Bauwerk

Akademiehof Karlsplatz
Roland Rainer, Gustav Peichl - Wien (A) - 1996
Akademiehof Karlsplatz, Foto: Paul Giuliani

Die Freiheit der Bezüge

Offiziell firmieren Gustav Peichl und Roland Rainer als „Autoren“ des Neubaus neben der Wiener Secession. Freilich: Die Architektursprache verrät Rainer als bestimmende Kraft.

20. April 1996 - Liesbeth Waechter-Böhm
Wir haben versucht zu zeigen, was wir unter moderner Architektur verstehen." Roland Rainers Credo zum Thema „Bauen in der Altstadt“ hat weitgehend Gestalt angenommen, das Haus an der Ecke Friedrichstraße- Getreidemarkt wird Anfang Juni eröffnet. Der Bauplatz an der Grenze des ersten Bezirks verdankte sich ursprünglich dem U-Bahnbau: Weil darunter eine U-Bahntrasse verläuft, mußte die Stadt Wien das Grundstück erwerben, und das alte Haus, das darauf stand (übrigens mit dem legendären Gasthaus „Zum Grenadier“, in dem Holzmeister und Wotruba gern gesehene Gäste waren), wurde abgerissen.

Das Grundstück blieb viele Jahre leer, bis unter Bürgermeister Zilk daraus ein Geburtstagspräsent wurde: Die Stadt Wien schenkte den prominenten Bauplatz der benachbarten Akademie der bildenden Künste zu deren 300. Geburtstag, wobei es der Akademie freistand, wie und wofür sie ihn nutzen wollte. Sie hätte dort selbst bauen können, sie durfte ihn aber auch verkaufen. Letzteres ist dann geschehen - eine Bank und ein privater Investor teilen sich nun in den Besitz -, und mit der Kaufsumme wurde der Erwerb von akademieeigenen Ausstellungsräumen und den neuen Räumen für das Kupferstichkabinett finanziert.

Aber das ist schon der letzte Stand. Davor gab es noch eine Phase, in der die Akademie das Haus mehr oder weniger allein nutzen wollte, und in dieser Phase wurden Roland Rainer und Gustav Peichl beauftragt, ein erstes Projekt zu entwickeln, das allerdings nur sehr schwer finanzierbar gewesen wäre. Übrigens firmieren offiziell auch beim jetzt realisierten Projekt Rainer und Peichl als „Autoren“; andererseits - so Roland Rainer - „wurde das gesamte Gebäude bis ins letzte Detail in meinem Büro gezeichnet“. Und das sieht man dem Haus auch an: Es ist architektursprachlich so formuliert, daß man es Roland Rainer zuordnen muß.

Worum geht es? Um ein Haus, das letztlich die Grenze der Wiener Innenstadt markiert, das dem über die Westeinfahrt nach Wien Kommenden ein Signal entgegenmorst, das der „Gegend“ des Karlsplatzes gegenübertritt und die Nachbarschaft zu Secession und Akademie pflegt. Es geht aber auch darum, sehr Verschiedenes unter einem Dach zu vereinen: Auf der Erdgeschoßebene sind kommerzielle Nutzungen angesiedelt - es gibt eine Geschäftspassage, die von der Akademieseite zur Friedrichstraße und zum Karlsplatz führt; hier ist auch der U- Bahnabgang ins Gebäude integriert, und auf einem gedeckten Vorplatz werden gleich drei gastronomische Einrichtungen zu finden sein.

Auf der Ebene des ersten Obergeschoßes - eingeschlossen ein Zwischengeschoß - ist die kulturelle Nutzung durch die Akademie angesiedelt, darüber, auf vier Geschoße verteilt, befinden sich Büros - und ganz oben noch zwei Wohngeschoße, wobei das letzte zurückversetzt ist, sodaß den Wohnungen Terrassen vorgelagert werden konnten.

Es gehört zu Roland Rainers Credo vom „Bauen in der Altstadt“, vom „Bauen in der Großstadt“ und vom „Bauen für die postindustrielle Gesellschaft“, daß sich diese unterschiedlichen Funktionen nach außen sichtbar ausdrücken. Daher war Rainer an der Basis Schwere wichtig, darüber sollte es leicht sein, schweben, und ganz oben kam es darauf an, die Masse des Bauwerks zu relativieren. Diese Nutzungsvorgaben im Verein mit dem spezifischen Standort führten zu einer Fassadenlösung, die Einheitlichkeit bewußt vermeidet. Unten: Steinverkleidungen in Granit, im Arkadenbereich in schwarzem Labrador; darüber ein durchgehendes, schmales Fensterband, das wie ein dunkler Schlitz wirkt und von dem sich der „schwebende“ Kubus des Bürokomplexes mit seiner Haut aus Glas deutlich absetzt.

