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Wien (A)

Wie redet man mit einem Dorf?

Architekten wissen alles, haben immer schon alles gewusst. Doch nun gibt es die Idee, mit Sack und Pack vor Ort zu fahren - und dort gemeinsam mit der Bevölkerung zu planen. Architektur live sozu- sagen.

22. April 2006 - Wojciech Czaja
Molln? Molln! Während man hinter dem Wort auf den ersten Blick einen lautmalerischen Klang aus weit geöffnetem Munde vermuten möchte, entspringt daraus ein kleines, aber feines Dorf irgendwo in der Mitte von Oberösterreich. Den eingefleischten Musikfans ist Molln längst schon ein Begriff, denn schließlich fand hier 1998 das „3. Internationale Maultrommel-Festival“ statt. An die 4000 Maultrommler aus aller Welt haben damals den Weg nach Molln gefunden, um hier - wie man es bereits bei den ersten beiden Malen in Iowa City und im sibirischen Jakutsk gemacht hatte - um die Wette Maul zu trommeln. Doch auch das ist nicht weiter verwunderlich, denn schließlich ist Molln der einzige Ort Österreichs, in dem noch die metallenen Schwing- instrumente - auch Brummeisen genannt - hergestellt werden. Jährlich 300.000 Stück, und das sogar in drei Werken gleichzeitig.

Ansonsten wurde hier auch noch Mel Gibsons Schwert für den Hollywood-Schinken Braveheart geschmiedet. Und: Molln ist seit dem Jahre 2000 offizielle Nationalparkgemeinde mit einem feschen Nationalparkzentrum. Doch mit Superlativen allein kann man nicht leben. Und so ist - am Rande aller Sensationen und Skurrilitäten - Molln ein ganz normaler Ort, wie man ihn in Österreich des Öfteren vorfindet. Mit ganz normalen Problemen und städtebaulichen und architektonischen Wehwehen.

Der Hauptplatz - sofern man die geometrische Mitte des Ortes als solchen bezeichnen kann - wirkt ein wenig unbeholfen und gammelt vor sich hin. In der Mitte steht ganz stolz ein mannshohes Maultrommel-Denkmal aus Bronze und Stein (so wie man das von großen Musikern kennt), rundherum halten ein paar schmucke Blumentröge die Stellung. An der Fassade des Gemeindezentrums ist ein hübsches 50er-Jahre-Relief zu finden, hinter Ruß und Staubpartikel ein bisschen altersschwach vergraut. Daneben prangt die Aufschrift: „Wir formen und verwalten, richten wird der Herr.“

So lange wollte man dann aber auch nicht warten. Denn vor lauter Verwaltungskram ist in den vergangenen Jahren nichts mehr weitergegangen. „Es hat schon viele Konzepte und Ideen gegeben“, erklärt der Vizebürgermeister Josef Illecker, doch bis jetzt habe es immer an den essenziellen Kräften von außen gemangelt, um diese Ideen dann auch wirklich umzusetzen. „Molln ist wirtschaftlich extrem stark und befindet sich am Rande des Nationalparks. Nun ist uns endlich klar geworden, dass wir aus unserem Potenzial auch etwas machen müssen.“

Die Lösung lautet Partizipation. Zwar ist die Teilhabe von Laien an einem architektonischen Planungsprozess längst nichts Neues mehr, doch in dieser Form ist die Zusammenarbeit ein österreichweites Novum. Haben Eilfried Huth und Ottokar Uhl - die Urahnen des Mitmachens - in den 70er-Jahren noch mit den wenigen Eigentümern ihrer Wohnhausanlagen gebastelt und geschachtelt, so kommt hier gleich eine ganze Gemeinde zum Zug. Das waghalsige Kommunal-Konzept stammt vom Architekturbüro noncon:form und stellt einmal mehr unter Beweis, wie treu die Architekten Elisabeth Leitner, Caren Ohrhallinger, Peter Nageler und Roland Gruber ihrem programmatischen Büronamen geblieben sind.

Das Programm ist ganz einfach. Und ganz schön riskant. „Wir packen Computer, Drucker und Papier ins Auto und fahren damit direkt vor Ort“, erzählt Elisabeth Leitner im Sendeformat „Metro“ auf Puls-TV. Auf diese Weise wird direkt mit der Bevölkerung Kontakt aufgenommen, Meinungen werden gehört, Pläne werden geschmiedet. Und das Ganze, ohne permanent von Pontius zu Pilatus und wieder zurückzufahren. Roland Gruber: „Die Bevölkerung äußert einen Wunsch, wir machen daraus eine Idee. Die Bevölkerung sagt uns daraufhin ihre Meinung, und wir können gleich vor Ort darauf reagieren.“ It's just as simple. Daher auch der Projektname „noncon:form vor Ort“.

