Award
Architekturpreis Land Salzburg 2018
Architekturpreis - Land Salzburg - Salzburg (A)
Preisverleihung: 27. September 2018
Alles? Wirklich alles?
Für die heutige Architekturproduktion ist die Frage, ob Architektur Kunst ist, nach wie vor brisant: Steckt in jedem architektonischen Vorhaben das Potenzial, ein Werk der Baukunst zu werden? Der Salzburger Landesarchitekturpreis gab eine Antwort.
29. September 2018 - Christian Kühn
Alles ist Architektur“: Mit dieser Behauptung hat Hans Hollein in der Architekturwelt für nachhaltige Verwirrung gesorgt. Einerseits passt sie gut zur Forderung nach einer Demokratisierung der Kultur, wie sie für die 1960er-Jahre charakteristisch war. Architektur sollte sich als „Umweltgestaltung“ nicht mehr auf elitäre Aufgaben wie Kirchen und Museen beschränken, sondern die gesamte Umwelt erfassen und diese im Interesse breiter Bevölkerungsschichten besser designen. Dazu müsse sie sich aus der Blase ihrer elitären ästhetischen Vorlieben befreien und ihre architektonische Inspiration auch aus anderen Quellen schöpfen, etwa den historischen oder anonymen Architekturen des Alltags. „Mainstreet is almost alright“ konstatierten Robert Venturi und Denise Scott-Brown etwa zeitgleich mit Hollein und empfahlen ihren Kollegen „Learning from Las Vegas“.
Andererseits steht Holleins Behauptung auch für das genaue Gegenteil, nämlich den höchsten elitären Anspruch an die Gestaltung aller Lebensbereiche. Vom Schrank bis zum Hochhaus, überall brauche es Architektur als angewandte Kunst. Die meisten Architekten, so formulierte es Hollein an anderer Stelle, kämen vor lauter „Häuserbauen“ gar nicht mehr dazu, an Architektur im Sinne von Baukunst zu denken. Für Hollein bedeutete das auch eine klare Absage an den Funktionalismus und ein Bekenntnis zum Primat der Form – eine Position, mit der er nicht allein stand: So gab etwa Karl Schwanzer dem Buch, das er 1973 über sein BMW-Hochhaus in München publizierte, den Titel „Entscheidung zur Form“.
Hollein hat es zeitlebens geschickt verstanden, sich nicht auf eine dieser Interpretationen festzulegen. Er wollte Teil der Populärkultur werden, bürdete seinen Projekten aber den ganzen Überbau einer Baukunst auf, die primär auf die Form hin orientiert ist.
Für die heutige Architekturproduktion ist die Frage, ob Architektur als Kunst verstanden werden soll, nach wie vor relevant. Die Antwort, die Adolf Loos vor 100 Jahren gab, war unmissverständlich: Nur die Architektur von Denkmal und Grabmal gehöre zur Kunst, alle andere Architektur sei dezidiert nicht Kunst. Dahinter steht der Gedanke, dass Kunst keinem Zweck zu dienen hat. Völlig zweckfrei ist Kunst aber auch für Loos nicht: Sie hätte den Menschen aus seiner Bequemlichkeit herauszureißen, während Architektur in erster Linie der Bequemlichkeit, also dem Komfort, zu dienen habe. Loos relativierte diese Aussage allerdings, wenn er betonte, für Menschen mit „modernen Nerven“ zu gestalten. Für Zeitgenossen, die solche Nerven noch nicht entwickelt hatten, war Loos‘ Architektur eine massive Provokation.
