Bauwerk
Veranstaltungssaal cubus
Cukrowicz Nachbaur Architekten, Lothar Huber - Wolfurt (A) - 1997
Herzkammer in Hartgrün
Zentrumslosigkeit ist das Wachstumsprinzip vieler Ortschaften im Rheintal. Wolfurt lebt vor, wie mit mutiger Mehrfachstrategie alter Siedlungsraum zentrierbar ist: Der neue Veranstaltungssaal „Cubus“ signalisiert eine hinzugewonnene vitale Mitte.
24. Juli 1999 - Walter Chramosta
Das tädtebauliche Problem unserer Gemeinde ist, daß ihre Muskeln schneller gewachsen sind als die Knochen.“ Carl Fingerhuth, international erfahrener Architekt, Städtebaulehrer und Urbanist aus Basel, überliefert diese in einer Bürgerversammlung der siebziger Jahre von der anspringenden Tourismusentwicklung motivierte Aussage des Pfarrers von Bürserberg. Fingerhuth hatte damals die mit der Alpinerschließung konfrontierte kleine Vorarlberger Gemeinde beraten, um eine „gedeihliche Entwicklung“ in einer Phase raschen Strukturwandels einzuleiten.
Seinerzeit fehlten dazu vor allem die groben Infrastrukturen und die großen Zieldefinitionen einer nachhaltigen Raumordnungspolitik. Mittlerweile verfügt Vorarlberg über eine unbequeme, daher wirkungsvolle Raumplanungpraxis und eine hinreichende Infrastruktur. Der politische Wille zum geordneten Raum ist manifest und kann von der Verwaltung nachvollzogen werden. Knochen sind dem Land binnen zwei Jahrzehnten also bereits nachgewachsen.
Jüngst legte Fingerhuth in der Zeitschrift „Vorum“ dem Pfarrer aber einen fiktiven Satz zur aktuellen Situation in den Mund: „Das Problem Vorarlbergs ist, daß die Knochen und die Muskeln unserer Gemeinden schneller gewachsen sind als ihre Herzen.“
Sieht sich die Raumentwicklung Vorarlbergs also doch neuerlich mit einer existentiellen Frage konfrontiert? Fingerhuth ist überzeugt, daß zwar wesentliche Probleme zwischen den Siedlungen ausgeräumt wurden, daß aber viele Binnenfragen, etwa die zeitgemäße Zentrierung der Bebauungsstrukturen, noch ungelöst sind. Zahlreichen Ortschaften fehlt das vitale Herz.
Vorarlberg hat zwar die höchste Qualitätsdichte in der heimischen Architekturproduktion, so reif diese Objekte für sich auch sind, so offen bleibt häufig die Frage nach dem Ortsganzen. Daß kürzlich die beim Land angesiedelte, im österreichweiten Vergleich vorbildlich agierende „Geschäftsstelle für Gemeindeentwicklung in Vorarlberg“ einen Wettbewerb mit dem Thema „Orte der Begegnung“ mit zwei ersten Preisen für Wolfurt und Sulzberg-Thal abschloß, ist für die raumordnungspolitische Problemlage symptomatisch: Konzentration auf die Entwicklung der inneren Ressourcen, auf das Finden der Mitte.
Wolfurt hat gute und typische Chancen: eine Marktgemeinde im zäsurarmen Ballungsraum Bregenz-Dornbirn, die ihren dörflichen Wurzeln sichtlich noch nicht weit entwachsen ist. Das Gemenge von alten und neuen Bauten ist unübersichtlich, die Kirche markiert immer noch die Mitte. Bauland ist genug vorhanden. Die frühere, den Dorfplatz querende Landstraße ist längst durch eine periphere Umfahrung abgelöst. Die Ortschaft ist für viele im Bewußtsein nicht mehr existent.
Was Wolfurt neuerdings aus der Bandstadt des Rheintals heraushebt, ist die strategisch angelegte Aufrüstung des Dorfkerns und der Dorfidentität. Der Preis für Dorf- und Stadtkernentwicklung wurde für die „professionelle Konzeptarbeit und die weitsichtige Bodenpolitik, die aktive Entwicklung des Bewußtseins, den pfleglichen Umgang mit vorhandenen sozialen und baukulturellen Ressourcen und den kritischen Dialog mit professionellen Begleitern“ et cetera zugesprochen. So wird seit Jahren Haus um Haus, Freiraum um Freiraum saniert. Architektonisch überzeugend ist etwa die Revitalisierung des „Alten Schwanen“ samt Dorfplatz als Kultur- und gesellschaftliches Zentrum, unweit entstanden der Marktplatz mit Tiefgarage und kleinere Neubauten von hoher Qualität.
