Bauwerk

Umbrüggler Alm
Elmar Ludescher, Philip Lutz - Innsbruck (A) - 2016
Umbrüggler Alm, Foto: Elmar Ludescher
Umbrüggler Alm, Foto: Elmar Ludescher

Hüttenzauber

Ausflugsgaststätte »Umbrüggler Alm« in Innsbruck (A)

Mit einer gestalterischen Haltung, die einen hohen Anspruch erkennen lässt, dabei aber nicht schicker sein möchte, als es für den Ort passend erscheint, haben die Architekten hoch über Innsbruck einen gleicher­maßen raubeinigen wie eleganten Sehnsuchtsort geschaffen, der – stadtnah gelegen – kaum anders konnte als zur Erfolgsgeschichte zu werden.

5. Dezember 2016 - Achim Geissinger
Bei schönem Wetter ist ganz Innsbruck am Berg, d. h. allermindestens auf der sonnenverwöhnten Südseite des Karwendels im Wald und auf den Almen unterwegs – Teile davon sind mit der einst von Zaha Hadid gestalteten Hungerburgbahn (s. db 3/2008) leicht zu erreichen.

Die Stadtverwaltung weiß nur zu gut darum und gönnte den Bürgern auf ­öffentlichem Grund den Bau einer neuen Ausflugsgaststätte. Der Standort hat Tradition, schon seit Jahrhunderten wurde auf der Umbrüggler Alm Weidewirtschaft betrieben und bekam der Wanderer vom Senn zu essen und zu trinken. 1873 gab es mit dem Neubau der Hütte gleichzeitig auch eine offizi­elle Schankerlaubnis – mit der es ein Jahrhundert später, 1979, allerdings ein Ende nahm, weil die Lebensmittelpolizei kein Auge mehr zudrücken konnte und das bis dahin marode Gebäude abgerissen wurde.

Für den Neubau wollten die beiden im Verbund arbeitenden und im Wett­bewerb siegreichen Bregenzer Architekten Elmar Ludescher und Philip Lutz mit möglichst wenig Erdbewegung auskommen und versenkten so das geräumige UG allein rückseitig im Hang – ein wenig oberhalb des alten Standorts, den Berg im Rücken und die volle Aussicht vor sich.

Aus der Ferne wirkt das Gebäude trotz seiner relativen Größe, der mehrfach gebrochenen Grundrissfigur und dem vielflächigen Dach wenig aufgeregt. Die Dachdeckung aus drei Lagen Lärchenschindeln ist im Vergrauen begriffen, zeitverzögert wird auch die Schindelbekleidung der Wände folgen und sich dem Farbton der umstehenden Fichtenstämme anpassen. Als Farbtupfer erhalten bleiben werden die sommerliche Terrassenmöblierung, die zurückgesetzten, unbewitterten Holzfassaden und die Spiegelungen in dem gläsernen Fassadenband, welches dem Gebäude einen Hauch von fliegender Untertasse verleiht.

Auf Qualität geachtet

Von warmer Gastlichkeit kündet der rauchende Kamin, der die Holzfeuerung und zwei offene Kamine in den beiden Gaststuben bedient. Das Innere ist ein Traum in Holz. Die Wände sind mit bandsägerauer Weißtanne bekleidet, der Boden damit belegt. Den Anspruch an die Holzoberflächen ­haben die Architekten aus Vorarlberg mitgebracht und im Sägewerk auf Herzdielenschnitt mit stehenden Jahren geachtet, wie auch darauf, dass die ausführende Firma vor Ort die Herausforderungen der komplexen Deckengeo­metrie meisterte. Die geschlitzten Akustikpaneele aus Weißtanne sorgen für eine angenehme Hörsamkeit, die trotz der Größe des Raums nicht ins Hallige abdriftet, eine gewisse Intimität am Tisch bleibt gewahrt. Locker, aber mit geübter Hand über die Deckenuntersicht verstreute Punkstrahler, Bewegungs- und Rauchmelder ergeben zusammen mit den Stößen unterschiedlicher Holzfarben ein lebendigeres Bild als es die Fotos vermuten lassen; auf diesen wirken die Räume sehr viel »cleaner«, als das realiter der Fall ist. Der raue Charme, dem etwas Provisorisches, vielleicht sogar Werkstatthaftes anhaftet, passt gut zur rusti­kalen Tradition des Orts – vervollständigt durch kantige, ins Klobige tendierende, dennoch elegante Stühle und Tische nach Entwurf der Architekten. All das kann ruhig ein wenig schmutzig werden und angestoßen sein; die Patina wird dieser Neuinterpretation einer Almhütte eher gut tun und den unvorbereiteten Wanderer davon abhalten, sich dem zeitgenös­sischen Schick mit zu großer Ehrfurcht zu nähern.

