Bauwerk
Wasserkraftwerk Sohlstufe Salzach
maxRIEDER, Erich Wagner - Salzburg (A) - 2013
Barock für die Fische
Zwei Entwürfe für ein Flusskraftwerk in Salzburg: das Kraftwerk als schöne Maschine und ein ästhetischer Tribut an die Kraft des Wassers. Die Jury hat sich für den barocken Überschwang entschieden.
6. Mai 2007 - Christian Kühn
Wird heute von „Kunst“ gesprochen, so bezieht sich das so gut wie immer auf die Welt der Konzertsäle, Museen und Theater. Kaum jemand erinnert sich daran, dass es einmal durchaus üblich war, zwischen „schönen“ und „nützlichen“ Künsten zu unterscheiden. Im 18. und 19. Jahrhundert hat sich im Bereich des Bauens aus dieser Unterscheidung eine Demarkationslinie zwischen Architekten und Ingenieuren herausentwickelt, die bis heute nachwirkt. Fürs Schöne, so die geläufige Meinung, sind die Architekten zuständig, fürs Nützliche die Ingenieure. In Bereichen wie dem Straßenbau oder dem Wasserbau ist die ästhetische Komponente damit in der allgemeinen Wahrnehmung fast vollständig in den Hintergrund getreten. Wer wollte schon ernsthaft behaupten, dass eine Autobahn oder ein Kanal schön sein müssten?
Die geringen ästhetischen Ansprüche, die an sogenannte „Infrastrukturbauten“ gestellt werden, wären verschmerzbar, würde es sich dabei tatsächlich um unsichtbare Strukturen handeln. Das ist freilich nicht der Fall: Außerhalb der historischen Zentren von Städten und Dörfern sind es vor allem diese Bauten, die unserem Lebensraum Gestalt geben, und nur einer kollektiven Autosuggestion ist es zu verdanken, dass wir das oft gar nicht mehr wahrnehmen. Erst wenn diese Infrastruktur in kurzer Zeit zu wuchern beginnt und ins gewohnte Bild drängt, wie das derzeit an Österreichs Autobahnen durch den Einbau von Lärmschutzwänden geschieht, wird die Öffentlichkeit ein wenig unruhig.
Da sind die Fehler aber meist nicht mehr korrigierbar. Denn die ästhetische Qualität eines Infrastrukturbauwerks ist nichts, das sich im Nachhinein dazukaufen ließe. Sie wird bereits in Projektphasen geformt, in denen noch nichts zu sehen ist, vor allem in der raumplanerischen und städtebaulichen Konzeption, aber auch auf Nebenschauplätzen, die scheinbar nichts mit Ästhetik zu tun haben. So geht der aktuelle Bauboom bei Lärmschutzwänden auf eine unscheinbare Ziffer zurück, mit der der damalige Wirtschaftsminister Johannes Farnleitner 1999 den zulässigen Lärmpegel für die Anrainer von Autobahnen um fünf Dezibel und damit auf den strengsten Wert Europas herabsetzte: Sicher eine Entlastung für die Anrainer, vor allem aber eine Freude für die Bauwirtschaft, die heute im Auftrag der Asfinag Lärmschutzmaßnahmen von über 400 Millionen Euro pro Jahr ausführen darf, ein beträchtlicher Teil davon zur Sanierung von Mängeln in der Raumplanung und Flächenwidmung.