Die klare Grenze zwischen Kunst und Architektur, die Loos behauptet, lässt sich heute deshalb nicht mehr ziehen, weil sich das Verständnis von Kunst verändert hat. Kunst wird heute weniger als ästhetisches Objekt verstanden, das bestimmten Kriterien genügt, sondern als eine ästhetische Praxis der Selbstverständigung, zu der sowohl Produzenten als auch Konsumenten beitragen. Architektur und Städtebau unterscheiden sich aber von anderen Künsten dadurch, dass sie so gut wie immer unter den Augen der Öffentlichkeit stattfinden, während andere Bereiche der Kunst sich über Jahrhunderte Institutionen geschaffen haben, in die sie sich quasi zurückziehen können. Was in der Kunstgalerie oder im Konzerthaus passiert, muss nicht von allen rezipiert werden. Architektur und Stadtgestaltung schaffen dagegen Situationen, die dauerhaft in der öffentlichen Wahrnehmung präsent bleiben.
Ist damit gemeint, dass wirklich jedes architektonische oder städtebauliche Projekt ein Kunstwerk sein soll? Das wäre naiv. Es reicht, jedem architektonischen Vorhaben das Potenzial zuzusprechen, ein Werk der Baukunst zu werden. Das ist keine Selbstverständlichkeit. „Ein Fahrradschuppen ist ein Bauwerk. Die Kathedrale von Lincoln ist Architektur“ – so formulierte der Kunsthistoriker Nikolaus Pevsner Mitte des 20. Jahrhunderts die nach wie vor verbreitete Haltung in dieser Frage. Hohe Baukultur bedeutet dagegen, jeder Bauaufgabe, auch der technischen Infrastruktur wie Kraftwerken und Brücken, das Potenzial zuzugestehen, Baukunst zu werden.
Einen Beleg für diese These bietet die heurige Auswahl der Nominierungen zum Architekturpreis des Landes Salzburg. Dieser mit 10.000 Euro für den Verfasser des Siegerprojekts dotierte Preis wird alle zwei Jahre für Projekte im Land Salzburg verliehen. Seit einigen Jahren umfasst er zusätzlich ein Förderstipendium in der Höhe von 5000 Euro für junge Architektinnen und Architekten, das heuer an Horst Lechner und Lukas Ployer für ein Forschungsprojekt über den Flussraum der Salzach vergeben wurde.
Ziel des Preises ist laut Statuten die Bewusstseinsbildung für qualitätsvolles Bauen in der Öffentlichkeit. Kriterien sind „die Erfüllung der Aufgabe unter Bedachtnahme auf die Umgebung, hoher architektonisch-künstlerischer Wert, die Übereinstimmung von Form und Funktion sowie sorgfältige technische und künstlerische Durchbildung“. Die Jury unter dem Vorsitz der Architektin Laura Spinadel hatte bewusst sechs Nominierungen ausgewählt, die ein breites Spektrum an Bauaufgaben abdecken: eine Kapelle in Kendlbruck von Hannes Sampl, ein Wohnhaus auf der Postalm von Maximilian Eisenköck, einen sozialen Wohnbau von Artec, die Probebühnen für die Salzburger Landestheater von der Architekturwerkstatt Zopf und den Umbau einer Industriehalle zu einem Boulderzentrum von Wolfgang Maul, alle drei in der Stadt Salzburg, und schließlich ein reines Stück Infrastruktur mit großer Wirkung auf die Landschaft: ein privates Flusskraftwerk in Saalbach-Hinterglemm.
Alle nominierten Projekte erfüllen ihren Zweck. Sie sind aber gleichzeitig Werke der Baukunst. Was an ihnen Kunst ist, kann man nicht abmontieren; es ist kein Dekor, sondern ein Prinzip. Nachahmung ist daher auch nur über diesen Weg möglich: Gute Architektur entsteht, wenn Bauherren mit Anspruch sich Architektinnen oder Architekten mit Prinzipien suchen und mit ihnen ein Projekt entwickeln. Die Nominierungen beweisen, dass in Salzburg genug Potenzial dafür vorhanden ist.
