Bauwerk

Brotfabrik
Hermann & Valentiny - Wien (A) - 2001
Brotfabrik, Foto: Monique Heintz
Brotfabrik, Foto: Monique Heintz
Brotfabrik, Foto: Monique Heintz
Brotfabrik, Foto: Monique Heintz

Was alles drin ist

Sollen sie ihren ursprünglichen Charakter weitgehend behalten, dann lassen sie sich schwer nutzen; will man sie für heutige Zwecke adaptieren, dann büßen sie ihren Charakter ein. Wie revitalisiert man denkmalgeschützte Industriebauten? Hermann & Valentiny führen das mit einer Brotfabrik in Wien-Ottakring vor.

15. September 2001 - Liesbeth Waechter-Böhm
Der Umgang mit alten Industriebauten ist fast immer ein Problem. Sollen sie ihren ursprünglichen Charakter weitgehend behalten, dann lassen sie sich schwer nutzen. Will man sie für heutige Zwecke adaptieren, dann büßen sie ihren originalen Charakter ein. Man hat das schon seinerzeit beim Getreidespeicher am Wiener Handelskai erlebt. Da schaffte man es sogar, eine ausgesprochen rohe, ruppige - und deswegen auch so eindrucksvolle - Bausubstanz durch die Hotelnutzung in süßlichen Kitsch zu transformieren. Und man erlebt es jetzt bei den vollgebauten Simmeringer Gasometern.

Tatsächlich ist es so - denken wir auch an die diversen Wiener Remisen, die in den letzten Jahren zur Debatte standen -, daß es komplexer Gedankenprozesse bedarf, um nicht nur wirklich geeignete Nutzungen für solche „Denkmäler“ zu finden, sondern auch eine architektonische Lösung, deren formale Sprache zwar zeitgenössisch, dabei aber trotzdem adäquat ist.

Es kommt selten vor, daß solche Synergien glücken. Dem Bundesdenkmalamt sind schon finanziell die Hände gebunden: Was ein Investor bei der Umnutzung eines solchen Objekts eigentlich verlangen müßte: daß die Mehrkosten, die durch das Bauen in der historischen, geschützten Substanz für den Eigentümer entstehen, vom Denkmalamt getragen werden - schließlich handelt es sich hier ja um übergreifende, „allgemeine“ kulturelle Interessen -, das ist nicht drin. Siehe oben: Das Bundesdenkmalamt ist dafür budgetär nicht ausgestattet. Es sprengt zwar den Rahmen einer Architekturkritik, aber als punktueller Einwurf wäre vielleicht doch einmal festzuhalten: Man müßte die Schwerpunktsetzung der staatlichen kulturellen Förderung grundsätzlich überprüfen. Da gibt es soviel, was nur flüchtig, nur temporär ist. Es gibt die punktuellen Effekte, die wir uns viel kosten lassen. Dagegen ist uns die Dauer, der langfristige Tatbestand - und architektonische Objekte fallen unter diese Rubrik - vergleichsweise extrem wenig wert. Und daran stimmt einfach etwas nicht.

Nun, das war eine lange Einleitung zur Revitalisierung eines denkmalgeschützten Industrieobjektes in Wien- Ottakring. Mir scheint sie notwendig, weil sie diese Einzelinitiative - gemeinsam getragen und umgesetzt von einem privaten Investor, Hans-Christoph List, einem bekanntermaßen immer wieder sehr ambitionierten Bauträger, Wilfried Kallinger, und dem österreichisch-luxemburgischen Architekturbüro Hermann & Valentiny - in einen Gesamtkontext einrückt.

