Bauwerk
Wohnbauprojekt in Wulkaprodersdorf
polar÷ - Wulkaprodersdorf (A) - 2009
Schmaler geht's nicht
Was braucht man, um dem Leben und Wohnen auf dem Land eine neue Richtung zu geben? Politische Fantasie und mutige Bürgermeister. Wie etwa im burgenländischen Wulkaprodersdorf.
6. Februar 2009 - Christian Kühn
Zur Vorbereitung für die folgende Lektüre gehen Sie am besten an Ihren Computer, starten Google Earth, geben den Begriff „Wulkaprodersdorf“ ein und lassen sich langsam vom Weltkugelmaßstab ins Burgenländische zaubern, zu einer kleinen, zehn Autominuten von Eisenstadt entfernten Ortschaft mit 2000 Einwohnern. Vielleicht erklären Sie mir nach dieser Übung, dass der Effekt so neu auch wieder nicht ist, immerhin gab es auch früher Atlanten, Lexika und Globen, mit denen man mit dem Finger auf der Landkarte reisen konnte. Der revolutionäre Unterschied besteht aber darin, dass auf einem Globus Orte wie Wulkaprodersdorf niemals zu finden sein werden und umgekehrt auf einer Karte, die Wulkaprodersdorf zeigt, vom Rest der Welt nicht mehr viel zu spüren ist. In Programmen wie Google Earthsind das Große und das Kleine aber fugenlosmiteinander verbunden, Distanzen schrump-fen, und Zusatzinformationen in Form von Wikipedia-Einträgen, Fotos und Annotationen von Benutzern lassen die Welt als kugelförmiges Buch erscheinen, in dem alles mit allem verknüpft ist.
Man könnte vermuten, dass dieser veränderte Blick auf die Welt auch zu neuen Vorstellungen vom Leben und Wohnen im ländlichen Raum führen sollte. Die ersten Anzeichen dafür sind noch spärlich, aber immer öfter finden sich Projekte, die auf dem Land das bisherige Idealbild des Eigenheims, das frei stehende Haus mit seiner kleinen Gartenparzelle, hinter sich lassen. Dieses Ideal hat, flächendeckend umgesetzt, den gravierenden Nachteil einer totalen Abhängigkeit vom Individualverkehr. Dass Landleben heute nicht zuletzt Pendeln bedeutet, ist zwar klar: Wer in Wulkaprodersdorf lebt, lebt zugleich in Eisenstadt, Sopron und Wien, das nur eine knappe dreiviertel Stunde entfernt liegt, und er pendelt nicht nur zur Arbeitsstätte, sondern auch zu vielen kulturellen undsozialen Bezugspunkten. Aber wenn auch fürdie alltäglichen Besorgungen und Kontakte ein Auto Voraussetzung ist, führt sich das Ideal des naturverbundenen Lebens auf demLand rasch selbst ad absurdum.
Zugleich führt die Ausbreitung von Siedlungen am Ortsrand zu einer zunehmenden Verödung der Ortskerne, da sich mit den Bewohnern auch die Infrastruktur verlagert. Diese Entwicklung ist längst bekannt, und esfehlt auch nicht an guten Ratschlägen von Architekten und Raumplanern für eine Revitalisierung der Ortskerne. Um solche Konzepte umzusetzen, braucht es allerdings politische Fantasie und Mut auf der Ebene der Bürgermeister. Immerhin geht es um nichts Geringeres, als den Vorstellungen vom idealen Landleben eine neue Richtung zu geben.
Wulkaprodersdorf hat mit Rudolf Haller einen Bürgermeister, der die nötige Fantasie dafür aufbringt. Seit einigen Jahren kauft dieGemeinde Grundstücke im Zentrum des Ortsund versucht dort, neue Wohntypologien zu realisieren. Das ist in Wulkaprodersdorf nichtso einfach, da der Ort zum großen Teil aus alten, sogenannten Streckhöfen mit Parzellenvon rund zehn mal 100 Metern besteht. DieseBebauungsform hat Architekten schon langefasziniert, nicht zuletzt Roland Rainer, der siezum Thema seines Buchs über „Anonymes Bauen im Nordburgenland“ gemacht hat.
Nach Wulkaprodersdorf kam der Vorschlag, solche Parzellen neuen Nutzungen zuzuführen, durch den Eisenstädter Architekten Klaus-Jürgen Bauer, der als Vorsitzender des Architekturraums Burgenland Bürgermeister anschrieb, ob sie nicht Interesse daran hätten, Ortskerne auf diese Art zu revitalisieren. Wulkaprodersdorf reagierte als eine von wenigen Gemeinden und veranstaltete einen Ideenwettbewerb mit vier Architektenteams für eine verfügbare Parzelle im Ortskern. Bemerkenswert an diesem Verfahren ist, dass der Gemeinderat als Jury fungierte. Das entspricht zwar nicht den Konventionen von Architekturwettbewerben, bei denen ja stets eine Fachjury entscheiden sollte, hatte aber den großen Vorteil einer sehr offen geführten Diskussion, an der sich viele Bürger bei mehreren Stufen des Wettbewerbs beteiligen konnten.