Den ersten Preis erhielt schließlich das Projekt, das am wenigsten nach Architektur aussieht: die Boulderhalle mit Bar in der Stadt Salzburg. Bouldern ist ein Sport, der besonders raumbezogen ist: Kletterern bietet die Halle eine künstliche, wild gefaltete Landschaft mit zahlreichen Parcours und Trainingsplätzen. Eine Boulderhalle ist gleichzeitig ein kleines Theater, in dem die Akteure und die Beobachter dauernd ihre Rollen wechseln. Hier setzt die architektonische Planung an, schafft Blickpunkte und kleine Inszenierungen wie in einem „echten“ Theater. Im Zentrum der Halle liegt die Bar mit großen Glasfenstern, einer Theke aus feinem Beton, eleganten Deckenleuchten und einer sorgfältig ausgewählten Sperrmülleinrichtung. Alles ist Architektur.
Andererseits steht Holleins Behauptung auch für das genaue Gegenteil, nämlich den höchsten elitären Anspruch an die Gestaltung aller Lebensbereiche. Vom Schrank bis zum Hochhaus, überall brauche es Architektur als angewandte Kunst. Die meisten Architekten, so formulierte es Hollein an anderer Stelle, kämen vor lauter „Häuserbauen“ gar nicht mehr dazu, an Architektur im Sinne von Baukunst zu denken. Für Hollein bedeutete das auch eine klare Absage an den Funktionalismus und ein Bekenntnis zum Primat der Form – eine Position, mit der er nicht allein stand: So gab etwa Karl Schwanzer dem Buch, das er 1973 über sein BMW-Hochhaus in München publizierte, den Titel „Entscheidung zur Form“.
Hollein hat es zeitlebens geschickt verstanden, sich nicht auf eine dieser Interpretationen festzulegen. Er wollte Teil der Populärkultur werden, bürdete seinen Projekten aber den ganzen Überbau einer Baukunst auf, die primär auf die Form hin orientiert ist.
Für die heutige Architekturproduktion ist die Frage, ob Architektur als Kunst verstanden werden soll, nach wie vor relevant. Die Antwort, die Adolf Loos vor 100 Jahren gab, war unmissverständlich: Nur die Architektur von Denkmal und Grabmal gehöre zur Kunst, alle andere Architektur sei dezidiert nicht Kunst. Dahinter steht der Gedanke, dass Kunst keinem Zweck zu dienen hat. Völlig zweckfrei ist Kunst aber auch für Loos nicht: Sie hätte den Menschen aus seiner Bequemlichkeit herauszureißen, während Architektur in erster Linie der Bequemlichkeit, also dem Komfort, zu dienen habe. Loos relativierte diese Aussage allerdings, wenn er betonte, für Menschen mit „modernen Nerven“ zu gestalten. Für Zeitgenossen, die solche Nerven noch nicht entwickelt hatten, war Loos‘ Architektur eine massive Provokation.
Die klare Grenze zwischen Kunst und Architektur, die Loos behauptet, lässt sich heute deshalb nicht mehr ziehen, weil sich das Verständnis von Kunst verändert hat. Kunst wird heute weniger als ästhetisches Objekt verstanden, das bestimmten Kriterien genügt, sondern als eine ästhetische Praxis der Selbstverständigung, zu der sowohl Produzenten als auch Konsumenten beitragen. Architektur und Städtebau unterscheiden sich aber von anderen Künsten dadurch, dass sie so gut wie immer unter den Augen der Öffentlichkeit stattfinden, während andere Bereiche der Kunst sich über Jahrhunderte Institutionen geschaffen haben, in die sie sich quasi zurückziehen können. Was in der Kunstgalerie oder im Konzerthaus passiert, muss nicht von allen rezipiert werden. Architektur und Stadtgestaltung schaffen dagegen Situationen, die dauerhaft in der öffentlichen Wahrnehmung präsent bleiben.
