Akteur

Wolfgang Pauser
Wien (A)

Stringenz und Eleganz

Man sieht den Kräfteverlauf, spürt den Lasten nach, staunt über die Eleganz der Unterseiten: die Brücken des Bauingenieurs Alfred Pauser.

26. Oktober 2008 - Walter Zschokke
Was haben die Brücken am Knoten Nussdorf, die Gürtelbrücke, die U6-Brücke, der Siemens-Nixdorf-Steg, die Rossauerbrücke, die Salztorbrücke, der Erdberger Steg, die Erdberger Brücke, die Schrägseilbrücke, alle über den Donaukanal, gemeinsam? Sie sind Entwürfe des Bauingenieurs Alfred Pauser; der erste noch im Ingenieurbüro Dr. Wycital, die späteren in eigener Verantwortung. Es sind Brücken mit unterschiedlichen Tragwerken, alle in ihrer Art durchaus elegant und formschön. Zahlreiche weitere Brücken aus dem Büro Pauser befinden sich auf Wiener Stadtgebiet, weitere über ganz Österreich verteilt. Sie belegen die Kompetenz ihres Entwerfers und seiner Büropartner.

Es mag zwar mittlerweile nicht mehr allgemein verbreiteter Irrglaube sein, dass der Bauingenieur nur genau zu rechnen brauche und sich die Form des Bauwerks quasi automatisch ergebe. Nicht zuletzt Le Corbusier verbreitete in seinem „Vers une achitecture“ diesen Unsinn. Nein, der Bauingenieur entwirft auf der Basis seiner Kompetenz und seiner Erfahrung ein Brückentragwerk, ein Silo, einen Turm, die er dann exakt berechnet. Denn ins Leere lässt sich nicht rechnen. Das heißt nichts anderes, als dass die Arbeit des Bauingenieurs sehr wohl kreativ ist, auch wenn das Feld möglicher Lösungen nicht unbegrenzt ist. Allerdings ist die Ästhetik von Ingenieurbauwerken nicht nur eine optische, sondern die innere Struktur, das Tragkonzept spielen eine ebenso wichtige Rolle. Die ästhetischen Vorstellungen unterscheiden sich daher von jenen, wie sie in der Architektur verbreitet sind.

Glücklicherweise verfügte Alfred Pauser, abgesehen von seiner enormen Schaffenskraft, über gestalterische Fähigkeiten, die er dank seiner konstruktiven Kenntnisse und Erfahrungen optimal einsetzen konnte. Seine Brücken weisen plastische Qualitäten auf und sind von unten sowohl interessant anzuschauen als auch konstruktiv nachvollziehbar und ordentlich aufgeräumt. Einbauten und Leitungen werden nicht dem Zufall überlassen. Dies lässt sie besonders im urbanen Raum als Teile der Stadtlandschaft nicht bloß für die Benützer, sondern ebenso für Flaneure attraktiv werden.

Beginnen wir mit der Rossauer Brücke, 1981–83. Die ingenieurmäßige Beschreibung liest sich, trotz der engen Randbedingungen, wie wenn es so sein müsste. Aber auf diese Stringenz muss man als entwerfender Bauingenieur zuerst kommen. Ein Rahmenträger von Kai zu Kai besteht in den Randfeldern aus massiven Tischen, die je auf vierfach gespreizten Streben auflagern, die ihrerseits in ein kräftiges Punktlager münden. Das Mittelfeld aus vorgefertigten Spannbetonträgern ist biegesteif in den Rahmen integriert. Für Einbauten und Leitungen ist in der Mittelachse eine entsprechende Aussparung vorgesehen. Das Tragwerk ist logisch, gewiss ökonomisch, aber es weist für den technisch kaum gebildeten Betrachter ebenso optische Qualitäten auf. Man sieht den Kräfteverlauf, spürt den Lasten nach, staunt über die Eleganz der Streben und die Größe der Punktlager. Insbesondere die Unterseite zeugt von plastischer Kraft, welche die nächtliche Effektbeleuchtung durchaus rechtfertigt.