Die Lehre aus solchen Entwicklungen kann nur darin bestehen, die saubere Trennung zwischen Schönheit und Nützlichkeit aufzugeben und auch Infrastrukturbauten von Anfang an als sowohl technische wie gestalterische Problemstellungen zu behandeln. Wie produktiv die Diskussion sein kann, in die man dabei gerät, zeigt der soeben entschiedene Wettbewerb für das neue Flusskraftwerk im Salzburger Stadtteil Lehen. Ähnlich wie beim Beispiel der Lärmschutzwände geht es auch hier nicht nur um den primären Nutzen, nämlich die Energiegewinnung, sondern zugleich um die Sanierung von Umweltfolgen. Denn an sich liegt die erreichbare Fallhöhe des Wassers an dieser Stelle mit 6,5 Metern deutlich unter dem Wert von neun bis zehn Metern, ab dem üblicherweise ein solches Kraftwerk errichtet wird. Sein Zweck besteht allerdings nicht nur in der Energiegewinnung, sondern auch in der Erhaltung des Schotterbetts der Salzach, das inzwischen gefährlich dünn geworden ist. Würde die Strömung nicht durch eine neue Staustufe verlangsamt, wären umfangreiche und teure Sanierungsmaßnahmen an der Fluss-Sohle nötig gewesen, um die Gefahr eines Einbruchs der Uferböschungen zu verhindern.
Technisch besteht ein solches Kraftwerk aus einem Wehr, dessen Tore im Hochwasserfall geöffnet werden können, einem Krafthaus mit Kaplanturbinen, einer Wartungsbrücke, die für einen 90-Tonnen-Kran zum Austausch von Systemteilen befahrbar sein muss. Dazu kommt eine Fischtreppe, die eine Unterbrechung des Ökosystems verhindert. Städtebaulich liegt das Kraftwerk an einem spannenden Punkt: Auf der einen Seite befindet sich ein dicht besiedeltes Wohngebiet, auf der anderen ein Stück Auwald, das die bisherige Flussregulierung überlebt hat.
Im geladenen Wettbewerb, den die Salzburg AG ausgeschrieben hatte, blieben nach der ersten Phase noch zwei Projekte übrig, die völlig unterschiedlich an die Aufgabe herangingen. Dietmar Feichtinger, aus Graz stammender Architekt mit Büro in Paris, gestaltete das Kraftwerk als schöne Maschine: Die Wehrpfeiler stemmen sich gegen die Wasserwand, alle Energie fließt ins Krafthaus, dessen elegant abgerundeten Kanten eine eigenständige Figur am Ufer am Auwald bildet. Die Verbindungsbrücke ist eine leichte Stahlkonstruktion mit aufgelöstem Tragwerk, über dem mittig eine befahrbare Betonplatte mit beiderseitig begleitenden, begehbaren Holzrosten liegt.
Erich Wagner und Max Rieder geht es dagegen vor allem darum, die Kraft des Flusses zu zeigen, als würde er über die Schwelle stürzen und sprudeln. Ihre Wehrpfeiler sind weit flussabwärts gezogen, wie von der Strömung mitgerissen, und bäumen sich über dem Wehr zu mächtigen, zur Stadt blickenden und von dort sichtbaren Skulpturen auf. Im Projekt der ersten Stufe bestanden diese Skulpturen noch aus zwei Teilen, 70 Meter langen, schmalen Metallsegeln, die auf dynamisch geformten Wehrpfeilern aus Beton auflagerten. Im endgültigen Projekt sind die Wehrpfeiler deutlich verkürzt, die Skulpturen vereinfacht und aus den Metallsegeln ist eine spiegelnde Verblechung der Schnittflächen geworden. Rüdiger Lainer, der Vorsitzende der Jury, hatte Max Rieder in Anspielung an zwei Barockarchitekten unterschiedlichen Temperaments ersucht, sein Projekt in der Überarbeitung „von Borromini in Richtung Bernini zu domestizieren“.
Am Ende hat sich die Jury gegen die schöne Technik und für den barocken Überschwang entschieden. Das Projekt von Wagner und Rieder ist jedenfalls die signifikantere Lösung: Nachts beleuchtet, wird es weithin sichtbar sein, und die kleinen, über Treppen erreichbaren „Strandkörbe“, die Rieder in die Pfeiler integriert hat, bieten den Spaziergängern umgekehrt einen Blick übers Wasser. Auch die Anknüpfung an den Auwald ist geschickt gelöst, das Kraftwerk wirkt als hartes technisches Implantat, in dem die Fischtreppe pulsiert und den Fischen ein wenig Ausblick auf den Barock bietet.