Zur Ausführung gelangte schließlich das Projekt der Architekten Margot Fürtsch und Siegfried Loos, die gemeinsam unter dem Namen polar÷ firmieren. Es sieht fünf Häuser vor, die in zwei Gruppen jeweils eine Grundfläche von nur 120 Quadratmetern beanspruchen und einen kleinen, nicht einsehbaren Innenhof einschließen. Jedes Haus ist direkt mit dem PKW zu erreichen und verfügt über zwei überdachte Stellplätze. Typologisch bieten die Häuser klar geschnittene Grundrisse in mehreren Varianten, mit einem besonderen Augenmerk auf Freiflächen, die als Hof, Terrasse oder Balkon fast jedem Raum seinen eigenen Außenbereich zuordnen. Die Belichtung des Wohn- und Essraums, der sich zum Hof hin orientiert, ist durch einen Bereich mit größerer Raumhöhe, der über hohe Fenster viel Licht hereinbringt, geschickt gelöst. Die Hoftypen erlauben es auch, den Weg vor den Häusern als öffentlichen Durchgang zu definieren, und ermöglichen so eine zusätzliche Verknüpfung zwischen den Hauptstraßen des Orts.
Im Detail ist manches an den Häusern etwas grob umgesetzt, etwa die Geländer der Treppen und einige Elemente der Fassade wie etwa die Jalousiekästen. Die ausführende Genossenschaft „Neue Eisenstädter“ hat im Endausbau der Häuser auf Standards zurückgegriffen, die mit der von den Architekten angestrebten urbanen Wohnatmosphäre nichts mehr zu tun haben. In der Summe sind die Häuser aber auch formal durchaus gelungen, und manche Details lassen sich nachträglich ohne viel Aufwand ändern. Dass bisher erst eines der Häuser verkauft ist,dürfte daher nur zum Teil daran liegen, dass der Bauherr im Finale die eigentliche Zielgruppe aus den Augen verloren hat. Wichtiger sind ökonomische Gründe, da die Häuser nicht weniger kosten als ein konventionelles, teilweise selbst ausgebautes Einfamilienhaus mit deutlich mehr Eigengrund.
Diesen Nachteil hätte ein innovatives Energiekonzept ausgleichen können, dessen noch höhere Kosten aber niemand riskieren wollte: Eine Gasheizung, ergänzt durch Solarpaneele am Dach, ist heute bestenfalls guter Durchschnitt. Käufer werden die Häuser trotzdem finden. Die Zukunft des „ländlichen Bauens“ gehört aber der Verbindung von innovativen Typologien, raffinierter Vorfertigung und Passivhausstandard. Die Fantasie dafür ist in Wulkaprodersdorf jedenfalls vorhanden.
Man könnte vermuten, dass dieser veränderte Blick auf die Welt auch zu neuen Vorstellungen vom Leben und Wohnen im ländlichen Raum führen sollte. Die ersten Anzeichen dafür sind noch spärlich, aber immer öfter finden sich Projekte, die auf dem Land das bisherige Idealbild des Eigenheims, das frei stehende Haus mit seiner kleinen Gartenparzelle, hinter sich lassen. Dieses Ideal hat, flächendeckend umgesetzt, den gravierenden Nachteil einer totalen Abhängigkeit vom Individualverkehr. Dass Landleben heute nicht zuletzt Pendeln bedeutet, ist zwar klar: Wer in Wulkaprodersdorf lebt, lebt zugleich in Eisenstadt, Sopron und Wien, das nur eine knappe dreiviertel Stunde entfernt liegt, und er pendelt nicht nur zur Arbeitsstätte, sondern auch zu vielen kulturellen undsozialen Bezugspunkten. Aber wenn auch fürdie alltäglichen Besorgungen und Kontakte ein Auto Voraussetzung ist, führt sich das Ideal des naturverbundenen Lebens auf demLand rasch selbst ad absurdum.
Zugleich führt die Ausbreitung von Siedlungen am Ortsrand zu einer zunehmenden Verödung der Ortskerne, da sich mit den Bewohnern auch die Infrastruktur verlagert. Diese Entwicklung ist längst bekannt, und esfehlt auch nicht an guten Ratschlägen von Architekten und Raumplanern für eine Revitalisierung der Ortskerne. Um solche Konzepte umzusetzen, braucht es allerdings politische Fantasie und Mut auf der Ebene der Bürgermeister. Immerhin geht es um nichts Geringeres, als den Vorstellungen vom idealen Landleben eine neue Richtung zu geben.