Ist damit gemeint, dass wirklich jedes architektonische oder städtebauliche Projekt ein Kunstwerk sein soll? Das wäre naiv. Es reicht, jedem architektonischen Vorhaben das Potenzial zuzusprechen, ein Werk der Baukunst zu werden. Das ist keine Selbstverständlichkeit. „Ein Fahrradschuppen ist ein Bauwerk. Die Kathedrale von Lincoln ist Architektur“ – so formulierte der Kunsthistoriker Nikolaus Pevsner Mitte des 20. Jahrhunderts die nach wie vor verbreitete Haltung in dieser Frage. Hohe Baukultur bedeutet dagegen, jeder Bauaufgabe, auch der technischen Infrastruktur wie Kraftwerken und Brücken, das Potenzial zuzugestehen, Baukunst zu werden.
Einen Beleg für diese These bietet die heurige Auswahl der Nominierungen zum Architekturpreis des Landes Salzburg. Dieser mit 10.000 Euro für den Verfasser des Siegerprojekts dotierte Preis wird alle zwei Jahre für Projekte im Land Salzburg verliehen. Seit einigen Jahren umfasst er zusätzlich ein Förderstipendium in der Höhe von 5000 Euro für junge Architektinnen und Architekten, das heuer an Horst Lechner und Lukas Ployer für ein Forschungsprojekt über den Flussraum der Salzach vergeben wurde.
Ziel des Preises ist laut Statuten die Bewusstseinsbildung für qualitätsvolles Bauen in der Öffentlichkeit. Kriterien sind „die Erfüllung der Aufgabe unter Bedachtnahme auf die Umgebung, hoher architektonisch-künstlerischer Wert, die Übereinstimmung von Form und Funktion sowie sorgfältige technische und künstlerische Durchbildung“. Die Jury unter dem Vorsitz der Architektin Laura Spinadel hatte bewusst sechs Nominierungen ausgewählt, die ein breites Spektrum an Bauaufgaben abdecken: eine Kapelle in Kendlbruck von Hannes Sampl, ein Wohnhaus auf der Postalm von Maximilian Eisenköck, einen sozialen Wohnbau von Artec, die Probebühnen für die Salzburger Landestheater von der Architekturwerkstatt Zopf und den Umbau einer Industriehalle zu einem Boulderzentrum von Wolfgang Maul, alle drei in der Stadt Salzburg, und schließlich ein reines Stück Infrastruktur mit großer Wirkung auf die Landschaft: ein privates Flusskraftwerk in Saalbach-Hinterglemm.
Alle nominierten Projekte erfüllen ihren Zweck. Sie sind aber gleichzeitig Werke der Baukunst. Was an ihnen Kunst ist, kann man nicht abmontieren; es ist kein Dekor, sondern ein Prinzip. Nachahmung ist daher auch nur über diesen Weg möglich: Gute Architektur entsteht, wenn Bauherren mit Anspruch sich Architektinnen oder Architekten mit Prinzipien suchen und mit ihnen ein Projekt entwickeln. Die Nominierungen beweisen, dass in Salzburg genug Potenzial dafür vorhanden ist.
Den ersten Preis erhielt schließlich das Projekt, das am wenigsten nach Architektur aussieht: die Boulderhalle mit Bar in der Stadt Salzburg. Bouldern ist ein Sport, der besonders raumbezogen ist: Kletterern bietet die Halle eine künstliche, wild gefaltete Landschaft mit zahlreichen Parcours und Trainingsplätzen. Eine Boulderhalle ist gleichzeitig ein kleines Theater, in dem die Akteure und die Beobachter dauernd ihre Rollen wechseln. Hier setzt die architektonische Planung an, schafft Blickpunkte und kleine Inszenierungen wie in einem „echten“ Theater. Im Zentrum der Halle liegt die Bar mit großen Glasfenstern, einer Theke aus feinem Beton, eleganten Deckenleuchten und einer sorgfältig ausgewählten Sperrmülleinrichtung. Alles ist Architektur.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom
Auslobungen
Architekturpreis Land Salzburg