Bauwerk
NÖ - Landhaus / Regierungsviertel
Ernst Hoffmann - St. Pölten (A) - 1997
Wie klingt eine Hauptstadt?
Ist der neue Regierungssitz in St. Pölten das versprochene Jahrhundertereignis - oder doch nur Stein gewordene Mittelmäßigkeit? Ein Lokalaugenschein.
2. November 1996 - Christian Kühn
Das ist also St. Pölten: 50.000 Einwohner, die „Barockstadt“ Prandtauers und Munggenasts, die schon immer besser war als ihr Ruf, eine Kleinstadt mit ihrem ganz eigenen urbanen Rhythmus, mit einem charakteristischen Maß.
Und da ist die Jahrhundertchance: die eigene Landeshauptstadt für Niederösterreich, der feierliche Auszug aus der Wiener Herrengasse in einen Regierungssitz im geographischen Zentrum des Landes, Verwaltungsbauten für 3000 Beamte, dazu ein Kulturforum mit Bibliothek, Museum und einem Festspielhaus.
Nachdem St. Pölten 1986 zur Landeshauptstadt erhoben worden war, sollte ein Architektenwettbewerb klären, wie diese Aufwertung städtebaulich und architektonisch umzusetzen sei. Die älteren Rechte der bestehenden Stadt blieben von Anfang an gewahrt: Bürgerbeteiligungsverfahren und ein städtebauliches Leitbild, das ein integriertes Regierungsviertel eindeutig gegenüber einem Einzelmonument bevorzugte, sollten eine hohe Akzeptanz bei der Bevölkerung garantieren.
Der Standort war im Wettbewerb noch nicht eindeutig festgelegt: Zur Disposition standen das gesamte Gebiet beiderseits der Traisen im Osten des Stadtkerns und ein kleines Areal jenseits der Bahntrasse, die den Stadtkern im Norden tangiert. Der undramatische Flußraum der Traisen hatte für die innere Struktur der Stadt bisher keine besondere Rolle gespielt. Der Umgang mit diesem Flußraum wurde nun zu einem zentralen Thema des Wettbewerbs: Würden die neuen Baumassen ausreichen, um eine urbane Uferkante zu definieren? Oder sollte der Flußraum in seiner naturnahen Form erhalten und nur durch Brückenbauten oder Solitärformen verändert werden?
Die Ergebnisse der ersten Wettbewerbsstufe 1989 waren alles andere als vielversprechend. Die innovativeren Beiträge schieden durchwegs in den ersten Runden aus. Sie haben eine kurze Gedenkminute verdient: die großzügige Überbauung der Traisen von Prohazka/ Hiesmayr, die ein präzise gerahmtes Stück Flußlandschaft zu einem urbanen Raum einzigartiger Qualität gemacht hätte; Anton Schweighofers Konzept, Landhaus und Verwaltung an und über der Bahntrasse zu errichten und den Kulturbezirk als grüne Verbindung vom bestehenden Stadtpark bis zur Traisen auszubilden; ähnliche, weniger klassisch angelegte Versuche in diese Richtung von Rieder/Wörndl und Heidulf Gerngroß. Und dann gab es da noch das Projekt von Bily/Katzberger, das mit seinen langen, parallel zur Traisen geführten Verwaltungsbauten der jetzt ausgeführten Lösung ähnelt, aber die Verbindung zur Stadt durch eine differenzierte Wohnbebauung herstellt und die Kulturbauten in einen spannungsvoll komponierten Platzraum direkt an den Fluß setzt.
In der letzten Stufe des Wettbewerbs waren es schließlich zwei Projekte, zwischen denen die Entscheidung fallen sollte: ein monumentaler Solitärbau von Wilhelm Holzbauer, 24 Stockwerke hoch die Büroetagen, daran angelagert im Oval die Kulturbauten; und eine flächige Stadtreproduktion von Ernst Hoffmann, im Geist der metaphernfreudigen achtziger Jahre zusammengesetzt aus Boulevard und Passage, Anger und Platz. Holzbauers Projekt hätte eigentlich nie so weit kommen dürfen, denn bei aller Symbolkräftigkeit sagte es vor allem eines: Ich bin wichtig! Von Bürgernähe war da nichts zu spüren, und die Idee, den Landtagssaal in einer hermetisch abgeschlossenen Kugel unterzubringen, war bestenfalls ein bitterer Scherz über den Wunsch des Auslobers, politische Offenheit sichtbar zu machen.