Wulkaprodersdorf hat mit Rudolf Haller einen Bürgermeister, der die nötige Fantasie dafür aufbringt. Seit einigen Jahren kauft dieGemeinde Grundstücke im Zentrum des Ortsund versucht dort, neue Wohntypologien zu realisieren. Das ist in Wulkaprodersdorf nichtso einfach, da der Ort zum großen Teil aus alten, sogenannten Streckhöfen mit Parzellenvon rund zehn mal 100 Metern besteht. DieseBebauungsform hat Architekten schon langefasziniert, nicht zuletzt Roland Rainer, der siezum Thema seines Buchs über „Anonymes Bauen im Nordburgenland“ gemacht hat.
Nach Wulkaprodersdorf kam der Vorschlag, solche Parzellen neuen Nutzungen zuzuführen, durch den Eisenstädter Architekten Klaus-Jürgen Bauer, der als Vorsitzender des Architekturraums Burgenland Bürgermeister anschrieb, ob sie nicht Interesse daran hätten, Ortskerne auf diese Art zu revitalisieren. Wulkaprodersdorf reagierte als eine von wenigen Gemeinden und veranstaltete einen Ideenwettbewerb mit vier Architektenteams für eine verfügbare Parzelle im Ortskern. Bemerkenswert an diesem Verfahren ist, dass der Gemeinderat als Jury fungierte. Das entspricht zwar nicht den Konventionen von Architekturwettbewerben, bei denen ja stets eine Fachjury entscheiden sollte, hatte aber den großen Vorteil einer sehr offen geführten Diskussion, an der sich viele Bürger bei mehreren Stufen des Wettbewerbs beteiligen konnten.
Zur Ausführung gelangte schließlich das Projekt der Architekten Margot Fürtsch und Siegfried Loos, die gemeinsam unter dem Namen polar÷ firmieren. Es sieht fünf Häuser vor, die in zwei Gruppen jeweils eine Grundfläche von nur 120 Quadratmetern beanspruchen und einen kleinen, nicht einsehbaren Innenhof einschließen. Jedes Haus ist direkt mit dem PKW zu erreichen und verfügt über zwei überdachte Stellplätze. Typologisch bieten die Häuser klar geschnittene Grundrisse in mehreren Varianten, mit einem besonderen Augenmerk auf Freiflächen, die als Hof, Terrasse oder Balkon fast jedem Raum seinen eigenen Außenbereich zuordnen. Die Belichtung des Wohn- und Essraums, der sich zum Hof hin orientiert, ist durch einen Bereich mit größerer Raumhöhe, der über hohe Fenster viel Licht hereinbringt, geschickt gelöst. Die Hoftypen erlauben es auch, den Weg vor den Häusern als öffentlichen Durchgang zu definieren, und ermöglichen so eine zusätzliche Verknüpfung zwischen den Hauptstraßen des Orts.
Im Detail ist manches an den Häusern etwas grob umgesetzt, etwa die Geländer der Treppen und einige Elemente der Fassade wie etwa die Jalousiekästen. Die ausführende Genossenschaft „Neue Eisenstädter“ hat im Endausbau der Häuser auf Standards zurückgegriffen, die mit der von den Architekten angestrebten urbanen Wohnatmosphäre nichts mehr zu tun haben. In der Summe sind die Häuser aber auch formal durchaus gelungen, und manche Details lassen sich nachträglich ohne viel Aufwand ändern. Dass bisher erst eines der Häuser verkauft ist,dürfte daher nur zum Teil daran liegen, dass der Bauherr im Finale die eigentliche Zielgruppe aus den Augen verloren hat. Wichtiger sind ökonomische Gründe, da die Häuser nicht weniger kosten als ein konventionelles, teilweise selbst ausgebautes Einfamilienhaus mit deutlich mehr Eigengrund.
Diesen Nachteil hätte ein innovatives Energiekonzept ausgleichen können, dessen noch höhere Kosten aber niemand riskieren wollte: Eine Gasheizung, ergänzt durch Solarpaneele am Dach, ist heute bestenfalls guter Durchschnitt. Käufer werden die Häuser trotzdem finden. Die Zukunft des „ländlichen Bauens“ gehört aber der Verbindung von innovativen Typologien, raffinierter Vorfertigung und Passivhausstandard. Die Fantasie dafür ist in Wulkaprodersdorf jedenfalls vorhanden.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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