„Uns war wichtig, so viele Bewohner wie möglich in den Prozess einzubinden“, erzählt Bürgermeister Alois Stein, „es ist schön, ein Architekturbüro gefunden zu haben, das die gleichen Interessen vertritt.“ Und an die Meinung der Bevölkerung kommt nur heran, wer auch imstande ist, einen Dialog im Maßstab 1:1 herzustellen. Der Architekturjargon wurde also in Wien gelassen, und statt der minimalistischen, hauseigenen Architektengrafik regierte einige Tage lang die regionale Excel-Kunst. Weg von allzu cooler Technologie, stattdessen Flip-Chart, Edding und Post-it. Hier lassen sich Architekten tagelang von Fremden auf die Finger schauen, ganz nebenbei decken sie - recht uneitel eigentlich - ein wohl gehütetes Firmengeheimnis auf.

Vier Tage lang wurde in großen und kleinen Gruppen diskutiert, braingestormt, gestritten und erfunden. „Open Space“ nennt sich die ursprünglich amerikanische Ideenfindungsstrategie; hier wurde das befremdliche Wort kurzerhand in „Stammtisch“ umgetauft. Insgesamt 250 Einwohner nahmen an diesen Stammtischen teil. Darüber hinaus gab es zwischendurch Expertenrunden, Gastvorträge, Impulsreferate und viele vage Antworten auf viele konkrete Fragen.

Am letzten Tag dann der Tag der Wahrheit: Molln hat seine Stimme abgegeben.

Die hohe Kunst der Demokratie bedingt, dass sich nicht alle Parteien mit der getroffenen Wahl identifizieren können. Aber eben die meisten. Und damit bietet dieses Planungsmodell all jene Vorteile, die einer architektonischen Planung im stillen Kämmerlein stets verwehrt bleiben. „Studien, Masterpläne und Entwicklungskonzepte arbeiten meist nur mit Plänen und Texten“, erklärt Roland Gruber, „hier haben wir jedoch mit Bildern gearbeitet.“ Die Bilder sind zwar abstrakt, gleichzeitig aber sind sie konkret genug, sodass sich darunter jeder etwas vorstellen konnte.

Gewiss, in dieser einen Woche ist weder ein Haus aus der Taufe gehoben worden, noch gibt es bereits konkrete Pläne für die Zukunft von Molln. Sehr wohl aber sind in dieser Woche Ideen gebündelt worden. Kleinere Projekte sind geboren, Leute haben ihren Verantwortungsbereich erkannt. „Nach der Schlussabstimmung haben sich sofort fünf Leute gefunden, die sich bereit erklärt haben, die Verantwortung für kleinere Projekte zu übernehmen“, erklärt noncon:form dem STANDARD gegenüber, „das ist gebündelte Energie. Man kann sich engagieren und einbringen, und man muss den Mund aufmachen. Ansonsten ist der Zug abgefahren.“

Ein Tag mit „noncon:form vor Ort“ kostet 5000 Euro, Vorträge und Gastredner inklusive. Die tatsächliche Dauer ist abhängig vom jeweiligen Auftraggeber - ob öffentliche Hand, Wirtschaft oder Privatbauherr. Im Falle von Molln waren das vier Tage, denn „so lange braucht es bei einer Gemeinde schon“. Nach Adam Riese ergibt das eine stolze Summe. Architekt Peter Nageler: „Das Entwicklungskonzept eines Raumplaners vertilgt mindestens das Zehnfache. Und dann besteht noch die Möglichkeit einer Ablehnung seitens der Bevölkerung.“ Außerdem erspare man sich den bürokratisch aufwändigen Weg über den Gemeinderat. Und Zeit spart es natürlich auch, denn wo sonst lässt sich binnen vier Tagen ein Leitkonzept entwickeln, mit dem sich die Bevölkerung dann auch identifizieren kann?

„Nun gibt es eine Richtungsweisung, wir sind mit dem Prozess und mit der getroffenen Vorgangsweise sehr zufrieden“, vernimmt man von Vizebürgermeister Illecker, „der Rest liegt nun an uns. Erkennen wir diesen Schritt als Chance?“ Diese Chance kann heißen, das hart erarbeitete Wissen und Wollen als Basis für Ausschreibungen und Wettbewerbe zu verwenden. Sie kann aber auch heißen, im kleineren Rahmen nun selbst anzupacken.

Am letzten Tag gibt es Feedback seitens der Bevölkerung. „Ich möchte mich für die Tage bedanken. Es wurden Dinge aufgezeigt, die eigentlich selbstverständlich sein müssten. Anscheinend wird man im Laufe der Jahre betriebsblind und erkennt die eigenen Qualitäten nicht mehr.“ Ein Blick von außen kann eben Wunder wirken. Mit diesem Ansatz ist es dem Büro noncon:form gelungen, endlich eine Marktlücke zu schließen. Denn Architektur bedeutet nicht nur, Häuser zu bauen, sondern auch zu stimulieren, motivieren und zuhören. Selbst wenn das Gegenüber gleich ein ganzes Dorf ist.

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Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

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