Genau auf diese Wünsche ist das Projekt Ernst Hoffmanns eingegangen: kein Monument, sondern ein Stadtviertel mit langen Zeilen von Verwaltungsbauten parallel zur Traisen, die eine urbane, befestigte Uferkante herstellen. Der Landtagssaal, mittig ganz an den Fluß geschoben, markiert den Beginn einer in die Stadt führenden Querachse, an der die Kulturbauten liegen. Die konsequente Umsetzung der Idee eines lockeren städtischen Ensembles, in dem jede Verwaltungseinheit gewissermaßen ihr Haus mit eigenem Eingang erhalten konnte, gab den Ausschlag für dieses Projekt, und die Jury empfahl es zur Weiterbearbeitung. Und dann gab sie ihm noch eine kleine Hypothek mit auf den Weg: „Zu bemängeln ist die Eintönigkeit und die Unverbindlichkeit der Architektur.“
Ernst Hoffmann hat sich jede Mühe gegeben, dieses Urteil zu widerlegen. Aber gerade das hat dem Projekt nicht gutgetan. Statt zu einer präzisen und zurückhaltenden Sprache zu finden, pendelt die Architektur unentschlossen zwischen modernistischen Figuren und postmoderner Kraftmeierei. Die Fassaden der Verwaltungsbauten, ursprünglich als leichte Glasfassaden in einem tragenden Skelett angedeutet, bekamen ein Rahmenmotiv aus Kunststein vorgesetzt, das ihnen eine unnötige Schwere verleiht. Der Landtagssaal selbst, in der Terminologie der Planer gerne als „schwebendes Schiff“ bezeichnet, erweist sich in natura als hohle Geste, deren dynamischer Schwung vollkommen ins Leere läuft. Was das Innere dieses Bauwerks mit seinem Äußeren zu tun hat, bleibt unklar, und sein statisches Konzept der Auskragung - eine sehr, sehr dicke Betonplatte auf runden Stützen - ist alles andere als innovativ.
Ein Stück dahinter erhebt sich der Klangturm, eine Erfindung Hoffmanns, die dem flächigen Ensemble eine vertikale Achse gibt. Der Turm soll symbolisieren, daß hier neben dem administrativen und politischen auch das geistige Zentrumdes Landes zu finden sei: ein Symbol dafür, daß nicht nur die nützlichen Dinge im Leben einen Wert haben. Deshalb ein Turm für den vergänglichsten Ausdruck unserer Kultur, den Klang. Ein schöner Gedanke, und doch sagt er nichts Gutes über den Geist des Projekts aus: Die Zeiten, als man Architektur selbst als Stein gewordene Musik, als poetischen Akt verstehen durfte, sind längst vorbei. Statt das Schöne im Nützlichen zu suchen, lassen wir das Nützliche nützlich sein, und wenn die Budgets ausreichen, errichten wir der Schönheit daneben ein Denkmal.
Was wird also vom St. Pöltner Landtag in der Architekturgeschichte Österreichs übrigblei- ben? Die Tatsache eines perfekt administrierten, termingerecht und im Kostenrahmen durchge- führten Bauvorhabens im allergrößten Maßstab. Das ist keine geringe Leistung und gebietet Respekt. Bleiben wird sicherlich die Idee eines bürgernahen Dienstleistungsviertels, wenn auch seine Anbindung an die Stadt in der Realität viel weniger geglückt ist, als es im Plan suggeriert wurde. Die poetische Umsetzung dieser Idee in architektonische Formen wird man in St. Pölten freilich vergeblich suchen.
Und da ist die Jahrhundertchance: die eigene Landeshauptstadt für Niederösterreich, der feierliche Auszug aus der Wiener Herrengasse in einen Regierungssitz im geographischen Zentrum des Landes, Verwaltungsbauten für 3000 Beamte, dazu ein Kulturforum mit Bibliothek, Museum und einem Festspielhaus.
Nachdem St. Pölten 1986 zur Landeshauptstadt erhoben worden war, sollte ein Architektenwettbewerb klären, wie diese Aufwertung städtebaulich und architektonisch umzusetzen sei. Die älteren Rechte der bestehenden Stadt blieben von Anfang an gewahrt: Bürgerbeteiligungsverfahren und ein städtebauliches Leitbild, das ein integriertes Regierungsviertel eindeutig gegenüber einem Einzelmonument bevorzugte, sollten eine hohe Akzeptanz bei der Bevölkerung garantieren.
Der Standort war im Wettbewerb noch nicht eindeutig festgelegt: Zur Disposition standen das gesamte Gebiet beiderseits der Traisen im Osten des Stadtkerns und ein kleines Areal jenseits der Bahntrasse, die den Stadtkern im Norden tangiert. Der undramatische Flußraum der Traisen hatte für die innere Struktur der Stadt bisher keine besondere Rolle gespielt. Der Umgang mit diesem Flußraum wurde nun zu einem zentralen Thema des Wettbewerbs: Würden die neuen Baumassen ausreichen, um eine urbane Uferkante zu definieren? Oder sollte der Flußraum in seiner naturnahen Form erhalten und nur durch Brückenbauten oder Solitärformen verändert werden?
