Bauwerk

Karl Franzens Universität Graz RESOWI - Zentrum
Hermann Eisenköck, Günther Domenig - Graz (A) - 1996
Karl Franzens Universität Graz RESOWI - Zentrum, Foto: Helmut Tezak
Karl Franzens Universität Graz RESOWI - Zentrum, Foto: Helmut Tezak

Schwebebalken mit Rückgrat

Wer seine Bankfiliale in der Favoritenstraße vor Augen hat, wird angesichts des Grazer Universitätsneubaus überrascht sein: Günther Domenig fand für sein „Resowi“ eine disziplinierte, beherrschte Formensprache.

23. November 1996 - Liesbeth Waechter-Böhm
Die Größe einer Bauaufgabe sei nicht von speziellem Interesse für ihn, sagt Günther Domenig, weil man bei kleineren Bauten in der Regel viel mehr riskieren könne. Das mag stimmen, und doch stimmt es auch wieder nicht: Denn in der Architektur, das müssen wir nur allzu oft leidvoll erfahren, stellt Größe im Sinn von Dimension ein gewaltiges Risiko dar. Große Bauten sind meistens eine „Garantie“ für Unmaßstäblichkeit, für Orientierungslosigkeit, für Trostlosigkeit und Langeweile.

Meistens. Mit dem Neubau der Rechts-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät („Resowi“) der Karl-Franzens-Universität in Graz ist Günther Domenig gemeinsam mit seinem Partner Hermann Eisenköck allerdings ein Ausnahmebau gelungen. Dabei bietet das Haus immerhin über 10.000 Studenten Platz, 33 Instituten, einer Fakultätsbibliothek, einer ganzen Reihe unterschiedlich dimensionierter Hörsäle und Sonderräume, einem EDV-Zentrum und einer gewiß nicht kleinen Cafeteria.

Das Gebäude ist beachtliche 300 Meter lang, 50 Meter breit und 30 Meter hoch, und es steht auf einem relativ schmalen, langen Grundstück gleich hinter der alten Universität.

Mit einer solchen Größenordnung und einer solchen städtebaulichen Konstellation muß man umgehen können. Und wie es geht, das führt Domenig beispielhaft vor. Er versucht erst gar nicht, diese lange, schmale Gebäudefigur irgendwie aufzulösen oder aufzubrechen. Im Gegenteil: Er hat den langen Riegel ganz lapidar und selbstverständlich auf dem Grundstück plaziert und sowohl seine Länge als auch die Gleichförmigkeit seiner Nutzung nach außen durch eine Reihe additiver Elemente provokant demonstriert. Man könnte vielleicht - in bester bildhafter Domenig-Manier - sagen, daß dieser Bau als eine Art Körper aufgefaßt ist, der ein Rückgrat hat, um das sich die Muskeln eines komplexen Raum- und Funktionsprogrammes entwickeln.

Der Haupteingang des Resowi ist ein wenig außermittig auf der Seite des Platzes zwischen altem und neuem Universitätsbau plaziert. Er markiert die Trennung der beiden Universitätsbereiche: Auf der einen Seite geht es zu den Rechts- und Sozialwissenschaftlern, auf der anderen zu den Wirtschaftswissenschaftlern.

Domenig hat sich für den Haupteingang eine deutliche, unmißverständliche architektonische Geste einfallen lassen: Hier, wo das Bauwerk durchlässig ist und man über ein paar Stufen zu den Zugängen der beiden Fakultätsbereiche kommt, hier schiebt sich linker Hand eine gewaltige plastische Form - der größte Hörsaal - aus dem Gebäude heraus und im Obergeschoß die kompliziert gekrümmte, fast muschelförmige Glasfassade des Cafés.

Hier erlaubt sich Domenig mit dem leuchtenden Rot der Konstruktion auch einen der wenigen Farbakzente, die es in diesem Haus gibt. Ein zweiter nach außen wirksamer Farbakzent prägt den oberen Abschluß des Bauwerks: der seitlich vorspringende sogenannte „Schwebebalken“ in leuchtendem Blau.

Die Betonung dieses Schwebebalkens ist kein willkürlicher gestalterischer Eingriff, sondern rückt die vielleicht wichtigste konstruktive Maßnahme bei diesem Haus ins Bild. Denn das oberste Geschoß der zweihüftigen Anlage ist selbsttragend konstruiert, und davon wiederum ist das darunterliegende Geschoß abgehängt. Das brachte für die innenräumliche Organisation einen entscheidenden Vorteil: Der Raum innen war damit konstruktiv so weit freigespielt, daß sich verschiedene räumliche, körperhafte Elemente einschieben ließen.

Bleiben wir beim Bild des Rückgrats: Denn wenn man in einen der Fakultätsbereiche hin-einkommt, wird dieses Bild au-genblicklich nachvollziehbar. Wie Wirbel sind hier die Vertikaltürme mit den Stiegenhäusern, Liften, Installationen und einem auf jedem Geschoß wiederkehrenden, schildartigen Element, hinter dem kleine Teeküchen oder Kopierräume verborgen sind, in ganz regelmäßigen Abständen aufgereiht.