Jetzt muss die Salzburg AG nur noch beweisen, dass sie auch die Kosten für ihren Ausflug ins Skulpturale zu tragen bereit ist. In einer Stadt, die mit der „schönen Wasserbaukunst“ schon seit dem frühen 17. Jahrhundert vertraut ist, als der Fürsterzbischof Markus Sittikus im Schlosspark von Hellbrunn die berühmten Wasserspiele anlegen ließ, sollte das kein Problem sein.
Die geringen ästhetischen Ansprüche, die an sogenannte „Infrastrukturbauten“ gestellt werden, wären verschmerzbar, würde es sich dabei tatsächlich um unsichtbare Strukturen handeln. Das ist freilich nicht der Fall: Außerhalb der historischen Zentren von Städten und Dörfern sind es vor allem diese Bauten, die unserem Lebensraum Gestalt geben, und nur einer kollektiven Autosuggestion ist es zu verdanken, dass wir das oft gar nicht mehr wahrnehmen. Erst wenn diese Infrastruktur in kurzer Zeit zu wuchern beginnt und ins gewohnte Bild drängt, wie das derzeit an Österreichs Autobahnen durch den Einbau von Lärmschutzwänden geschieht, wird die Öffentlichkeit ein wenig unruhig.
Da sind die Fehler aber meist nicht mehr korrigierbar. Denn die ästhetische Qualität eines Infrastrukturbauwerks ist nichts, das sich im Nachhinein dazukaufen ließe. Sie wird bereits in Projektphasen geformt, in denen noch nichts zu sehen ist, vor allem in der raumplanerischen und städtebaulichen Konzeption, aber auch auf Nebenschauplätzen, die scheinbar nichts mit Ästhetik zu tun haben. So geht der aktuelle Bauboom bei Lärmschutzwänden auf eine unscheinbare Ziffer zurück, mit der der damalige Wirtschaftsminister Johannes Farnleitner 1999 den zulässigen Lärmpegel für die Anrainer von Autobahnen um fünf Dezibel und damit auf den strengsten Wert Europas herabsetzte: Sicher eine Entlastung für die Anrainer, vor allem aber eine Freude für die Bauwirtschaft, die heute im Auftrag der Asfinag Lärmschutzmaßnahmen von über 400 Millionen Euro pro Jahr ausführen darf, ein beträchtlicher Teil davon zur Sanierung von Mängeln in der Raumplanung und Flächenwidmung.
Die Lehre aus solchen Entwicklungen kann nur darin bestehen, die saubere Trennung zwischen Schönheit und Nützlichkeit aufzugeben und auch Infrastrukturbauten von Anfang an als sowohl technische wie gestalterische Problemstellungen zu behandeln. Wie produktiv die Diskussion sein kann, in die man dabei gerät, zeigt der soeben entschiedene Wettbewerb für das neue Flusskraftwerk im Salzburger Stadtteil Lehen. Ähnlich wie beim Beispiel der Lärmschutzwände geht es auch hier nicht nur um den primären Nutzen, nämlich die Energiegewinnung, sondern zugleich um die Sanierung von Umweltfolgen. Denn an sich liegt die erreichbare Fallhöhe des Wassers an dieser Stelle mit 6,5 Metern deutlich unter dem Wert von neun bis zehn Metern, ab dem üblicherweise ein solches Kraftwerk errichtet wird. Sein Zweck besteht allerdings nicht nur in der Energiegewinnung, sondern auch in der Erhaltung des Schotterbetts der Salzach, das inzwischen gefährlich dünn geworden ist. Würde die Strömung nicht durch eine neue Staustufe verlangsamt, wären umfangreiche und teure Sanierungsmaßnahmen an der Fluss-Sohle nötig gewesen, um die Gefahr eines Einbruchs der Uferböschungen zu verhindern.