Dünne, schwarze Stützen innen vor der Dreischeibenverglasung gewähren maximale Aussicht: ein nahezu 180° umfassendes Panorama Wald-Tal-Berge, vom auskragenden Dach beschattet und gerahmt, über die Stadt, zur Bergisel-Schanze und weit darüber hinaus. Ein räumlicher Kniff verhindert, dass die Horizontalität die Oberhand gewinnt: Die zur Raummitte hin ansteigende Zeltform der Decke mündet in eine bergende Geste und schafft Konzentra­tion in den Raum hinein statt zur Aussicht hin. Man mag den Begriff kaum benutzen, aber der Rezensent fand es dort schon sehr gemütlich und blieb auch deutlich länger sitzen als geplant – um die sauberen Details und die unauffällig integrierten Ideen zu studieren, wie z. B. eine die Fensterseite begleitende Bank (jeder will immer am liebsten auf der Bank sitzen), das Fugenbild oder die Lüftungsleiste zwischen Fassade und Decke, die auf die Komfort­lüftung mit Wärmerückgewinnung und somit auf den nachhaltigen Betrieb verweist, der dem ganzen Projekt abverlangt wurde. Genutzt werden auch die Abwärme von Kühlzellen und Küche – gekocht wird mit Gas. Warmwasser steuert ein Sonnenkollektor am Hang bei, das Gros der Wärme liefert die Stückholz-Heizung, unterstützt von den offenen Kaminen. Die komplexe Technik des Lüftungsgeräts ist auf einer Empore zwischen Dach und der in ­einer freien, von den Dachflächen unabhängigen Form abgehängten Decke untergebracht.

Das Wasser stammt von einer Quelle auf dem Grundstück, die Entwässerung erfolgt über ein Kanalsystem, das die Stadt schon früh für die auf dem weitläufigen Hang verstreuten Gehöfte und Forsthäuser angelegt hat.

So wie die Stadt mit den Architekten die richtigen Partner für die Umsetzung ihres Slogans alpin | urban gefunden hat, so hat sich bei der Gastronomieausschreibung auch das passende Konzept der Vollblutgastronomin Sonja Schütz durchgesetzt: Ihre Speisekarte orientiert sich an traditionellen Gerichten der Region, die üblichen Fertigprodukte kommen bei ihr nicht auf den Tisch, alles wird aus möglichst regionalen Zutaten frisch gekocht, gebacken, zubereitet. Mit der hohen Qualität, die freilich ihren – keineswegs zu hoch angesetzten – Preis hat, überzeugt sie auch die zunächst skeptischen Gäste, die von anderen Bergstationen schnelle, billige Dutzendware gewohnt sind. Die warmherzige, zupackende Wirtin verbringt mit ihrem Lebenspartner ganze Wochen auf der Alm, die kleine Wohnung im UG bietet dazu die nötigen Schlafplätze. Das übrige Personal nimmt bisweilen täglich den steilen Aufstieg in Kauf; das Befahren der Waldwege wird so gut wie niemandem ­erlaubt, Stellplätze gibt es ohnehin nur für die Pächter selbst.

Dennoch finden sich bei schönem Wetter, v. a. an Feiertagen und Wochenenden zahllose Gäste ein, die kaum mehr auf die geschotterte Terrasse passen. Diese soll bald, da sich der Untergrund ausreichend gesetzt hat, einen Holzrost erhalten. Im Innern lässt sich die Bewirtung noch auf einen Nebenraum ausweiten, der bisweilen für private Anlässe und auch Seminare genutzt wird, und notfalls sogar noch auf den sogenannten Naturraum, eine kleine Ausstellung zur Fauna und zur Zugänglichkeit des Naturparks Karwendel. Leider ist der Ausstellungsraum durch seine Lage im Gebäude, wiewohl über den ­Balkon von außen zugänglich, kaum zu finden – eine Beschilderung ist in ­Arbeit. Auch versucht die Pächterin noch, die durchaus geräumige Küche weiter zu optimieren, die der Küchenplaner für eine ganze Reihe von Eventualitäten auszulegen hatte und nicht perfekt auf ein einzelnes Küchenkonzept hin ausrichten konnte. Die mit schönem Kontrast von Holzoberflächen und anthrazitfarbenen Fliesen und Trennwänden die Dunkelheit im Untergrund thematisierenden Sanitärräume im UG zeigen in den Edelstahlwaschbecken, wie kalkhaltig das Alpenquellwasser ist. Freilich darf man sich auch über­legen, warum ein Gebäude, das im Grunde aus einer Betonstruktur besteht, nach allen Seiten wie ein Holzbau daherkommen soll, und wie gut es die ­damit einhergehende Unehrlichkeit verträgt. Unweigerlich führt das aber zum unausführbaren Spagat zwischen gewünschter Anmutung, erhofften ­Anknüpfungspunkten, emotionaler Zugänglichkeit und den nackten Anforderungen an ein bezahlbares, funktionales, nutzbares Stück Hightech, das Schneelasten tragen und auch einem Lawinenabgang standhalten kann.
Insofern sind alle Beteiligten zu loben, dass sie ernsthaft für ein passendes Stück Architektur an dieser Stelle gefochten haben: die architekturaffine Bürgermeisterin als treibende Kraft der Architekturqualität in Innsbruck, ebenso wie das vife Bauamt, die Bauleitung und die Architekten samt den ausführenden Handwerkern.

Die noch junge, bereits mit Preisen überschüttete Alm trifft in Anmutung wie An­gebot genau den richtigen Ton zwischen anspruchsvollem, aufgeschlossenem Stadtleben und den guten, Körper und Geist wohltuenden Aspekten der Tradi­tion: nicht zu schick, dafür aber richtig gut.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de