Die Brücken im Knoten Nussdorf, 1974–83, mussten auf sehr engem Raum unter den für Schnellstraßen strengeren Trassierungsrichtlinien geplant werden. Aus meiner Sicht weisen die weiten Räume unter der Hochstraße eine spezielle Qualität auf. Wenn man die Pfeiler und Brückenträger als Teil der Stadtlandschaft an dieser dichten Stelle der Peripherie zu sehen bereit ist, ergibt sich plötzlich eine neue, spannungsvolle Raumstimmung. Auch hier ist der eigentlichen Sichtseite, der Unterseite, einiges an Sorgfalt beigemessen. Man merkt, es handelt sich nicht nur um einen beliebigen Zweckbau, vielmehr war von Anfang an die Ahnung da, dass der Raum unter der Brücke den Menschen als Weg und sogar dem Aufenthalt dienen würde. Gewiss sind diese Räume offen und fließend, aber das zeichnet die Moderne aus. Und ihre Aneignung kann durchaus kultivierter erfolgen als durch Hinterlassung individueller Markierungen.

Ein Bauwerk, das wegen der zunehmenden Verkehrsdichte bereits ersetzt werden musste, ist die erste Praterhochstraße von 1970. Die eleganten X-Stützen und auch die Fahrbahnkonstruktion bestanden sämtlich aus vorgefertigten Betonelementen. In der Auenlandschaft fügte sich die Brücke mit ihrer Leichtigkeit gut ein und fiel dem sensiblen Auge immer wieder positiv auf.

Eine Besonderheit ist die Erdberger Brücke im Zuge der A 23, 1969–71. Diese in ihrer Form erstmalige Schalenkonstruktion bildet im Stadtgefüge einen Akzent, der den Rang des Verkehrswegs als Autobahn und der Brückenstelle interpretiert. Als Bauwerk schafft die Brücke einen unverwechselbaren Ort in der Stadt, der nicht vordringlich den Benutzern, sondern Spaziergängern und Radfahrern als Merkpunkt dient.

Ein Kabinettstück der Vorspanntechnik ist der Franz-von-Sales-Steg, 1967–68, an der Osttangente. Die äußerst elegante Konstruktion stützt sich auf einen Pfeiler, um den sich der Wendel des Gehwegs herumschwingt. Das andere, höhere Widerlager wird vom ausgreifenden, kontinuierlich in der Stärke abnehmenden Brückenarm kaum mehr belastet. Es ist klar, dass derart anspruchsvolle Konstruktionen bei einem Fußgängersteg eher möglich sind. Dennoch zeigt sich an diesem Beispiel sowohl der kreative Freiraum, den sich der begabte Bauingenieur aufzuspannen vermag, als auch die plastische Kraft, die dem Objekt innewohnt.

Alfred Pauser stammt aus dem niederösterreichischen Gmünd, wo er 1930 geboren wurde; übrigens zeitgleich mit der Gruppe der Holzmeister-Schüler Wilhelm Holzbauer, Friedrich Kurrent und Friedrich Achleitner und anderen, die später Einfluss auf die Wiener Architektur nahmen. Mit Wilhelm Holzbauer hat Alfred Pauser oft zusammengearbeitet. Er studierte ab 1948 an der Technischen Hochschule Wien, war schon bald als Werkstudent im Ingenieurbüro von Dr. Wycital tätig und wurde 1962 Partner. Früh hatte er die Chance, mit dem großen Bauingenieur Fritz Leonhardt zusammenzuarbeiten, der mit dem Bau der Schwedenbrücke befasst war. Dies öffnete ihm nicht nur den internationalen fachlichen Austausch, sondern führte zu einer lebenslangen Freundschaft. 1964 gründete er sein eigenes Ingenieurbüro, das er ab 1979 mit den langjährigen Mitarbeitern Karl Beschorner, Peter Biberschick und Hans Klenovec in Partnerschaft führte. 1982 wurde er als Ordinarius für Hochbau an die Technische Universität Wien berufen, wo er sich nicht zuletzt für eine Verbesserung der Beziehung von Architektur- und Bauingenieurstudenten einsetzte. 1997 emeritiert, zog er sich 2002 auch aus dem Büroverbund zurück. Zahlreiche allgemein verständliche Publikationen zum Brückenbau zeugen von seinem breiten Wissen. Die erstmalige Verleihung des Wiener Ingenieurpreises ist neben den zahlreichen Auszeichnungen für sein Werk ein gewichtiger Impuls für den Ingenieurberuf ganz allgemein.

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