Bauwerk

Kirche Zur Hl. Theresia
Rudolf Schwarz - Linz (A) - 1962
Kirche Zur Hl. Theresia, Foto: Erich Widder
Kirche Zur Hl. Theresia, Foto: Erich Widder

„Mach doch die Bude groß“

Als „das Kompromißloseste, was es derzeit gibt“, bezeichnete er seine Aachener St.-Fronleichnam-Kirche aus dem Jahr 1929. Mit St. Theresia in Linz-Keferfeld schuf er den schönsten modernen Kirchenraum Österreichs.

24. Dezember 1998 - Christian Kühn
„Vom Bau der Kirche“: Unter diesem Titel erschien im Jahr 1938 ein Buch, in dem Rudolf Schwarz, Jahrgang 1897, seine Theorie des Kirchenbaus formulierte. Es ging ihm dabei weder um eine Geschichte noch um ein praktisches Handbuch, sondern um eine grundsätzliche Betrachtung sakralen Bauens. Seine Konzepte für Sakralräume lesen sich wie Versuche, das Unsagbare doch in Worte zu fassen: vom „Heiligen Ring“ ist da die Rede, vom „Lichten Kelch“ und von der „Heiligen Fahrt“, vom „Lichten Gewölbe“ und vom „Dom aller Zeiten“, der „den ganzen Ablauf der Zeit in sich vereint“.

Bei dem Symposium, das im Architektur Zentrum Wien anläßlich der Eröffnung der Ausstellung über Rudolf Schwarz abgehalten wurde, kam die Rede sehr bald auf diese Metaphern und auf die „dunkle“ Sprache des Architekten. Als Raumschöpfer sei Schwarz über jeden Zweifel erhaben, aber wozu braucht ein Architekt derartige Sprachbilder? Ist Schwarz mit seiner Suche nach dem Eigentlichen, nach dem Wesen der Dinge nicht eine hoffnungslos konservative Figur?

Wolfgang Pehnt, der zusammen mit Hilde Strohl die hervorragende Monographie über Schwarz geschrieben hat, die als Katalog zur Ausstellung dient, sieht Schwarz als Vertreter einer „anderen“, jedoch keineswegs „gemäßigten“ Moderne. Das „andere“ vermutet Pehnt gerade in jenem „bildhaften“ Umgang mit den Aufgaben, der beider Diskussion in Wien so viel Befremden ausgelöst hat. „Bewohnte Bilder“ heißt auch der Untertitel des Katalogs: Nicht um die leicht konsumierbaren Bilder der Postmoderne gehe es dabei, sondern um Bilder als „Baufiguren, die ihren Sinn in sich tragen“. Die Sprache spielt für diese Bilder eine wichtige Rolle. Sie sei, sagt Schwarz im „Bau der Kirche“,„voll von ermunternden und anweisenden Ausdrücken, die sich wie helfende Hände unter die Dinge legen“.

Der idealistische Versuch, dem Bauen einen neuen Sinn zu geben, ist ein gemeinsamer Zug der deutschen Avantgarde nach dem Ersten Weltkrieg. Der Expressionist Hans Poelzig, in dessen Meisterklasse Schwarz nach seinem Doktorat an der Technischen Hochschule Berlin studiert hat, wäre hier zu nennen, aber auch das frühe Bauhaus, das ja durchaus seine„dunkle“, theosophische Seite besaß. Erst um 1930 hatte sich die „Neue Sachlichkeit“ mit dem Ideal einer funktionalistischen Architektur auf wissenschaftlicher Basis als bestimmende Richtung der Avantgarde durchgesetzt. Die Nationalsozialisten haben die Neue Sachlichkeit zwar als Stil geächtet, die Methoden des Systembaus und der rationalen Ordnung im Städtebau aber durchaus übernommen.

Der bedeutendste frühe Bau von Schwarz, St. Fronleichnam in Aachen aus dem Jahr 1929, läßt sich formal dieser Richtung zuordnen: eine innen und außen weiß verputzte Schachtel mit einem sehr niedrigen Seitenschiff und einem schmucklosen Turm, der über eine Stahlbrücke mit dem Hauptschiff verbunden ist – „das Kompromißloseste, was es derzeit gibt“, wie der junge Schwarz nicht ohne Stolz schrieb, eine „Wiedergeburt der Baukunst aus der Armut“. Der Theologe Romano Guardini, ein enger Freund des Architekten, sah in der asketischen Beschränkung einen Gewinn an Intensität: „Das ist keine Leere; das ist Stille! Und in der Stille ist Gott. Aus der Stille dieser weiten Wände kann eine Ahnung der Gegenwart Gottes hervorblühen.“ In diesem Umfeld entfalten die einfachsten Gesten eine starke Wirkung, etwa das „Herabsteigen“ der Fenster im Altarbereich, ein Motiv, das Schwarz auch in seinen späten Kirchen verwendet.