Notwendig und richtig auch der nächste Schritt, als Ergänzung zur rückgewonnenen historischen Mitte um die Kirche ein zweites Ortszentrum an der auch schon „eingewachsenen“ Umfahrung zu entwickeln. Kein vitales Herz funktioniert mit nur einer Kammer. Kaum zehn Gehminuten von der Kirche entfernt ist ein markanter Gemeindesaal, eingebettet in einen Stadtpark, neben dem Vereinshaus und einer Schule entstanden. Lothar Huber aus Lustenau und das mittlerweile erfolgreich allein agierende junge Team Andreas Cukrowicz und Anton Nachbaur-Sturm aus Wolfurt haben 1994 den Wettbewerb gewonnen und 1998 einen Veranstaltungsbau realisiert, der für das langfristige Ziel einer zumindest bipolaren Siedlungsorganisation eine feste Wurzel schlägt.
Bestechend an diesem kommunalen Veranstaltungshaus ist, daß es scheinbar polare Qualitäten in sich vereint. Es ist fast simpel organisiert, also übersichtlich nutzbar, und trotzdem vermittelt es einen spezifischen Ausdruck alemannischen Selbstbewußtseins und hier öfters an anonymer Architektur anzutreffender dezenter Feierlichkeit. Der Bau ist eine einfache, ruhige Großform– allerdings mit kapriziösen Ausstülpungen für den Außenraumbezug –und ist mit angemessenem Aufwand errichtet worden, entwickelt aber eine hohe öffentliche Präsenz bei Tag und Nacht.
Im Inneren zeigt sich das marketinggerecht „Cubus“ genannte Haus als konseqent ausdetailliertes „warmes“ Holzfutteral für 800 Personen, von außen als in graugrünem Schiefer hart in das liebliche Gepräge des Dorfrandes gesetzter Erstbehauptungsversuch der Gemeinschaft. Zur räumlichen Erfüllung des Zentrumswunsches ist noch ein weiter Weg, aber eine starke Bedeutungsmitte ist gesetzt.
Die Intention der Architekten, ein städtisches Territorium als signalhafte Vorleistung in das Unstädtische zu setzen, geht auch deswegen auf, weil ihr Bau durch eine geometrisch rigide Parkanlage der Zürcher Landschaftsarchitekten Kienast & Vogt verstärkt wird. Vor und neben dem Saalbau spannt sich eine Folge durch Baumraster, Hecken und Kiesgevierte prästabilierter Freiflächen auf. Abseits blumenschmückender Absicht zeigt sich schon Jahre vor der wachstumsbedingten Raumwerdung ein hohes Aneignungspotential für den Bürger. Wegen des Überangebots an Brachen in der Umgebung kontrastiert es noch nicht richtig mit dem Privaten.
Das Hartgrün des Stadtparks und das hartgeschnittene Schiefergrün des „Cubus“ sind untrügliche Anzeichen wachsender kultureller und sozialer Kompetenz. Gemeinwohl braucht Vision, Konzept, Dialog und dann Aktion, wirksam imRaum. Wolfurt steckt in einem exemplarischen Selbstfindungsprozeß, den populistisch-ornamental orientierte Ortsbildbewahrer genau verfolgen sollten. Herzoperationen
Seinerzeit fehlten dazu vor allem die groben Infrastrukturen und die großen Zieldefinitionen einer nachhaltigen Raumordnungspolitik. Mittlerweile verfügt Vorarlberg über eine unbequeme, daher wirkungsvolle Raumplanungpraxis und eine hinreichende Infrastruktur. Der politische Wille zum geordneten Raum ist manifest und kann von der Verwaltung nachvollzogen werden. Knochen sind dem Land binnen zwei Jahrzehnten also bereits nachgewachsen.
Jüngst legte Fingerhuth in der Zeitschrift „Vorum“ dem Pfarrer aber einen fiktiven Satz zur aktuellen Situation in den Mund: „Das Problem Vorarlbergs ist, daß die Knochen und die Muskeln unserer Gemeinden schneller gewachsen sind als ihre Herzen.“
Sieht sich die Raumentwicklung Vorarlbergs also doch neuerlich mit einer existentiellen Frage konfrontiert? Fingerhuth ist überzeugt, daß zwar wesentliche Probleme zwischen den Siedlungen ausgeräumt wurden, daß aber viele Binnenfragen, etwa die zeitgemäße Zentrierung der Bebauungsstrukturen, noch ungelöst sind. Zahlreichen Ortschaften fehlt das vitale Herz.
Vorarlberg hat zwar die höchste Qualitätsdichte in der heimischen Architekturproduktion, so reif diese Objekte für sich auch sind, so offen bleibt häufig die Frage nach dem Ortsganzen. Daß kürzlich die beim Land angesiedelte, im österreichweiten Vergleich vorbildlich agierende „Geschäftsstelle für Gemeindeentwicklung in Vorarlberg“ einen Wettbewerb mit dem Thema „Orte der Begegnung“ mit zwei ersten Preisen für Wolfurt und Sulzberg-Thal abschloß, ist für die raumordnungspolitische Problemlage symptomatisch: Konzentration auf die Entwicklung der inneren Ressourcen, auf das Finden der Mitte.