Monotonie stellt sich jedoch eben deswegen nicht ein, weil Domenig durch seine konstruktive Entscheidung zugunsten des Schwebebalkens zwischen diesen Vertikalen so viel Spielraum hatte, daß es möglich wurde, sehr differenzierte räumliche Sequenzen zu formulieren. Das heißt, zwischen die Vertikalen sind jeweils Sonderelemente eingeschoben, sehr plastisch durchgebildete, autonom wirkende „Fremdkörper“, in denen die unterschiedlich großen Hörsäle und andere Sonderräume untergebracht sind.

Diese skulpturalen Körper prägen auch die Außenansicht des Bauwerks, denn sie wurden nicht nur zwischen die Vertikalerschließung eingeschoben, sondern schieben sich auch aus dem Gebäude heraus und geben der Fassadenabwicklung einen signifikanten Rhythmus. Das Thema ist klar: Es geht um die Auflösung von Masse, und drinnen geht es darum, mit leisen Mitteln für unterschiedliche Raumsituationen, für differen-zierte Stimmungen zu sorgen.

Wem immer noch die Bank in Favoriten und die Individualität ihres architektonischen Ausdrucks vor Augen steht, der wird angesichts des Resowi überrascht sein: Domenigs Sprache ist gerade bei öffentlichen Bauten heute viel weniger subjektiv verrätselt, als sie einmal gewesen ist, sie ist nicht mehr auf Konfrontationskurs angelegt. Man kommt zwar nach wie vor nicht umhin, den Kraftakt zu bewundern, der hinter der Bewältigung einer solchen Aufgabe steckt, aber diese Kraft des Ausdrucks rührt aus anderen Quellen her - aus einem beherrschten, disziplinierten Umgang mit Form, der nicht mehr um jeden Preis alle Mittel aufbieten möchte, die möglich gewesen wären.

Diese Beherrschtheit drückt sich nicht nur im formalen Aufwand aus, sondern auch im ma-teriellen. Daraus resultiert der Eindruck großer Einheitlichkeit: Es gibt Sichtbetonscheiben beziehungsweise aufgelöste Betonstützen, es gibt Betondecken, es gibt konstruktiven Stahl; die Installationen sind in glänzenden Nirosta-Röhren sichtbar geführt; es gibt viel Glas, teilweise mit fixen Aluminiumlamellen als Sonnenschutz davor; und dann gibt es die glatte Haut aus Kunststein, die den plastischen Elementen innen wie außen einen eigenen Charakter verleiht, und den Betonstein, der im Innenausbau bei den einzelnen Instituten verwendet wurde.

Domenig erwähnt zwar eine gewisse Trauer im Zusammen-ang mit diesem Haus, weil es in der letzten Realisierungsphase einen Verkleidungscharakter bekommen habe, eine Art glatte Eleganz, die er sich so nicht gewünscht hatte. Aber dieses unvermeidliche Zugeständnis an die behördlichen Auflagen muß man wohl in Kauf nehmen: Die Konstruktion ist nicht mehr ganz so fein und minimiert, wie sie ursprünglich war, weil sie ummantelt werden mußte, und das Haus suggeriert nicht mehr uneingeschränkt jene Purheit der Materialien, aus denen es gebaut ist.

Aber das dürfte sich den Nutzern des Hauses am wenigsten mitteilen. Die können sich an einer übersichtlichen und funktionellen Gebäudeorganisation erfreuen, die trotz der Größe Möglichkeiten der Orientierung bietet. Sie können sich an einer bis in die Mittelzone des Erdgeschoßes reichenden natürlichen Belichtung erfreuen, die durch die Verglasung des nach oben breiter werdenden Mittelbereichs bis nach unten geholt wird. Und sie werden auch die unterschiedlichen Raumsequenzen und die abschnittsweise differenzierte innenräumliche Atmosphäre zu schätzen wissen.

Domenig ist mit dem Außenraum sehr sorgsam umgegangen und hat gemeinsam mit einem Landschaftsplaner ein minuziöses Gestaltungskonzept dafür entwickelt, das befestigte Flächen, teilweise spitzwinkelig zugeschnittene Wasserbecken und eine eigenwillige Bepflanzung der Grünflächen einschließt.

Sehr wichtig für die Beziehung zwischen Universitätsneubau und alter Universität gegenüber - und damit für den Platzbereich dazwischen - war überdies, daß Domenig auch mit der Erweiterung der Zentralbibliothek vis-à-vis betraut wurde. Dieser Zubau besteht in einer verglasten Erweiterung eines Lesesaals, wodurch die alte Außenfassade zur Innenwand wurde, in der Ausbildung von drei vertikalen, großzügig verglasten Fassadenelementen und einer darangestellten, offenen Fluchtstiege.

Man kommt durch diese zusätzliche und sehr glückliche Maßnahme bei aller Unterschiedlichkeit der eingesetzten Formen doch nicht umhin, hüben wie drüben eine Art geistige Verwandtschaft zu konstatieren. Und die tut dieser dichten Gesamtsituation gut.

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