Technisch besteht ein solches Kraftwerk aus einem Wehr, dessen Tore im Hochwasserfall geöffnet werden können, einem Krafthaus mit Kaplanturbinen, einer Wartungsbrücke, die für einen 90-Tonnen-Kran zum Austausch von Systemteilen befahrbar sein muss. Dazu kommt eine Fischtreppe, die eine Unterbrechung des Ökosystems verhindert. Städtebaulich liegt das Kraftwerk an einem spannenden Punkt: Auf der einen Seite befindet sich ein dicht besiedeltes Wohngebiet, auf der anderen ein Stück Auwald, das die bisherige Flussregulierung überlebt hat.
Im geladenen Wettbewerb, den die Salzburg AG ausgeschrieben hatte, blieben nach der ersten Phase noch zwei Projekte übrig, die völlig unterschiedlich an die Aufgabe herangingen. Dietmar Feichtinger, aus Graz stammender Architekt mit Büro in Paris, gestaltete das Kraftwerk als schöne Maschine: Die Wehrpfeiler stemmen sich gegen die Wasserwand, alle Energie fließt ins Krafthaus, dessen elegant abgerundeten Kanten eine eigenständige Figur am Ufer am Auwald bildet. Die Verbindungsbrücke ist eine leichte Stahlkonstruktion mit aufgelöstem Tragwerk, über dem mittig eine befahrbare Betonplatte mit beiderseitig begleitenden, begehbaren Holzrosten liegt.
Erich Wagner und Max Rieder geht es dagegen vor allem darum, die Kraft des Flusses zu zeigen, als würde er über die Schwelle stürzen und sprudeln. Ihre Wehrpfeiler sind weit flussabwärts gezogen, wie von der Strömung mitgerissen, und bäumen sich über dem Wehr zu mächtigen, zur Stadt blickenden und von dort sichtbaren Skulpturen auf. Im Projekt der ersten Stufe bestanden diese Skulpturen noch aus zwei Teilen, 70 Meter langen, schmalen Metallsegeln, die auf dynamisch geformten Wehrpfeilern aus Beton auflagerten. Im endgültigen Projekt sind die Wehrpfeiler deutlich verkürzt, die Skulpturen vereinfacht und aus den Metallsegeln ist eine spiegelnde Verblechung der Schnittflächen geworden. Rüdiger Lainer, der Vorsitzende der Jury, hatte Max Rieder in Anspielung an zwei Barockarchitekten unterschiedlichen Temperaments ersucht, sein Projekt in der Überarbeitung „von Borromini in Richtung Bernini zu domestizieren“.
Am Ende hat sich die Jury gegen die schöne Technik und für den barocken Überschwang entschieden. Das Projekt von Wagner und Rieder ist jedenfalls die signifikantere Lösung: Nachts beleuchtet, wird es weithin sichtbar sein, und die kleinen, über Treppen erreichbaren „Strandkörbe“, die Rieder in die Pfeiler integriert hat, bieten den Spaziergängern umgekehrt einen Blick übers Wasser. Auch die Anknüpfung an den Auwald ist geschickt gelöst, das Kraftwerk wirkt als hartes technisches Implantat, in dem die Fischtreppe pulsiert und den Fischen ein wenig Ausblick auf den Barock bietet.
Jetzt muss die Salzburg AG nur noch beweisen, dass sie auch die Kosten für ihren Ausflug ins Skulpturale zu tragen bereit ist. In einer Stadt, die mit der „schönen Wasserbaukunst“ schon seit dem frühen 17. Jahrhundert vertraut ist, als der Fürsterzbischof Markus Sittikus im Schlosspark von Hellbrunn die berühmten Wasserspiele anlegen ließ, sollte das kein Problem sein.
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