Im konkreten Fall geht es um die Brotfabrik des 1. Wiener Konsumvereins, die Hubert und Franz Gessner 1908 bis 1909 in der Hasnerstraße errichtet haben. Ein früher Stahlbetonbau, „bekleidet“ mit einer verfliesten Fassade, der mehrere Umbauten erlebt hat. Kulturhistorisch wichtig dabei: Es war eine Fabrik, die nach damals fortschrittlichsten Kriterien geplant wurde. Das heißt: produktionstechnisch logisch von oben nach unten; oder anders ausgedrückt - vom Mehllager unter dem Dach bis ganz hinunter zur Backstube. Und immerhin betrug die damalige Tagesproduktion - Quelle: Friedrich Achleitners Architekturführer - rund 18.000 Kilogramm. Übrigens wurde auch den hygienischen Rahmenbedingungen für die Arbeit in dieser Großbäckerei besonderes Augenmerk geschenkt.

Wie nutzt man so etwas? Die Lösung war nicht einmal sonderlich schwer: Büros, wenn sie nicht ganz konventionell ausfallen müssen, finden in einer solchen Loft-Situation allemal eine Heimstatt. Und die Substanz selbst war in diesem Fall nicht das Problem, eher das unmittelbare Umfeld: zum Beispiel die Feuermauer des Turnsaals einer Schule, die sich auf dem Nachbargrundstück befindet und eine eher triste Grundstücksgrenze definierte.

Die Architekten haben diese Problematik, aber auch die Situation insgesamt ausgesprochen bravourös bewältigt. Man kommt jetzt durch die alte Einfahrt und hat nicht mehr die öde Feuermauer vor sich, sondern einen verhältnismäßig niedrigen (dreigeschoßigen) Neubautrakt, dessen transluzente Profilit-Fassade schon für sich eine Qualität darstellt. Ursprünglich war dieser Neubau ebenfalls als Bürotrakt geplant. Letztlich wird der rein nordorientierte Baukörper, der auch die Garagenabfahrt aufnimmt, aber als Archiv- und Lagerraum genutzt. Drüber, auf dem begehbaren Dach, sorgen jedenfalls eine Stahl-Pergola mit Streckmetall-Verkleidung und ein liebevoll gepflanztes Lavendelfeld für Freizeitqualität im Arbeitsstreß.

Überhaupt ist der Innenhof bemerkenswert gelöst: Ein abgesenktes Atrium belichtet auch die Arbeitsräume ganz unten. Und eine wirklich spektakuläre architektonische Maßnahme - ein dunkel gefärbter, durchlöcherter Betonparavent, der sich organisch geschwungen um die Ecke „schwindelt“ - definiert diesen Freiraum völlig neu und sehr eindrucksvoll.

Es ist ein Bürohaus geworden, das nicht den herkömmlichen Kriterien entspricht. Es gibt hier weder das eintönige Zellenbüro, das sich an Fensterachsen orientiert, noch nackte, nüchterne Großraumbüros, die allein nach kommerziellen Kriterien funktionieren. Die Sache hat Charakter. In jedem Geschoß und bis in die kleinsten Raumeinheiten hinein. Hubert Hermann hat wohl gewußt, daß er nicht aus dem vollen schöpfen kann. Es hat preisgünstige Materialien gewählt, die den Touch der industriellen Fertigung transportieren - und in diesem Kontext also passen. Nichts Besonderes: Terrazzoplatten, Sichtbeton, Streckmetall, dazu ein paar gezielte Farbakzente aus dem Repertoire des Büros (Tomatenrot, Melonengelb etwa).

Toll ist übrigens die neue Dachlandschaft. Dem historischen Gebäude wurden drei runde - beziehungsweise: gerundete - und zwei rechteckige Aufbauten aufgesetzt, die eine durchaus besondere Terrassensituation bevölkern. „Bevölkern“ ist in diesem Fall gar nicht zuviel gesagt: Das sitzt alles irgendwie organisch da - oder auch amorph; eine Art lebendiges Implantat, das aber doch kein Organismus, sondern „nur“ Architektur ist.

