machtfülle selbst einschränken würde.

Rudolf Schicker, Werner Faymann, Hannes Swoboda & Co kommen in Ihrem Buch nicht ungeschoren davon. Für den Leser entsteht der Eindruck von Freunderlwirtschaft und teilweise sehr rasch gefällten Entscheidungen in großen Belangen.

Seiß: Den von Peter Pilz geprägten Begriff der Friends Economy kann man von der damals schwarz-blauen Bundesebene eins zu eins auf das rote Wien herunterbrechen - wenn sie in Wien nicht sogar in noch größerer Perfektion beherrscht wird. Immerhin konnte die SPÖ hier über Jahrzehnte recht ungestört ein engmaschiges Netz aufbauen, das von Wohnbauträgern über Banken bis hin zu Medienkonzernen reicht. Allgemein ist zu sagen: Es gab in den Ressorts Stadtentwicklung und Wohnbau in den letzten Jahren Politiker, die sich in den Dienst ihres Amtes gestellt haben - und Politiker, die ihr Amt mehr in den Dienst ihrer selbst stellten. Gestaunt habe ich schon, als ich in den Protokollen des Untersuchungsausschusses zum Wiener Flächenwidmungsskandal lesen konnte, dass der ehemalige Planungsstadtrat Hannes Swoboda freimütig bekannte, einzelnen Grundeigentümern eine so genannte Verwendungszusage für eine Umwidmung gegeben zu haben. Damit hat er nämlich sowohl die Entscheidungen seiner Fachabteilungen als auch die Beschlussfassung des Gemeinderats mehr oder weniger vorweggenommen.

In manchen US-amerikanischen Städten gibt es klare Regelungen für Bauwerber, die die maximal zulässige Bebauungsdichte und -höhe eines Viertels überschreiten wollen. Sie müssen sich im Gegenzug verpflichten, bestimmte Beträge in den öffentlichen Verkehr oder in die Grünflächen des Stadtteils zu investieren. Das ist doch clever. Warum gibt es das in Wien nicht?

Seiß: Weil die Politik das nicht will. Es könnte ja den Wirtschaftsstandort Wien schwächen oder manchen Investor für immer vergraulen. Auch wird argumentiert, dass es - leider - verfassungsrechtlich nicht möglich wäre. Dabei frage ich mich: Ist der Draht zwischen dem Rathaus und der Löwelstraße so schlecht, dass es nicht möglich ist, die bundesgesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, um Investoren an den Folgekosten ihrer Projekte zu beteiligen? Dass sich hochrangige Politiker jahrelang auf eine mangelhafte Gesetzeslage ausreden, lässt vermuten, dass sie mit der bestehenden Situation gar nicht so unzufrieden sind.

In Ihrem Buch haben Sie teilweise Brisantes aus dem Rathaus und seinen Magistratsabteilungen aufgedeckt. Wer waren Ihre Informanten?

Seiß: Zum einen waren es aufrechte Beamte, die bereit waren, offen zu sprechen - wiewohl manche von ihnen anonym bleiben wollten. Und zum anderen waren es Gemeinderäte der politischen Opposition - wobei es für mich interessant war zu erfahren, dass den Mandataren des Landtags bzw. Gemeinderats - immerhin die obersten politischen Organe Wiens - in maßgeblichen Bereichen der Stadtentwicklung kein Einblick gewährt wird. Ich erachte das für ein ziemliches Defizit an demokratischer Kultur.

Wer baut Wien?

Seiß: In erster Linie die Politik und die mit ihnen verbundenen Konzerne und Investoren. Und leider muss man auch manch maßgebliche Medien dazuzählen, die sich in den Dienst der Stadtentwicklungsoligarchen stellen, anstatt ihre so wichtige Kontrollfunktion wahrzunehmen. Q

[ Reinhard Seiß, „Wer baut Wien?“, mit einem Vorwort von Friedrich Achleitner und einem Nachwort von Christian Kühn. Verlag Anton Pustet. € 22,00/216 Seiten. ]

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