Wolfurt hat gute und typische Chancen: eine Marktgemeinde im zäsurarmen Ballungsraum Bregenz-Dornbirn, die ihren dörflichen Wurzeln sichtlich noch nicht weit entwachsen ist. Das Gemenge von alten und neuen Bauten ist unübersichtlich, die Kirche markiert immer noch die Mitte. Bauland ist genug vorhanden. Die frühere, den Dorfplatz querende Landstraße ist längst durch eine periphere Umfahrung abgelöst. Die Ortschaft ist für viele im Bewußtsein nicht mehr existent.
Was Wolfurt neuerdings aus der Bandstadt des Rheintals heraushebt, ist die strategisch angelegte Aufrüstung des Dorfkerns und der Dorfidentität. Der Preis für Dorf- und Stadtkernentwicklung wurde für die „professionelle Konzeptarbeit und die weitsichtige Bodenpolitik, die aktive Entwicklung des Bewußtseins, den pfleglichen Umgang mit vorhandenen sozialen und baukulturellen Ressourcen und den kritischen Dialog mit professionellen Begleitern“ et cetera zugesprochen. So wird seit Jahren Haus um Haus, Freiraum um Freiraum saniert. Architektonisch überzeugend ist etwa die Revitalisierung des „Alten Schwanen“ samt Dorfplatz als Kultur- und gesellschaftliches Zentrum, unweit entstanden der Marktplatz mit Tiefgarage und kleinere Neubauten von hoher Qualität.
Notwendig und richtig auch der nächste Schritt, als Ergänzung zur rückgewonnenen historischen Mitte um die Kirche ein zweites Ortszentrum an der auch schon „eingewachsenen“ Umfahrung zu entwickeln. Kein vitales Herz funktioniert mit nur einer Kammer. Kaum zehn Gehminuten von der Kirche entfernt ist ein markanter Gemeindesaal, eingebettet in einen Stadtpark, neben dem Vereinshaus und einer Schule entstanden. Lothar Huber aus Lustenau und das mittlerweile erfolgreich allein agierende junge Team Andreas Cukrowicz und Anton Nachbaur-Sturm aus Wolfurt haben 1994 den Wettbewerb gewonnen und 1998 einen Veranstaltungsbau realisiert, der für das langfristige Ziel einer zumindest bipolaren Siedlungsorganisation eine feste Wurzel schlägt.
Bestechend an diesem kommunalen Veranstaltungshaus ist, daß es scheinbar polare Qualitäten in sich vereint. Es ist fast simpel organisiert, also übersichtlich nutzbar, und trotzdem vermittelt es einen spezifischen Ausdruck alemannischen Selbstbewußtseins und hier öfters an anonymer Architektur anzutreffender dezenter Feierlichkeit. Der Bau ist eine einfache, ruhige Großform– allerdings mit kapriziösen Ausstülpungen für den Außenraumbezug –und ist mit angemessenem Aufwand errichtet worden, entwickelt aber eine hohe öffentliche Präsenz bei Tag und Nacht.
Im Inneren zeigt sich das marketinggerecht „Cubus“ genannte Haus als konseqent ausdetailliertes „warmes“ Holzfutteral für 800 Personen, von außen als in graugrünem Schiefer hart in das liebliche Gepräge des Dorfrandes gesetzter Erstbehauptungsversuch der Gemeinschaft. Zur räumlichen Erfüllung des Zentrumswunsches ist noch ein weiter Weg, aber eine starke Bedeutungsmitte ist gesetzt.
Die Intention der Architekten, ein städtisches Territorium als signalhafte Vorleistung in das Unstädtische zu setzen, geht auch deswegen auf, weil ihr Bau durch eine geometrisch rigide Parkanlage der Zürcher Landschaftsarchitekten Kienast & Vogt verstärkt wird. Vor und neben dem Saalbau spannt sich eine Folge durch Baumraster, Hecken und Kiesgevierte prästabilierter Freiflächen auf. Abseits blumenschmückender Absicht zeigt sich schon Jahre vor der wachstumsbedingten Raumwerdung ein hohes Aneignungspotential für den Bürger. Wegen des Überangebots an Brachen in der Umgebung kontrastiert es noch nicht richtig mit dem Privaten.
Das Hartgrün des Stadtparks und das hartgeschnittene Schiefergrün des „Cubus“ sind untrügliche Anzeichen wachsender kultureller und sozialer Kompetenz. Gemeinwohl braucht Vision, Konzept, Dialog und dann Aktion, wirksam imRaum. Wolfurt steckt in einem exemplarischen Selbstfindungsprozeß, den populistisch-ornamental orientierte Ortsbildbewahrer genau verfolgen sollten. Herzoperationen
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