Die neue Nutzung als nicht ganz konventionelles Bürogebäude hat sicher Maßnahmen erforderlich gemacht, die auch an die Substanz gingen. Zum historischen Stiegenhaus kam eine neue Haupterschließung hinzu; ein alter Erschließungstrakt wurde dafür eliminiert. Andererseits wurden in den einzelnen Geschoßen alte Galeriesituationen beibehalten und so interpretiert, daß man sie auch nutzen kann. Es ist eine Frage des architektonischen Fingerspitzengefühls, wie man mit den historischen Gegebenheiten umgeht. Als Architekt muß man zu dieser Problematik eine Beziehung haben, es muß den Respekt vor der historischen Substanz geben, sonst wird das nie etwas. Hermann & Valentiny sind offensichtlich in der Lage, die sensible geschmackliche Frage dieser Problematik zu erfassen - und sich dazu mit eigenen Ausdrucksmitteln zu äußern.

Das setzt eine ziemlich eigene, eigenwillige Denkungsweise voraus. Zugrunde liegt ihr der Respekt vor einer fundierten historischen architektonischen Leistung. Bei den Brüdern Gessner ist das als Vorgabe ohne Zweifel der Fall. Und dann geht es aber darum, aus diesem Geist heraus etwas zu entwickeln, das die alten Anliegen nicht negiert, aber den heutigen Standards - auf einer nicht-modischen Ebene - entspricht. Dabei sind ungewöhnliche Büros herausgekommen, sie passen in keines der herkömmlichen kommerziellen Schemata. Die Nutzer stammen - insofern logisch - aus der Werbebranche, aus der Elektronikbranche et cetera.

In historischer Bausubstanz sind keine usuellen, kommerziell optimierten Nutzungen möglich. Die Frage ist: Wen machen solche Nutzungen eigentlich glücklich? Die Mitarbeiter ganz gewiß. Und deren Wohlbefinden wirkt sich direkt auf das Leistungspotential aus. Und ich wüßte keine Firma, der es nicht zuallererst darum geht. Also? Es braucht - sicher speziell für kreative Berufe - Arbeitssituationen, die Flair bieten, die Atmosphäre haben. Hermann & Valentiny haben das geradezu beispielhaft geschafft.

Die Arbeit entspricht allem, was man sich von einer solchen Intervention im historischen Kontext erwarten darf: Sie nimmt den Charakter der vorhandenen (industriellen) Ausdrucksmittel auf, sie schafft eine ausgesprochen fortschrittliche Arbeitssituation, sie bringt aber auch alles ein, was heute Thema ist - vom Schichtendenken bei den architektonischen Maßnahmen bis zur Einheitlichkeit im Material.

Das Bundesdenkmalamt kann nichts dafür. Und damit schließt sich der Kreis zur Einleitung. Es kann es sich nicht auf seine Fahnen heften, daß die Brotfabrik erfolgreich revitalisiert wurde. Das ist ein Verdienst der Architekten - Hermann & Valentiny - und des Bauträgers beziehungsweise auch Investors. Nur: So sollte es nicht sein.

Es sollte jedenfalls nicht so sein, daß auf der Goodwill-Basis über historische Baudenkmäler verfügt wird, die Besseres verdient haben. Es kann nicht sein, daß wir alle Industriedenkmäler mit kulturellen Nutzungen vollstopfen, nur weil uns nichts einfällt. So viel Kultur ist zu viel Kultur. Die kann keiner zahlen. Es sind die alltäglichen Nutzungen in ihrer Besonderheit, die in solchen Häusern eine Heimstatt finden. Hermann & Valentiny haben dafür einen architektonischen Rahmen geschaffen, der in jeder Hinsicht standhält. Langfristig. Ganz lang. So lang, wie auch der Bau von den Gessner-Brüdern seinen Stellenwert behauptet.

Ein Postskriptum noch: Der Bau ist auch als Bestandteil einer sehr komplex angelegten Stadtentwicklungsinitiative lesbar. Das Zentrum von Ottakring erlebt derzeit eine Metamorphose. Und die Revitalisierung der Brotfabrik gehört eindeutig dazu.

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