Bei dieser Fassade handelt es sich um gebrochen grün unterlegte Glasflächen, die durch Fensterbänder mit vorgeschalteten Glasschuppen zum Schutz gegen Schmutz, Staub und Lärm eine horizontale Gliederung erfahren. Die beiden Wohngeschoße heben sich davon durch stark individualisierte Fensterlösungen, durch Loggien und Terrassen ab.

Man sieht, wie sich Roland Rainer ein Haus im großstädtischen Bereich vorstellt. Und man sieht - vis-à-vis von Secession und Akademie - den Unterschied von 100 Jahren. Es gibt keine Achsen, keine Symmetrie, das Haus ist kein Solitär und auch nicht in sich abgeschlossen. Es nimmt Bezüge auf und verwirklicht einen Lieblingsgedanken Rainers: Es setzt die Grenze zwischen öffentlichem Raum und Bauwerk außer Kraft. Das geschieht Richtung Karlsplatz durch die gedeckte Piazza mit dem U-Bahnabgang, es geschieht durch den Arkadengang um die Ecke zum Getreidemarkt. Und an der Seite zur Akademie, wo die Geschäftspassage für eine direkte Verbindung Richtung Karlsplatz sorgt und der Zugang zur „Kulturebene“ liegt, da geschieht es durch einen - über eine Freitreppe erschlossenen - gedeckten Vorplatz im ersten Obergeschoß. Über diesen Vorbereich geht es, an den Garderoben vorbei und unter der Brückenverbindung zum Kupferstichkabinett durch, in die große, zweigeschoßige Ausstellungshalle. Dort bemerkt man zunächst einige Säulen, die zum Teil statische Notwendigkeit waren, zum Teil auch die Ableitungen des Büro- und Wohnkomplexes enthalten. Und es fällt eine schöne Oberlichtverglasung auf, durch die man jetzt noch den „Hof“ darüber sehen kann; später, wenn hier der Ausstellungsbetrieb aufgenommen ist, wird diese Verglasung abgedeckt.

Der von der Akademieseite bis zum Karlsplatz durchgehende Raum hat imposante Dimensionen. Er ist trotzdem nicht bloß eine Schachtel für die Präsentation von Kunst, denn er hat Nischen und niedrigere Raumteile, es gibt eine Galerie - auf die man über eine transparente Holztreppe kommt -, und vor allem gibt es sorgsam inszenierte Bezüge zur Umgebung: zur Karlskirche, zum Naschmarkt, zur Secession, zur Akademie. Die Glasflächen sind in die massiven Wände minuziös hineinkomponiert, sodaß die verschiedenen Öffnungen für jeden Ausblick maßgeschneidert erscheinen, aber immer noch reichlich Wandfläche für die Präsentation von Bildern vorhanden ist.

Durch eine der Glasflächen hat man einen besonders schönen Blick auf die Secession. Von dort ist sie fast schon zum Angreifen nahe. Und tatsächlich hat Roland Rainer ja früher einmal ein Konzept entwickelt, das den Verkehr, der jetzt zwischen Secession und dem neuen Akademiehaus so reichlich fließt, endgültig verbannt. Statt dessen sollte eine verkehrsfreie Piazza zwischen den beiden Häusern vermitteln. Nun, dieses Konzept wird so bald nicht Wirklichkeit werden, die Fußgängerzone zwischen Akademie und dem neuen Haus wird es hingegen bald. Und man darf annehmen, daß viele, die vom Schillerplatz kommen und Richtung Karlsplatz oder U-Bahn streben, die Möglichkeit der Abkürzung durch die Geschäftspassage zu schätzen wissen.

Das Haus hat 300 Millionen Schilling gekostet, das ist keineswegs besonders viel. Rainer hat sich auch relative Zurückhaltung auferlegt, denn es gibt nur eine sehr begrenzte Anzahl unterschiedlicher, dabei keinesfalls luxuriöser Materialien - Glas (durchsichtig und unterlegt), Stein (Granit und Labrador), Metall (Stahl und Aluminium), Sichtbeton und im Innenausbau wenig Holz.

Das Haus - so will es der Architekt, und so soll es wohl auch sein - artikuliert seinen großstädtischen Anspruch in aller Deutlichkeit. Nur: Was sich heute gelegentlich großstädtisch aufplustert, ist eines, was Roland Rainer darunter versteht, etwas anderes: Lebendigkeit, Offenheit, der Kontrast zwischen Schwere und Leichtigkeit, das gewichtslose Schweben, der Bruch mit der Symmetrie - und daß sich die architektonische Rede nicht am überholten (hermetisch verschlossenen) Solitär festmacht, sondern an der freien und freiwilligen Bezugnahme auf das städtische Umfeld; das könnte man als die Quintessenz dieses Statements von Roland Rainer bezeichnen.

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