Die Ergebnisse der ersten Wettbewerbsstufe 1989 waren alles andere als vielversprechend. Die innovativeren Beiträge schieden durchwegs in den ersten Runden aus. Sie haben eine kurze Gedenkminute verdient: die großzügige Überbauung der Traisen von Prohazka/ Hiesmayr, die ein präzise gerahmtes Stück Flußlandschaft zu einem urbanen Raum einzigartiger Qualität gemacht hätte; Anton Schweighofers Konzept, Landhaus und Verwaltung an und über der Bahntrasse zu errichten und den Kulturbezirk als grüne Verbindung vom bestehenden Stadtpark bis zur Traisen auszubilden; ähnliche, weniger klassisch angelegte Versuche in diese Richtung von Rieder/Wörndl und Heidulf Gerngroß. Und dann gab es da noch das Projekt von Bily/Katzberger, das mit seinen langen, parallel zur Traisen geführten Verwaltungsbauten der jetzt ausgeführten Lösung ähnelt, aber die Verbindung zur Stadt durch eine differenzierte Wohnbebauung herstellt und die Kulturbauten in einen spannungsvoll komponierten Platzraum direkt an den Fluß setzt.
In der letzten Stufe des Wettbewerbs waren es schließlich zwei Projekte, zwischen denen die Entscheidung fallen sollte: ein monumentaler Solitärbau von Wilhelm Holzbauer, 24 Stockwerke hoch die Büroetagen, daran angelagert im Oval die Kulturbauten; und eine flächige Stadtreproduktion von Ernst Hoffmann, im Geist der metaphernfreudigen achtziger Jahre zusammengesetzt aus Boulevard und Passage, Anger und Platz. Holzbauers Projekt hätte eigentlich nie so weit kommen dürfen, denn bei aller Symbolkräftigkeit sagte es vor allem eines: Ich bin wichtig! Von Bürgernähe war da nichts zu spüren, und die Idee, den Landtagssaal in einer hermetisch abgeschlossenen Kugel unterzubringen, war bestenfalls ein bitterer Scherz über den Wunsch des Auslobers, politische Offenheit sichtbar zu machen.
Genau auf diese Wünsche ist das Projekt Ernst Hoffmanns eingegangen: kein Monument, sondern ein Stadtviertel mit langen Zeilen von Verwaltungsbauten parallel zur Traisen, die eine urbane, befestigte Uferkante herstellen. Der Landtagssaal, mittig ganz an den Fluß geschoben, markiert den Beginn einer in die Stadt führenden Querachse, an der die Kulturbauten liegen. Die konsequente Umsetzung der Idee eines lockeren städtischen Ensembles, in dem jede Verwaltungseinheit gewissermaßen ihr Haus mit eigenem Eingang erhalten konnte, gab den Ausschlag für dieses Projekt, und die Jury empfahl es zur Weiterbearbeitung. Und dann gab sie ihm noch eine kleine Hypothek mit auf den Weg: „Zu bemängeln ist die Eintönigkeit und die Unverbindlichkeit der Architektur.“
Ernst Hoffmann hat sich jede Mühe gegeben, dieses Urteil zu widerlegen. Aber gerade das hat dem Projekt nicht gutgetan. Statt zu einer präzisen und zurückhaltenden Sprache zu finden, pendelt die Architektur unentschlossen zwischen modernistischen Figuren und postmoderner Kraftmeierei. Die Fassaden der Verwaltungsbauten, ursprünglich als leichte Glasfassaden in einem tragenden Skelett angedeutet, bekamen ein Rahmenmotiv aus Kunststein vorgesetzt, das ihnen eine unnötige Schwere verleiht. Der Landtagssaal selbst, in der Terminologie der Planer gerne als „schwebendes Schiff“ bezeichnet, erweist sich in natura als hohle Geste, deren dynamischer Schwung vollkommen ins Leere läuft. Was das Innere dieses Bauwerks mit seinem Äußeren zu tun hat, bleibt unklar, und sein statisches Konzept der Auskragung - eine sehr, sehr dicke Betonplatte auf runden Stützen - ist alles andere als innovativ.
Ein Stück dahinter erhebt sich der Klangturm, eine Erfindung Hoffmanns, die dem flächigen Ensemble eine vertikale Achse gibt. Der Turm soll symbolisieren, daß hier neben dem administrativen und politischen auch das geistige Zentrumdes Landes zu finden sei: ein Symbol dafür, daß nicht nur die nützlichen Dinge im Leben einen Wert haben. Deshalb ein Turm für den vergänglichsten Ausdruck unserer Kultur, den Klang. Ein schöner Gedanke, und doch sagt er nichts Gutes über den Geist des Projekts aus: Die Zeiten, als man Architektur selbst als Stein gewordene Musik, als poetischen Akt verstehen durfte, sind längst vorbei. Statt das Schöne im Nützlichen zu suchen, lassen wir das Nützliche nützlich sein, und wenn die Budgets ausreichen, errichten wir der Schönheit daneben ein Denkmal.
Was wird also vom St. Pöltner Landtag in der Architekturgeschichte Österreichs übrigblei- ben? Die Tatsache eines perfekt administrierten, termingerecht und im Kostenrahmen durchge- führten Bauvorhabens im allergrößten Maßstab. Das ist keine geringe Leistung und gebietet Respekt. Bleiben wird sicherlich die Idee eines bürgernahen Dienstleistungsviertels, wenn auch seine Anbindung an die Stadt in der Realität viel weniger geglückt ist, als es im Plan suggeriert wurde. Die poetische Umsetzung dieser Idee in architektonische Formen wird man in St. Pölten freilich vergeblich suchen.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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