Für St. Fronleichnam hat Schwarz eine Vielzahl von Varianten entwickelt. Auf einem Skizzenblatt zeigen die tanzenden Grundrißfiguren immer neue Kombinationen von massiven und transparenten Wandzonen, die dem Raum jene Dynamik geben, die ihn von der banalen Schachtel unterscheidet. In den Skizzen zu St. Fronleichnam wird auch die geistige Verwandtschaft zwischen Schwarz und Mies van derRohe deutlich, die Suche nach einer absoluten Form des Bauens. Das neutrale, vom Alltäglichen abgerückte Bauwerk ist beiden Architekten ein Anliegen. Mies hat seinem Freund Hugo Häring gegenüber eine eher saloppe Begründung geliefert: „Mensch, mach doch die Bude groß, da kannst du hin- und herlaufen und nicht nur in einer vorgezeichneten Bewegung.“

Bei Schwarz heißt es gesetzter: „Nicht dort, wo dem Leben vorgesagt wird, wie es sich zu verhalten habe und schon die weichen Gehäuse einer Spontaneität vorgeplant werden, sondern dort, wo es unter das Firmament eines großen Gesetzes gestellt wird, erwacht es zu seinen höchsten Einsichten und zu seiner wirklichen Freiheit.“

Mies war der einzige unter den Bauhaus-Architekten, den Schwarz immer geschätzt hat, ein Urteil, das im übrigen auf Gegenseitigkeit beruhte: „Denken und Bauen zeugen von der einzigartigen Größe unseres verstorbenen Freundes“, heißt es im Nachruf, den Mies für seinen 1961 verstorbenen Kollegen verfaßt hat. Gegen Gropius entfachte Schwarz Anfang der fünfziger Jahre eine heftige Polemik, als er von „vorlauten und aufgeregten Terroristen“ sprach, die er für einen Bruch in der abendländischen Überlieferung verantwortlich machte. Ebenso verabscheute er Le Corbusiers Wallfahrts-Kapelle in Ronchamp: Er sei „zu lang ein Westwallbunkern gesessen“, um zu verstehen, wie Corbusier „aus einem Bunker samt Kanonenrohren eine Kirche“ bauen könne. Die Tendenz der fünfziger Jahre, die jeweils interessantesten Bauformen für den Kirchenbau zu nutzen, widersprach seinem Anliegen, „die kristallklare Ordnung der christlichen Welt groß und sichtbar Bau“ werden zu lassen. – Die Suche nach einer „kristallklaren Ordnung“ beschränkte sich bei Schwarz nicht auf den Kirchenbau, sondern umfaßte auch die Stadtplanung. Während des Zweiten Weltkriegs hatte er an Planungen in besetzten Teilen Frankreichs teilgenommen und dort an differenzierten Bandstadtmodellen gearbeitet, die er mit großer Einfühlsamkeit in die Landschaft setzte.

Daß die kristallklare Ordnung im Kontext des Nationalsozialismus von einer totalitären Ordnung kaum mehr zu unterscheiden ist, scheint für Schwarz kein Thema gewesen zu sein. 1947 publizierte er sein Buch„Von der Bebauung der Erde“, das ursprünglich „Vom Bau der Welt“ hätte heißen sollen – in Analogie zum „Bau der Kirche“. Sein Bandstadtkonzept – eine innere Industriezone mit satellitenartig mit ihr verbundenen Siedlungen – setzt er darin in Beziehung zum Grundrißschema einer Kathedrale mit Seitenkapellen.

Schwarz hat nach dem Krieg als Generalplaner von Köln Gelegenheit gehabt, seine Ideen in der Praxis zu erproben. An eine reale Durchdringung des Profanen durch das Sakrale scheint er, zumindest auf der urbanen Ebene, kaum mehr geglaubt haben. In einem Brief an Mies van der Rohe spricht er vom Wunsch, „noch einmal einen letzten Schimmer des alten untergehenden Lichtes über die Welt (unsere Welt, die so klein wurde) leuchten zu lassen“.

Mit seinen Kirchenbauten ist ihm das jedenfalls gelungen. Im Werkverzeichnis finden sich über 60 Kirchenentwürfe aus der Nachkriegszeit, in denen Schwarz die Prinzipien, die er im„Bau der Kirche“ aufgestellt hat, variiert. Diese Kirchen sind „reicher“ als seine aus dem „Geist der Armut“ entstandenen Projekte der zwanziger Jahre, vielfältiger in den Materialien und teilweise organisch geformt.

Ein herausragendes Beispiel ist St. Theresia in Linz-Keferfeld, ein langgestrecktes Oval, in dessen beiden Brennpunkten sich jeweils Altar und Taufstein befinden. Der Eingang liegt beinahe beiläufig an der Seite.

Auch für Wien hat Schwarz eine Kirche entworfen, St. Florian in der Wiedner Hauptstraße, die leider nicht nach seinen ursprünglichen Plänen, sondern in einer stark vergröberten Variante gebaut wurde. Das kleine Modell des Entwurfs mit seinen vier das Kirchenschiff gliedernden Lichthöfen ist allein einen Besuch der Ausstellung wert.

Daß die Welt für seine Entwürfe zu klein geworden ist, hat Schwarz geahnt. Im heutigen gespaltenen Katholizismus würden sie überall anecken: zuwenig bodenständig für die einen, zu sehr Gottes- und zuwenig Gemeindehaus für die anderen. Als Raumkunst werden sie ihre Aktualität aber nie verlieren.

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